Die Rakiaflasche knallt auf den Tisch, ich weiß, dass meine Gnadenfrist abgelaufen ist. In unserem Haus bedeutet Rakia: »Jetzt wird geredet.« Es ist erst Freitagabend, ich hatte gedacht, ich hätte für meinen Plan Zeit bis Sonntag. Scheinbar nicht. Mum hat den Tisch abgeräumt und uns allein am Esstisch sitzen lassen. Die Klimaanlage ist voll aufgedreht, der Ventilator dreht sich mit leisem Wop-wop über unseren Köpfen. Trotzdem schwitze ich.

Dad gießt drei Schnapsgläser voll und reicht Marko und mir je eins.

»Živjeli!«, sagen wir wie aus einem Mund und kippen den Rakia hinunter. Dad schenkt nach, dann lehnt er sich zurück und starrt mich finster an.

»Marko sagt, deine Frau geht weg, geht zu Eltern. Was ist passiert?«

»Woher weißt du das?« Ich werfe Marko einen mörderischen Blick zu. So überrumpelt, wie ich bin, versuche ich es nicht einmal abzustreiten. Marko nickt und verzieht die Lippen, als hätte er mir einen Gefallen getan.

»Das war nicht meine Frage«, knurrt Dad und zwingt mich zur Konzentration. Er wirkt alles andere als erfreut. »Warum ich höre von Marko, nicht von dir?«

»Ich dachte, sie würde nur eine Nacht weg sein, aber dabei ist es nicht geblieben. Sie spricht nicht mal am Telefon mit mir.« Ich höre, wie verletzt meine Stimme klingt, und bin nicht stolz darauf.

»Sie spricht nicht mal am Telefon mit mir«, äfft Dad mich nach. »Hör auf zu weinen wie Kind!«, blafft er mich an. »Sag mir, warum deine Frau nimmt mein einzigen Enkel.«

»Weil irgendein Arschloch unser Wohnzimmer beschossen hat!«, brülle ich. Ich klinge wie ein Teenager, der sich rechtfertigt. »Ich hab dir gesagt, dass sie Angst hatte. Aber ich will wissen, woher Marko davon weiß.« Ich springe auf. »Läufst du mir die ganze Zeit hinterher wie ein scheiß tollwütiger Hund?«

Markos eben noch selbstgefällige Miene zeigt unverhohlene Ablehnung.

Dann platzt alles aus mir heraus, die Wut hat endlich ein Ziel. »Vielleicht hast du Ivan getötet.« Ich beuge mich über den Tisch und spucke die Worte aus. »Du wolltest Ivan aus dem Weg haben, weil du irgendwann den Boss spielen willst. Je eher, desto besser. Erst Ivan, dann wahrscheinlich mich. Warum? Willst du Amy?«

Marko springt ebenfalls auf. Wir stehen uns drohend gegenüber, aber er hebt beschwichtigend die Hände.

»Beruhige dich, Johnny.«

Im Augenwinkel registriere ich, dass Dad lächelt. Warum zum Teufel amüsiert er sich jetzt?

»Ivan war mein bester Freund.« Marko spricht mit mir wie mit einem Vollidioten, langsam und jedes einzelne Wort betonend. »Du weißt schon, dass Stanislav den Mord an Ivan angeordnet hat. Sein Sohn wurde umgebracht, er gibt uns die Schuld. Er will Vergeltung, obwohl wir mit dem Mord an Michael Vucavec nichts zu tun hatten. Das weißt du! Du hast kein Recht, mir den Mord an meinem besten Freund vorzuwerfen. Oder dass ich irgendwas von deiner Frau will.«

Marko setzt sich wieder hin, als hätte die Erklärung ihn sämtliche Kraft gekostet. Er schaut mir in die Augen, ich entdecke nur Schmerz.

»Du solltest Respekt lernen, Johnny. Du solltest dich um deine Frau und dein Kind kümmern.« Er schüttelt den Kopf. »Dir ist nie etwas Übles zugestoßen. Das begreife ich. Die schlimmen Dinge hat Ivan dir immer abgenommen. Aber jetzt musst du erwachsen werden.«

Wieder sträuben sich meine Nackenhaare, trotz der schrecklichen Ahnung, er könne vielleicht sogar recht haben.

Dann lässt Dad seine schaufelgroße Hand auf die Tischplatte krachen, sodass die Gläser klirren. Sein Lächeln ist verschwunden.

»Sitz hin. Du nicht antwortest meine Frage, Johnny. Nur beschäftigt mit beschuldigen dein Vetter. Blöder Idiot. Warum ist Amy weg? Sie dich erwischt mit andere Frau?«

Erschöpft lasse ich mich auf den Stuhl fallen. Ich bin die Wut meines Vaters dermaßen leid. Er soll sich raushalten.

»Um Himmels willen, Dad, ich hab’s dir schon gesagt! Die Schüsse durchs Fenster haben sie mordsmäßig erschreckt. Sie hätten jeden erschreckt! Sie fühlt sich in unserem Haus nicht mehr sicher. Ihre Eltern wohnen in einer Rentnersiedlung. Es gibt Wachpersonal und einen Schlagbaum am Eingang.«

Dad tut meine Worte mit einer Geste ab, mit der er Fliegen von der Butter verscheuchen würde.

»Zwölf Jahre sie gibt aus unser Geld. Kauft jedes Kleid, das will. Sie glaubt, jetzt gute Zeit zu gehen? Scheiße, was denkt? Amy Problem. Mein einziger Enkel in Gefahr, wenn nicht bei euch.«

»Ich brauche einfach ein bisschen Zeit, um sie zu überzeugen, nach Hause zu kommen.«

»Du brauchst einfach ein bisschen Zeit.« Wieder spricht er mit dieser Kinderstimme. »Du bist wie Mädchen. Sie Respekt, wenn du bist wie Mann. Hier, fünfhundert Dollar, gib Amy. Dann kommt zurück.« Dad stemmt sich ein Stück vom Stuhl hoch, nimmt seine Brieftasche und zählt zehn Fünfziger ab. Dann schiebt er sie mir herüber.

Ich schiebe sie zurück. Zwölf Jahre, und er kennt sie kein bisschen. Amy ist ein braves Mädchen aus der Mittelschicht. Ich habe sie vor der schmutzigen Seite unseres Geschäfts abgeschirmt. Jetzt hat sie Angst. Außerdem ist sie die Letzte, die sich mit Geld kaufen ließe. Marko runzelt die Stirn, als könne auch er nicht glauben, was Dad gerade gemacht hat, aber das nützt mir nichts.

»Es geht nicht ums Geld, Dad. Sie wusste von dem Versprechen, das ich dir gegeben habe. Und dann ist auf unser Haus geschossen worden. Sie ist nicht dumm und weiß genug über unsere Geschäfte, um Angst zu haben. Sie ist niemals irgendwelcher Gewalt ausgesetzt gewesen, aber sie hat begriffen, dass es zu Konsequenzen kommen wird, wenn wir jetzt etwas unternehmen. Wir alle sollten uns Sorgen machen. Was sagst du dazu, dass Tony Fazzini erschossen wurde, als er am Samstag den Müll rausgebracht hat? Genau wie Ivan und Michael?«

Dad stürzt seinen Rakia herunter und füllt sein Glas wieder nach. Dann legt er die Stiefel auf den Esstisch, ein sicheres Zeichen, dass er auf dem besten Wege ist, mit jedem Glas gefährlicher zu werden. Was meinen Versuch betrifft, mit dem Mord an Tony Fazzini vom Thema abzulenken, führt er nur zu weiteren abschätzigen Gesten.

»Bring Sasha zurück, lass Amy hinter Schlagbaum. Amy, wir brauchen nicht.« Er trinkt wieder aus und beginnt sich für seine Idee zu erwärmen. »Ja, bring Sasha, mach Branka wieder glücklich. Sasha wohnt in dein altes Zimmer. Wir finden gutes kroatisches Mädchen für dich, sie mir gibt viele Enkel.«

Langsam begreife ich. Mein Sohn soll in diesem Haus aufwachsen und lernen, andere einzuschüchtern, zu lügen, zu betrügen, zu stehlen. Er soll lernen, nach dem Familienmotto zu leben, als wäre ein kriminelles Leben das einzige, das sich zu leben lohnt. Verdammte Scheiße. Ich muss jetzt vorsichtig sein.

»Das lasse ich nicht zu, Dad. Ich brauche Zeit, um alles zu klären. Amy kommt zurück.«

»Du siehst aus schwach. Bist schwach. Ich rede mit Amy. Oder noch bessere Idee: Ich und Marko, wir holen Sasha von Schule.«

Marko betrachtet mit versteinerter Miene einen Fleck auf dem Tisch. Findet er diese idiotische Idee etwa gut?

Ich habe schon zu viel Zeit verstreichen lassen. Ich muss schnell einen Plan präsentieren, und sei es bloß, um meinen Vater abzulenken. Ihm etwas anderes geben, auf das er sich konzentrieren kann, damit er aufhört, die Entführung meines Sohnes für eine gute Strategie zu halten. Und dann kümmere ich mich um Marko. Er beobachtet Amy, das ist offensichtlich. Woher wüsste er sonst, wo sie ist? Hat mein Vater ihn damit beauftragt, meine Frau zu beschatten?

Und wer zum Teufel profitiert davon, dass jedes Mal, wenn der Müll abgeholt wird, jemand aus einer Gang erschossen wird?