Ich kann nicht glauben, was ich da höre.
»Johnny?«
Ein lauter dumpfer Schlag, Holz birst, das Schloss gibt nach. Johnny fliegt ins Zimmer und schafft es so gerade, nicht mit Wucht in mich hineinzukrachen.
Weinend stehe ich in der Mitte des Zimmers. Ich weiß selbst nicht, was für zusammenhangloses Zeug ich rede, aber er hält mich fest in den Armen. Ich trete einen Schritt zurück und schaue zu ihm hoch. Seine Augen sind blutunterlaufen, sein Gesicht ist blass und abgehärmt. Er wirkt deutlich älter.
»Ist Sasha in Sicherheit? Haben sie ihn dir zurückgegeben? Geht es ihm gut?«
»Ja, Schatz, es geht ihm gut, er ist bei Dad. Er ist in Sicherheit.«
Etwas blitzt in seinem Gesicht auf, wie eine vergessene Erinnerung. Dann plötzlich taucht hinter Johnnys Rücken ein großer bärtiger Biker auf. Er richtet eine Waffe auf uns.
Johnny muss es in meinem Blick gelesen haben. Langsam dreht er sich um. Dabei zieht er hinter seinem Rücken die Pistole.
Der Mann hält sich mit einer Hand den Kopf. Er schwankt und richtet die Pistole mal auf mich, mal auf Johnny.
»Ziel auf mich, Mann. Ich bin der Gefährliche«, sagt Johnny.
Sobald er die Pistole auf Johnny richtet, werfe ich mich auf die Beine des Kerls. Ein wunderschönes altmodisches Rugby-Tackling gegen seine Knie. Sasha wäre stolz auf mich. Er kippt um wie ein gefällter Baum. Seine Pistole fliegt durch die Luft und landet draußen vor der Tür klappernd auf dem Boden.
»Gut gemacht, Ames!« Johnny klingt begeistert, aber seine Begeisterung ist nicht halb so groß wie meine. Der Mann will sich aufsetzen, aber Johnny drückt ihn nach unten, stellt einen Fuß auf seine Brust und hält ihm die Waffe vors Gesicht.
»Wie heißt du?«
»Pete?« Der Biker hebt am Ende die Stimme, als wäre er selbst nicht ganz sicher. Er ist jünger, als ich dachte.
»Gut, Pete, du wirst uns keinen Ärger mehr machen, stimmt’s?«
Pete sagt nichts, rührt sich aber auch nicht vom Fleck.
»Schau mal, ob du etwas findest, womit wir ihn fesseln können, Ames.«
Zum ersten Mal seit Donnerstagabend verlasse ich das Zimmer. Neben der Wohnungstür liegt ein offener Pizzakarton. Petes Pistole ist bis ins Wohnzimmer gerutscht. Eine CZ Shadow. Gut, damit kann ich umgehen. Ich hebe sie auf, überprüfe, dass sie gesichert ist, und lasse das Magazin in meine Handfläche fallen. Voll. Ich schiebe es wieder rein und lade durch. Dann sehe ich mich um. Das große Zimmer ist in demselben dunklen Holzton möbliert wie das Schlafzimmer. Auf dem Couchtisch entdecke ich meine Handtasche und gehe schnurstracks darauf zu. Keine Pistole.
»Alles klar bei dir, Ames?«
»Ich hab Petes Pistole und suche nach einem Seil oder so was.«
Am Ende des Flurs komme ich in eine limonengrüne Küche, die geradewegs aus den Sechzigern zu stammen scheint. Es dauert nicht lange, bis ich ein Päckchen mit schwarzem Kabelbinder und eine Rolle dickes Paketband gefunden habe – genau das, was sie für Sasha und mich benutzt haben.
Erst fesseln und knebeln wir Pete, dann fixieren wir ihn an dem alten Gasradiator in der Ecke des Zimmers.
»Lass uns von hier verschwinden«, sage ich und gehe zurück ins Wohnzimmer, um meine Handtasche zu holen.
»Ames, das Letzte, was ich möchte, ist, dich hier allein zu lassen, aber ich muss noch schnell ein paar Sachen aus dem Auto holen. Okay?«
Seine Worte versetzen mich in Panik.
»Nein, ich will mitkommen.«
Er tritt auf mich zu und nimmt mich wieder in den Arm.
»Ames, du musst jeden Hinweis darauf verschwinden lassen, dass wir hier waren. Das ist wichtig. Wisch alles ab, was du oder Sash angefasst haben könntet. Ich bin gleich wieder da. Dir wird nichts passieren. Versprochen.«
Er drückt mich ein letztes Mal.
»Behalt die Pistole in der Hand. Wenn jemand anders als ich in die Wohnung kommt, dann schieß.«