Level 24
Teagan
»Da wären wir.«
Dad stellte den Wäschesack voller Klamotten neben den beiden Koffern an der Tür ab. Meine Reisetasche lag bereits auf dem unbezogenen Bett. Sein Blick wanderte durch das kahle Zimmer, das aus einem grauen Boden, weißen Wänden, einem Fenster, einem schmalen Einzelbett, einer Kommode und einem Schreibtisch samt Stuhl bestand. Nicht sonderlich eindrucksvoll, vor allem, wenn man es gewohnt war, daheim ein Zimmer und ein eigenes Bad zu haben, das viermal so groß war wie das hier. Aber es war mein Zuhause für das kommende Semester am West Florida Media & Arts College. Und dank der vielen neuen Follower und Spenden beim Streamen konnte ich mir sogar ein teureres Einzelzimmer leisten, was nicht nur etwas mehr Ruhe für mich bedeutete, sondern – sofern es die Zeit neben dem Studium erlaubte – auch die Möglichkeit, weiterhin Livestreams zu machen.
Ich konnte noch immer nicht so ganz glauben, dass ich tatsächlich hier war. Dass Dad und ich gemeinsam hier waren. Am Morgen hatten wir noch zu Hause gefrühstückt – Susanna hatte zum Abschied meine Lieblingspancakes gemacht –, dann hatte Dad uns zum Flughafen gefahren, und wir waren beide ins Flugzeug gestiegen. Und jetzt standen wir hier in meinem Wohnheimzimmer. In Pensacola. An meinem College.
»Bist du sicher, dass du hierbleiben willst?«, fragte Dad vom Fenster aus und warf einen kritischen Blick nach draußen. Er wirkte fast so, als hoffte er darauf, gleich einen Drogendeal oder eine Schlägerei auf dem Campus zu sehen – irgendetwas, das ihm einen Grund gab, mich wieder mit nach Hause zu nehmen.
Ich nickte mehrmals. »Ja. Ich wollte hierher. Unbedingt.«
Nachdem ich beschlossen hatte, dass die Sache mit Parker keinen Einfluss auf meine Entscheidung haben würde, war mir ziemlich schnell klar geworden, dass das WFMAC die Universität war, an der ich studieren wollte. Außerdem war der Flughafen nur ein paar Fahrminuten entfernt, ich konnte also jederzeit in einen Flieger steigen und Dad besuchen. Oder er kam hierher. Falls er das wollte.
Jetzt seufzte er und wandte sich kopfschüttelnd vom Fenster ab. Die Sorge stand ihm geradezu ins Gesicht geschrieben, und er wirkte alles andere als glücklich, aber ich meinte auch, so etwas wie Stolz in seinen Augen lesen zu können. Früher wäre ich mir da nicht so sicher gewesen, aber seit wir nach meiner Rückkehr aus Pensacola zum ersten Mal seit Ewigkeiten richtig miteinander geredet hatten, war unser Verhältnis besser geworden. Wir waren nicht plötzlich zu einem unzertrennlichen Vater-Tochter-Duo geworden, aber wenigstens hatten wir nun überhaupt so etwas wie eine Beziehung, wo vorher keine gewesen war. Denn vorher waren wir nur zwei Fremde gewesen, die zufällig im selben Haus wohnten und sich ab und zu über den Weg liefen.
Wieder ein Seufzen von Dad. Einen Moment lang sah er zu den beiden großen Koffern und dem Wäschesack, als würde er tatsächlich darüber nachdenken, mir seine Hilfe beim ­Auspacken anzubieten, entschied sich jedoch schnell dagegen.
»Na komm«, sagte er stattdessen. »Lass uns einen Kaffee trinken und dann zeigst du mir noch etwas vom Campus. Ich will sehen, wo ich meine Tochter zurücklasse.«
Wider Willen musste ich lächeln – und ignorierte diese lästige Feuchtigkeit in meinen Augen. Wahrscheinlich war es hier nur staubig, oder ich reagierte allergisch auf irgendetwas in der Luft.
Wir verließen das Wohnheim, wobei wir nur wenigen Leuten begegneten. Offiziell startete das Semester erst übernächste Woche, doch die ganzen Einführungsveranstaltungen für die Freshmen begannen bereits am Montag, und ich wollte mir alles in Ruhe anschauen. Vielleicht trat ich auch einem Club bei. Außerdem wollte ich mir einen Job suchen, selbst wenn das bedeutete, mich weiterhin mit unfreundlichen Kunden herumschlagen zu müssen, die ihren Kaffee mit tausend Sonderwünschen wollten und noch nie etwas von Wörtern wie Bitte und Danke gehört hatten. Aber da ich mögliche Livestreams besser vorher mit meiner zukünftigen Mitbewohnerin absprechen sollte, erschien es mir klug, eine alternative Einnahmequelle zu haben. Dad hatte zwar mehr als einmal angeboten, mich finanziell zu unterstützen, auch wenn ich nicht das studierte, was er sich immer für mich erhofft hatte, aber ich wollte zumindest versuchen, auf eigenen Beinen zu stehen und nur im Notfall darauf zurückgreifen.
Die Sonne schien an diesem späten Nachmittag Ende August, und im Gegensatz zu meiner Heimat war es hier in Florida deutlich wärmer. Ich war froh, mich heute Morgen für ein Tanktop und eine dünne Jeans entschieden zu haben. Nur meine Boots würde mir kein Wetter der Welt je ausreden – die hatte ich selbst bei meinem Besuch am Pensacola Beach getragen.
Bei der Erinnerung daran zog sich etwas schmerzhaft in meiner Brust zusammen. Ich presste die Lippen aufeinander und schob die Gedanken daran beiseite. Ich war jetzt hier. Ich würde neue Erinnerungen schaffen, bis die an Parker irgendwann nicht mehr wehtun würden. Oder bis sie von so vielen anderen überlagert wurden, dass ich überhaupt nicht mehr daran dachte.
Doch bis es so weit war, konnte ich nur hoffen, weder ihm noch seinen Mitbewohnern auf dem Campus oder in der Stadt über den Weg zu laufen. Und sollte es doch irgendwann passieren, galt derselbe Plan wie auch bisher bei Leuten wie Brandon und Maddison: freundlich, aber distanziert bleiben – und niemanden umbringen.
Gemeinsam mit Dad fand ich ziemlich schnell einen niedlich aussehenden Coffeeshop. Ich bestellte mir meinen heiß geliebten Iced Latte und Dad einen Americano. Dann schlenderten wir nebeneinander über den Campus. Zwischen dem Mix aus modernen Gebäuden und altehrwürdigen Bauten im viktorianischen Stil gab es jede Menge Grün, Sitzbänke und Wiesen, auf denen es sich schon ein paar Grüppchen oder einzelne Leute gemütlich gemacht hatten. Unter den Bäumen lagen bereits die ersten gelben und braunen Blätter auf dem Boden und die Palmen wiegten sich in der Brise, die vom Meer zu uns herüberwehte. Es war ein schönes Bild. Noch immer surreal, aber wunderschön.
»Ich bin froh, dass du das tust, was du wirklich tun möchtest«, sagte Dad plötzlich und trank einen Schluck von seinem Kaffee.
Ich warf ihm einen erstaunten Blick zu. »Und ich dachte immer, du wolltest, dass ich auf ein namhaftes, teures College gehe und etwas Vernünftiges studiere …«
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, wie er die Lippen verzog. »Das wollte ich zunächst auch. Bevor ich gemerkt habe, wie wichtig dir das hier wirklich ist. Game Design«, fügte er mit einer Spur von Verwunderung hinzu. »Ich weiß wirklich nicht, von wem du das hast. Weder deine Mutter noch ich sind besonders kreativ.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Mom hat mir mein erstes Spiel gekauft. Sie war meine erste Zuschauerin.«
»Und dein größter Fan«, fügte Dad leise hinzu.
Ich versuchte, unter diesen Worten nicht zusammenzuzucken – und scheiterte. »Warum ist sie dann gegangen?«, fragte ich leise, korrigierte mich dann jedoch, da wir beide ziemlich genau wussten, warum sie uns verlassen hatte. »Warum hat sie mich nicht mitgenommen?«
Mein Vater seufzte tief. »Ich weiß es nicht«, gab er zu und starrte auf einen Punkt in der Ferne, während wir in gemächlichem Tempo weitergingen. »Als ich damals nach Hause kam und all ihre Sachen weg waren … Da war meine größte Angst, dass sie dich mitgenommen haben könnte.«
Überrascht hob ich den Kopf. Das hatte er mir nie erzählt. So lange hatten Dad und ich kaum wirklich miteinander zu tun gehabt, dass ich … Irgendwie hatte ich immer geglaubt, er wäre enttäuscht darüber, dass ich nicht zusammen mit Mom verschwunden war. Dass er sich noch immer mit mir herumschlagen musste. Mit der Tochter, mit der er noch nie etwas hatte anfangen können.
»Das wusste ich nicht …«, gab ich zögerlich zu.
Plötzlich lag da eine Hand auf meiner Schulter. Ich blieb stehen und sah zu ihm hoch.
Seine Stirn war in Falten gelegt, und in seinen Augen war nichts als ehrliche Reue zu lesen. »Es tut mir leid, Teagan. Ich hätte es dir sagen sollen. Ich hätte mehr für dich da sein sollen, statt mich nur noch mehr in meiner Arbeit zu vergraben.«
Und da war sie wieder, diese lästige Feuchtigkeit in meinen Augen. Ich musste all meine Willenskraft aufbringen, um sie wegzublinzeln.
»Auf einmal ist aus meinem kleinen Mädchen eine junge Frau geworden, die ihren Highschool-Abschluss in der Tasche hat, und mir ist klar geworden, dass ich alles verpasst habe. Und als du dann auch noch plötzlich weg warst, um dir irgendwelche Colleges anzuschauen, dachte ich …« Er schluckte hart, zwang sich aber dazu weiterzusprechen. »Ich dachte, du würdest nicht mehr zurückkommen. Dass du genau wie deine Mom einfach fortgegangen wärst.«
»Dad …«
Er schüttelte den Kopf. »Das soll kein Vorwurf sein, Teagan. Du hattest jedes Recht, dir die Colleges anzuschauen, auf die du gehen möchtest. Und es war ja nicht so, als wäre ich leicht zu erreichen gewesen, um mir Bescheid zu geben.« Er lächelte bitter. »Ich möchte nur, dass du weißt, dass du immer ein Zuhause hast, in das du zurückkehren kannst. Und dass ich da sein werde, wann immer du nach Hause kommen möchtest.«
Ich merkte gar nicht, was ich vorhatte, bis ich die Arme um ihn schlang. Dad schien genauso überrascht zu sein, doch dann erwiderte er die Umarmung mit dem Kaffeebecher in der Hand und tätschelte mir etwas ungelenk den Rücken. Und ich … ich vergaß für eine kleine Weile alles andere und war einfach nur wieder das kleine Mädchen, das sich an ihren Papa kuschelte.
Der Moment war viel zu schnell vorüber, und danach waren wir beide etwas peinlich berührt, weil keiner von uns so etwas gewohnt war. Aber es war … schön. Es war schön, so mit meinem Vater über den Campus zu spazieren. Es war schön, ihn zu umarmen und zu wissen, dass er diese Umarmung auch erwidern würde. Und es war schön, endlich ehrlich mit ihm über alles reden zu können und dass er mich dabei ernst nahm, selbst wenn er meine Beweggründe oder die Dinge, von denen ich ihm erzählte, nicht immer verstand.
Wir schlenderten noch ein bisschen über den Campus und tranken unsere Kaffees aus, dann verabschiedeten wir uns fürs Erste und Dad fuhr in sein Hotel. Am nächsten Tag blieb gerade noch genug Zeit, um ihm den Strand zeigen, bevor er sich auf den Weg zum Flughafen machte.
Es war seltsam, ihm nachzusehen und zu wissen, dass er von nun an Tausende von Meilen von mir entfernt sein würde. Nicht emotional, sondern ganz real. Aber vor allem war es seltsam, ihn gehen zu lassen, obwohl ich das Gefühl hatte, gerade erst meinen Vater zurückbekommen zu haben.
Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und griff zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Pensacola wieder nach meinem Handy. Bis zu diesem Moment hatte ich es ausgehalten, nicht nach neuen Nachrichten oder Mails zu schauen. Vor allem nach neuen Nachrichten. Doch jetzt wurde ich schwach und schaltete das Display an.
Nichts. Genauer gesagt: nichts von Parker.
Dafür hatte mir Dad bereits getextet und mit gefühlt einer Million Emojis geschrieben, dass er mir alles Gute wünschte und sich melden würde, sobald er gelandet war. Und dass ich ihm unbedingt erzählen sollte, wie meine erste Woche am College gelaufen war.
Aus irgendeinem Grund musste ich beim Lesen lächeln. Vielleicht, weil ich das hier nie für möglich gehalten hätte. Er hatte sich so lange dagegen gewehrt, dass ich Game Design studierte, dass ich nie geglaubt hätte, dass er mich eines Tages am College besuchen würde. Davon, dass er mich selbst hierher begleiten und mir mit meinen Sachen helfen würde, ganz zu schweigen. Aber anscheinend hatten die letzten Wochen nicht nur mich verändert, sondern auch ihn. Und selbst wenn er sich wahrscheinlich nie großartig für Games interessieren würde, gab er sich nun wenigstens Mühe, zu begreifen, was meine Interessen waren und wieso. Und das rechnete ich ihm hoch an. Das war nicht selbstverständlich. Das hatte ich mehr als einmal auf die harte Tour gelernt.
Seit die Vorbereitungen für den Umzug und das neue Semester begonnen hatten, hatte ich kaum noch gestreamt und nur selten in meine Social-Media-Kanäle reingeschaut. Zum einen, weil einfach kaum Zeit dafür geblieben war, und zum anderen, weil ich ja doch nur jeden Tag mit tausend Fragen zu Parker konfrontiert wurde oder irgendwelche Gerüchte über ihn und mich lesen musste. Was definitiv nichts war, was ich gerade brauchte.
Dennoch wagte ich nun einen kurzen Blick auf die Plattformen – und bereute diese Entscheidung innerhalb weniger Minuten. Die Leute spekulierten noch immer, wieso erst ich, dann Parker und dann wieder ich nicht mehr gestreamt hatten. Ob es Beziehungsprobleme gab. Ugh! Allein bei dem Wort schüttelte es mich. Irgendwo las ich auch etwas von einer heimlichen Schwangerschaft (danke, Leute!), davon, dass wir in Vegas gesichtet worden und offensichtlich zusammen durchgebrannt waren (im Ernst jetzt?!) oder dass ich Parker das Herz gebrochen hatte. Wäre ich nicht das Ziel dieser ganzen Gerüchte, wäre es geradezu faszinierend mitzuverfolgen, wie sich alle – vor allem die weiblichen Zuschauer – geschlossen auf Parkers Seite stellten und mich ohne jede Grundlage oder einen Beweis verurteilten oder sogar verteufelten. Ich war mir ziemlich sicher, dass man dazu eine interessante soziale Studie anlegen könnte.
Allerdings war ich nicht gewillt, auch nur ein Wort dazu zu sagen oder mich sonst irgendwie zu diesem Thema zu äußern. Ich wollte einfach nur mein neues Leben und mein Studium genießen, das war alles.
Gott, ich konnte nur hoffen, dass keiner meiner Kommilitonen oder Kommilitoninnen einer von meinen oder Parkers Zuschauern war und etwas von dieser Sache mitbekommen hatte. Das wäre echt das Letzte.
Ich schloss die Apps und rief die letzten Nachrichten auf. Nichts Neues. Und die letzte von Parker war so lange her, dass ich schon gar nicht mehr wusste, wann das gewesen war. Kurz nach meinem Besuch bei ihm wahrscheinlich. Und obwohl es ein beschissenes Gefühl war, hatte ich keine Lust, deswegen traurig zu sein oder mich davon runterziehen zu lassen. Ich weigerte mich einfach. Das hatte ich schon bei zu vielen Menschen zugelassen.
Trotzdem hasste ich das bittere Gefühl ebenso wie das schmerzhafte Pochen in meiner Brust, wann immer ich an die ganze Sache denken musste. Und dummerweise gab es in Pensacola eine Menge, was mich an meinen Besuch hier und an Parker erinnerte.
Ein letztes Mal sah ich aufs Handy, dann steckte ich es seufzend wieder ein. Irgendwo hatte ich mal gelesen, dass keine Antwort auch eine Antwort war. Bisher hatte ich diesen Spruch nie so richtig verstanden – jetzt schon. Denn Parkers ausbleibende Nachrichten und die Funkstille zwischen uns, die ganz eindeutig von ihm ausging, sagten mir mehr, als es Worte je tun könnten.
Es war vorbei. Was auch immer das zwischen uns gewesen war, was auch immer es hätte sein können – es war zu Ende, bevor es richtig angefangen hatte. Mittlerweile sollte ich wirklich nicht mehr überrascht sein. Ich war das ja schließlich schon gewohnt.
Verärgert wischte ich mir über die Augenwinkel. Ich würde nicht weinen. Unter gar keinen Umständen würde ich auch nur eine einzige Träne vergießen. Das hatte ich früher vielleicht getan, als mich die wichtigsten Menschen in meinem Leben im Stich gelassen hatten, aber jetzt nicht mehr. Ich brauchte diese Leute nicht – und ich brauchte Parker nicht. Völlig egal, was mein dummes Herz dazu zu sagen hatte. Ich brauchte ihn nicht. Ich brauchte niemanden.
Fast schon blindlings stolperte ich über den Campus und suchte den Weg zurück ins Wohnheim. Dummerweise kannte ich mich hier noch nicht wirklich gut aus und fand mich innerhalb kürzester Zeit bei demselben Glaskasten wieder, an dem ich schon vor fünf Minuten gestanden hatte. Offenbar war ich im Kreis gelaufen.
»Toll«, grummelte ich und hielt mir die Hand über die Augen, um trotz der grellen Sonnenstrahlen etwas erkennen zu können. Dabei fiel mir eine Person auf, die gerade aus dem Glaskasten kam, einen schnellen Blick auf ihre Armbanduhr warf und dann fluchend weitereilte.
Blondes kurzes Haar. Große Statur. Die Figur eines Schwimmers. Und eine Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkam.
»Lincoln?«
»Oh, hey.« Er blieb stehen, warf mir aber nur einen flüchtigen Blick zu, als wäre er in Gedanken ganz woanders. Vermutlich dort, wo er so eilig hinwollte. Doch dann kehrte sein Blick zu mir zurück und seine Augen weiteten sich überrascht. »Teagan …?«
Ich zwang mich zu einem Lächeln und hob die Schultern. »Die einzig Wahre.«
»Was machst du denn hier? Willst du zu – «
»Ich studiere hier«, unterbrach ich ihn, bevor er den Namen aussprechen konnte. »Seit diesem Semester.«
Er blinzelte verdutzt, lächelte dann aber. »Wow. Glückwunsch.«
»Danke.«
Schweigen. Lincoln verlagerte sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen, und ich wusste nicht wirklich, was ich sagen sollte. Okay, spätestens jetzt wurde es unangenehm. Ich sollte mich einfach verabschieden und weiter den Weg zurück ins Wohnheim suchen. Früher oder später würde ich den schon finden. Und bis dahin hoffentlich diese unerwartete Begegnung auf dem Campus vergessen haben.
Aber als ich den Mund öffnete, um mich zu verabschieden, kamen ganz andere Worte heraus: »Wie geht es ihm …?«
Argh! Warum, Teagan? Warum??
In Gedanken konnte ich mich noch so sehr verfluchen, doch das würde die Frage nicht ungeschehen machen. Und, wenn ich ehrlich war, wollte ich das gar nicht. Nicht einmal, wenn mein Herz so schnell hämmerte, dass mir davon fast schlecht wurde.
Lincoln zögerte, sah kurz zur Seite und dann wieder zu mir zurück. »Um ehrlich zu sein, wüsste ich das auch gerne. Er war in letzter Zeit nicht in der WG.«
»Was? Wieso nicht?«
Lincoln zuckte mit den Schultern. »Ich weiß genauso wenig wie du. Er hat uns nur einen Zettel dagelassen und geschrieben, dass er für eine Weile zu seiner Familie fährt. Das war vor einem Monat.« Entschuldigend hob er die Hände. »Sorry, dass ich dir nicht mehr sagen kann.«
»Schon gut«, murmelte ich, doch in meinem Kopf arbeitete es auf Hochtouren.
Warum war Parker nicht in der WG? Und wieso hatte er Lincoln und den anderen nicht wenigstens Bescheid gegeben, was er vorhatte? Es war ja nicht so, als wären all seine Mitbewohner und Mitbewohnerinnen unauffindbar und nur über einen Termin bei der Sekretärin zu erreichen.
»Ich muss los«, sagte Lincoln und schaute wieder auf die Armbanduhr, die sich bei näherem Hinsehen als Fitnessarmband herausstellte. »Soll ich ihm irgendwas ausrichten oder – «
»Nein«, fiel ich ihm ins Wort. Denn das Letzte, was ich wollte, war, dass Parker erfuhr, dass ich mich für das College in Pensacola entschieden hatte. Trotz unserer Funkstille.
»Okay, dann … bis bald. Man sieht sich.«
Mit diesen Worten – und unzähligen neuen Fragen – ließ Lincoln mich stehen. Ich sah ihm nach, bis er zwischen den Fakultätsgebäuden verschwunden war, aber in Gedanken war ich ganz woanders. In Gedanken fragte ich mich, was zur Hölle bei Parker los war.