Kapitel 18
Dais Warnung ließ Poppy den ganzen Abend keine Ruhe, und in der Nacht träumte sie entsprechend schlecht von zwei reifen Nektarinen mit verführerisch glatter Haut, die gerade so weit von ihr entfernt lagen, dass ihre Fingerspitzen sie nicht erreichen konnten. Im Traum versuchte sie verzweifelt, sie mit durstigen Lippen zu schmecken, doch wollte es ihr nicht gelingen. Sie erwachte frustriert und ohne den geringsten Zweifel, wessen prallen Rundungen ihre Fantasie gegolten hatte.
Verschlafen und abgelenkt ließ sie sich von Pip auf dem Schulweg über die neueste ménage a trois in ihrer Klasse berichten. Sie stieß die Tür zum Laden auf und blieb überrascht stehen, als sie drinnen nicht nur ihrer Mutter, sondern auch einer unerwartet verjüngten Cerys begegnete.
»Cerys!«, strahlte Poppy und tauchte aus ihren versponnenen Gedanken auf. »Du siehst toll aus.« Die alte Dame errötete ein wenig und blinzelte verschämt auf ihr farbenfrohes Ensemble.
»Deine Mutter hat mich überzeugt, es mit etwas Lebhafterem zu versuchen.«
Die dumpfen Grau- und Grüntöne waren einer knallroten Jeanshose und einem gestrickten Baumwolloberteil in Rot, Ocker und Blau gewichen.
»Ich habe schon immer gerne in diesen Farben gestrickt, nur nie gewagt, sie auch zu tragen. Und jetzt dachte ich, so etwas verkauft sich vielleicht besser auf unserem Markt.«
Poppy lächelte erfreut. »Dann machst du es also doch?«
»Ich habe lange darüber nachgedacht«, verkündete sie entschlossen, »und ich denke, wir sollten es tun.«
»Richtig so!« Poppy reckte triumphierend die Fäuste.
Cerys nickte. »Aber es wird viel von dir und deiner Mam abhängen.« Der Blick über die Brillenränder war nicht mehr der eines ängstlichen Spatzes, sondern erinnerte Poppy eher an die scharfen Augen eines stolzen Adlers.
»Wir sind dabei, nicht wahr, Mum?«
Ihre Mutter nickte und bekräftigte ihre Zusage mit einem rebellischen Lächeln .
»Oh, da iawn «, freute sich Cerys. »Ich hatte gehofft, du stellst an dem Tag dann mehr Stühle draußen auf und servierst etwas ganz Besonderes. Was das sein könnte, überlasse ich gerne dir, da bist du die Expertin. Was sagst du dazu, Poppy?«
»Ich werde mir etwas überlegen, Cerys.«
»Und natürlich will ich einen eigenen Stand für Emma und ihre Gemälde. Für alle – sogar die düsteren. Ich gewöhne mich langsam an sie. Und ich werde kommunale Fördergelder beantragen, um das Risiko zu decken. Wir haben auch schon ein paar neue Ideen zu kosteneffizienter Werbung.« Cerys trat einen Schritt an die beiden Frauen heran und senkte die Stimme: »Jemand hat mir verraten, dass die Zeitungen immer auf der Suche nach billigem Content sind. Wenn wir der County Times also einen Artikel über den Kunsthandwerksmarkt zuschicken, dann werden sie ihn wohl auch drucken. Und das ist ja keine schlechte Werbung, so für umsonst, was?« Sie stupste Poppy mit dem Ellbogen an.
»Das klingt fantastisch, Cerys. Und wie sieht es mit Montgomery Ice Creams und Aberrhiw Cider aus?«
»Denen muss ich wohl einen persönlichen Besuch abstatten, sagte man mir. Aber ich hoffe, die beiden werden teilnehmen, und noch so einige mehr.«
Poppy lächelte breit. Die Veränderung, die in der kleinen Frau nach einem so denkbar schlechten Start bei dem Treffen am vorigen Abend vorgegangen war, war bemerkenswert.
Cerys rieb sich die Hände. »Ich muss los. Es gibt viel zu tun.«
»Das stimmt, es ist wirklich ein Haufen Arbeit, Cerys«, erinnerte Emma sie sanft. »Glaubst du, du schaffst das wirklich noch rechtzeitig?«
Cerys richtete sich auf und hob das Kinn. »Ich werde es schaffen«, verkündete sie. »Als Rentnerin habe ich jede Menge Freizeit, und noch dazu hatte ich nie einen Ehemann, der mir das Haus in Unordnung bringt. Also kann ich mich ganz auf meine neue Aufgabe konzentrieren. Und jetzt habe ich mit Geraint auch noch jemanden gefunden, der bereit ist, mir mit dem Computerkram zu helfen. Er wird sich um die Flyer und die Website kümmern.«
Poppy war beeindruckt, nicht nur von Cerys’ Verwandlung, sondern auch von Geraints heimlichen technischen Talenten. »Viel Glück, Cerys«, rief sie der munter ausschreitenden kleinen Frau durch die Ladentür nach.
Dann drehte sie sich zu ihrer Mutter um, die ebenso amüsiert schien. Beide Frauen mussten lachen und hielten sich die Hand vor den Mund, damit Cerys es nicht hörte .
»Ich finde das großartig«, sagte Poppy. »Ich hoffe, sie zieht das wirklich durch.«
»Ich auch«, meinte ihre Mutter, wurde dann aber ernst. »Können wir uns den Stand dort denn überhaupt leisten?«
Poppy holte tief Luft. »Gerade noch so. Wir könnten ein reges Sommergeschäft wirklich gebrauchen.«
Emma machte ein besorgtes Gesicht, nickte aber. »Wir müssen es eben versuchen.«
»Genau«, sagte Poppy. »Und ich habe ein gutes Gefühl dabei.«
Beschwingt lief sie die Treppe hinauf, immer noch mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Das Café war leer, bis auf Geraint, der den Mund voller Bara Brith hatte und die Nase in sein Notizbuch steckte. Draußen auf dem Marktplatz konnte Poppy Cerys’ vergnügte Stimme hören. Sie schlenderte zum Fenster, um hinauszusehen.
»Rosalyn«, flüsterte sie.
Da stand sie, in ein angeregtes Gespräch mit Cerys vertieft, und soweit Poppy das beurteilen konnte, mit aufrichtiger Freude bei der Sache. Sie war schöner denn je, den Kopf lachend zurückgeworfen, mit rosigen Wangen und einer Fülle aus glänzend blonden Haaren, die ihr locker gewellt um die Schultern fielen.
Poppy wurde aus Rosalyn einfach nicht schlau. War sie die manipulative Unruhestifterin, als die Nain und Dai sie zu sehen schienen? Oder die außergewöhnliche, blitzgescheite und unnachgiebige Freundin, die Poppy in der Schulzeit bewundert hatte und die heute Cerys Mathews neuen Mut machte? Sie seufzte. Beide Versionen waren umwerfend schön. Sie hätte vor Sehnsucht dahinschmelzen können.
War es das vielleicht? Vernebelte die Lust ihr Urteilsvermögen? Hatte sie schon so lange mit keiner Frau mehr geschlafen, dass die erste attraktive Frau, die ihren Weg kreuzte, nun genügte, um sie in eine sabbernde Idiotin zu verwandeln?
Vielleicht. Aber es ging hier nicht um die erstbeste Frau. Poppy war sicher, dass Rosalyn die schönste Frau war, die sie je gekannt hatte. Und sie wollte sich diese Schwärmerei nun gönnen. So eine Gelegenheit würde sie nicht oft bekommen, und Rosalyn wäre bald schon wieder fort. Sie würde es nie erfahren, und danach müsste Poppy ihre frustrierte Sinnlichkeit wieder an kreativen Desserts ausleben.
Draußen vor dem Fenster lachte Rosalyn.
Poppy musste einfach lächeln, solch ansteckendes Entzücken lag in dem hellen Klang. Rosalyn sprach nicht aus Höflichkeit mit Cerys, sondern mit echter Begeisterung. Ihre ganze Miene leuchtete auf dabei. Heute schien sie sich im Dorf ganz zu Hause zu fühlen. Sie trug lässige Jeans und ein enges weißes Shirt, das bis zum Ansatz ihres Ausschnitts aufgeknöpft war.
Einfach unwiderstehlich. Ihr schönes Gesicht. Ihre Brust.
»Oh, diese Brust«, seufzte Poppy halblaut.
»Was sagst du, Schatz?«
»Mum?« Poppy erschrak. »Ich hab dich gar nicht raufkommen hören.«
Ihre Mutter stand jetzt direkt vor ihr. »Ich dachte, wir trinken einen Kaffee zusammen. Was hast du eben gesagt?«
»Äh …« Poppy überlegte fieberhaft. »Hähnchenbrust«, erklärte sie dann. »Wir sollten Hähnchenbrust auf die Karte setzen. Auf jeden Fall.«
Ihre Mutter schien verwundert. »Aber haben wir Hähnchen nicht schon im Angebot?«
Verdammt. Dieses eine Mal hätte sie die typische Zerstreutheit ihrer Mutter wirklich brauchen können. »Ja«, begann sie hastig, »aber ich würde gerne einen Anbieter aus der Region finden. Das fände ich gut. Schöne regionale Brüste.«
Emma zog die Augenbrauen zusammen und strich Poppy besorgt über die Wange. Dann entdeckte sie die Menschen draußen auf dem Platz und hielt in der Bewegung inne. »Ach so, klar, Brüste.« Sie sah ihre Tochter amüsiert, aber liebevoll an. »Jetzt wird mir klar, warum du so versessen auf regionale Brüste bist.«
Poppys Wangen brannten. Und als ihr klar wurde, in welch flammendem Rot sie sie gerade verrieten, glühten sie noch eine Spur intensiver.
»Vielleicht machst du dir erst mal einen Drink zum Abkühlen«, schlug ihre Mutter lächelnd vor und zog sich diskret ins Erdgeschoss zurück.
»Oh Gott«, murmelte Poppy. Da hatte sich ihre Mutter einen wahrhaft passenden Moment ausgesucht, um ausnahmsweise einmal nicht mit dem Kopf in den Wolken zu stecken.
Mit glühenden Wangen sah Poppy aus dem Fenster. Cerys winkte Rosalyn gerade übermütig zum Abschied. Doch bevor Rosalyn sich zum Gehen wandte, warf sie noch einen Blick zum Café hinauf.
Poppy tat einen erschrockenen Satz rückwärts. Ihr Herz klopfte wie wild. Einen Moment später hörte sie die Ladenglocke und gleich darauf Rosalyns samtweiche Stimme.
»Emma, wie geht’s Ihnen?«
Vorsichtig spähte Poppy durchs Gelände hinunter .
»Rosalyn!« Ihre Mutter klang erfreut. »Danke, sehr gut. Dich muss ich wohl kaum fragen – du siehst fantastisch aus!« Sie breitete die Arme aus und drückte Rosalyn fest an sich.
»Danke. Scheinbar war so ein Kurzurlaub auf dem Land genau das Richtige für mich. Ich wünschte nur, ich hätte einen fröhlicheren Anlass gehabt …«
Emma nahm Rosalyns Hände in ihre. »Wie geht es David?«
»Es geht ihm besser, danke. Natürlich ist er lange noch nicht wieder so fit wie früher, aber er macht echte Fortschritte.«
»Wie schön. Sag Bescheid, wenn wir irgendetwas tun können.«
»Vielen Dank. Eigentlich wollte ich gerade fragen, ob Sie wohl neue Gemälde anbieten?«
»Ja, sicher«, rief Emma überrascht. »Möchtest du sie sehen? Es hat sich nicht so viel verändert, seit du und Poppy damals hier gespielt habt.«
»Sehr gerne. Ich selbst mag die düsteren Bilder am liebsten, aber ich würde auch etwas Fröhliches nehmen, um Dad aufzuheitern.«
Poppy stand perplex auf dem Treppenabsatz. Sie war nicht sicher, welches ihrer Gefühle die Oberhand hatte: Freude über Emmas warmherzige Begrüßung oder Verstimmung, dass Rosalyn nicht wegen ihr da war.
Da klingelte die Türglocke ein zweites Mal und zwei ältere Paare kamen die Treppe hinauf. Poppy wunderte sich über die frühen Gäste und darüber, dass keiner von ihnen zur Stammkundschaft gehörte.
»Guten Morgen!« Sie strahlte die vier an.
Sie sahen sich entzückt im Café um.
»Genau so hübsch wie in der Beschreibung!«, sagte eine der ergrauten Damen.
»Ja, tatsächlich«, stimmte die andere ihr zu.
»Ein Tisch für vier?«, fragte Poppy.
»Ja bitte, Fräulein«, antwortete der ältere Mann. »Wir würden gern Ihren wunderbaren Kuchen und den Ausblick aufs Schloss genießen.«
Poppy freute sich. »Bitte kommen sie mit mir, ich zeige Ihnen gern unsere Auswahl.« Dann zögerte sie kurz. »Und falls Sie Interesse haben: Wir bieten auch Probierteller mit unseren Spezialitäten an.«
»Das klingt verlockend«, antwortete eine der Damen lächelnd.
Jetzt hatte Poppy gar keine Zeit mehr, über Rosalyn nachzugrübeln. Die neuen Gäste waren anspruchsvoll und bestellten ausgiebig. Die Auswahl an Poppys Kuchen schien sie zu entzücken. Poppy servierte zu jeder Tasse Kaffee ein winziges Stück Kuchen auf einer Extrauntertasse, damit die Kaffeetrinker nicht allzu deutlich zugeben mussten, dass auch sie ein Stück Kuchen genossen.
Als die Gäste versorgt waren, wagte Poppy wieder einen Blick aus dem Fenster. Ob Rosalyn schon fort war? Auf dem Marktplatz war kein Mensch zu sehen. Poppy konnte einen Stich der Enttäuschung nicht verhindern.
»Hi«, erklang Rosalyns melodische Stimme hinter ihr.
Die Welt stand still. Die neuen Gäste und das ganze Café schwanden aus ihrer Wahrnehmung. Einzig Rosalyns Wärme neben ihrem Körper zählte noch, ihr Atem dicht an ihrer Wange. »Hi.« Poppy wandte sich um und lächelte.
Rosalyns Züge erhellten sich. »Sorry, dass ich gestern Abend nicht zu dir gekommen bin«, murmelte sie.
»Du warst ja mit Cerys beschäftigt. Da wollte ich nicht stören.«
»Du störst nicht«, flüsterte Rosalyn rau. Ihr Blick verdunkelte sich, und Poppy ergab sich ganz dem wohligen Schwindel, der sie erfasste. Einen Augenblick lang standen beide nur stumm nebeneinander und genossen jede die Nähe der anderen. Poppy hätte dahinschmelzen können.
Rosalyn brach das Schweigen. »Ich wollte wissen, ob du mich noch einmal treffen magst, bevor ich wieder abreise.«
»Mmh.«
»Ich bin nur noch ein paar Tage hier, aber ich möchte dich sehr gern wiedersehen.«
Poppy konnte nur nicken, so hypnotisiert war sie von Rosalyns tiefem Blick und ihren vollen Lippen, die sich erwartungsvoll geöffnet hatten. »Ja«, murmelte sie wie in Trance. »Morgen Abend?«
»Wunderbar.«
Poppy schloss die Augen und genoss Rosalyns Atem so nah an ihrem Mund. Sie schluckte. »Also morgen.«
»Ich hol dich um acht ab.«
Poppy musste sich zusammenreißen, um die Augen zu öffnen. »Okay. Ich warte auf dich.«
»Bis dann«, wisperte Rosalyn ihr zu und war schon die Treppe hinunter, bevor Poppy ganz klar war, worauf sie sich da eingelassen hatte.
Oh Gott. Einen ganzen Abend lang allein mit Rosalyn? Wein, romantisches Ambiente, ungestört zu zweit … Wie um Himmels willen sollte sie da ihre Lust im Zaum halten, wenn es ihr heute nicht einmal fünf Minuten lang gelungen war?