Ich zerknülle den Zettel in meiner Hand. Dann fällt mir ein, dass er sich noch als nützlich erweisen könnte, also streiche ich ihn wieder glatt und stecke ihn in meine Gesäßtasche. In meinem Haus riecht es sogar anders als sonst, in der Küche hängt der leichte Hauch eines billigen Männerparfums. Ich spüre, wie meine Wut langsam hochkocht.
Es dauert nicht lange, bis ich die Stelle gefunden habe, an der meine Besucher sich Zutritt verschafft haben – am Schloss der Tür zur Waschküche ist das Holz gesplittert. Ich schließe die Tür so gut es geht, hole einen Stuhl aus dem Esszimmer und klemme ihn unter die Klinke. Alle anderen Fenster und Türen sind fest verschlossen. Wenigstens habe ich es ihnen nicht leicht gemacht. Trotzdem empfinde ich die aufgebrochene Tür wie eine offene Wunde, ich schäme mich plötzlich für jedes einzelne Mal, wo ich auf diese Weise in ein fremdes Haus eingestiegen bin.
Mit einem Karton aus der Garage gehe ich in unser Schlafzimmer und werfe die Trümmer des Nachttischs hinein. Ich rette ein paar kostbare Zeichnungen und »an Daddy« adressierte Karten von Sasha. Ein paar Briefchen und Karten, die Amy mir zu Hochzeits- und Geburtstagen geschrieben hat. Irgendein Mistkerl hat sich an meinen persönlichen Andenken vergriffen. Ich lege eine Hand auf die Kerbe in der Wand, wo der Nachttisch zertrümmert wurde. Dafür wird jemand bezahlen.
Als ich rausgehe, um meinen Wagen zu holen und in die Garage zu fahren, fühle ich mich beobachtet. Aber warum sollten die Typen, die das gemacht haben, jetzt noch in der Nähe sein?
Sie haben ihr Ziel erreicht – ich fühle mich verletzlich.
Warum sind sie eingebrochen? Um eine Waffe mitgehen zu lassen? Eine Uhr? Um mir eine Nachricht zu hinterlassen und mich zu zermürben? Wer zum Teufel ist IS 007?
Es ist zehn Uhr abends, aber an Schlaf ist nicht zu denken. Ich genehmige mir einen XXL-Scotch und sehe mir die nächste Folge von Mr Inbetween an. Als mein Handy auf der Anrichte klingelt, will ich es erst ignorieren, raffe mich aber doch noch auf. Scheiße, es könnte Amy sein. Stattdessen lese ich auf dem Display »MacPherson«.
»Sie sind ja anscheinend im Dauereinsatz«, brumme ich.
»Sobald ihr Typen aufhört, aufeinander zu schießen, habe ich auch wieder normale Arbeitszeiten. Die gute Nachricht ist, dass mein Team aufgestockt wurde und wir im Labor Priorität haben. Wir sind da auf etwas Interessantes gesto-ßen.«
»Schießen Sie los!«
»Gern, sobald ich Sie auf frischer Tat ertappe!« Er lacht über seinen eigenen Kalauer. »Aber jetzt erzähle ich Ihnen erst mal, dass die Kugeln in ihrer Wand aus dem Gewehr stammen, das auch für die Morde an Michael Vucavec und Tony Fazzini benutzt wurde.«
Verdammt. Erst nach und nach dämmert mir, dass in seiner Aufzählung ein Name fehlt.
»Was ist mit Ivan?«
»Streng genommen dürfte ich es Ihnen nicht sagen, aber beim Mord an Ihrem Bruder wurde eine andere Waffe benutzt.«
Gut, dass ich an der Anrichte stehe und mein Glas nachfüllen kann. Ich nehme einen großen Schluck Scotch und denke nach.
»Okay, das ist seltsam, oder? Wurde Ivan nicht erschossen, als er den Müll rausgestellt hat? Und niemand hat etwas gesehen? Das spricht doch dafür, dass auch bei ihm ein Gewehr benutzt wurde.«
»Ja. Die Vorgehensweise ist exakt gleich, sogar das Kaliber der Waffe stimmt, trotzdem war es nicht dieselbe.«
»Dann könnten die Morde also zusammenhängen, aber der Schütze benutzt zwei verschiedene Waffen?«
»Ja. Wir gehen zunächst von einer Verbindung zwischen den Fällen aus, aber es gibt auch die Theorie, dass jemand den Mord an Vucavec ausgenutzt hat, um Ivan zu erschießen und es aussehen zu lassen, als würde derselbe Täter dahinterstecken.«
»Was denken Sie persönlich?« Ich kann mir die Frage nicht verkneifen. Mir ist auch nicht klar, warum er mir solche Informationen freiwillig liefert.
»Ich glaube, es ist derselbe Täter, er benutzt zwei Waffen. Sagt Ihnen Ockhams Rasiermesser etwas?«
»Nein.« Ich habe keine Ahnung, wovon er redet.
»Im Prinzip geht es darum, der Hypothese zu folgen, die mit den wenigsten Mutmaßungen auskommt. Die einfachste Antwort zu suchen.«
Meine Gedanken rasen. »Was glauben Sie, wer dahintersteckt? Ein irrer Einzeltäter? Oder eine Bande?«
»Spontan würde ich nicht an einen Irren denken, aber es wäre nicht das erste Mal, dass ich falschliege. Die Auswahl der Opfer kommt mir ziemlich geplant vor. Und ich habe meine Vermutungen.«
»Darf man die hören?«
»Eher nicht. Ich kann Ihnen nur sagen, dass ich drei Theorien verfolge. Vielleicht, Johnny, waren Sie es, der Michael Vucavec nur erschossen hat, um uns auf eine falsche Fährte zu locken.« Stotternd will ich Einspruch erheben, aber MacPherson fällt mir ins Wort. »Sie hatten von Anfang an vor, Ihren Bruder zu töten, um in der Organisation Ihres Vaters eine Stufe höher zu klettern. Brudermord ist ein hässliches Verbrechen. Und natürlich passt es gut, dass diese Kugeln in Ihrer Wand steckten. Sie könnten sogar den Hund getötet haben, um von sich abzulenken.«
»Ernsthaft? So sieht Ihre Theorie aus? Warum zum Teufel sollte ich mit einem toten Hund und zwei Kugeln aus einer Mordwaffe Aufmerksamkeit auf mich ziehen?«
»Klar, deswegen ist es ja auch nicht meine Lieblingshypothese.«
»Dann raus damit.« Ich will einen Namen!
»Für heute Abend war ich offen genug, Johnny. Wie sieht es mit Ihnen aus? Hier geht es um Geben und Nehmen, schon vergessen? Was haben Sie Neues erfahren?«
Nur, dass das Auto, das er mir auf den Überwachungsaufnahmen gezeigt hat, heute Abend meine Frau verfolgt hat. Dass in mein Haus eingebrochen wurde und man mir am Kühlschrank eine üble Drohung hinterlassen hat. Ach ja, fast hätte ich die Ecstasy-Lieferung für zwanzig Millionen Dollar vergessen, die am Donnerstag mit Qantas Freight eintrifft.
»Johnny?«
»Ich denke nur nach. Nein, sorry, bisher hab ich nichts zu bieten.«
Ich bedanke mich bei MacPherson und beende das Gespräch. So gern ich Ray Shoesmith dabei zusehen würde, wie er seine Jobs als Vater und Auftragsmörder unter einen Hut zu bringen versucht, gibt es im Moment Wichtigeres. Ich muss das alles mit Anto durchsprechen.
Fünfzehn Minuten später steht Anto vor meiner Haustür und starrt auf die Stelle am Boden, wo der Blutfleck immer noch zu erkennen ist.
»Was ist denn hier passiert?«
»Lange Geschichte, komm rein.«
Ich schenke uns beiden einen Scotch ein, setze mich hin und reibe mir die Augen. »Okay. Ich war heute Abend mit Amy zum Essen.«
Anto wirkt gelangweilt. Auf keinen Fall will er um diese Uhrzeit meine Eheprobleme diskutieren.
»Als sie vom Restaurant weggefahren ist, hat sich ein schwarzer Mercedes ML63 an sie rangehängt.« Jetzt ist mir seine Aufmerksamkeit sicher. »Ich bin hinterher und hab Amy eingeholt, als sie gerade bei ihren Eltern ankam. Der Mercedes ist abgehauen, aber ich hab das Kennzeichen.«
Ich reiche ihm ein Post-it, auf das ich »IS 007« gekritzelt habe.
»Was für ein Wichser«, bemerkt er spöttisch. Dann steckt er den Zettel in seine Tasche. »Morgen rufe ich Tina an. Zum Glück arbeitet sie immer noch bei der Verkehrsbehörde. Sie findet raus, wem das Auto gehört.«
»Ihr habt noch Kontakt?«, frage ich. Er weiß, dass ich weiß, dass er angefangen hatte, sich mit Lexy zu treffen, bevor er sich richtig von Tina getrennt hatte.
»Sie hat nie erfahren, dass sich da etwas überschnitten hat. Und Lexy weiß es auch nicht. Okay?«
»Wie du meinst, Romeo. Klar, ruf Tina an.« Ein Name und eine Adresse könnten der Schlüssel sein. »Aber das ist noch nicht alles.« Ich schiebe ihm den Zettel vom Kühlschrank hinüber.
»Verdammte Scheiße, Mann, das ist krank.« Er nimmt den Zettel in die Hand und wirkt fasziniert und erschreckt zugleich. Sein Unterkiefer fällt noch ein Stück weiter herunter, als ich ihm von dem Einbruch, der toten Molly und dem Umstand erzähle, dass ich MacPherson eingeschaltet habe.
»Ich kann selbst nicht glauben, dass ich es zugelassen habe«, sage ich und ziehe eine Grimasse. »Aber er hat ein paar Kriminaltechniker geschickt, die heute Morgen die Kugeln aus der Wand geholt haben.«
»Wenn dein Dad das erfährt, bringt er dich um, Kumpel.«
»Er wird nichts erfahren, es sei denn, du erzählst es ihm.«
»Himmel. Wer bringt einen Hund um?« Anto verzieht das Gesicht, als hätte er gerade etwas Ekliges probiert.
»Ein Primitivling, wer sonst?«
Zum guten Schluss berichte ich ihm noch von den Erkenntnissen zu den benutzten Waffen.
»Scheint verdammt gefährlich zu sein, sich in deiner Nähe aufzuhalten.«
Ich möchte es lachend abtun, aber er ist schon der Zweite in den letzten vierundzwanzig Stunden, der mir so etwas sagt. Anto schaut zum Fenster, steht auf, schaltet das Licht aus, ertastet sich den Weg zur Anrichte und schnappt sich die Scotchflasche. Ehe er sich aufs Sofa fallen lässt, stößt er sich am Couchtisch das Schienbein.
»Warum verdächtigt MacPherson nicht dich? Die Kugeln in deinen Wänden sollen dieselben sein, die sie aus Vucavec und Fazzini geholt haben? Wir kennen Leute, die für weniger eingesperrt wurden.« Obwohl es fast dunkel ist, kann ich Antos seltsamen Gesichtsausdruck erkennen. Mein Umgang mit der Polizei scheint mich in ein schlechtes Licht zu rücken.
»Er hat gesagt, ich würde zu den Verdächtigen gehören, aber dann hab ich gefragt, was ich seiner Meinung nach damit gewinnen würde, wenn ich so viel Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Ich glaube, da hat er’s kapiert.«
»Scheiße, wer steckt wirklich dahinter?«
»Mir fällt nur ein Grund ein, warum man einen aus jeder Familie umbringen sollte«, sage ich. »Nämlich, dass man einen Krieg anzetteln will. Wenn der Scheißkerl in der Lage ist, einen Hund zu töten, nur um mir ans Bein zu pissen, ist er bösartig und gestört. Und dieser bösartige, gestörte Irre hat mir eine Nachricht hinterlassen, in der Amy und Sasha bedroht werden.«
»Herrgott noch mal. Genau das können wir vor dem Job am Donnerstag am wenigsten gebrauchen.« Offensichtlich ist Anto genauso beunruhigt wie ich.
Ich lehne mich zurück. Der Job. Vielleicht ist der Job der Schlüssel zu allem. »Der Scheißkerl muss es auf einen Krieg anlegen, stimmt’s?«
»Er hofft, dass wir Serben und Kroaten uns gegenseitig aus dem Weg räumen und gleich noch die Italiener mitnehmen.«
»Genau. Und wer profitiert davon?« Im Dunkeln sitzend trinken wir weiter und denken nach.
»Vielleicht die Chinesen.« Anto klingt nicht wirklich überzeugt. »Oder die Libanesen. Ja, es könnten die Libanesen sein.«
»Rashid Sami? Irgendwie kommt mir das alles hier ziemlich persönlich vor, findest du nicht? Und für Rashid Sami ist es eine Nummer zu klein.«
»Richtig. Aber bei den Libanesen gibt’s noch andere, kleinere Gruppen. Vielleicht will sich jemand einen Namen machen. Und warum nehmen sie dich ins Visier? Warum nicht deinen Dad? Werden die Serben und die Italiener auch so schikaniert?«
»Keine Ahnung. Die Warnung kommt mir jedenfalls ziemlich persönlich vor.«
Ich schenke nach, wir lehnen uns zurück und grübeln noch eine Weile.
Plötzlich knallt Anto sein Glas auf den Tisch und sieht mich mit triumphierender Miene an.
»Warum sind wir nicht früher darauf gekommen? Die Biker! Ink Slaters Biker-Gang. Wir sind nicht darauf gekommen, weil bisher keine Motorräder im Spiel waren. Wenn die Kerle in einem Mercedes SUV rumfahren, bringt uns das auf die falsche Fährte.«
»Wer?« Ich frage mich, ob ich sein Glas zu voll gemacht habe.
»Komm, du weißt schon, Johnny! Ink Slater.« Anto steht auf, tigert im Raum auf und ab und breitet seine Theorie aus. »Sein Vater hatte draußen in Bankstown ein paar Männer, aber Drogen nehmen war eher sein Ding als Drogen verkaufen. Vor drei Jahren ist er an einer Überdosis gestorben. Zu der Zeit war aus dem schmächtigen Jungen Ink ein echtes Biker-Arschloch geworden, immer noch schmächtig, aber von oben bis unten tätowiert.« Anto gestikuliert wild. »Ich meine überall, sogar im Gesicht. Deshalb wurde er Ink genannt, obwohl ich ziemlich sicher bin, dass er eigentlich Ian heißt. Ian Slater.«
Was die Gangszene von Western Sydney betrifft, ist Anto ein wandelndes Lexikon. Langsam verbindet sich der Name für mich mit einem Gesicht.
»Ja, jetzt erinnere ich mich. Damals, als wir häufiger geschnappt wurden, musste ich ein paar Stunden mit ihm in einer Zelle verbringen. Der Junge muss Anfang zwanzig gewesen sein und wollte mich in eine Schlägerei verwickeln. Was für ein dämlicher Scheißkerl. Er war so schmal, dass ich ihn mit einer Faust in den Boden hätte nageln können. Wir wurden beide vernommen und konnten dann gehen. Amy hat mich abgeholt.« Die Erinnerung wird deutlicher, meine Wut wächst. »Das Arschloch hat eine versaute Bemerkung über sie gemacht. Du warst auch dabei. Weißt du noch?«
»Ja, genau der. Ein ekelhaftes Mundwerk und nur Scheiße im Kopf.«
»Ich wollte ihn fertigmachen, aber wir waren noch auf dem Revier. Die Bullen haben gesagt, wir sollten uns draußen prügeln.«
»Ja. Er meinte, er hätte gar nicht vor, nach draußen zu gehen. Hat sich einfach hingesetzt und blöd gegrinst.«
»Ich wollte es später nachholen, aber Amy hat mich davon abgebracht. Sie meinte, sie hätte schon Schlimmeres gehört.«
»Ink Slater. IS 007. Jetzt passt alles zusammen. Er baut sich gerade seine eigene Truppe auf. Verkauft den Kids jede Menge Crystal Meth. Scheißkerl. Er ist dafür bekannt, dass er seine Tussen verprügelt und auch sonst ein Arschloch in Reinkultur ist.«
»Ja, er könnte auf jeden Fall unser Mann sein. Außerdem nützt es ihm, wenn sich die Kroaten, Serben und Italiener gegenseitig an die Gurgel gehen, stimmt’s?«
»Auf jeden Fall.« Antos Augen leuchten.
»Lass Tina rausfinden, wo er wohnt. Ich denke, wir sollten Ink Slater einen kleinen Besuch abstatten.«
Anto ist nach Hause gefahren, ich kann nicht schlafen. Stattdessen setze ich mich mit meinem Laptop an den Küchentresen und stoße sofort auf zwei aktuelle Berichte. Im ersten geht es darum, dass ein Verfahren gegen Ian »Ink« Slater wegen Drogenhandels aus Mangel an Beweisen eingestellt wurde. Auch der andere Bericht dreht sich um Drogenhandel. Diesmal ist Slater vor Gericht gekommen, aber von den Geschworenen freigesprochen worden. Ich sehe ihn vor mir, lächelnd auf der Treppe zum Gericht in Bankstown. Er ist groß und schlaksig, seine langen Arme schauen zu weit aus den Ärmeln eines schlecht sitzenden Anzugs. Ein mieser Gangster beim Gerichtstermin.
Natürlich hat der Idiot sich LOVE und HATE auf die Fingerknöchel tätowieren lassen. Sein Gesicht wirkt wie ein unvollendetes Kunstwerk, die Tattoos kriechen seinen Hals hoch bis zur Kieferpartie. Ein durch und durch asoziales Stück Scheiße, das höchstwahrscheinlich heute Abend in meinem Haus war und mir diese hässliche Nachricht hinterlassen hat.
Ich schiebe den Barhocker zurück und beuge mich über meinen Laptop. Am liebsten würde ich dem Kerl gleich hier auf dem Monitor die grinsende Fresse polieren. Stattdessen setze ich mich wieder hin und sehe nach, ob Slater eine eigene Facebookseite hat. So dämlich kann er eigentlich nicht sein, oder? Aber ja! Sogar die Fotos sind öffentlich. Für jemanden, der gut hinschaut, liegt sein ganzes Leben offen da.
Ich hatte recht, als ich darauf bestanden habe, dass Amy auf Facebook ihren Mädchennamen benutzt. Nirgends sind Fotos von mir hochgeladen, der Name Novak taucht nicht auf. Wenn ich mich selbst googeln würde, gäbe es keinen Treffer. Meine Präsenz in den sozialen Medien ist gleich null, und bei meinen Festnahmen als junger Erwachsener ging es um Kleinigkeiten, die für die Medien uninteressant waren. Es gibt keine Zeitungsartikel, in denen ich erwähnt werde. Amy und ich kontrollieren regelmäßig ihre Privatsphäre-Einstellungen, um so wenig wie möglich preiszugeben. Ich könnte darauf bestehen, dass sie ganz auf ihren Facebookaccount verzichtet, aber gegen so viel Kontrolle würde sie sich wehren. Abgesehen davon ist es nun mal die Art, wie ihre Freundinnen kommunizieren, wie sie stolz ihre Kinder präsentieren, wie sie die Großeltern auf dem Laufenden halten. Ich sehe bei alldem eher die Gefahren. Warum Informationen aus der Hand geben? Informationen bedeuten Macht. Warum anderen solche Macht über sich selbst geben? Auch in diesem Punkt sind Amy und ich verschiedener Meinung.
Auf Ink Slaters Titelbild räkeln sich zwei leicht bekleidete Blondinen auf einer Harley. Sein Profilfoto zeigt ein Spinnentattoo auf einem Bizeps. Ink feiert mit seiner Truppe in Nachtclubs, ein Bier in der Hand, auf jedem Knie eine Blondine. Blondinen ohne Ende. Wilde Nächte, Fotos von größeren Gruppen, Arme, die um Schultern liegen, Tänzer, alle betrunken.
Ich scrolle in der Chronik zurück zu einer Reihe von Geburtstagsglückwünschen, alle vom 15. Juni. »Einen schönen Achtundzwanzigsten, Kumpel.«
Die Fotos müssen früh am Abend gemacht worden sein, als alle noch halbwegs nüchtern waren. Es sieht aus, als hätte die Party in einem typischen Vorstadt-Wohnzimmer stattgefunden. Auf dem Sofa sitzt eine ältere Dame. Ansonsten sind alle deutlich jünger, Männer Ende zwanzig, Anfang dreißig. Es sind ziemlich viele. Ich zähle fünfundzwanzig verschiedene Gesichter, die in den letzten zwölf Monaten immer wieder auftauchen. Eine junge Truppe, jeder Einzelne unsterb-lich.
Verdammt, Anto hatte recht. Ink hat in relativ kurzer Zeit eine Menge Männer um sich geschart. Wenn das unsere Feinde sind, können wir uns ihre Großkotzigkeit zunutze machen.
Auf vielen Fotos taucht ein riesiger, muskelbepackter Typ auf. Ich brauche eine Weile, bis mir klar wird, dass es tatsächlich zwei verschiedene Männer sind. Zwillinge. Rasierte Köpfe und ärmellose Unterhemden, die die Muskeln zur Schau stellen. Sie haben sogar identische Skorpion-Tattoos auf dem linken Unterarm. Aber was die tätowierte Körperfläche angeht, kann niemand aus der Gang es auch nur annähernd mit Ink aufnehmen. Es würde mich nicht überraschen, wenn der Kerl ein Tätowierstudio besäße. Ich fahre mit der Maus über eins der Fotos der Zwillinge, ihre Namen tauchen auf. Mick und Dave Hyde. Ich schaue mir ihre Facebookseiten an und staune wieder. Es gibt sogar Aufnahmen davon, wie sie von den gebräunten Hintern zweier dunkelhaariger Mädchen – die keine Zwillinge sind, aber so wirken sollen – Koks schnupfen.
Sind diese Typen wirklich solche Schwachköpfe?
Google verrät mir, dass die Hyde-Zwillinge beide wegen schwerer Körperverletzung und Drogenbesitz gesessen haben. Anscheinend sind sie nicht so clever wie Ink, deshalb ist er der Boss.
Aber wenn er wirklich hinter alldem steckt, worum geht es ihm dann? Will er den Westen übernehmen? Und warum hat er es auf mich persönlich abgesehen? Hat er sich bei den Serben und Italienern auch jemanden rausgepickt? Bedroht er auch deren Frauen und Kinder? Tötet er deren Hunde?
Auf einmal bin ich erschöpft, ich lasse den Kopf in die Hände sinken. Was zum Teufel hat Ink Slater vor? Wenn wirklich er und seine Zwillingsgorillas hier eingebrochen sind, warum warnen sie mich dann? Warum teilen sie mir mit, dass sie es als Nächstes auf Amy und Sasha abgesehen haben?
Ich werde niemals zulassen, dass dieses Tintenklecks-Arschloch in die Nähe der beiden Menschen kommt, die mir am meisten auf der Welt bedeuten.