Bei Frentini’s zu sitzen und auf Amy zu warten, kommt mir wie eine Zeitreise vor. Hier hatten wir unser drittes Date. Mir ist schwindlig. Jetzt habe ich die Chance, sie zur Vernunft zu bringen. Wenn ich meinen Standpunkt nicht klar auf den Tisch lege, wird sie sich nur weiter zurückziehen. Amy ist nicht impulsiv, es dauert ewig, bis sie eine Entscheidung fällt. Aber wenn es so weit ist, kann sie verdammt stur sein. Sie geht ungern Risiken ein. Sich in mich zu verlieben, war die einzige riskante Entscheidung, die sie je getroffen hat. Aber ich schätze, jede Ehe bringt Risiken mit sich. Sonst würde man an Langeweile sterben.

Ich kann ihr nicht sagen, was wirklich läuft. Ich konzentriere mich auf das Positive, bringe sie zum Lächeln, dazu, dass sie mich so sehr will wie ich sie.

Dann sehe ich sie hereinkommen. Andere Männer schauen auf und mustern sie von oben bis unten, ihr weißes Kleid, ihre von den High Heels betonten langen Beine, den Schwung ihrer blonden Haare. Sie merkt nicht, wie ihr Auftauchen die Atmosphäre im Raum verändert. So ist es, seit ich sie zum ersten Mal gesehen habe. Mit zweiundzwanzig hat sie spektakulär ausgesehen, und seitdem ist sie immer schöner geworden. Ich stehe auf, ziehe einen Stuhl unter dem Tisch hervor und bin stolz, dass sie quer durch den Raum auf mich zukommt.

Sie lächelt und küsst mich leicht auf die Lippen, hält dabei aber Abstand. Wir setzen uns, ich grinse dümmlich und genieße den Anblick meiner Frau.

Der Kellner taucht auf und zieht den Champagner, den ich bestellt habe, schwungvoll aus dem Eiskübel. Mit großer Geste entkorkt er die Flasche und gießt uns ein, dann rattert er die Empfehlungen des Tages herunter. Ich wünschte, er würde verschwinden, muss aber trotzdem lächeln. Als er uns endlich allein lässt, heben wir die Gläser. Wir haben nichts, worauf wir anstoßen können, also muss es ohne Trinkspruch gehen.

»Du siehst gut aus, Johnny. Ich hab deine hässliche Visage vermisst.«

»Ames, ich tue alles, um meine Familie zurückzubekommen.«

»Gut, dann rede ich offen. Ich will, dass es zwischen uns wieder gut wird. Im Moment ist Sasha schlecht auf mich zu sprechen.«

Ich lehne mich zurück und seufze erleichtert. Ich werde der beste Ehemann der Welt sein.

»Wann sind deine Eltern nach Europa geflogen? Ich wette, sie haben es genossen, euch beide für eine Weile bei sich zu haben.« Als wäre es um einen geplanten Urlaub bei den Schwiegereltern gegangen.

Sie wendet den Blick ab. »Du weißt ja, dass sie dich nie gemocht haben. Sie wollen, dass ich dich endgültig verlasse, dabei wissen sie nicht mal, was vorgefallen ist. Ich hab ihnen nur gesagt, wir hätten uns häufig gestritten.«

»Ich weiß, dass ich nicht der Ehemann bin, den sie sich für dich gewünscht haben.« Als sie mich überrascht ansieht, grinse ich. »Aber zum Glück streiten wir uns eigentlich selten, oder? Ich verstehe, warum du wegwolltest. Ich weiß, dass ich etwas ändern muss, wenn ich dich zurückhaben will.«

Unsere Austern werden serviert.

»Es tut mir leid, dass ich am Samstag nicht zu Sashas Cricketspiel gekommen bin. Du hattest zwar ziemlich deutlich gesagt, dass ich euch in Ruhe lassen sollte, aber ich hab mich trotzdem nicht wohl damit gefühlt. Erzähl mir in allen Einzelheiten, was er gemacht hat, seit ihr bei deinen Eltern seid.«

Solange wir über unseren Sohn reden, befinden wir uns auf sicherem Terrain. Außerdem macht es Amy glücklich. In ihren Augen gibt es keinen Jungen, der so klug, witzig und gutaussehend ist wie Sasha. Wir halten das Gespräch unverfänglich, bis nach dem Ossobuco die Teller abgeräumt werden. Jetzt muss ich meinen Plan ausbreiten und sehen, wie sie reagiert.

»Ich habe mit Marko gesprochen. Du weißt ja, dass er ziemlich einsam ist. Heute war ich kurz bei ihm zu Hause. Ehrlich, seine kleine Wohnung kann einen richtig traurig machen.« In Amys blauen Augen zeigt sich Mitgefühl. Gott, ich liebe diese Frau. »Ich glaube, dass er Ivan wirklich vermisst. Ich hab ihn gebeten, dich im Auge zu behalten und aufzupassen, dass es dir gut geht. So hat er auch etwas zu tun. Ist das für dich okay?«

»In den letzten Tagen hab ich sein Auto häufiger gesehen als sonst. Ich hatte das Gefühl, er spioniert mir nach. Ich hab mich gefragt, ob du ihn geschickt hast oder Milan, aber du warst nie enger mit Marko befreundet. Soll das heißen, ihr beide versteht euch jetzt besser?«

Ich wusste es! Ich werde ärgerlich, aber jetzt, wo ich Marko gebeten habe, Amy und Sasha für mich im Auge zu behalten, darf ich nicht herumeiern.

»Ja. Wir müssen jetzt alle miteinander auskommen.«

»Weil ein größerer Job bevorsteht?«

Ich pruste in mein Weinglas. Woher weiß sie Bescheid? Als ich aufblicke, grinst sie zufrieden, weil sie mich erwischt hat. So viel zu meinem Pokerface.

»Ja, ich habe etwas organisiert. Wir werden richtig fett absahnen. Dann kann ich mich von Dad und den anderen absetzen. Das müsste dir doch gefallen, oder?«

Ich greife nach ihrer Hand. Sie gestattet es für einen Moment, dann entzieht sie sich.

»Heute Morgen beim Yoga hab ich Kerry getroffen. Sie hat mir erzählt, was mit Molly passiert ist. Außerdem hab ich gehört, dass eine große Sache bevorsteht. Viele Treffen und Anrufe, mehr als sonst. Ist das neuerdings die Rolle von uns Frauen? Dass wir raten müssen, was ihr Typen vorhabt? Früher hatte ich das Gefühl, wir hätten keine Geheimnisse voreinander.« Sie seufzt, in ihrem Blick liegt eine Eindringlichkeit, wie ich sie selten gesehen habe. »Ich gebe zu, dass es mir früher lieber war, wenn ich nicht Bescheid wusste. Aber jetzt versucht jemand, uns einzuschüchtern. Jemand schickt uns Warnungen, und ich will nicht mehr die Ahnungslose sein. Stell dir vor, Sasha hätte von alldem etwas mitbekommen.«

»Du musst nicht wissen, was ich genau vorhabe, aber ich muss es erledigen. Danach brauchen wir uns keine Sorgen mehr zu machen. Versprochen.« Ich habe noch immer keine Ahnung, mit wem wir es letztlich zu tun haben, aber sie soll glauben, ich hätte alles unter Kontrolle.

»Doch, Johnny, ich muss mir Sorgen machen. Das ist genau das Problem. Bisher hast du die Gewalt nie mit nach Hause gebracht, da konnte ich es mir leisten, die Augen zu verschließen. Aber das geht nicht mehr, ich muss Sasha schützen. Vielleicht werde ich endlich erwachsen.« Sie hält einen Moment inne, atmet tief und langsam. »Als ich dich kennengelernt hab, kam dein Leben mir so glamourös vor. In letzter Zeit hab ich mich manchmal gefragt, ob ich dich nur geheiratet hab, um meinen Eltern eins auszuwischen.« Sie hebt die Hände, bevor ich etwas sagen kann.

»Ich glaube nicht, dass es so war, Johnny. Ich war in dich verliebt, das bin ich immer noch, aber so können wir nicht weitermachen. Ich hab mich nach Immobilien oben an der North Coast erkundigt. Wir können unser Haus hier verkaufen, uns etwas in Strandnähe leisten, richtige Jobs annehmen und eine normale Familie werden. Wir können dein Versprechen, Ivans Tod zu rächen, vergessen, wir können diesen bevorstehenden Job vergessen, dieses ganze Leben und die Gefahr, in der wir schweben. Sofort. Dein Vater wird dir verzeihen, früher oder später. Das weiß ich. Branka bringt ihn dazu, dir zu verzeihen.«

Wieder greife ich nach ihrer Hand, diesmal zieht sie sie nicht weg.

»Ich finde die Idee großartig, in den Norden zu ziehen, am Meer zu wohnen und uns ein neues Leben aufzubauen. Aber erst muss ich die Sache hier zu Ende bringen.« Ich drücke ihre Hand und hoffe, ich habe sie überzeugt, obwohl ich genau weiß, dass es nicht so ist.

»Lass dich nicht darauf ein, Johnny. Halt dich raus. Ich könnte es nicht ertragen, wenn du stirbst oder ins Gefängnis kommst. Die Gefahr ist mir viel zu groß.« Sie schaut zur Decke und blinzelt Tränen weg. Dann sieht sie mich wieder an. »Ich will jetzt nach Hause. Können wir die Rechnung kommen lassen?«

Ich bringe Amy zu ihrem Wagen und ziehe sie an mich, um sie zu küssen. Als unsere Lippen sich treffen, wird sie für einen Moment weich, dann zieht sie sich zurück. Wenn sie mir bloß vertrauen würde. Ich will, dass sie heute Abend mit mir nach Hause kommt, aber sie liest meinen Blick und wendet sich ab.

Ich weiß, dass es keinen Sinn hat, sie zu drängen, also halte ich ihr die Wagentür auf. Ich sehe zu, wie sie losfährt, wie ihre Bremslichter aufleuchten, als sie an der nächsten Ampel halten muss. Ich hab es versaut. Sie kennt mich zu gut. Sie war nicht überzeugt. Es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube.

Einen Augenblick später spüre ich einen Luftzug. Ein Auto fährt vorbei und hält unmittelbar hinter Amys Mini. Hinter der getönten Scheiben sind die Silhouetten dreier Männer zu erkennen. Mein Instinkt setzt sich über den Gedanken hinweg, dass in diesem schwarzen Mercedes-SUV jeder x-Beliebige sitzen könnte. Mitten durch den Verkehr renne ich zu meinem Auto auf der anderen Straßenseite und wende verbotenerweise auf der engen Fahrbahn. Hupen dröhnen. Die Ampel wird grün. Zwischen dem Mercedes und mir ist ein blauer Holden Barina voller Teenager-Mädchen.

Die Autos weiter vorn fahren los, aber das Mädel im Barina würgt den Motor ab. Unglaublich, dass ihr Vater ihr ein Auto mit manueller Schaltung gekauft hat, was für ein Blödmann. Endlich entdecke ich eine Lücke im Gegenverkehr. Ich trete das Gaspedal durch, umkurve den immer noch stehenden Barina und peitsche den Jeep über die Kreuzung, als die Ampel gerade auf Rot umgesprungen ist. Rechts und links bremsen die Autos scharf ab, wieder ertönt ein Hupkonzert.

Ich lasse den Fuß auf dem Gas. Soll ich sie anrufen? Vor mir ist keins der beiden Autos zu sehen. Ich weiß, welche Strecke Amy nehmen wird. Schlingernd biege ich um eine Ecke, dann um die nächste. Noch einmal links, dann bin ich beim Haus ihrer Eltern. Als ich die Ecke erreiche, rast der Mercedes davon, Amys Rücklichter verschwinden hinter dem Schlagbaum. Der Wächter hat sein Häuschen verlassen und starrt ihrem Auto hinterher. Gott sei Dank haben ihre Eltern sich für diese Wohnanlage entschieden. Und Gott sei Dank gibt es den Wachtposten. Ich fahre weiter und versuche vergeblich, den Mercedes einzuholen. Immerhin habe ich das Kennzeichen entziffern können – IS 007. Es gibt nur einen James Bond. Wer zum Teufel ist dieser Wichser? Ich will ihn plattmachen.

Als ich in meine Auffahrt biegen will, bemerke ich, dass die Haustür weit offen steht. Ich fahre vorbei und stelle den Wagen ein Stück weiter am Straßenrand ab. Nach der Verfolgungsjagd hat mein Puls sich noch nicht normalisiert, jetzt schießt neues Adrenalin durch meinen Körper. Mit einem flauen Gefühl im Magen greife ich reflexartig ins Handschuhfach, obwohl ich weiß, dass dort keine Waffe liegt. Ivans Pistole ist in der abgeschlossenen Schublade meines Nachttischs deponiert, meine eigene im Safe unter dem Kleiderschrank. Ich bin nicht der Typ, der zu einer Verabredung mit seiner Frau eine Pistole mitnimmt. Offenbar muss ich das ändern.

Leise schließe ich die Wagentür, gehe ein Stück zurück und halte mich dabei im Schatten. Hinter einem Busch neben der Haustür bleibe ich stehen und lausche. Nichts. Ich zwinge mich, fünf Minuten zu warten. Im Dunkeln vor meiner eigenen Haustür hockend, mit Krämpfen in den Oberschenkeln, komme ich mir wie Idiot vor.

Ich stehe auf, schleiche mich hinein und schnappe mir den Cricketschläger aus dem Schirmständer. Auf dem Weg zum Schlafzimmer auf der Rückseite des Hauses schaue ich in jedes einzelne Zimmer. Ich brauche meine Waffe. Aber als ich zur Schlafzimmertür komme, halte ich inne. Im Mondlicht, das durch die Fenster fällt, sehe ich die Trümmer meines Nachttischs an der Wand liegen. Ivans Pistole ist weg.

Eilig stürze ich ins Zimmer, öffne die Tür des Kleiderschranks und räume die Bodenbretter beiseite. Der Safe ist unversehrt. Ich gebe die Kombination ein, die Tür springt auf. Der Geldstapel ist deutlich niedriger als beim letzten Mal, obendrauf liegt ein Zettel. Als ich Amys ordentliche Handschrift sehe, hocke ich mich erleichtert auf die Fersen. Ich überschlage, wie viel Geld noch da ist. Hunderttausend fehlen – mein Geld für einen Anwalt, mein Notgroschen, den ich über die letzten zehn Jahre hinweg angespart habe, nachdem die Hypothek fürs Haus abbezahlt war. Auch ihre Pistole ist weg, was mich überrascht, aber zeigt, wie klug sie ist. Eigentlich bin ich erleichtert, dass sie ihre Waffe hat. Meine eigene liegt neben dem Bargeld. Ich vergewissere mich, dass sie geladen ist, und stecke sie hinten in den Bund meiner Jeans. Bis das alles hinter mir liegt, gehe ich nicht mehr ohne sie aus dem Haus.

Amy muss zu der Erkenntnis gekommen sein, dass auch sie einen Notgroschen braucht. Warum nicht, die Hälfte gehört ihr. Deshalb hat sie ja die Kombination für den Safe. Allerdings hätte sie es mir beim Abendessen sagen können. Beim Aufstehen fällt mein Blick auf die Schmucklade mit meinen Manschettenknöpfen und Uhren, auf dem Bord, gleich neben der Flasche Eau Sauvage. Meine schwarze Gucci-Uhr fehlt. Amy hat sie mir geschenkt. Ich schlage die Schranktür zu.

Sashas Zimmer ist unberührt, das gilt auch fürs Wohnzimmer. Ich gieße mir einen großen Scotch ein und gehe in die Küche, um Eiswürfel zu holen. In diesem Moment entdecke ich die Nachricht. Jemand hat den Block für die Einkaufszettel genommen, der mit einem Magneten an der Kühlschranktür gehalten wird. Normalerweise baumelt vom Block ein Stift an einer Schnur. Diese Schnur ist abgerissen, der Stift liegt auf dem Boden, aber auf dem Block steht eine Nachricht. Vier Worte – WER IST JETZT DRAN? Zwei Strichfiguren. Die eine trägt ein Kleid, eine Frau. An der Hand hält sie einen kleinen Jungen.