Sasha ist in der Schule, Mum und Dad nehmen an einem Golfturnier teil, das sich über den ganzen Tag hinzieht. Also beschließe ich, mich nützlich zu machen. Ich nehme Mums Wäschekorb, stelle das Bügelbrett ins Wohnzimmer und mache den Fernseher an.
Als ich die Fernbedienung aus der Hand lege, verkündet der Nachrichtensprecher: »Gestern Abend sind in Western Sydney ein weiteres Mal Schüsse gefallen. Es war der dritte Vorfall dieser Art innerhalb eines Monats, alle sollen in Verbindung mit den Aktivitäten krimineller Banden stehen. Tony Fazzini, ein bekanntes Gesicht aus dem italienischen Gangstermilieu, wurde von zwei Schüssen getötet, als er die Mülltonnen an den Straßenrand stellte.«
Ich drehe mich um und lasse mich in einen Sessel fallen. Wir waren bei Tony Fazzinis Hochzeit. Er ist der älteste Sohn von Antonio Fazzini, dem Kopf einer der großen italienischen Gangs. Er hat zwei kleine Kinder.
Die Aufnahmen wurden gestern Abend vor Tonys Haus gemacht, keine halbe Autostunde von der Stelle entfernt, wo ich jetzt sitze. Absperrband, besorgte Nachbarn, flackerndes Blaulicht.
»Dieser letzte Anschlag steht für die Polizei im Zusammenhang mit den tödlichen Schüssen auf andere bekannte Bandenmitglieder in den letzten Wochen«, fährt der Nachrichtensprecher fort. »Michael Vucavec wurde am 14. November erschossen, Ivan Novak am 21. November. Gehen die Schüsse aufs Konto einer Bürgerwehr, die versucht, für Ordnung auf unseren Straßen zu sorgen?«
Mum und Dad werden es mitbekommen und ausflippen. Gott sei Dank spielen die kroatischen und serbischen Gangs in den Medien keine große Rolle. Sie sind nicht so berüchtigt wie die Italiener, Libanesen und Somalier. Dementsprechend wurde über Ivans Tod kaum berichtet, obwohl eine Woche zuvor ein identischer Anschlag verübt worden war. Und sicher habe ich im Zusammenhang mit Ivan bis jetzt nie den Begriff »bekanntes Bandenmitglied« gehört.
Im Bild erscheint Detective Inspector MacPherson, der auf den Stufen vor dem Liverpooler Polizeirevier eine improvisierte Pressekonferenz abhält. Was er zu sagen hat, bekomme ich nicht mit, weil der Nachrichtensprecher seinen Monolog unbeirrt fortsetzt.
»Detective Inspector MacPherson leitet die Western Sydney Organised Crime Task Force. Er versichert uns, dass bei dieser Art Verbrechen normalerweise keine Gefahr für die breite Öffentlichkeit besteht und dass sein Team mehreren vielversprechenden Spuren nachgeht.
Und wieder steht eine Saison mit schweren Buschbränden bevor …«
Ich schalte den Fernseher aus.
»Wann kommt Dad nach Hause? Kommt er morgen zu meinem Cricketspiel?«, fragt Sasha beim Abendessen.
Wir sitzen in der ganz in Weiß gehaltenen Küche. Ich starre demonstrativ auf die neuesten, im Retrostil gehaltenen Haushaltsgeräte in passenden zitronengelben Tönen und hoffe, dass Mum und Dad mir zu Hilfe kommen.
»Ich sehe mir dein Spiel an, Sash«, sagt Dad mit einem komplizenhaften Blick in meine Richtung. »Dein Vater muss arbeiten.« Er beugt sich über den Tisch und zerzaust Sashas Haare. Dass sie verwandt sind, ist nicht zu übersehen. Mein Vater ist groß, sieht für sein Alter gut aus, seine blonden Haare sind inzwischen fast weiß.
»Sei nicht beleidigt, Grandpa, aber ich will, dass Dad kommt.«
Ich muss mir das Lächeln mühsam verkneifen. Bei meinem Sohn kann ich mich immer darauf verlassen, dass er die Dinge sagt, wie er sie sieht. Aber Dad ist Anwalt im Ruhestand und nicht so leicht eingeschnappt.
»Sorry, Kumpel, aber du wirst wohl mit mir vorliebnehmen müssen.«
»Ich komme auch mit, dann ist es gleich noch mal so gut«, sagt Mum, die Cricket hasst, ihrem Enkel aber auch dabei zusehen würde, wie er stundenlang in den Himmel starrt. Wobei Sasha auf dem Sportplatz kaum lange stillstehen dürfte.
»Ich schätze, das ist okay«, erklärt Sasha schließlich. »Kommst du auch mit, Mum?«
»Als ob ich es mir entgehen lassen würde, wenn du einen Sechser schlägst! Kannst du deinen Teller bitte zur Spüle bringen, wenn du fertig bist?«
»Welchen Film willst du sehen, Champ?« Dad folgt Sasha zur Spüle. Auf dem Weg aus der Küche hinaus diskutieren sie die Vorzüge von DC-Filmen verglichen mit denen von Marvel.
»Danke fürs Kochen, Schatz. Was für ein Luxus.« Mum nimmt den letzten Löffel des Lachs-Frühlingszwiebel-Risottos. »In den letzten Jahren bist du eine richtig gute Köchin geworden.«
»Ich habe ja auch genug Zeit, um mich zu verbessern.«
Sie mustert mich aufmerksam, als versuche sie sich zu entscheiden, ob sie fortfahren solle.
»Du weißt, dass ich dir mit Sasha helfen kann, falls du wieder arbeiten gehen willst.«
»Danke, Mum. Vielleicht. Schauen wir mal, wie es weitergeht. Hast du jemals mit dem Gedanken gespielt, wieder arbeiten zu gehen, nachdem du mich bekommen hast?«
»Himmel, nein. Ich hatte immer meine Wohltätigkeitsarbeit und mein Golf. Und ich wollte im Hause sein, wenn du von der Schule kommst. Du hattest eine gute Kindheit, oder?« Sie wirkt verunsichert, als wären meine derzeitigen Schwierigkeiten irgendwie ihre Schuld.
Ich stehe auf und fange an, den Tisch abzuräumen. »Ich hatte eine perfekte Kindheit, Mum. Nach der Schule in den Pool springen. Hausaufgaben machen und sich dabei den Duft eines köstlichen Abendessens um die Nase wehen lassen. Einfach perfekt.«
»Du hast für Sasha eine sehr behütete Umgebung geschaffen. Aber Kinder sind robuster, als wir uns vorstellen können. Er wird mit den Veränderungen klarkommen, falls du dich in diese Richtung entscheidest.«
Als ich ihren Beilagenteller abräumen will, legt sie die Hand auf meinen Unterarm. Ihre Augen stellen die Frage, die sie bewusst nicht ausgesprochen hat. Vielleicht liest sie etwas in meiner Miene, das sie dazu bewegt, die Hand zurückzuziehen und das Gespräch wieder auf sicheres Gelände zu lenken.
»Schatz, du weißt ja, dass du mich zu dem einen oder anderen Wohltätigkeitsevent begleiten kannst, falls du dich langweilst oder nichts Besseres zu tun hast. Ich könnte dich sicher in ein paar Komitees unterbringen.« Jetzt strahlt sie mich an, als hätte sie gerade den Vorschlag des Jahres gemacht.
Eher würde ich Dreck fressen, aber ich gebe mir Mühe, ruhig zu bleiben.
»Danke, Mum, ich denke darüber nach. Geh doch ruhig zu Sash und Dad, während ich mich um den Abwasch kümmere.«
Mit einem dankbaren Seufzer macht Mum sich auf den Weg ins Wohnzimmer. Sie hat in letzter Zeit ein paar Pfund zugelegt, ist aber immer noch ein Hingucker, groß und blond und grünäugig. Ich erinnere mich, dass Johnny gesagt hat, bei der ersten Begegnung mit meiner Mutter sei für ihn alles klar gewesen.
»Du wirst dein Leben lang eine Schönheit sein, Ames. Deine Mutter ist total sexy.«
Für diese scheußliche Bemerkung habe ich ihn gegen den Arm geboxt.
Die Erinnerung zaubert ein vorsichtiges Lächeln auf mein Gesicht. Ich vermisse ihn.
Während ich die Spülmaschine einräume, will sich eine andere, noch nicht so lange zurückliegende Erinnerung in den Vordergrund drängen, aber es gelingt mir, sie im letzten Moment zu verscheuchen. Mit lautem Knall rasselt ein Rollladen herunter. Denk nicht daran, Ames – die Stimme in meinem Kopf ist laut und duldet keinen Widerspruch. Es muss sich um eine Art Überlebensinstinkt handeln. Ich frage mich, ob ich einen Therapeuten aufsuchen sollte, aber wie könnte ich darüber sprechen, was wirklich passiert ist?