Als ich aus dem Bad komme, stoße ich im Hausflur praktisch mit Marko zusammen.

»Herzliches Beileid, Amy«, sagt er auf seine förmliche Art und tritt zur Seite, ohne mir richtig in die Augen zu sehen.

Sollte ich etwas sagen? Noch ehe ich mich entschließen kann, geht er mit schnellen Schritten zur hinteren Tür hinaus, um am Leichenschmaus teilzunehmen. Ich gehe zu den anderen Frauen in der Küche zurück. Chance verpasst.

Vollbeladene Platten nehmen jeden Quadratzentimeter der Arbeitsfläche ein, am Spülbecken wäscht Branka den nächsten Berg Kartoffeln. Die älteren Frauen, Mary, Ana und Kata, alle schwarz gekleidet, unterhalten sich auf Kroatisch. Mit ihren fülligen Gesichtern und beleibten Körpern könnten sie Schwestern sein, aber ich weiß, dass sie nicht verwandt sind. Es sind ihre Männer, die zur eigentlichen Novak-Familie gehören.

Während ich Mangold und Kartoffeln für den nächsten Topf Blitva schneide – obwohl sowieso schon mehr Essen da ist als nötig –, verfluche ich mich einmal mehr, weil ich mir nicht genug Mühe gegeben habe, wenigstens ein bisschen Kroatisch zu lernen. Aber jedes Mal, wenn ich ein Wort oder einen Satz zum Besten gebe, sorge ich für Heiterkeit. Mein Mund scheint für die kurzen, scharfen, gutturalen Laute nicht gemacht zu sein.

Lexy und Nadya sind ungefähr in meinem Alter, Anfang dreißig. Sie tragen schwarze Kleider, einfach, aber trotzdem irgendwie chic. Ich musste mir extra für die Beerdigung ein Kleid kaufen, weil ich normalerweise kein Schwarz trage. Der Schnitt ist bewusst konservativ, weil ich mich nicht noch mehr von den anderen abheben wollte als ich es sowieso schon tue. Wenn man eins achtzig ist, lange blonde Haare und blaue Augen hat, fällt man in einer kroatischen Familie unweigerlich auf. Lexy ist die kleinere Ausgabe von Ana, ihrer Schwiegermutter. Nadya, Johnnys Cousine, ist fast so groß wie ich und hat glänzende olivfarbene Haut. Äußerlich passen die beiden nicht zusammen. Nadya beugt sich zu Lexy hinunter, sie arrangieren Räucherfleisch und Käse auf mehreren Tabletts und unterhalten sich in Englisch über alles Mögliche, solange es nur nichts mit Ivan zu tun hat.

Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich diese Küche betreten habe. Damals hat Branka mich mit steinerner Miene von oben bis unten gemustert. Milan kam aus dem Flur in die Küche gepoltert, mein Fluchtreflex machte sich bemerkbar. Ich weiß noch, wie meine Hand gezittert hat, als ich sie ihm entgegengestreckt habe.

Er lachte. »Deine Freundin, Johnny, sie zittert. Warum sie hat Angst?«

Es war mir sehr unangenehm, aber Branka hatte Mitleid. Sie scheuchte die beiden Männer aus der Küche und ließ mich Kartoffeln schälen. Damals habe ich mit ihr zum ersten Mal Blitva gemacht.

Johnnys Familie kennenzulernen war wie die Ankunft auf einem fremden Planeten. Ich kam frisch von der Uni, hatte einen Bachelor of Arts, was letztlich eine ziemlich nutzlose Angelegenheit war, aber Mum und Dad hatten darauf bestanden, dass ich meinen Abschluss mache. Gerade hatte ich meinen ersten richtigen Job angetreten, als Assistentin in der Personalabteilung der Gemeindeverwaltung von Strathfield. Ich wohnte noch bei Mum und Dad zu Hause. Etwas Besseres, als in Strathfield in einem schönen Bungalow im Craftsman-Stil aufzuwachsen, kann einem in den westlichen Vororten kaum passieren. Kein Vergleich mit den reichen Vorstädten im Osten, aber solide Mittelschicht, respektabel. Liverpool genoss kein solches Ansehen. Damals wusste ich nicht so genau, was ich wollte, aber ich wusste, was ich nicht wollte. Ich wollte keine Kopie des Lebens meiner Eltern, nicht diese Normalität, nicht diese Langeweile. Ich wollte mehr. Ich wollte etwas Größeres.

Als ich Johnny das erste Mal sah, stand Ivan neben ihm an der Bar. Mit ein paar Freundinnen war ich in einem Club in Parramatta, dem Herzstück des Westens. Es war am frühen Abend und noch nicht besonders voll. Der DJ spielte modernen Blues und Trop Rock, Ben Harper und Jack Johnson. Meine Aufmerksamkeit galt den beiden Männern an der Bar.

Um ehrlich zu sein, konzentrierte ich mich auf Ivan. Groß und breitschultrig, war er ausgesprochen gutaussehend. Brauner Wuschelkopf, dunkle Augen und diese hohen slawischen Wangenknochen. Ivan schien sich über seinen Bruder lustig zu machen, der noch ein Stück größer war.

Johnny schaute zu Boden, sodass ich sein Gesicht nicht sehen konnte. Dann plötzlich blickte er auf, mir direkt in die Augen. Ich saß zehn Meter von ihm entfernt, an einem Tisch voller junger Frauen, aber er schaute mich direkt an. Ich war nicht daran interessiert, jemanden abzuschleppen, aber er lächelte mir zu.

Ich war zweiundzwanzig. Eins achtzig und ziemlich ahnungslos.

Er wartete, bis ein paar der Mädchen auf die Tanzfläche gingen. Dann kam er herüber und setzte sich auf den Stuhl direkt neben mir.

»Ich möchte mit dir essen gehen. Am nächsten Samstagabend. Ich komme bei dir zu Hause vorbei, hole dich ab und bringe dich zu einem ganz besonderen Restaurant.« Seine Stimme klang wie eine Mischung aus Schotter und Honig. Er roch nach Zitronen. Er überraschte mich mit seiner Förmlichkeit, seinem Verzicht auf irgendwelche Anzüglichkeiten, wie Jungs aus Sydney sie normalerweise lieben.

»Ich weiß nicht mal, wie du heißt. Warum sollte ich mit dir essen gehen?« Ich merkte, dass ich rot wurde, die Wärme kroch mir den Hals hoch bis ins Gesicht.

»Ich heiße Johnny Novak.« Er streckte mir die große rechte Hand entgegen.

Sein Händedruck war sanft, aber fest. Er hielt meine Hand nicht zu lange, noch ein Pluspunkt für ihn. Ich hasse es, wenn Kerle einem, nur weil man eine Frau ist, die Hand nur schlaff entgegenstrecken. Oder was noch schlimmer ist: wenn sie einfach nicht loslassen, obwohl man nicht Händchenhalten, sondern sich nur begrüßen will.

»An dieser Stelle müsstest du mir deinen Namen sagen«, erklärte er mit vollkommen ernster Miene, nur seine Augen lächelten.

»Amy Parsons.«

»Du denkst doch über meine Einladung nach, nicht wahr, Amy Parsons?«

»Ja, Johnny Novak, ich denke darüber nach«, erwiderte ich lachend.

»Sag ja. Wir werden uns kennenlernen. Keine große Sache.«

Die Skepsis muss in meinem Gesicht zu lesen gewesen sein. Wer war dieser Kerl? Mein Kopf riet mir, nein zu sagen. Ich spürte Gefahr.

Er beugte sich vor, jetzt wirkte er ernsthaft und entschlossen. »Ich verspreche, dass ich keinerlei Ärger mache.«

Die Nähe seines Körpers ließ mir schwindlig werden. Ich wusste nicht, was ich ihn fragen konnte, ohne unhöflich zu wirken. Wo wohnst du? Typische Sydney-Frage. Da könnte man gleich fragen: »Wie viel Geld verdienst du?« Aber ich wollte auch nicht, dass er ging. Mir war längst klar, dass ich ihn wiedersehen wollte.

»Okay, warum nicht?« Ich zuckte die Achseln. Er lächelte, mein Inneres schien zu schmelzen.

Er reichte mir sein Handy. »Dann brauche ich deine Nummer.«

Sobald ich meine Nummer in sein Handy eingetippt hatte, stand er auf. Plötzlich wirkte er riesig. »Ich rufe dich Mittwochabend an, um die genaue Uhrzeit auszumachen. Okay?«

Ich schüttelte den Kopf und sagte gleichzeitig: »Okay.« Was lief hier eigentlich ab?

Er drehte sich um, ging zurück zur Bar und nickte seinem Bruder zu. Sie gingen, ohne noch einmal zurückzuschauen. Er nahm sämtliches Licht mit sich.

Nach drei Dates an drei aufeinanderfolgenden Samstagen lud Johnny mich in seine kleine, aufgeräumte Wohnung in Liverpool ein. Die Wohnzimmerwand war kahl bis auf ein gerahmtes Poster von Korčula, einer malerischen Insel vor der kroatischen Küste. Er zündete zwei Duftkerzen an und legte »Come Away With Me« von Norah Jones auf, als wäre es nötig gewesen, mich zu verführen. Ich brannte schon darauf, wusste aber, dass ich nach seinen Regeln spielen musste. Es war eine Folter der angenehmen Art.

Meine Eltern hofften, ich würde aus der Sache »herauswachsen«, mich um meine Karriere kümmern und einen Arzt oder einen Börsenmakler heiraten. Sie gaben sich alle Mühe, sich Johnny gegenüber entgegenkommend und liebenswürdig zu zeigen, aber ich hörte sie über ihn reden, wenn sie dachten, ich schliefe. Von Anfang an hatte Dad eine Ahnung, dass mit Johnnys Familie nicht alles so war, wie es nach außen den Anschein hatte.

»Wissen wir eigentlich, womit er seinen Lebensunterhalt verdient?«, fragte er Mum mehr als einmal.

»Sie erwarten doch wohl nicht, dass sie in einem ihrer Fischgeschäfte arbeitet, oder?«, sorgte sich Mum.

»Er stammt vom Balkan. Da will er bestimmt keine berufstätige Frau. Aber mach dir keine Sorgen, früher oder später hat sie genug von ihm.«

»Und wenn sie schwanger wird?« Mum hing noch eine Weile ihren Sorgen nach. Ich war das einzige Kind der beiden. All ihre Hoffnungen und Träume hingen an mir.

»Wir haben keine dumme Tochter großgezogen.« Guter alter Dad, immer voller Vertrauen zu mir.

»Aber sie denkt nicht mit dem Kopf.«

Mum hatte recht. Ich dachte mit einem ganz anderen Bereich meines Körpers, und Johnnys Art zu leben, seine Familie, waren das Sahnehäubchen.

Der entscheidende Punkt kam am Ende jenes ersten Jahres mit Johnny. Milan spendierte uns allen Flüge nach Kroatien, »zurück ins alte Land«. Er wollte uns das Dorf zeigen, das Haus, das Branka und er gleich nach Ivans Geburt verlassen hatten. Aber das Haus existierte längst nicht mehr, es war im Krieg zerstört worden. Stattdessen übernachteten wir in Fünf-Sterne-Hotels.

In Split charterte Milan eine dreißig Meter lange hölzerne Schaluppe mit breitem Heck. Wir waren zu siebt: Milan, Branka, Johnny und ich, Ivan und seine damalige Freundin, eine wunderschönes, witziges Mädchen namens Melba, wie der Toast. Na ja, eigentlich hieß sie nach der Opernsängerin, aber wir nannten sie Toast. Und Marko, der Vetter von Johnny und Ivan. Marko und Ivan waren gleich alt, ein gutes Jahr älter als Johnny und sieben Jahre älter als ich. Marko war allein dort; er schien nie eine feste Freundin zu haben.

Als ich das Boot im Hafen von Split zum ersten Mal sah, dachte ich, es wäre ein Piratenschiff.

Die nächsten zehn Tage lebte ich wie in einem Traum. Ich war nie im Ausland gewesen, sodass es einfach zu viel für mich war. Außer dem Skipper und seiner Frau, die fantastisch kochte, gab es noch ein anderes Crewmitglied. Toast und ich fanden den Kerl leicht pervers, aber wir ignorierten ihn. Es war klar, dass die Jungs ihn verprügeln und über Bord werfen würden, sobald wir etwas sagten.

Etwas so Schönes wie die dalmatinische Küste hatte ich noch nie gesehen. Man konnte denken, jemand hätte strahlend blaue Farbe direkt ins Wasser gekippt. Es kam mir fast unwirklich vor.

Am letzten Abend, unter dem Sternenhimmel, fragte Johnny mich, ob ich ihn heiraten wolle. Wir saßen abseits von den anderen am Bugspriet und ließen über dem tintenschwarzen Wasser die Beine baumeln. »Ja!«, rief ich und ließ mich hintenüber ins Meer fallen.

Als ich die Augen öffne, halte ich das Messer noch in der Hand, aber ich habe aufgehört, die Kartoffeln zu schneiden. Brankas dunkelbraune Augen mustern mich besorgt.

»Alles in Ordnung, ich denke nur an die Zeit, die wir zusammen in Kroatien verbracht haben. Weißt du noch?«

»Wie kann ich vergessen? Ich war mit meine Jungs in Heimat. War beste Zeit in mein Leben.«

Sie lächelt, dann treten ihr Tränen in die Augen, die sie schnell wegwischt, als sei sie verärgert über sich selbst. Ich lege das Messer hin und mache einen Schritt auf sie zu. Dann liegen wir uns in den Armen. Ich halte sie fest, sie kommt mir fast so groß vor wie Johnny, nur viel weicher. Jetzt fängt sie richtig an zu weinen, in langen, den ganzen Körper zum Zittern bringenden Wellen. Plötzlich sind alle Frauen um uns herum, tätscheln und umarmen uns. Es fühlt sich gut an, zu den Frauen in dieser überhitzten Küche zu gehören. Vielleicht bin ich jetzt endgültig akzeptiert.