Ich lehne an der Kühlerhaube meines Wagens und sehe Sasha zu, der über das Oval zum Rest seines Unter-elf-Cricketteams geht. Er bewegt sich wie Johnny – leicht stolzierend und mit viel natürlicher Eleganz. Anders als sonst dreht er sich nicht zum Winken um, denn er ist wütend auf mich. Nie zuvor hat er längere Zeit ohne seinen Vater verbracht. Obwohl Mum, Dad und ich ihm erklärt haben, dass Johnny verreist ist – wegen der Arbeit, wer’s glaubt, wird selig –, bin ich in seinen Augen scheinbar schuld an der Situation.

Johnny hat immer wieder versucht, mich auf dem Handy zu erreichen, aber ich wollte nicht mit ihm reden. Jetzt klingelt mein Telefon wieder, ich sehe Lexys hübsches Gesicht auf dem Display und nehme das Gespräch an. Sicherheitshalber entferne ich mich ein Stück von Mum und Dad, die es sich in ihren Deckchairs gemütlich machen. Sie lieben diese Ausflüge mit Sasha und mir. Ich frage mich, ob auch sie sich heimlich wünschen, ich hätte mehr Kinder. »Hi, Amy, es tut mir leid. Ich will dich schon seit Donnerstag anrufen. Anto hat mir erzählt, dass du eine Art Auszeit nimmst, stimmt das? Bei deiner Mum und deinem Dad?«

»Lexy, hi. Wie schön, deine Stimme zu hören. Ja, die Schüsse neulich haben mich ziemlich in Panik versetzt.«

»Welche Schüsse?« Lexys Worte kommen langsam, als glaube sie, sich verhört zu haben. Natürlich hat Anto ihr kein Wort gesagt. Kinder und Pferde erschreckt man nicht.

Ich schaue zum Spielfeld hinüber, auf dem Sashas Team als Schlagmannschaft beginnt. Er ist immer einer der ersten Schlagmänner, ich muss das Gespräch also kurz halten.

»Jemand hat unser Wohnzimmerfenster zerschossen.« Ich spreche leise. »Am Mittwoch. Ich hab gedacht, ich muss Sasha in Sicherheit bringen, verstehst du?« Warum klinge ich, als würde ich mich rechtfertigen, als hätte ich Schwäche gezeigt oder so etwas?

»Wie bitte? Ich kann nicht glauben, dass Anto mir nichts davon erzählt hat.« Ich höre sie schreien: »Anto! Warum zum Teufel hast du mir nicht gesagt, dass bei Amy und Johnny durchs Fenster geschossen wurde?«

Eine gedämpfte Antwort, dann wieder Lexys Stimme: »Den schnappe ich mir bei den Eiern. Ich frage mich, was er mir sonst noch verschweigt. Das ist einfach furchtbar. Geht’s dir gut? War Sasha dabei?«

»Nein, er war in der Schule, und mir ist nichts passiert, danke. Ich musste nur von Johnny und den Novaks weg.«

»Wo bist du jetzt?«, fragt sie.

»Bei Sashs Cricketspiel, mit Mum und Dad.« Sashas Kumpel Hawken ist der erste Schlagmann. Sein Urgroßvater war ein berühmter Cricketspieler – der Junge hat Potenzial in den Genen. Sasha stellt sich am anderen Ende der Pitch auf.

»Wenigstens kannst du zu deinen Eltern.« Lexy klingt wehmütig. »Meine Mum würde mich auch aufnehmen, aber wenn es nach meinem Dad geht, darf ich ihr Haus nie wieder betreten.«

»Dieser bescheuerte Krieg. Warum hört das nie auf? Haben die Serben und Kroaten vor dem letzten Bürgerkrieg nicht jahrelang friedlich zusammengelebt?«

»Natürlich. Und es gab eine Menge Ehen zwischen beiden Gruppen. Und inzwischen ist es auch wieder so, wenn man nicht gerade in den Gegenden wohnt, wo die Kämpfe am schlimmsten waren, in der Nähe der Grenze.«

»Aber du bist doch hier geboren, oder?« Ich bin verwirrt. Hawken schlägt den ersten Ball Richtung Spielfeldbegrenzung. Die beiden Schlagmänner laufen los, aber der Schiedsrichter ruft: »VIER!« Grinsend kehren sie auf ihre Positionen zurück. Mum und Dad stimmen in den allgemeinen Jubel ein.

»Ja, aber Dad ist zum Kämpfen zurück nach Serbien gegangen«, erklärt Lexy.

»Machst du Witze?« Jetzt hat sie meine volle Aufmerksamkeit. »Warum verlässt ein klar denkender Mensch ein friedliches Land und geht in eine vom Krieg zerrissene Region – zum Kämpfen?«

»Du unterstellst, dass mein Dad klar denkt. Da liegst du falsch. Und natürlich hat ihn das alles noch mehr verändert. Seit seiner Rückkehr ist er noch schlimmer.« Sie seufzt. »Vor meiner Hochzeit mit Anto, als wir noch miteinander geredet haben, hat mein Vater mir erzählt, er hätte Dinge getan, bei denen sich einem der Magen umdreht, auf die er nicht stolz ist. Er ist ein gläubiger Orthodoxer und betet um Vergebung. Vielleicht kann er sich selbst nur dann vergeben, wenn er den Feind als noch viel schlimmer hinstellt.«

»Dann bist du wegen deiner Ehe mit einem katholischen Kroaten sozusagen der fleischgewordene Teufel?«

»Ja, genau. Ich glaube, wenn man in einem Krieg gekämpft hat, lässt man es niemals wirklich hinter sich. Ich meine, schau dir Marko an. Er kommt mir immer vor wie jemand, der Narben davongetragen hat.«

Ich frage mich, ob ich erwähnen soll, dass ich Markos goldenes Mercedes-Cabrio heute Morgen vorbeifahren gesehen habe, als ich den schlechtgelaunten Sasha in den Wagen gesetzt habe. Es war nicht das erste Mal in den letzten Tagen, dass ich sein Auto gesehen habe. Ich hoffe, es ist nur Zufall, keine von Milan angeordnete Beschattung.

Wieder geht ein Schrei durch die Zuschauer. Hawken hat einen Ball geschlagen, aus dem ein Sechser werden könnte, aber ein kleiner Junge läuft hinaus zum Spielfeldrand.

»Jetzt, wo auch Tony Fazzini erschossen wurde, können die Serben und die Kroaten sich doch eigentlich nicht mehr gegenseitig verantwortlich machen?«, fährt Lexy fort.

Der kleine Junge schnappt sich den Ball, sein ganzes Team läuft hinüber, um ihn zu feiern. Hawken ist raus und wird von Sasha abgelöst.

»Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Milan es so sieht, Lexy. Hör mal, ich muss Schluss machen, Sasha ist dran. Wir telefonieren bald wieder, okay?«

Sasha nimmt seinen Platz ein und klopft zweimal mit dem Schläger auf den Boden. Selbst aus dieser Entfernung kann ich seine ernste, konzentrierte Miene sehen. Ich stelle mich neben Mum und Dad und sehe, wie der Werfer einen Bouncer über die Pitch wirft. Mit einem lauten »Klack« schlägt Sasha den Ball in die Höhe und rennt los. Dann wirft er den Schläger in die Luft, springt jubelnd hoch, der Schiedsrichter ruft: »SECHS