Kapitel 35
»Wessen Superidee war es eigentlich, meinen Junggesellenabschied auf den gleichen Tag zu legen wie den Kunsthandwerksmarkt?«, grummelte Dai. »Ich bin jetzt schon todmüde.«
»Tja, mein lieber Schatz«, antwortete Mary und kniff ihm in die Wange. »Das warst du selbst.«
Poppy kicherte. »Da hatte wohl jemand unterschätzt, wie groß der Markt ausfallen würde.«
»Das haben wir alle«, meinte Mary. Sie warf ihre Tasche in den Wagen, den sie vor dem Dorfladen geparkt hatte.
Dai trat nervös von einem Fuß auf den anderen. Vermutlich machte ihm die Aussicht auf eine Horde Rugbyspieler zu schaffen, die nichts anderes im Sinn hatte, als den werdenden Bräutigam zu verspotten.
»Das hat er sich alles selbst zuzuschreiben«, sagte Mary streng. »Bring ihn mir bitte nur in einem Stück zurück, das wäre nett.«
»Ich versuch’s«, lachte Poppy. »Aber nach Mitternacht ist er auf sich gestellt.«
»Klingt nur fair«, entgegnete Mary und betrachtete ihren Verlobten mit einer Mischung aus Belustigung und Besorgnis. »Gut, dass morgen noch nicht die Hochzeit ist. Der wird in einem schönen Zustand sein!«
»Vermutlich.« Poppy zögerte kurz, fragte dann aber doch nach der Feier in Alan Watkins’ Hotel. »Wie läuft es denn mit den Vorbereitungen?«
»Super«, sagte Mary. »Meine ganze Familie hat schon Zimmer im Hotel gebucht. Die Zeremonie findet dort statt, und das Essen ist auch schon bestellt. Jetzt muss ich nur noch ein Kleid finden und den da …« Sie nickte Dai zu. »… den da noch einen Monat lang bei der Stange halten.« Sie lachte. »Ta-ra, Poppy. Und bis morgen früh, Dai. Für dich hab ich in jedem Zimmer einen Eimer aufgestellt.« Damit stieg sie ins Auto und entschwand.
»Alles klar?«, fragte Poppy.
»Ich hab Angst«, gab Dai zu .
»Das solltest du auch. Bis Mitternacht kümmere ich mich um deine Vitalzeichen. Danach haben die Jungs dich dann aber für sich.«
»Oh nein – warum machen Menschen das nur?«
Poppy hakte ihn unter. »Ach komm, die erste Hälfte des Abends wird lustig. Nur wirst du leider in der zweiten Hälfte die erste bitter bereuen!«
»Oh Mann, ich freu mich gar nicht auf morgen früh!«
»Ich bring dir ein schönes warmes Frühstück vom Café.«
»Danke. Und genau deshalb bist du auch mein bester Kumpel!« Arm in Arm machten sie sich auf den Weg.
»Pass auf, dass ich es nicht übertreibe, ja?«, bat Dai, als sie den Pub erreichten, einen Fachwerkbau am Ende der kurvenreichen Straße auf halbem Weg zwischen Wells und dem Jenkins-Haus.
»Na, wir werden sehen.«
Sie öffneten die Tür und standen direkt vor der Bar. Das Haus war alt und die Decken niedrig. Dai musste sich bücken, um nicht mit dem Kopf gegen den Deckenbalken zu stoßen. Dann begrüßten über zwanzig Rugbyspieler sie mit starker Stimme und je mindestens einem Pint Bier in der Hand. Unter allgemeinem Jubel und Pfiffen präsentierte Brenda Gethin, die muskulöse Frau hinter der Theke, Dai ein bis zum Rand gefülltes Yard-Of-Ale.
»Dai, Dai, Dai«, feuerten ihn seine Sportskameraden an – so lange, bis er der grinsenden Brenda das kindshohe Trinkglas aus der Hand genommen hatte. Dai kniete sich hin, um es in dem niedrigen Raum überhaupt trinken zu können, und drehte es so, dass der Inhalt zumindest großteils in seinem Mund landete anstatt in seinem Gesicht.
Dann erhob er sich und reckte das leergetrunkene Glas triumphierend in die Höhe. Wieder brandete ihm Jubel entgegen. »Noch eins!«, riefen alle im Chor.
»Oh nein«, murmelte Dai theatralisch.
Poppy, die ungefähr halb so groß war wie die anderen geladenen Gäste, wechselte nach dem ersten Pint Bier zu »Gin-Tonic«, von dem nur Brenda wusste, dass es nichts anderes als Wasser war.
Als es später wurde, füllte die Bar sich merklich. Ortsansässige strömten herein, und bald war fast jeder Quadratmeter besetzt mit großen Männern, die nach Schweiß und Bier rochen. Poppy rettete sich ans Ende der Theke zu Brenda. Sie lehnte sich gegen die Abtrennung vom größeren Schankraum und nippte an ihrem Drink .
»Ich muss mich mal verstecken«, wisperte ihr Dai ins Ohr. Der Hüne drängte sich neben sie und versuchte, sich möglichst klein zu machen. Mit dem Ärmel wischte er sich den Schweiß von der Stirn. »Ich brauch 'ne Pause – nach sechs Pints. Ich bin anscheinend ganz aus der Übung.«
»Ich hol dir mal was ohne Alkohol«, erklärte Brenda und begann gleichzeitig eine Runde, um die Gäste im Schankraum zu bedienen.
»Du hast schon sechs Pints getrunken?«, fragte Poppy erstaunt, denn er klang noch überraschend klar. »Die gleiche Menge würde mich vermutlich umbringen.«
Dai lachte leise. »Das war doch erst der Anfang!«
Eine schneidende Stimme drang durch das Gewirr zu Poppy durch: »Diese blöde Lesbe ist wieder zurück.«
Poppy erstarrte. Der boshafte Kommentar kam vom Schankraum um die Ecke. »Die bescheuerte Kuh sollte sich raushalten. Die hat was gegen Alan.«
Dai legte schützend seine Hand auf Poppys Arm. »Sie sprechen nicht von dir. Bestimmt von Rosalyn. Das scheint sich schon rumgesprochen zu haben.«
Poppy lehnte sich vorsichtig zurück und lugte um die Ecke. Inmitten einer Männergruppe erkannte sie Glyn Owen als den Sprecher. Er und die anderen gehörten zu Alans Gefolgschaft, der selbst aber nicht zu sehen war.
»Welches Recht hat diese Kampflesbe, sich einzumischen und hier alles durcheinanderzubringen?«, fuhr Glyn großsprecherisch fort. »Soll sie doch nach London verschwinden mit all den anderen verdammten Freaks!«
Seine Kumpanen murmelten zustimmend.
»Das hab ich ihr auch gesagt«, verkündete Glyn. »Ich bin zu ihr hin und hab ihr gesteckt, wohin sie sich verpissen soll.«
»Ach, ist das so?« Brenda hatte sich mit ihrer kraftvollen Statur vor Glyn aufgebaut und starrte ihn an. »Und was hat sie dir wohl geantwortet? Das hab ich nämlich gehört – und gesehen, wie du dich aufgeplustert und den großen Macker markiert hat. Hast versucht, sie aus dem Weg zu schubsen.«
Glyn war ob dieser unvermuteten Zeugin kurz der Wind aus den Segeln genommen. Dann wurde er wieder laut: »Na, die musste sich auf Drohungen verlegen. Hat behauptet, sie tritt mir in die Eier, wenn ich ihr nicht aus dem Weg gehe. Sie hat natürlich geschraubter geredet: Testikel
»Wenn du mich derart grob gegen die Brust gestoßen hättest, hättest du jedenfalls nicht erst eine so höfliche Warnung bekommen – sondern gleich mein Knie zwischen die Beine!«, ereiferte sich Brenda .
Die Leute um sie herum kicherten, und Glyn grummelte: »Die alte Lesbe hatte es ja nicht anders verdient.«
»Genug jetzt, Glyn Owen!«, befahl Brenda scharf. »Wenn ich noch ein Wort von diesem Mist über Lesben oder Rosalyn Thorn höre, dann schmeiße ich dich eigenhändig raus. Und das gilt für euch alle!«
Glyn verstummte beleidigt, und Brenda kam zu Poppy zurück.
»Sorry, dass du das hören musstest, Poppy«, entschuldigte sie sich. »In meinem Pub dulde ich so ein Geschwätz nicht.«
»Danke, Brenda«, erwiderte Poppy. »Es ist nicht deine Schuld.« Sie lächelte der Barfrau schwach zu, kochte aber innerlich vor Wut, weil man Rosalyn bedroht hatte. Dann wurde sie blass vor Scham: Hier ging es um genau die Art von Einschüchterung, die Rosalyn vorhergesehen hatte.
»Ich weiß, ganz furchtbar«, murmelte Dai und drückte ihr die Hand. »Aber die Jungs lassen hier doch nur ein bisschen Dampf ab. Lass dich davon nicht ärgern.«
»Es ärgert mich aber, Dai«, widersprach Poppy. Nach all den Vorträgen, die sie Rosalyn über ihre ach so tolerante Nachbarschaft gehalten hatte, schmerzte es umso mehr, jetzt deren dunklere Seite präsentiert zu bekommen. »Warum tun sie das, Dai?«, fragte sie gequält. »Warum werfen sie Rosalyn ihre Sexualität vor, wenn sie Alans Geschäfte anzweifelt? Warum befeuern sie die alten Vorurteile, nur um Zustimmung für ihr Ego zu heischen?«
Dai seufzte. »Sie meinen es nicht böse. Es ist eben am einfachsten, so zwischen ›uns‹ und ›denen‹ zu unterscheiden. Sie würden das niemals über dich sagen. Es geht bloß um Rosalyn. Die hat einfach so eine Art, die Leute gegen sich aufzubringen.«
»Warum sagen sie das dann nicht? Warum bringen sie keine Argumente gegen ihre Urteile und Vorwürfe, anstatt sie dafür anzugreifen, wer sie ist?«
»Ja, du hast ja recht … aber du weißt doch, sie war schon immer echt nervtötend. Die ganze Familie ist unbeliebt, seit sie uns Rhiw Hall gestohlen haben.«
Poppy sah ihren Freund streng an. »Dai, das hätte ich jetzt aber nicht von dir gedacht. Die Thorns haben das Herrenhaus zu einem fairen Preis erworben. Ich kann dieses ewige ›hätte eine Familie von hier sein sollen‹ nicht mehr hören. Wenn der alte Lloyd das Haus an jemanden aus Wells hätte verkaufen wollen, dann hätte ihn niemand davon abgehalten. Hat er aber nicht. Er hat es an David Thorn verkauft und gutes Geld dafür bekommen. «
»Aber sie haben sich nie angepasst«, begehrte Dai auf. »Diese Familie hat sich nie Mühe gegeben, Teil der Gemeinschaft hier zu werden. Wer hat David oder Lillian je hier gesehen, hm? Und Rosalyn, unsere Eisprinzessin aus der Schule?« Er schnaubte abfällig.
Poppy war empört. »Nicht jeder trägt auf dieselbe Weise zu einer Gemeinschaft bei. Wir beide haben Geschäfte, die der Ort und die Region brauchen, und wir führen sie so, dass sie allen nützen. Das stimmt. Aber es ist wohl kaum die einzig mögliche Art, einander zu helfen!«
»Dann sag mir doch mal, Poppy«, entgegnete Dai schärfer, »wer im Vergleich besser abschneidet: jemand wie Alan Watkins, der mir einen Freundschaftspreis für meine Hochzeitsfeier macht, der Cerys beim Kunsthandwerksmarkt helfen wollte und der immer ein offenes Ohr für Leute aus Wells hat, die geschäftliche Tipps brauchen? Oder jemand wie Rosalyn und David Thorn?«
Das machte Poppy wirklich wütend. »Was für einen Beitrag leistet ein Herzchirurg? Ist es das, was du mich fragst?«, zischte sie. »Jemand, der hier seit Jahrzehnten Hunderte von Menschenleben rettet? Oder was leistet eine Fundraiserin für soziale Projekte, die Geld für sauberes Wasser in ärmeren Ländern auftreibt und damit Tausende von Menschenleben rettet? Ernsthaft?«
Dai schaute sie zweifelnd an.
»Und …« fuhr Poppy fort, die sich in Rage geredet hatte. »Ich weiß aus verlässlicher Quelle, dass Rosalyn weit mehr als Alan zum Markt heute beigetragen hat. Tatsächlich …« Poppy unterbrach sich, um nicht noch mehr gegen Alan zu wettern. »Eins kann ich dir sagen«, fuhr sie in ruhigerem Ton fort. »Rosalyn lag bislang bei vielen Dingen genau richtig. Nein, sie hat nicht unser versöhnliches Wesen und keinerlei Geduld mit törichten Menschen – und sie stammt auch nicht von stolzen walisischen Ahnen ab. Aber wenn du Alan Watkins eher glaubst als ihr, dann irrst du dich! Und selbst wenn die Thorns auf Rhiw Hall nie irgendetwas anderes gemacht hätten als englische Rosen zu züchten, dann rechtfertigt das noch lange nicht diese idiotischen Anschuldigungen, sie würden nicht genug zur Gemeinschaft beitragen. Mir fällt auf die Schnelle ein Dutzend walisische Familien ein, die sich nirgends öffentlich engagieren, und das ist auch wirklich ihre Sache. Also ja, ich nehme es persönlich, wenn hier jemand homophob ist, insbesondere wenn du das anschließend mit Fremdenhass zu rechtfertigen versuchst!«
»Poppy?«, fragte Dai sanft .
»Ja?«
»Bist du fertig?«
»Ja.«
»Wie lange bist du schon in Rosalyn verliebt?«
Poppy schnappte kurz nach Luft. »Ich bin nicht in Rosalyn verliebt«, stieß sie dann hervor und wurde rot.
»Ganz sicher?«, fragte er ernsthaft.
»Warum fragst du das?«
»Ach, ich weiß nicht …« Er lächelte.
Poppy verschränkte die Arme und wandte den Blick ab.
»Sie ist dir immer schon unter die Haut gegangen, nicht wahr?«
»Was soll das heißen?«, fragte Poppy gereizt.
Dai lächelte sie an. »Du bist einer der liebenswertesten Menschen, die ich kenne. Du hast für jeden Zeit und ein freundliches Wort, und du vergibst jedem alles, ganz egal. Nur nicht bei Rosalyn … Die bringt dich im Handumdrehen auf die Palme. Aber wehe, irgendjemand anders wagt es, etwas gegen sie zu sagen! Der bringt deinen gerechten Zorn über sich.«
Poppy sah zu Boden. »Ich finde einfach, die Leute sind oft nicht fair zu ihr. Klar, sie tut sich auch selbst keinen Gefallen. Aber aus Bigotterie soll sie hier keiner schlechtmachen!«
»Und das ist alles?«
»Ja.«
»Na dann ist ja gut … Denn es wäre wohl die Hölle auf Erden, in eine Frau verliebt zu sein, die dich dermaßen wahnsinnig macht. Oder?«
»Ja.« Poppy schluckte. »Das wäre es.«