Kapitel 26
Der Tag verlief magisch. Poppys Mutter und Derek übertrafen sich selbst, und Rosalyn widmete sich den neuen Gästen mit professioneller Hingabe. Sie flirtete mit allen, angefangen bei zwei stämmigen jungen Männern bis hin zu einem Vierertisch mit Frauen jenseits der Achtzig, die sich als die weit größere Herausforderung erwiesen.
Es hagelte Komplimente für das heimelige Ambiente und die abwechslungsreiche Speisenauswahl. Poppy kam aus dem Strahlen gar nicht mehr heraus – und strich selbst mehr als ein dickes Lob für ihren liebevollen und herzlichen Service ein.
Als sie schließlich die Tür hinter dem letzten Gast schloss, hatte sie Derek und Emma schon lange in den wohlverdienten Feierabend entlassen können. Sie gratulierte sich dazu, dass es ihr gelungen war, ihre Fassade, gegenüber Rosalyn Thorn hatte aufrechterhalten zu können. Und das, obwohl sie immer wieder auf Tuchfühlung mit den vielfältigen Verlockungen Rosalyns gekommen war.
Insgesamt war das allerdings eine Herausforderung gewesen. So vielen Tagträumereien war sie erlegen! Wie in Trance griff Poppy nach ihrem Kettenanhänger. Ein Schreck fuhr ihr in die Glieder. Sie spürte nichts außer Haut und Stoff – er war fort!
Atemlos sprintete sie die Treppe hinauf. Sie sah sich auf dem Boden des Cafés um, schaute in jede Ecke, danach unter alle Tische. Keine Spur von ihrer Kette. Sie schaute auf den Toiletten nach und ging dann zu einer frenetischen Suche in der Küche über. Dort war jede verfügbare Fläche mit benutztem Besteck, schmutzigem Geschirr, Töpfen und Pfannen bedeckt. Der Anhänger konnte versehentlich an hundert Stellen gelandet sein – unter anderem auch in einem der zahlreichen Abfallsäcke draußen oder im Ausguss eines der drei Spülbecken. Und in Rosalyns Pause hatte sie auch auf der obersten Etage serviert.
Dort machte Rosalyn gerade Ordnung, sammelte letzte Teller ein und wischte die Tische ab. Poppy nahm leise ein paar Stufen der Wendeltreppe, in der Hoffnung, sie könne dort den Boden absuchen, ohne dass Rosalyn es bemerken würde
.
Bevor Poppy aber auch nur angekommen war, wurde es oben ganz still. Es war nichts zu hören, weder klappernde Teller, noch das Zischen der Sprühflasche. Zögernd reckte Poppy den Kopf und stieg höher, bis Rosalyn in ihr Blickfeld geriet.
Sie kniete in einer Ecke und untersuchte gerade voll Sorgfalt ein kleines Objekt. Dabei blitzte eine Kette auf. Poppys Halskette!
Rosalyn starrte auf den Schmuck in ihrer Hand. Sie hatte den Daumen schon in Stellung gebracht, um den Anhänger zu öffnen. Aber noch blieb sie reglos wie in banger Erwartung. Dann gab sie sich einen Ruck und drückte die beiden Hälften auseinander. Und ein Seufzer der Erleichterung entfuhr ihr.
Poppy wusste, was sie dort gefunden hatte – besser gesagt nicht gefunden hatte. Kein Bild, keine aktuelle oder verflossene Flamme, noch nicht einmal ein Familienmitglied. Der Anhänger enthielt auch nach all den Jahren noch immer nichts als den schwachen Abdruck von Rosalyns Finger.
Rosalyn klappte den Anhänger vorsichtig wieder zu und hielt ihn einen Moment lang fest in der Hand. Poppy bereute, dass sie sie heimlich beobachtete, und lief nun hör- und sichtbar die letzten Stufen hinauf.
Rosalyn wurde bei ihrem Anblick blass.
»Deine Kette«, sagte sie. »Sie lag hier.« Sie klang so weich und verletzlich wie an dem Tag, als sie Poppy damals den Anhänger überreicht hatte. »Ich bin froh, dass du sie nicht einfach weggeworfen hast.« Sie lachte freudlos auf. »Ich schätze, ich hätte das an deiner Stelle getan.« Der Blick, den sie Poppy zuwarf, barg hundert widerstreitende Gefühle. Schüchtern trat sie auf Poppy zu. Keine Spur mehr von der vorhin noch zur Schau gestellten Selbstsicherheit.
»Hier«, flüsterte sie und hielt das Silberkettchen hoch.
Poppys Herz floss über angesichts von Rosalyns verwundbarer Schönheit. Egal in welcher Stimmung Rosalyn Thorn auch sein mochte – irgendetwas daran berührte Poppy immer auf besondere Weise.
Poppy hob ihre braune Haarpracht an, damit Rosalyn ihr die Kette um den Hals legen konnte. Sie schloss die Augen, denn sie wagte nicht, Rosalyn ins Gesicht zu sehen.
Als Rosalyn ihr die Kette umlegte, konnte Poppy den Anhänger kühl auf der Haut spüren. Rosalyns Finger berührten ihren Hals, und es kribbelte spürbar.
»Fast geschafft«, wisperte Rosalyn
.
Sie nahm sich Zeit, um die Kettenglieder langsam von Poppys Hals an abwärts glattzustreichen; über das Schlüsselbein, an der oberen Rundung der Brüste entlang bis zu dem vertrauten Anhänger.
Die Aufmerksamkeit, die Poppys Brüsten zuteilwurde, versetzte deren Spitzen auf der Stelle in Habachtstellung. Unwillkürlich stöhnte Poppy leise auf.
Sie hielt den Atem an. Die Reaktion ihres Körpers war unübersehbar. Ihre Wangen liefen dunkelrot an. Sie hielt die Augen fest geschlossen aus Angst vor Rosalyns ablehnender Reaktion. Sie fürchtete, diese stünde ihr bereits ins Gesicht geschrieben.
Sie spürte, wie Rosalyn ihre Hand bewegte, und erwartete bereits, dass sie sie wegziehen würde. Aber das tat sie nicht. Die Hand blieb nicht nur in Kontakt, sie kostete ihn aus. Langsam und zielstrebig wagten sich die Finger weiter vor, erforschten Poppys Dekolleté und umschlossen schließlich die ganze Brust.
Poppy keuchte entzückt auf, als Rosalyns Fingerspitze die Brustwarze umkreiste. Die Folge war selbst durch den Baumwollstoff des Kleides deutlich zu sehen: Während die Knospe sich zusammenzog und aufrecht stellte, durchströmte Poppys ganzen Körper eine ekstatische Lust.
In Sekundenschnelle hatte Rosalyn Poppys Kleid aufgeknöpft und ihre Hand unter das BH-Körbchen geschoben. Die fordernden Finger hatten jetzt ungehinderten Zugang zu dessen Zentrum und reizten es mit einem erregenden Kniff.
Mit offenem Mund stand Poppy reglos da und genoss die Berührung. Das Kleid war ihr vom Körper geglitten. Sie stand vollständig unter Rosalyns Bann, alles andere war aus ihrer Wahrnehmung gewichen. Geist und Körper bebten in sehnsüchtiger Erwartung dessen, was kommen mochte.
Als Rosalyn ihren Griff für einen Moment löste, fürchtete Poppy schon, sie würde aufhören. Aber stattdessen begegneten Rosalyns warme Lippen den ihren in einem leidenschaftlichen Kuss.
Poppy reagierte voll heißem Verlangen. Fieberhaft erkundeten ihre eigenen Hände nun Rosalyns Körper, zerrten ihr das Shirt vom Leib, den BH von den Schultern und berührten schließlich zitternd die nackte Haut der ersehnten, verheißungsvollen Brüste. Als sie den vollen Busen an beiden Handflächen spürte, ging sie stöhnend in die Knie.
Poppy ließ sich von Rosalyn zu einer der gepolsterten Sitzbänke führen. Dort lehnte sie sich weit zurück, warf den Kopf nach hinten und bot ihren Körper
Rosalyn dar. Sie hörte, wie sich Rosalyn rasch ihrer restlichen Kleidung entledigte. Dann spürte sie, wie ein Lufthauch über ihre entblößten Brüste strich und ihr Slip zu Boden gezogen wurde.
Poppy konnte Rosalyn in intimster Nähe spüren – den leichten Kontakt ihrer Brüste mit Rosalyns, den Kitzel von Rosalyns Schenkel zwischen ihren Beinen und Rosalyns erregten Atem. Eine einzige unwiderstehliche Qual.
Dann strichen zwei Finger zwischen ihren Beinen durch.
Als die Finger ihre Feuchtigkeit fanden, sog Poppy scharf die Luft ein. Rosalyn massierte Poppys Lippen mit schnellen, innigen Bewegungen. Immer und immer wieder, bis Poppy es nicht mehr aushielt und sich keuchend gegen Rosalyns Hand presste. Da glitt Rosalyn tief in sie hinein.
Beide stöhnten laut auf. Das Gefühl, ganz von Rosalyn erfüllt zu sein, war überwältigend.
Sie genoss jede erneute Welle der Lust, während Rosalyn sich in ihr zu bewegen begann und schließlich mit dem Daumen sachte ihre Klitoris umkreiste. Poppys Körper spannte sich an und drängte Rosalyn noch weiter entgegen.
Die Finger beschleunigten ihr Tempo und der Druck, den sie ausübten, wurde von Mal zu Mal stärker. Ein lustvoller Schrei entfuhr Poppy. Nach Luft ringend schlang sie ihre Arme um Rosalyns nackten Rücken. Ein köstlicher Schwindel grenzenlosen Genusses erfasste sie. Sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe. Dann aber fanden ihre eigenen Hände den Weg zu Rosalyns glatten Hüften, zur zarten Rundung ihrer Oberschenkel und schließlich in die feuchte Hitze zwischen ihren prall geschwollenen Schamlippen.
Rosalyn bäumte sich stöhnend auf, als Poppy ihr Ziel fand und ihre Finger in sie schob. Beide Frauen suchten ihren Rhythmus und seufzten dann im Gleichklang, bis sich die Anspannung zwischen ihnen in einem fulminanten Höhepunkt entlud. Poppy versank in Ekstase.
Danach lagen sie beide ganz still. Poppy konnte ihre und Rosalyns schwere Atemzüge hören. Die Begegnung war so unerwartet und explosiv verlaufen, dass Poppy nur langsam wieder aus den dunklen Tiefen ihrer Leidenschaft zurückfand. Als sie die Sonne auf ihren Augenlidern spürte, zwang sie sich, die Augen zu öffnen. Im hellen Tageslicht fühlte sie sich auf einmal nackt und ausgeliefert.
Rosalyn starrte sie erschrocken an. »Oh, Poppy«, begann sie. »Das war … das habe ich nicht erwartet. Wirklich nicht.
«
Poppy wurde bei diesen Worten noch unbehaglicher.
Bevor Rosalyn fortfahren konnte, klingelte ihr Handy.
Beide schraken auf und sahen zu dem schrillenden Gerät am Boden. Der aalglatte Chef grinste vom Display herüber.
»Nicht jetzt«, stieß Rosalyn hervor und kickte das Handy ungeduldig mit dem Fuß in die Ecke. Wo es unbeeindruckt weiterplärrte.
Rosalyn sah Poppy unsicher an. »Ich wusste nicht, dass ich dir gefalle. Jedenfalls nicht so. Ich war nicht mal sicher, ob du mich überhaupt magst.«
Das Telefon läutete ohne Unterlass. Poppy konnte an nichts anderes denken als an den intim-wissenden Blick des Mannes, der gerade anrief.
»Oh Gott, jetzt bin ich völlig verwirrt.« Rosalyn legte ratlos die Hand an die Stirn. »Ich wusste wirklich nicht, dass du mich attraktiv findest.«
Mit jedem weiteren Klingeln des Handys brannte sich das Bild des Mannes weiter in Poppys Vorstellung. Seine Gegenwart stand fast greifbar im Raum.
»Poppy, ich hätte nie gedacht …« Rosalyn versuchte, Poppys Miene zu lesen.
Die aber drehte sich weg. Ihr war kalt, und sie fühlte sich schutzlos. Rasch sammelte sie ihre Kleidung auf und zog sich an.
»Ich mach erstmal das verdammte Handy aus«, sagte Rosalyn. Mit einem Satz war sie in der Ecke und brachte das Geklingel zum Schweigen. Unbeeindruckt von ihrer eigenen Nacktheit wandte sie sich wieder Poppy zu.
Die sah die reinste Perfektion vor sich. Straffe Schultern und Arme, ein zart gerundeter Busen, kurvige Hüften, ein flacher Bauch, der wie gemacht war, um geküsst zu werden, und schlanke Beine, zwischen denen der Himmel wartete.
Poppy legte eine Hand über die Augen. Sie wollte nicht zugeben, wie unfassbar schön Rosalyn war. Dies hier konnte nur im Wahnsinn enden.
Ihre Gedanken überschlugen sich – sie stellte sich Rosalyn mit ihrem Chef vor, dachte an deren frühere pubertäre Freunde, an die Verachtung, die ihr Rosalyn damals entgegengeschleudert hatte. Sie konnte das Mädchen von damals einfach nicht mit der Frau übereinbringen, die sie gerade mit solcher Leichtigkeit verführt hatte.
Sie hob den Kopf und warf Rosalyn einen schmerzerfüllten Blick zu. »Ich weiß nicht, warum du das getan hast oder was es für dich bedeutet hat …«. Poppy hielt inne. Etwas schien ihr die Kehle zuzudrücken. »Ich kann dir schlecht vorwerfen, dass du mit jemand anderem zusammen bist, und es passiert mir auch nicht zum er
sten Mal, dass ich als Seitensprung herhalte. Ich hab ja gar nichts dagegen, wenn jemand ein wenig experimentieren will. Aber du
…« Sie schüttelte den Kopf. »Du
kannst mir das doch nicht antun.« Sie sah Rosalyn fest in die Augen, denn es war ihr wichtig, dass sie sie richtig verstand. »Du darfst nicht so mit mir spielen. Nicht du, niemals!«
»Aber Poppy, ich wusste ja nicht mal, dass du auf mich stehst.«
»Aha. Und da wolltest du mal ein paar Knöpfe drücken, um sicherzugehen, oder was?«
Rosalyn sah sie bestürzt an. »Aber so war es doch gar nicht. Klar, es war überraschend, aber …« Rosalyn schnappte nach Luft, brachte aber kein Wort mehr heraus. Nervös fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar. »Ich muss mir wohl erst mal was anziehen.«
Rosalyn suchte ihre Sachen zusammen, streifte Slip und BH, Jeans und Bluse über. Dann zog sie einen Stuhl heran, setzte sich Poppy gegenüber und sah unglücklich aus. Ihr Blick wanderte unstet im Raum umher. »Ich weiß gar nicht …«, begann sie schließlich, »wo ich anfangen soll.«
Kummer überwältigte Poppy. Die Tränen schossen ihr heiß in die Augen. »Vielleicht damit, wie du mir mit sechzehn das Herz gebrochen hast«, stieß sie heftig hervor. »Vielleicht damit, wie du es mir aus dem Leib gerissen und zwei Jahre lang darauf herumgetrampelt hast, so dass ich mich ein Leben lang nicht davon erholen konnte.« Sie senkte den Kopf. »Ich hab immer geglaubt, an mir wäre irgendetwas schrecklich Abstoßendes. Erst vor Kurzem wurde mir klar, dass du mich vermutlich abserviert hast, weil ich lesbisch bin. Aber dann kommst du her und willst meine Freundin sein. Und dann verführst du mich!« Ihr Herz pochte bis zum Hals. »Und jetzt verlässt du mich wieder.«
»Poppy, nein!« erwiderte Rosalyn schockiert. »So war das überhaupt nicht. Na ja, ich kann mir schon vorstellen, warum du das glaubst, aber …« Sie machte eine hilflose Geste und seufzte schmerzerfüllt. »Oh je, was für ein Schlamassel!«
Poppy musste schlucken. Hier saß Rosalyn, die sie vergötterte und begehrte, die sie so tief berührte und der sie sich so bereitwillig hingegeben hatte. Rosalyn, die ihr eine Minute später schon wieder fremd und unbegreiflich war.
»Ich habe einen Riesenfehler gemacht, Poppy«, sagte Rosalyn leise. »Einen furchtbaren Fehler.« Ihre Hände zitterten und verkrampften sich. »Ich kann kaum fassen, was ich getan habe.
«
Sie schaute Poppy flehend an.
Das Geräusch eines Schlüssels im Schloss und das vertraute Kratzen der Ladentür auf dem alten Boden hallten durchs Café.
»Poppy?«, rief Emma herauf. »Brauchst du Hilfe beim Aufräumen?«
Beide schraken zusammen und überprüften automatisch den Sitz ihrer Kleidung.
Poppy sah Rosalyn nicht an. »Du solltest gehen« sagte sie.
»Poppy, bitte! Wir müssen reden.« Rosalyn streckte die Hand nach Poppy aus, aber die drehte sich abrupt weg.
»Nun geh schon. Ich will nicht, dass Mum mich so sieht.« Poppy wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und setzte eine steinerne Miene auf. »Verschwinde.«
»Poppy, ich muss—«
»Nein!« Sie sprang auf und hastete die Wendeltreppe hinunter, um rechtzeitig in die Küche verschwinden zu können. Über dem dampfenden Spülwasser hatte sie wenigstens einen Grund für ihr gerötetes Gesicht mit den Tränenspuren darin.
Ihr Herz klopfte so laut, dass sie nicht einmal mehr hörte, wann Rosalyn ging oder ob sie auf dem Weg hinaus noch mit Emma sprach.