Es ist spät am Nachmittag, als ich das Wohnzimmer meiner Eltern zur eilig einberufenen Versammlung betrete. Marko sitzt schon, Baz und Anto haben es sich in identischer Haltung – zurückgelehnt, entspannt, breitbeinig – in zwei benachbarten Sesseln bequem gemacht. Josef lässt den Platz gleich neben meinem Vater frei und entscheidet sich für den daneben. Als Dads jüngerer Bruder sieht er seinen Platz in der Nahrungskette ziemlich weit oben. Wir müssen auf ihn achtgeben, damit er nichts vermasselt. Stump, Fibs, Bigsie und Shrimp schenken sich einen Drink ein, bevor sie sich setzen. Brick und Blocker sind noch in Baz’ Hütte und bewachen Nick.
Der Deckenventilator lässt den Zigarettenrauch träge kreiseln. Gerahmte Poster kroatischer Sehenswürdigkeiten zieren die Wände, über der Anrichte hängt ein Porträt von Tito, darunter steht eine einzelne rote Rose in einer Vase – Mums Schrein für den Mann, der in einem Dorf sechzig Kilometer nördlich von Zagreb als Sohn eines kroatischen Vaters und einer slowenischen Mutter geboren wurde. In Mums Augen war er der erste und letzte anständige Präsident Jugoslawiens, der Mann, der uns alle vereint hat. Ein kommunistischer Diktator, klar, aber unser kommunistischer Dikta-tor.
Üblicherweise treffen wir uns auf der Terrasse hinter dem Haus oder im alten Lagerhaus. Aber jetzt geht es um etwas Wichtiges. Alle Stühle sind besetzt außer dem gleich rechts neben meinem Vater. Mein Platz.
Zehn Männer, alle aus dem inneren Zirkel. Vettern und Onkel, die alle zur Novak-Familie gehören, egal, welchen Nachnamen sie tragen. Tätowiert, vernarbt, mit dichten Augenbrauen und hohen Wangenkochen, krummen Nasen und dicken Muskelpaketen. Kein schöner Anblick alles in allem, mein Vater ist der Größte und Hässlichste von ihnen.
»Erst wir trinken auf Ivan«, knurrt er, lehnt sich zurück und funkelt alle an.
Fast scheint es, als hätten wir es alle für einen Moment vergessen, aber jetzt fühlt es sich an, als wäre Ivan hier unter uns. Als wir die Gläser heben, brennen meine Augen. Dad räuspert sich.
»Dies nicht verlässt den Raum. Verstanden?«
Nicken überall. Und noch konzentriertere Blicke.
»Donnerstag Stanislav bekommt große Lieferung, vier Tage von heute. Erstklassiges Ecstasy aus Niederlande über Belgrad. Fragt nicht, woher ich weiß.« Er tippt sich an die Nase und wird mit leisem Lachen seiner Männer belohnt.
»Lieferung wert zwanzig Millionen in Großhandel.« Diesmal fällt die Reaktion weniger zurückhaltend aus, man klopft sich gegenseitig auf den Rücken. Die Männer beugen sich gierig über den Tisch.
»Wie haben sie einen so großen Deal eingefädelt?« Josef macht nicht den Fehler, ungläubig statt neugierig zu klingen.
»Du willst wissen, wie sie einfädeln Deal, Josef?« Dad sieht zu, wie sein Bruder sich verlegen windet. »In Belgrad, drei Familien kommen zusammen, machen klar. Jetzt ich sage, wie wir schnappen Lieferung.«
Ich lehne mich zurück und schweife ab, male mir aus, wie ich das Geld dafür einsetze, Amy und Sasha zurückzubekommen. Mein Anteil wird die Grundlage dafür sein, dass wir dieses Leben hinter uns lassen. Aber ich schiebe den Gedanken vorerst beiseite. Ich muss mir einen Plan ausdenken, der jemand anderem die Verantwortung zuschiebt, nicht den Novaks. Damit niemand aus unserer Crew verletzt wird und ich mich mit einer zusätzlichen Million für die Haushaltskasse verabschieden kann.
Ich kann das Grinsen nicht unterdrücken. Die zehn hässlichen Säcke gefallen mir mit jeder Minute besser. Manchmal liebe ich meinen Job.
Als ich das leere Haus wieder betrete, ist es mit meiner Zufriedenheit auf einen Schlag vorbei. Keine Amy, die das Abendessen macht, kein Sasha, der im Schlafanzug auf mich zu rennt und zu einem Tackling ansetzt. Ich lasse mich in einen Sessel fallen und merke überrascht, dass mir Tränen in die Augen treten.
Ich beschließe, es mit einem Anruf zu versuchen. Irgendwann muss sie doch drangehen, oder? Wir haben seit Mittwoch kein Wort miteinander gesprochen.
Beim Wählen ihrer Nummer wird mir flau im Magen. Es fühlt sich an wie damals bei unseren allerersten Dates. Als sie sich sofort meldet, kann ich es kaum glauben.
»Ja, Johnny, was willst du?« Sie klingt komplett desinteressiert, aber meine Erleichterung ist größer als mein Ärger.
»Wir müssen reden, Ames. Wir wäre es, wenn ich dich in dieses Restaurant in der Stadt einlade, das französische, das du schon länger ausprobieren wolltest, wie heißt es noch? Ich reserviere für morgen Abend.«
»Hubert.« Sie spricht es mit französischem Akzent aus, Ühbäär. »Und man kann nur für mindestens sechs Personen reservieren.«
»Was zum Teufel bilden sich diese Restaurants in Sydney ein? Sie kommen sich so verdammt großartig vor, viel besser als ihre Kunden. Oh nein, wir nehmen keine Reservierungen entgegen, dafür sind wir viel zu angesagt. Stellen Sie sich einfach an, wir sehen mal, wo wir Sie reinquetschen können. Scheiß drauf.«
»Okay, dann gehen wir also nicht. Das war leicht, oder?«
Ich brauche einen Moment, bis ich kapiere, dass sie aufgelegt hat.
Scheiße! Nach tagelangem Schweigen hat sie endlich mit mir gesprochen, und ich lasse mich von der Geschäftspolitik eines versnobten Restaurants ablenken. Aber es nervt mich wirklich, wie diese angesagten Läden sich aufspielen. Arrogantes Pack.
Trotz allem hat sie mich auch nach zwölf Jahren noch völlig im Griff. Gegen meinen Willen muss ich grinsen.
Ein lautes Klopfen an der Haustür lässt meinen Adrenalinpegel hochschießen. Ich beuge mich vor, schalte die Tischlampe aus, stehe auf und trete im Dunkeln auf Zehenspitzen an eine Seite des Wohnzimmerfensters. Ich schaue hinaus, kann aber weder an der Tür noch im Garten jemanden entdecken. Die Straße ist menschenleer.
Ich gehe an die Tür, greife nach meinem Cricketschläger und sehe durch den Spion. Nichts. Mit einem Ruck, den Schläger bereit, reiße ich die Tür auf. Ein großer Haufen aus hellem Fell stürzt mir entgegen, auf die Bodendielen fließt Blut.
Es ist der goldene Labrador von nebenan. Seine aufgeschlitzte Kehle sieht aus wie ein grausiges Lächeln.