Als ich ins Lagerhaus zurückkomme, ist mein Optimismus dahin. Ich wäre lieber nicht ans Telefon gegangen.
Dad hat die Männer zur Ordnung gerufen. Alle sitzen jetzt und sehen mich erwartungsvoll an. Ich hieve mich auf eine in die Wand gedübelte Metallbank hoch und begegne Dads zornigem Blick mit einer neutralen Miene.
»Ich rede mit Josef.« Dad spricht mit tiefer Stimme, langsam und entschlossen. »Ich glaube, wir gehen zurück zu erste Plan. Ist einfacher, wenn wir lassen Teil von Drogen in Wagen mit Stanislav. Wenn wir abhauen, Polizei findet Serben mit Drogen. Ist einfach. Kein Problem. Wir nicht brauchen Ink Slater und Biker.«
Scheiße. Einige Männer nicken und murmeln zustimmend. Ich muss das Ruder rumreißen. Hat Dad die Strichmännchen schon vergessen? Verdammte Scheiße, Ink Slater ist eine Gefahr für Amy und Sasha. Außerdem ist da noch diese Nachricht, die ich Dad hätte überbringen sollen. Scheiß auf Josef. Unglaublich, dass Dad sich vom größten Trottel der ganzen Truppe bequatschen lässt. Er ist Dads kleiner Bruder, schön und gut, aber dumm wie Brot. Und warum diese Fixierung auf Stanislav, obwohl er hier nicht unser Feind, sondern unsere Chance ist?
Anto liest mir die Panik vom Gesicht ab. Er steht auf, um das Wort zu ergreifen, die ganze Gruppe schweigt. »Boss. Du entscheidest, wie es läuft.« Er holt tief Luft. »Trotzdem glaube ich, wir sollten uns an Joh … an den neuen Plan halten. Er ist komplizierter, da stimme ich dir zu, aber auch effektiver.«
Schnell setzt Anto sich wieder hin, er sieht aus, als müsste er sich jeden Moment übergeben. Einigen Männern steht der Mund offen. Anto hat meinem Vater noch nie offen widersprochen. So etwas wagen höchstens Baz und Josef, die beiden Ältesten hier. Dads Augen treten hervor, er läuft rot an, wirft Anto einen tödlichen Blick zu und stößt ein Knurren aus. In diesem Moment steht Marko auf.
»Onkel Milan, du hast recht. Du hast immer recht. Aber ich glaube, Anto könnte auch recht haben. Wenn wir Ink Slater das Ecstasy unterschieben, gibt man den Bikern die Schuld. Die Polizei glaubt, dass die Biker dahinterstecken, die Serben glauben es auch. Natürlich ist es nicht so einfach. Aber ich denke, wir sollten den neuen Plan durchziehen.«
»Ihr wollt durchziehen neuen Plan? Anto? Marko? Vielleicht ich nicht mag neuen Plan. Ich mag ganz einfach. Erledigen Stanislav Vucavec. Immer bester Plan.«
Die Männer sind verwirrt. Alle Zuversicht und Kameradschaft ist dahin, jeder wendet sich seinem Nachbarn zu. Welcher Plan ist besser? Ich bin wie gelähmt, meine Miene ist versteinert. Verdammt, was würde Ivan jetzt tun?
Ich springe von der Bank herunter, meine Schuhsohlen klacken auf dem Betonboden. Ich straffe die Schultern, wieder sehen mich alle an.
»Du hast recht, Dad. Wir müssen Stanislav fertigmachen, und das werden wir auch. Aber du glaubst doch wohl nicht, dass er das Ecstasy im Wert von zwanzig Millionen Dollar geschenkt bekommen hat, oder? Jeder Vucavec auf beiden Seiten des Ozeans dürfte bis zum Hals in Schulden stecken, weil alle sich an dem Deal beteiligen wollten. Und jetzt schnappen wir ihm die Lieferung weg. Damit ist er am Ende. Die Familien in Belgrad schicken ihm höchstwahrscheinlich einen Killer auf den Hals, damit weder er noch irgendjemand sonst sie je wieder über den Tisch zieht.« Die Männer hören mir zu. Die Geschichte scheint ihnen zu gefallen, nur mein Vater wirkt immer noch zornig.
»Was nützt es uns, wenn wir Ink Slaters Leute ans Messer liefern? Zuallererst bringt es uns aus der Schusslinie der Serben, stimmt’s? Wir wollen doch nicht, dass irgendein Killer aus Belgrad sich in einer dunklen Straße an uns ranschleicht?« Kopfschütteln. Keine schöne Vorstellung.
»Und außerdem …« Ich trete einen Schritt vor und hebe den Zeigefinger. »Außerdem wird Ink Slater mit genug E erwischt, um für den Rest seines beschissenen Lebens hinter Gittern zu landen, wo er sich den mickrigen, tätowierten Arsch ficken lassen kann.«
Mein Vater ist noch immer nicht überzeugt. Slaters Arsch interessiert ihn nicht die Bohne. Ich muss meinen Trumpf ausspielen. Ich balle die Hände zu Fäusten.
»Hier geht es nicht nur ums Geld. Hier geht es um Rache für den Mord an Ivan«, erkläre ich mit grollender Stimme. »Erst wurde Michael Vucavec erschossen. Eine Woche später Ivan. Und dann Tony Fazzini. Wer profitiert am meisten davon, wenn er die Serben, Kroaten und Italiener gegeneinander aufhetzt? Ink Slater. Wer hatte durch den Mord an meinem Bruder am meisten zu gewinnen? Denkt darüber nach.« Jetzt nickt sogar mein Vater, weil meine Worte Sinn ergeben.
»Am Montagabend ist ein schwarzer Mercedes ML63, der Slater gehört, Amy zum Haus ihrer Eltern nachgefahren. Seine Truppe ist in mein Haus eingebrochen und hat Ivans Pistole gestohlen.« Die Männer schnappen nach Luft. »Und sie haben das hier zurückgelassen.« Ich ziehe den zerknitterten Zettel aus meiner Hosentasche und reiche ihn Anto, der ihn weitergibt. Jeder Mann hier im Lagerhaus soll ihn sich gründlich ansehen und die Drohung auf sich wirken lassen.
»Wer ist als Nächster dran? Vielleicht eine eurer Frauen oder eins eurer Kinder?« Die Männer wirken geschockt. Frauen und Kinder werden bei diesem Spiel außen vor gehalten. Nach einer kleinen Kunstpause rede ich weiter. »Wer ist als Nächster dran?«, wiederhole ich. »Bedeutet diese Formulierung nicht, dass schon Morde geschehen sind? Für mich klingt es, als würde er zugeben, Michael, Ivan und Tony erschossen zu haben. Und als würde er jetzt versuchen, uns einzuschüchtern, indem er unsere Familien bedroht.
Wir müssen Stanislav fertigmachen und uns das E holen, ohne jemanden umzubringen oder selbst umgebracht zu werden. Wir dürfen keine Spur hinterlassen. Und wir müssen dafür sorgen, dass jeder denkt, Slater und seine Biker stecken dahinter. Dann sind wir auf der sicheren Seite und gießen kein Öl in Feuer des Krieges.« Unsere wenig einfallsreiche Bezeichnung für den letzten Krieg zwischen den Kroaten und den Serben.
»Slater hat Ivan ermordet.« In dem Moment, wo ich es ausspreche, wird mir klar, dass ich recht habe. Es gibt keine andere Erklärung. »Jetzt will er meiner Frau und meinem Kind etwas antun.« Ich hole tief Luft und grolle: »Ich habe euch Rache versprochen. Das heute ist nur der erste Schritt, als Nächstes begrabe ich Ink Slater.«
Die Männer springen auf.
Ich schaue zu meinem Vater hinüber und bemerke seine Überraschung. Dad weiß, dass ich ihn ausmanövriert habe.
»Was meinst du, Dad? Sollen wir Stanislav Vucavec fertigmachen und Ink Slater gleich mit?«
»Ist guter Plan, Sohn. Fertigmachen Stanislav und geben Schuld Ink Slater. Fertigmachen beide. Dann du tötest Mann, der erschossen meinen Sohn.«
Die Männer brüllen begeistert.
Draußen vor dem Lagerhaus schaue ich zu den Sternen hoch, während die Männer die Lieferwagen beladen und ein letztes Mal ihre Waffen kontrollieren. Ich mache mir Sorgen wegen Amy. Als ich die unbeholfen gekritzelte Zeichnung in meiner Tasche berühre, brennt meine Kehle. Was, wenn ich einfach tun würde, was sie verlangt? Wenn ich der Familie in diesem Moment den Rücken kehren würde?
Ja, klar doch.
Ich muss die Truppe heil durch diesen Job bringen und dann endgültig beweisen, dass Slater Ivan ermordet hat. Solange er frei herumläuft, ist er eine Bedrohung für Amy und Sasha.
Klar, ich könnte verhaftet oder getötet werden, aber Amy ist jung und schön, sie könnte noch einmal heiraten. Jemanden mit einem normalen Beruf. Vielleicht wäre sie ohne mich sogar besser dran.
Nein, Scheiße. Amy und Sasha werden bei Chaz in Sicherheit sein. Wenn das alles vorbei ist, kommt sie zu mir zurück. Alles wird gut.
»Hey, Johnny! Kommst du mit oder was, Mann?«
Alle warten in den gestohlenen Autos. Brick und Blocker sitzen auf großen schwarzen Harleys. Die Brüder haben die richtige Größe – XXL. Von Kopf bis Fuß in schwarzem Leder steckend und mit schwarzen Integralhelmen auf dem Kopf ähneln sie auf irritierende Weise den Hyde-Zwillingen.
Die Fahrertür eines dunkelgrauen Jeeps steht offen. Sehr aufmerksam von ihnen, mir einen Jeep zu klauen. Anto wartet auf dem Beifahrersitz, Marko hinten, das neue Team. Ich schaue auf die Uhr und steige ein. Der Motor heult auf. Ich fahre voran – die Einfahrt entlang, auf die Straße, Richtung Flughafen. Perfekt im Zeitplan.
Donnerstagsabends um zehn herrscht in den westlichen Vorstädten Sydneys normalerweise wenig Verkehr. So ist es auch heute, der Konvoi kann problemlos zusammenbleiben. Ich spüre das Adrenalin, gehe aber langsam und zielgerichtet vor. Ich halte den Jeep genau im Tempolimit, der Rest der Truppe folgt mir nach.
Anto trommelt mit den Fingern auf die Armlehne. Im Rückspiegel sehe ich, dass Marko sich zurücklehnt, die Augen halb geschlossen, als würden wir nur auf ein paar Bier in die Stadt fahren.
Als wir die Einfahrt zum Qantas-International-Freight-Gebäude an der Link Road erreichen, drosseln unsere vier Autos und zwei Motorräder das Tempo. Um diese Uhrzeit gibt es hier genügend freie Parkplätze.
Ich nehme meine vorbestimmte Position nah am Tor ein. Die anderen ziehen vorbei und suchen sich einer nach dem anderen ihre Parkplätze. Scheinwerfer werden ausgeschaltet, Motoren abgestellt, aber die Straßenlaternen sind hell, überall sind Überwachungskameras angebracht. Wir lassen uns in unsere Sitze sinken, ziehen die Mützen tief in die Gesichter. Noch tragen wir keine Masken. Mit ihren heruntergeklappten Visieren sind Brick und Blocker unmöglich zu identifizieren. Wir müssen eine halbe Stunde warten.
Der einzige Weg zum Gelände der internationalen Luftfracht führt durch das Sicherheitstor, wo Ausweise und Frachtdokumente geprüft werden, bevor der Schlagbaum sich öffnet. Aus einer Entfernung von gerade mal zwanzig Metern haben wir beste Sicht auf sämtliche Fahrzeuge, die rein- und rausfahren.
Anto behält das Tor mit seinem Fernglas im Auge. Wir wissen, dass Stanislav selbst fahren wird. Was wir nicht wissen, ist, ob er von anderen Autos begleitet wird oder einfach auf ein paar diskret bewaffnete Männer im Laderaum vertraut.
Zusätzliche Fahrzeuge sorgen natürlich für Komplikationen, vor allem weil sie nicht aufs Gelände dürfen und sich wahrscheinlich in denselben Parkbuchten positionieren müssten, in denen wir auch stehen.
Dieser Teil meines Plans ist der löchrigste. Männer von beiden Seiten sind damals, als wir alle aus Jugoslawien gekommen waren, zusammen zur Schule gegangen, haben zusammen Fußball gespielt. Ohne Masken könnten wir leicht erkannt werden. Wenn nun ein Auto voller Serben in eine leere Parklücke zurücksetzen und jemand merken würde, dass im Transporter gleich daneben ein Haufen riesiger Typen mit Skimasken sitzt? Dann könnte es hässlich werden, und zwar ziemlich schnell.
Jetzt, wo alle ihre Ohrstöpsel und Mikrofone tragen, schließe ich mich mit den Teamleitern in den einzelnen Wagen kurz.
»Dad, wie läuft’s da drüben?«
»Wie es läuft, er fragt. Was glaubst du? Ist wunderschöner Abend.«
»Josef, alles klar?«
»Alles klar.«
»Baz?«
»Alles bestens.«
»Stump?«
»Ja.«
»Brick?«
»Verdammt warm in dem ganzen Leder, Mann.«
»Dann haltet jetzt Funkstille, bis ich bestätige, dass Stanislavs Transporter da ist.«
In der Mittelkonsole vibriert mein Handy. Ich nehme es in die Hand und sehe Amys Gesicht. Unmöglich, jetzt mit ihr zu reden. Jeder einzelne Mann hier verlässt sich auf mich. Heute Abend trage ich die Verantwortung. Amy muss warten, bis alles vorbei ist. Ihr Ultimatum dröhnt mir immer noch in den Ohren, sofort spüre ich den Schmerz in meiner Brust. Gott, bitte lass sie auf mich warten.
Ich sehe Stanislavs Transporter von links kommen, eine Viertelstunde zu früh. Der weiße Econovan fährt bis zum Schlagbaum vor. Keine anderen Autos oder Motorräder. Gut so, Mann.
Ich schaue zu Anto hinüber und beantworte sein Grinsen mit einem zufriedenen Brummen. Erst als ich ausatme, merke ich, dass ich die Luft angehalten hatte. Marko schlägt gegen die Rückseite des Sitzes. Es geht los.
»Er ist da«, lasse ich die Männer mit leiser Stimme wissen. »Wartet ab. Lasst den Motor an, aber keine Scheinwerfer, bevor wir losfahren. Er muss rein und die Lieferung abholen. Wir wissen nicht, wie lange es dauert, aber richtet euch darauf ein, dass wir noch eine Weile warten müssen. Sobald der Transporter wieder auftaucht, fahre ich los. Den Rest wisst ihr.« Ich höre, wie die Motoren angelassen werden.
»Ja, wir wissen was tun, Sohn. Ist gut. Ist schöner Abend. Macht keinen Mist.«
»Okay. Sprecht kein Kroatisch. Bringt niemanden um. Wir schlagen schnell zu, rein und raus. Wissen alle, was sie zu tun haben?«
»Wissen alle, was tun? Mein Sohn redet zu viel. Besser genießt Abend.«
Ich atme noch einmal tief durch, drehe die Klimaanlage ein Stück weiter auf. Mein Rücken ist schweißnass.
Stanislavs Transporter steht vor dem offenen Tor eines Lagerhauses auf der linken Seite des Geländes. Alles ist taghell erleuchtet. Obwohl gut zu sehen ist, was dort läuft, vergewissere ich mich bei Anto.
»Was kannst du erkennen, Kumpel?«
»Stanislav ist mit Papieren in der Hand auf der Fahrerseite ausgestiegen und ins Lagerhaus gegangen. Ein anderer Mann, Stanislavs Vetter Phil wahrscheinlich, ist auf der anderen Seite ausgestiegen und beim Transporter geblieben. Er spricht mit jemandem im Laderaum. Ich kann nicht sehen, wer es ist oder ob noch andere Männer dabei sind, aber irgendjemand hat Phil eine Zigarette angeboten.«
»Okay, Männer. Anto hat bestätigt, dass Stanislav der Fahrer ist. Im Moment ist er im Lagerhaus. Wie es aussieht, ist Phil Vucavec der Beifahrer, mindestens ein Mann aus der Truppe sitzt hinten.«
»Egal wie viele hinten. Wir erledigen sie«, sagt Dad.
Zehn Minuten verstreichen im Schneckentempo, unterbrochen von gelegentlichen Meldungen Antos.
»Er kommt zurück zum Eingang«, verkündet er schließlich mit Nachdruck.
»Es geht los. Haltet euch alle an den Plan. Und denkt daran, kein Kroatisch!« Nur mühsam kann ich meine Aufregung unterdrücken.
»Nemoj se zajebavati!« Baut keinen Mist, sagt Dad.
Ich ignoriere ihn, fahre auf die Link Road und beschleunige dann in Richtung Airport Drive. Im Rückspiegel sehe ich, wie Josef aus der Parkbucht kommt und mir folgt. Marko kniet auf dem Rücksitz. Er hat den besten Blick aufs Geschehen.
»Stanislav ist durch den Schlagbaum. Er fährt gleich hinter Josef.«
Ich schlage mit der Handfläche aufs Lenkrad. Yes!
»Der Boss ist jetzt hinter Stanislav, Stump hinter dem Boss.« Selbst Marko mit seiner ansonsten monotonen Stimme klingt ein bisschen aufgeregt.
Ich biege links auf den Airport Drive, ziehe meine Skimaske über und drücke den Knopf an meinem Mikrofon. »Masken auf!«
»Stanislav biegt auch links ab. Er folgt uns auf die Brücke. Dummer Scheißkerl.«
Unser Konvoi erreicht die Marsh Street Bridge. Ein Toschwindigkeit entgegen, aber für mich scheint sich alles in Zeitlupe abzuspielen. Unter der Skimaske ist es heiß, aber ich fühle mich beschützt. Sie gehört zu meinem Job, einem Job, bei dem ich immer Ivan an meiner Seite hatte. Das viele Training kommt mir jetzt zugute. Mein Atem und mein Puls werden wieder ruhiger.
Ich schaue aus dem Fenster. Der Fahrer des vorbeigleitenden Prius sieht nicht zu uns herüber. Vor mir ist die Straße jetzt leer. Hinter mir: Josefs Ford Transit, Stanislavs Econovan, der Hilux meines Vaters und Stumps Explorer. Wie Entenküken auf einem Teich. Die Motorräder kann ich nicht sehen, aber ich weiß, dass sie hinter Stump sind, bereit für ihren Einsatz.
Genau in der Mitte der Brücke steige ich auf die Bremse und lenke den Jeep nach rechts, auf die meterhohe Betonplatte zu, die die Spuren in beiden Fahrtrichtungen voneinander trennt. Auch Josef steigt in die Eisen und dreht seinen Lieferwagen nach links. Jetzt sind beide in Richtung Westen führende Spuren blockiert. Stanislav muss eine Vollbremsung hinlegen, um nicht dem einen oder dem anderen Wagen in die Seite zu krachen. Marko und ich sind als Erste raus und richten eine abgesägte Schrotflinte und eine Halbautomatik auf Stanislav und Phil.
Ich sehe, dass Stanislav in den Rückspiegel schaut. Der Hilux und der Explorer hinter ihm haben das gleiche Manöver ausgeführt und blockieren den Rückzug. Die beiden Motorräder umkurven die Wagen seitlich.
Josefs Team drängt sich aus dem Transit, sämtliche Waffen auf Stanislavs Transporter gerichtet.
Anto macht einen Schritt auf Stanislav zu und fordert ihn mit einer Geste zum Aussteigen auf. Wir haben ihn wegen seiner schauspielerischen Qualitäten als Sprecher gewählt. Ich habe gesagt, er soll Slaters Sprachmuster möglichst nahekommen.
»Lasst die Hände da, wo wir sie sehen können. Raus aus dem Wagen. Alle. Sofort! Hände hoch!«
Stanislav und Phil gehorchen. Im Laderaum tut sich nichts.
»Sagt euren Kumpels da hinten, sie sollen rauskommen, sonst chießen wir durch die Tür. Eure Entcheidung.«
»Kommt raus, Jungs!«, ruft Stanislav und hält verzweifelt nach irgendeiner Möglichkeit Ausschau, aus dieser Falle zu entkommen.
Anto hält sicheren Abstand, die Waffe immer noch auf Stanislav gerichtet. Hinten tut sich nichts.
»Beweg dich. Mach die Chiebetür auf. Langsam. Verchtanden? Hol deinen dämlichen Kumpel da hinten raus. Langsam, okay? Keine Dummheiten.« Anto klingt tatsächlich wie Slater, er geht in seiner Rolle auf. Unwillkürlich muss ich grinsen.
Stanislav schaut sich noch einmal um. Ich folge seinem Blick und sehe, was er sieht – einen Mann wie ein Bär mit einem Bren-Maschinengewehr in der Hand und einer Skimaske vor dem Gesicht. Zwei Typen auf Harleys mit automatischen Waffen. Ringsum Schusswaffen, die alle auf ihn zielen. Stanislav scheint zu begreifen, dass er die Schiebetür öffnen muss, aber er macht schnell.
Drei Männer taumeln aus der Seitentür des Transporters. Ein dunkler Haufen Arme und Beine, gezogene Waffen, die mit vielstimmigem Klicken entsichert werden. Die Angelegenheit könnte jeden Moment in ein Blutbad ausarten.
Stanislav brüllt seine Männer an. »Mick, Zoran, Franco! Weg mit euren Waffen!«
Zwei Pistolen landen klappernd auf der Straße, aber der große Kerl in der Mitte scheint es mit uns aufnehmen zu wollen. Im Augenwinkel registriere ich, wie Marko einen Schritt nach vorn macht. Ein Schuss zerreißt die stille Nacht, der Serbe geht langsam zu Boden.
Die beiden anderen Männer treten einen Schritt zur Seite, als wäre der Tod ansteckend.
»Alle rüber auf die andere Seite des Wagens. Sofort!« Antos Stimme klingt stählern. Unsere maskierten Männer machen den vier verbliebenen Serben unsanft Beine.
Ich gehe zu dem Mann am Boden und fühle seinen Puls. Er hat einen Schuss ins Herz abbekommen, keine Austrittswunde, kaum Blut. Verdammt, ich kann es nicht glauben. Genau das hätte nicht passieren sollen. Marko steht hinter mir und starrt auf den Mann hinunter. Ich sehe ihn an. Sein Blick ist ausdruckslos, gibt nichts preis. Ich fordere ihn mit einer Geste auf, sich nicht von der Stelle zu rühren. Um ihn kümmere ich mich später.
Schweigend lässt unsere Truppe acht Kartons in der Größe von Mikrowellen von Hand zu Hand wandern. Wir stellen sie auf die Ladefläche von Dads Hilux, dann spannen wir die Plane darüber. Ich nehme ein Taschenmesser und einen Sandwichbeutel aus meiner Gesäßtasche. Dann ziehe ich Handschuhe über, schneide ein kleines Stück aus dem grauen Teppichboden des Transporters und stecke es in den Beutel. Zur Absicherung.
Ich zeige auf Marko und Josef, dann auf den Toten und den Wagen. Ich kehre auf meine Beobachterposition zurück, während Marko und Josef die Leiche in Stanislavs Econovan laden.
»Es ist Zoran Milovic.« Ich bin nahe genug, um zu hören, was Josef Marko zuflüstert. Der starrt ihn wütend an und legt einen Finger auf die Lippen.
Ein kleines weißes Auto nähert sich von der Flughafenseite der Brücke her und fährt auf Dads Wagen zu, am Steuer eine Frau.
Fahren Sie zurück, verschwinden Sie hier. Dad gestikuliert mit hochgerecktem Maschinengewehr, damit sie dessen Umrisse im spärlichen Licht erkennen kann. Zwanzig Meter von uns entfernt kommt sie mit kreischenden Bremsen zum Halten und setzt in panischen Schlenkern zurück. Am Fuß der Brücke wendet sie und verschwindet hinter einer Kurve.
Die Serben sitzen inzwischen mit gefesselten Händen und Füßen neben dem Transporter, den Mund mit Klebeband verschlossen. Ich springe in den Jeep und fahre ihn ein paar Meter vor, aus dem Weg, Marko steigt hinten ein. Dad und sein Team verschwinden im Hilux. Sie fahren an den Serben vorbei die Brücke hinunter. Brick und Blocker bringen ihre Harleys auf Touren, als sie an den Serben vorbeirauschen. Hinter ihnen folgt Stumps Team.
Wieder ein Auto auf der Gegenseite. Diesmal ein alter, frisierter Nissan 300ZX, aus dem »Bohemian Rhapsody« dröhnt. Die Teenager im Wagen singen lautstark mit und fahren vorbei, ohne irgendetwas mitzukriegen.
Die verbliebenen Männer treten vom Econovan zurück und steigen hastig in Josefs Transit. Anto lässt sich neben mir auf den Beifahrersitz fallen, ich schaue auf die Uhr. Vier Minuten, seit wir auf die Brücke gefahren sind. Ich fahre als Erster los, gefolgt von Josef. Im Rückspiegel sehe ich, wie Stanislav mühsam auf die Beine kommt und uns wütend hinterherschaut. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, lehnt er sich an den Transporter.
Irgendwo weit entfernt heulen Sirenen. Ein letzter Adrenalinschub, aber ich bin sicher, dass die Sirenen hinter uns sind, nicht vor uns. Ich halte mich ans Tempolimit, fahre von der Brücke hinunter auf die Marsh Street, dann links auf die West Botany, rechts auf die Wickham, links auf die Bellevue. Mit Josef im Schlepptau halte ich mich den ganzen Weg zurück zum Lagerhaus auf Nebenstraßen.