Level 17
Parker
»Oh mein Gott!«, keuchte Teagan neben mir.
Ich drehte den Kopf zu ihr und grinste. »Ja?«
Statt einer Antwort warf sie ein Kissen nach mir, das geradewegs in meinem Gesicht landete. Wie sie überhaupt noch die Kraft dazu hatte, war erstaunlich. Ich für meinen Teil war völlig erledigt. Es war keine Ahnung wie spät, wir lagen verschwitzt und selig lächelnd nach einer weiteren Runde in meinem Bett – und am liebsten würde ich mich gleich noch mal auf sie stürzen.
»Alles klar?«, hakte ich nach. »Du klingst ein bisschen fertig, TR.«
»Ich bin fertig!«, nuschelte sie und rieb sich mit den Händen über das Gesicht. »Erst dieser ganze Tag, dann der Stream vor so unheimlich vielen Leuten und jetzt das!« Fast schon anklagend deutete sie auf das Bett unter uns, als könnten Matratze und Holzpaletten etwas dafür, dass wir hier so ausgepowert lagen. »Aber mal ganz im Ernst.« Sie drehte sich auf die Seite und stützte den Kopf in die Hand auf. Leider lag sie unter der dünnen Decke, aber bei der Bewegung rutschte die ein paar Zentimeter tiefer, was mir einen nicht zu verachtenden Blick auf ihr Dekolleté ermöglichte. Zumindest so lange, bis Teagan vor meinem Gesicht herumschnippte. »Hier spielt die Musik.«
»Sicher? Ich finde die da unten nämlich auch sehr spannend.«
Diesmal folgte ein Klaps gegen meine Schulter, der mich grinsen ließ.
»Im Ernst! Wie stehst du das jede Woche mit so vielen Leuten durch? Mehrmals die Woche!?«
»Den Sex? Oder die Streams?«
»Parker!«
»Macht der Gewohnheit?« Ich streckte die Hand aus und strich ihr über den Arm. Einfach nur, um zu sehen, welche Wirkung diese kleine Geste auf sie haben würde. Wie erhofft erschauerte Teagan und bekam eine Gänsehaut. »Aber du hast dich echt gut geschlagen.«
Sie schnaubte. »Das sagst du bloß, um nett zu sein.«
»Wann habe ich jemals etwas zu dir gesagt, nur um nett zu sein?«
Einen Moment lang schien sie tatsächlich darüber nachzudenken, dann zuckte sie mit den Schultern, wodurch die Decke noch einen Zentimeter tiefer rutschte. Hmm.
»Stimmt auch wieder. Wahrscheinlich glaubt die ganze Welt jetzt, wir wären ein Paar«, grummelte sie und rollte sich ächzend auf den Rücken.
»Nicht die ganze Welt«, korrigierte ich sie bedächtig. »Bloß um die achtzigtausend Leute.«
»Das ist nicht hilfreich!«, rief sie und warf ein zweites Kissen nach mir.
Ich fing es lachend auf und legte es hinter sie auf die Matratze. »Ach komm, es gibt Schlimmeres. Oder?«
»Möglicherweise«, gab sie widerwillig zu.
»Möglicherweise?« Ich lehnte mich über sie, doch meine gespielte Empörung verschwand genauso schnell, wie sie aufgetaucht war, denn Teagan schien sich tatsächlich Sorgen ­deswegen zu machen. »Mach dir keinen Kopf«, versuchte ich sie zu beruhigen. »Klar wird es nach diesem Stream Gerüchte geben, aber die wären auch da, wenn Sophie oder Eliza vor die Kamera stolpern würden.«
»Aber mit Sophie oder Eliza fummelst du nicht heimlich während eines Livestreams herum. Oder?«
Ihr skeptischer Blick brachte mich zum Grinsen. »Nur wenn ich mich ganz besonders einsam fühle«, behauptete ich und packte ihre Hände, bevor sie wieder etwas nach mir werfen konnte. »Das war ein Witz. Ich hab nur selten Gäste im Stream. Aber ich denke, die meisten haben uns geglaubt, dass wir nur Freunde sind.«
Das waren wir schließlich auch. Freunde. Und wenn es nach mir ginge, auch mehr. Aber dieses Mehr war ganz allein unsere Sache. Vor allem, wenn Teagan so neben mir lag wie jetzt, und ich den Blick langsam an ihr auf und ab gleiten lassen konnte, ohne es verheimlichen oder mich deswegen schlecht fühlen zu müssen.
Sie biss sich auf die Unterlippe, was in mir den Drang weckte, mich wieder über sie zu beugen und an ihren Lippen zu knabbern, bevor ich sie um den Verstand küsste. Ihr Geruch haftete noch an den Laken und mit Sicherheit auch an mir. Sie hatte dunkle Spuren unter den Augen, und ihr Mund war vom vielen Küssen etwas geschwollen, was sie aber nur noch attraktiver machte.
»Hoffentlich«, flüsterte sie verspätet. Ihre Stimme war etwas leiser geworden, und sie sah mich direkt an.
Mittlerweile hatte ich es aufgegeben, herausfinden zu wollen, welche Farbe ihre Augen exakt hatten, und hatte die Tatsache akzeptiert, dass sie immer anders aussahen und genauso facettenreich waren wie Teagan selbst. Mal wirkten sie braun und warm, dann grün und stürmisch und gelegentlich wie eine Mischung aus beiden Farbtönen. Wie vorhin, als wir überhaupt erst hier im Bett gelandet waren.
Ich hatte keine Ahnung, wie spät es inzwischen war. Drei oder vier Uhr morgens vielleicht? Früher? Später? Spielte es überhaupt eine Rolle? Ich wusste nur, dass ich total fertig, gleichzeitig aber auch zu aufgekratzt war, um zu schlafen. Und ich wusste, dass das hauptsächlich an der Frau neben mir lag. Daran, dass sie erst seit Kurzem hier war und schon so bald wieder weg sein würde. Daran, dass sie mein Leben, meine Gedanken und Gefühle innerhalb kürzester Zeit total auf den Kopf gestellt hatte. Daran, dass ich nicht wollte, dass sie so schnell schon wieder verschwand.
»Wann geht dein Flug?«, fragte ich schließlich, auch wenn ich mir sicher war, die Antwort darauf gar nicht hören zu wollen. Trotzdem musste ich es wissen.
»Vormittags. Gegen elf, glaube ich«, antwortete sie und seufzte tief. »Irgendwie will ich gar nicht zurück.«
Das Herz schlug mir bis zum Hals, als ich die nächsten Worte aussprach. »Dann bleib hier.«
»Was?« Sie drehte den Kopf zu mir. Als sich unsere Blicke trafen, verzogen sich ihre Mundwinkel zu einem ungläubigen Lächeln. »Meinst du das ernst?«
»Klar, wieso nicht?« Ich zuckte mit den Schultern, als wäre es keine große Sache. Dabei war es eine. Und wie. »Liz ist noch bis zum Ende der Ferien weg, und ihr Zimmer ist frei. Außerdem könntest du dann direkt auf Wohnungssuche gehen, falls du im neuen Semester wirklich hier anfangen willst.«
»Ich will«, sagte sie sofort, was mir ein Lächeln entlockte. »Aber diese Entscheidung liegt nicht bloß bei mir und daran, was ich will. Außerdem gibt es noch andere Colleges.«
Andere Colleges, auf deren Rückmeldung sie wartete. Und nicht alle waren hier oder auch nur in der Nähe von Pensacola. In ein, zwei Monaten könnte Teagan sonst wo sein und ein neues Leben beginnen. Weit weg von hier. Von mir.
»Ich weiß«, murmelte ich und hielt kurz inne, sprach dann jedoch weiter. »Ich wollte dich damit auch gar nicht unter Druck setzen. Sorry. Ich wollte nur … Du hast Möglichkeiten, weißt du? Außerdem wäre es ziemlich cool, wenn du vom WFMAC eine Zusage bekommen würdest.«
»Warum?«, konterte sie. »Weil ich dann dafür sorgen könnte, dass ihr euch ein bisschen weniger gegenseitig in Lebensgefahr bringt?«
»Das auch.« Ich grinste. »Aber dann könnten wir noch öfter zusammen streamen, gemeinsam abhängen, zocken oder wieder an den Strand fahren.«
Ich hätte ewig so weitermachen und Dinge aufzählen können, die wir zusammen tun oder erleben könnten, zwang mich aber dazu, die Klappe zu halten. Denn was ich eben gesagt hatte, war mein voller Ernst gewesen: Ich wollte Teagan nicht unter Druck setzen. Ganz egal wie gerne ich sie hierbehalten würde.
»Das wäre toll«, gab sie leise zu und zog die Knie an. Unvermittelt warf sie mir einen herausfordernden Blick zu. »Dann könntest du auch zumindest versuchen , mich bei Beat Saber zu schlagen.«
»Machst du Witze?« Ich setzte mich auf und sah auf sie herunter. »Beim nächsten Mal mache ich dich fertig, Baby.«
»Awww.« Sie lachte auf und stupste mit den Zehen gegen mein Schienbein. »Sagst du dir das jeden Abend vor dem Schlafengehen, um dich besser zu fühlen? Oder morgens vor dem Spiegel?«
»Beides natürlich.« Ich packte sie am Unterschenkel. Kurz fiel mein Blick darauf, dann sah ich ihr wieder ins Gesicht, nur um fast im selben Moment zurück zu ihrem Bein zu schauen. Genauer gesagt zu ihrem Knöchel und dem kleinen schwarzen Etwas, das meine Aufmerksamkeit auf sich gezogen ­hatte.
»Ah, da ist ja das Tattoo, von dem du erzählt hast.« Ich fuhr die einzelnen Linien nach, bis ich eine Gänsehaut unter meinen Fingerspitzen spürte und mir ein Lächeln verkneifen musste. »Ist das eine Fee?«
»Eine Fee? «, wiederholte Teagan und richtete sich auf den Ellenbogen auf. »Das ist keine Fee. Das ist Tinkerbell.«
Ich riss meinen Blick von der kleinen Tätowierung los und sah ihr wieder ins Gesicht. »Aus Peter Pan?«
»Nein, aus Herr der Ringe«, konterte sie trocken und beobachtete jede meiner Regungen misstrauisch.
Meine Mundwinkel wanderten nach oben, aber ich lachte nicht. Wieso auch? Es war ein richtig gut gestochenes Tattoo einer zauberstabschwingenden Tinkerbell, umgeben von kleinen Sternchen. Abgesehen davon hatte sowieso jeder, der sich freiwillig von Nadeln zerstechen und Tinte unter die Haut schießen ließ, meinen größten Respekt.
Nachdenklich strich ich mit dem Daumen über ihre Haut. »Ich hätte dich nicht für einen Disneyfan gehalten.«
»Bin ich auch nicht«, gab sie mit einem schiefen Lächeln zu. »Peter Pan war schon immer mein Lieblingsmärchen und Tinkerbell meine Lieblingsfigur. Der Disneyfilm ist bloß ein netter Bonus.«
»Verstehe.« Ein letztes Mal fuhr ich mit dem Daumen über ihre Haut, diesmal auch wieder über das Tattoo, dann ließ ich ihr Bein los.
»Diese blauen Flecken …«, begann Teagan plötzlich, und ich erstarrte, zwang mich jedoch sofort dazu, mich ganz unbekümmert zu geben. »Hat Cole recht? Dass da nichts weiter dabei ist?«
»Klar.« Ich tat es mit einem Schulterzucken ab und konzentrierte mich lieber darauf, mit den Fingern die samtweiche Haut ihres Oberschenkels nachzufahren.
»Sicher?«, hakte sie nach und klang dabei so verdammt skeptisch, dass ich fast zusammenzuckte.
Shit, ich hasste es, deswegen zu lügen. Aber was sollte ich auch sagen? Dass meine Mom regelmäßig aggressive Anfälle bekam, bei denen sie fixiert werden musste, weil sie sonst sich selbst oder die Menschen um sie herum verletzte? Dass ich meist derjenige war, der sie festhielt, bis es vorbei war? Dass die Blutergüsse an meinen Seiten und am Rücken daher kamen?
Definitiv nicht. Denn dann müsste ich die ganze Geschichte erzählen – und dazu war ich noch nicht bereit. Selbst bei Callie, meiner besten Freundin, die so ziemlich alles über mich wusste, hatte es Jahre gedauert, bis ich ihr die Wahrheit erzählt hatte. Und manchmal bereute ich selbst das. Zum Beispiel, wenn sie wieder mal ihre Hilfe anbot oder so verdammt viel Mitgefühl in ihrer Stimme lag, wann immer wir über meine Familie redeten, dass es mir die Kehle zuschnürte.
Also nein. Ich würde Teagan nicht die Wahrheit sagen. Genauso wenig wie Cole, Lincoln, Sophie oder Eliza.
Ich winkte ab. »Ich weiß nicht mal, wo die herkommen«, behauptete ich, auch wenn ich mich im selben Moment dafür hasste. »Anfang der Woche war ich daheim und hab die ganze Gartenarbeit gemacht. Du weißt schon – Rasen mähen, Laub zusammentragen, Unkraut jäten und der ganze Mist. Wahrscheinlich kommt es daher.«
»Wahrscheinlich«, bestätigte sie nachdenklich, wirkte aber nicht völlig überzeugt.
»Hey.« Ich stupste sie in die Seite und beschloss, dass es höchste Zeit für einen Themenwechsel war. »Das Angebot steht. Du kannst gerne hierbleiben, wenn du willst.«
Teagan lächelte warm. »Danke, aber ich glaube, dann würde mein Dad durchdrehen.«
»Ja? Er würde aber nicht plötzlich mit einer Schrotflinte vor der Tür stehen, oder?«
Diese Vorstellung entlockte Teagan ein Glucksen. Und dann ein lautes Lachen, bei dem sie sich die Hand vor den Mund schlug. Ganz so, als wollte sie auf keinen Fall jemanden aus der WG wecken. Nun, dabei konnte ich ihr helfen.
Grinsend beugte ich mich über sie und fing ihre Lippen für einen Kuss ein. Und so schnell verschwand ihr Lachen und wich einem leisen Seufzen. Und dann einem kleinen Stöhnen.
Obwohl es schon ziemlich spät sein musste, konnten wir nicht aufhören, uns gegenseitig wach zu halten – und das nicht nur mit heißen Küssen und einem noch heißeren Höhepunkt. Im Anschluss daran verbrachten wir noch mindestens eine weitere Stunde damit, einfach nur zu reden. Über die neuesten Games, über Retro-Spiele, über Highscores und Livestreams, über Schule und Studium, das Wetter, das Meer, Conventions, Funko-Pops, Marvel versus DC und noch so viel mehr. Ich merkte nicht einmal, wie ich immer müder wurde, bis Teagan irgendwann die Augen zufielen und sie in meinen Armen einschlief. Und ich gleich darauf ebenfalls.