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Daniel
Als Nadia zwei Tage nachdem er sie zum ersten Mal gesehen hatte morgens in Daniels U-Bahn-Waggon stieg, schickte er zuerst dem Universum, oder vielleicht seinem Dad oder wer immer dort oben war, einen Dank dafür, dass sie ihm diesen wirklich sehr brauchbaren Gefallen taten, und dann eine rasche, hämische Nachricht an Lorenzo.
War sie diese ganze Zeit in der Northern Line gewesen? (Ja.) Warum bemerkte er sie erst jetzt? (Er war in seiner eigenen, trauererfüllten Welt verhaftet gewesen.) Er wusste, dass er deswegen etwas unternehmen musste. Er hatte nicht aufhören können, an sie zu denken, und war in der darauffolgenden Woche sogar noch einmal zurück zu demselben Lunchplatz gegangen, um zu sehen, ob sie regelmäßig dort war, was ein bisschen übertrieben, aber trotzdem die Wahrheit war. Natürlich war sie nicht da. Das wäre zu viel erwartet gewesen.
Sie in der U-Bahn zu sehen, fühlte sich an, als würde er eine zweite Chance bekommen. Am nächsten Tag hielt er nach ihr Ausschau, und dann am Tag danach und danach – begierig sehnte er sich nach seiner dritten und vierten Chance. Die U-Bahn-Züge waren sehr lang, und auf dem Bahnsteig wimmelte es von Menschen, und natürlich konnte er sich nicht sicher sein, dass sie nicht einen der anderen Züge genommen hatte, die jeden Morgen durch den Bahnhof schossen. Sie könnte in dem um 7.28 Uhr oder 7.32 Uhr oder dem um 8.00 Uhr oder 6.00 Uhr gewesen sein. Die Leute hielten nicht immer denselben Zeitplan ein, so wie er. Daniel war in vielerlei Hinsicht krankhaft pedantisch und lebte von Routine und Sicherheit. Aber dass Nadia in demselben Zug war wie er, wenn auch nur dieses eine Mal? Er entschied, darin ein Zeichen zu sehen.
Insgesamt hatte er Nadia (auch wenn er sich nicht wirklich entscheiden konnte, wie er sie nennen sollte. Nadia war schließlich ihr Name, aber da sie einander nie förmlich vorgestellt worden waren, schien es, selbst in seiner Fantasie, anmaßend, sie so zu bezeichnen. Aber andererseits, warum sollte er sie die »Frau im Zug« nennen, wenn er ihren Namen kannte? Es war verwirrend und bedeutete hauptsächlich, dass er sich einfach nur ihr Gesicht vorstellte) siebenmal gesehen, immer gegen 7.30 Uhr, immer ein bisschen gehetzt auf die Art »viel beschäftigte berufstätige Frau«. Dreimal war sie in seinem Waggon gewesen, einmal hatte er sie an der Angel Station auf dem Bahnsteig gesehen und dreimal auf der Rolltreppe in London Bridge. Zweimal glaubte er, sie in der Gegend um den Borough Market gesehen zu haben, aber sie war es nicht, es war nur sein Wunschdenken.
Wenn er sie sah, hatte sie immer ihr Handy in der Hand, aber im Gegensatz zu vielen anderen Pendlern trug sie auf der Fahrt keine Kopfhörer, um Musik zu hören. Daniel wusste, wenn er sie eines Tages aus heiterem Himmel ansprechen sollte, würde sie ihn wenigstens hören können. Aber er wollte es nicht vermasseln. Er war besorgt, dass er, wenn er sie in einer überfüllten U-Bahn – einem Ort, der notorisch gesprächsfeindlich war, wo man allein schon mit einem Lächeln auf den Lippen geistesgestört aussehen konnte – einfach ansprechen würde, als schmierig und pervers gelten könnte. Eine Frau hatte jedes Recht, zur Arbeit zu fahren, ohne Avancen von Männern abwehren zu müssen, die sie heiß fanden. Das wusste er. Er wollte ihr ein aufmunterndes Nicken schenken, damit sie ihm zu verstehen geben könnte, ob sie ebenfalls interessiert war. Es war Lorenzo, der gewitzelt hatte, Missed Connections sei der richtige Ort dafür. Lorenzo hatte nur herumgealbert, aber sobald er es vorgeschlagen hatte, wusste Daniel, dass das der Weg war, auf dem er die Aufmerksamkeit dieser Frau gewinnen wollte. Er hatte schon ein paarmal gesehen, dass sie die Zeitung las. Es könnte genau das Richtige sein.
»Aber warum diese Frau?«, fragte Lorenzo. »Das verstehe ich nicht. Du kennst sie doch gar nicht!«
Wie könnte Daniel Lorenzo erklären, dass er, mehr als alles andere, einfach dieses Gefühl hatte?