13
Daniel
»Komm schon, Mann – du wirst Verstärkung brauchen. Ich bin ein toller Begleiter! Du weißt, dass ich ein toller Begleiter bin!«
Lorenzo fuchtelte mit seinem gebutterten Toast herum, während er in Boxershorts in der Küche stand. Er hatte keine Hemmungen, halb nackt zu sein. Um genau zu sein, hatte er nicht einmal Hemmungen, völlig nackt zu sein. Als Daniel eingezogen war, hatte er Lorenzo eines Samstagnachmittags splitterfasernackt vor dem Fernseher angetroffen. Er war kein bisschen verlegen, als Daniel an ihm vorbei in die Küche ging. Danach hatte Daniel ein Machtwort gesprochen, was nackte Haut auf irgendwelchen Möbelstücken betraf, und Lorenzo hatte anfangs protestiert, sich letztlich aber gefügt. Wenn Daniel vereinzelte Schamhaare auf dem Couchtisch gefunden hätte, hätte er seinen Mitbewohner mit Vergnügen erwürgt, in der sicheren Annahme, dass das Gesetz auf seiner Seite wäre. Wie könnte es das nicht sein? Gemeinsame Wohnräume waren nicht für nackte Ärsche gedacht.
»Aber ich gehe nicht deshalb hin, weil ich wirklich verkuppelt werden will«, erklärte Daniel zum siebten Mal, während er nach seinen Schlüsseln griff. »Ich gehe hin, weil diese Frau, diese Gaby, sehr überzeugend war und ich vor Michael nicht schlecht dastehen will, indem ich unhöflich bin. Vielleicht schafft es Michael ja sogar selbst, pünktlich zu sein, dann habe ich schon einen Begleiter.«
Er ging zur Wohnungstür, überprüfte auf dem Weg sein Aussehen im Spiegel. Lorenzo folgte ihm. Daniel versuchte, nicht an die Krümelspur zu denken, die er hinterließ.
»Ist es nicht unhöflicher, hinzugehen und dieses Mädchen abblitzen zu lassen, als gar nicht hinzugehen?«, fragte Lorenzo mit vollem Mund.
»Sag nicht Mädchen. Sie ist erwachsen. Sie ist eine Frau.«
»Halt den Mund. Mädchen sind … Mädchen. Und ich komme mit. Ich hole dich gegen sechs von der Arbeit ab? Okay?«
»Ich schicke dir eine Nachricht«, sagte Daniel, während er die Tür hinter sich schloss. »Lass mich darüber nachdenken.«
Er hatte nicht die Absicht, darüber nachzudenken.
Es war der Tag der Party, und Daniel fühlte sich seltsam angespannt. Er war entschlossen, seinen Rushhour-Schwarm zu verführen, nicht diese Frau auf der Party. Jedes Mal, wenn er wegen seines Dads traurig war, versuchte er, sich vorzustellen, was er ihm über sie erzählen würde, über Nadia, diese Frau im Zug, und über die Nachrichten, die sie sich geschrieben hatten – er führte gewissermaßen im Kopf ein Gespräch mit seinem Dad, das nett und positiv war, anstatt sich hundeelend zu fühlen, weil er nicht mehr da war.
Und er konnte es kaum erwarten, auch seiner Mum etwas Nettes zu berichten, etwas, was ein bisschen aufregend und hoffnungsvoll war, anstatt dass sich ihre ganzen Gespräche um etwas drehten, was keiner von ihnen unter Kontrolle hatte. Daniel wünschte oft, er hätte einen Bruder, einen Kumpel, mit dem er sich über dieses ganze Familienzeug klar werden könnte. Aber den hatte er nicht. Am ehesten wie ein Bruder war für ihn sein Cousin Darren, der das, wie er es nannte, »verregnete und verdammt elende« England satthatte, mit einem Visum für Leute unter dreißig nach Australien gegangen war, wo er einen Typen kennenlernte, den er später heiratete. Sie lebten in Sydney und posteten auf Facebook Fotos von sich auf Wochenend-Grillpartys, beide muskelbepackt und braun gebrannt und mit der gleichen Sonnenbrille, die einem von ihnen (Darrens Ehemann) stand, aber nicht dem anderen (Darrens Kopf war ein bisschen zu schmal für solche Sonnenbrillen).
Es war ein seltsamer Tag, und auf dem Weg zur U-Bahn und dann später, während der Zug in Richtung Angel Station schoss, ging Daniel der Gedanke durch den Kopf, dass er sich nur dann vor der Party drücken könnte, wenn sie da war, im Zug. Er entschied, dass das sein Zeichen sein würde, um seinen Mut zu sammeln und zumindest Blickkontakt aufzunehmen, und wenn er das tun konnte, dann könnte er bei der Party einfach nicht auftauchen. Aber auf dem Bahnsteig sah er sie nicht, und sie stieg definitiv nicht in seinen Waggon ein. Bis er an seiner Station ausstieg, um zur Arbeit zu gehen, war er sich sicher, dass er keinen Fingerzeig vom Universum oder irgendeiner höheren Macht bekommen hatte, daher schickte er Lorenzo eine Nachricht: Okay, na schön, hol mich um sechs ab
.
Lorenzo schrieb prompt zurück, mit zwei Bier-Emojis und einem Smiley.
Romeo war an diesem Morgen nicht am Eingang, daher hatte Daniel keine Ausrede, um seine Schritte zu verlangsamen und sein Liebesleben mit dem Mann zu erörtern, der immer mehr zu dem einzigen Menschen wurde, der mit ihm vernünftig über … na ja, über alles eigentlich redete. Der Stich der Enttäuschung, den er dabei verspürte, rief ihm in Erinnerung, dass er auch seine Freunde von der Universität – die, mit denen er sich früher am Wochenende auf ein Bier oder zum Dinner getroffen hatte – seit einer Weile nicht mehr gesehen hatte. Er war dreißig, fast einunddreißig, und jeder, den er kannte – abgesehen von Lorenzo –, hatte das Zentrum von London verlassen, um eine Familie zu gründen – oder um zumindest anzufangen, darüber nachzudenken, vielleicht darüber nachzudenken, eine Familie zu gründen.
Er ging nicht mehr jedes Wochenende zu einer Hochzeit – das hatte vor ungefähr zwei Jahren allmählich aufgehört, als er seine letzte ernste Beziehung hatte, mit Sarah, die ihn wegen eines Typen in ihrer Arbeit verlassen hatte, der ohne jede Ironie eine Weste trug. Stattdessen verbrachte Daniel jetzt viel Zeit bei Taufen und ersten Geburtstagen in den Cotswolds oder Kent oder, bei seinen Freunden Jeremy und Sabrina, Milton Keynes. Aber nie einfach im Pub nach der Arbeit.
Seine Gruppe hatte sich, in vielerlei Hinsicht, ohne ihn weiterentwickelt.
Zehn Jahre lang hatten sie einander Brüder genannt und sich »Bruder vor Luder« geschworen. Daniel dachte, dass es vielleicht von etwas schlechtem Geschmack zeugte, die Frauen, mit denen sie gingen, Luder zu nennen, aber nichts reimte sich auf »Junge Frauen mit Träumen, Hoffnungen, Ehrgeiz und einer guten Portion Humor«. In ihren Zwanzigern schworen er und seine Kumpel einander, sie seien Familie, aber binnen weniger Jahre, vielleicht sogar noch schneller, hatten sich alle bis auf Daniel abgenabelt und richtige, staatlich anerkannte Familien gegründet. Sams Ehefrau hatte sogar seinen Namen angenommen, was einen seltsamen Keil zwischen sie und die anderen Frauen und Freundinnen in ihrer Gruppe getrieben hatte. Sie hatten alle gesagt, es sei nicht feministisch, aber dann hatte Rashida sie angeschrien, bei ihrem Feminismus ginge es um Wahlfreiheit, und sie müssten einen Blick in den Spiegel werfen, wenn sie ihr sagen wollten, was sie tun sollte und was nicht. Daniel war sich nicht sicher, was er davon halten sollte. Er hatte keine Ehefrau, über die er sich den Kopf zerbrechen musste.
Auf dem Weg hoch zu seinem Büro zückte er sein Handy, um der WhatsApp-Gruppe seiner Kumpel eine Nachricht zu schicken: Hey, Leute, wir müssen uns alle bald mal wieder treffen. London, an einem Samstagnachmittag? Oder vielleicht sogar irgendwo ein Airbnb?
Im Laufe des Vormittags bekam er eine Flut von Nachrichten. Sechs seiner Kumpel in dem Thread waren dafür zu haben. Daniel fragte sie, ob es verrückt sei, dieses Wochenende vorzuschlagen. Es war kaum noch möglich, irgendetwas Spontanes zu unternehmen, jetzt, wo sie alle Verpflichtungen hatten. Aber Terrence sagte, seine Frau sei am Wochenende beim Junggesellinnenabschied ihrer jüngsten Schwester, daher könnten sie alle bei ihm pennen, und das machte es leichter. Manche konnten nur für den Freitag kommen und manche nur für den Samstag, aber alles in allem waren sechs Leute eine verdammt gute Beteiligung.
Daniels Stimmung hob sich genug, um anzufangen, sich auf die Party am Abend zu freuen. Es konnte alles gut laufen, dachte er, wenn er es zuließ. In der Mittagspause ging er aus und ließ sich den Haaransatz trimmen und spritzte sich im Aesop-Store ein bisschen Hwyl-Parfüm auf: Auf der GQ
-Website hatte er gelesen, dass das der Duft war, den jeder Hipster tragen sollte. Er dachte, wie viel besser er sich damit fühlte, dass er bei seinem eigenen Glück Initiative zeigte. Er kannte nicht viele Leute, die nach den Dingen griffen, mit denen sie sich gut fühlten – er kannte viele Leute, die einfach nur herumsaßen und darauf warteten, dass das Leben ihnen passierte. Romeo schien Initiative zu zeigen: Das war der Grund, weshalb er ihn mochte. Daher traf es sich gut, dass er in der Lobby war, als Daniel von seiner Mittagspause zurückkam. Daniel freute sich, ihn zu sehen.
»Gut siehst du aus, mein Freund«, sagte Romeo, was fast wortwörtlich das war, was er jeden Tag sagte. Und dann ergänzte er: »Und du riechst gut. Ist das dieses Aesop-Zeug?«
»Du sagst es«, antwortete Daniel und stieß im Vorbeigehen mit seiner Faust gegen Romeos.
»Du hast ja heute einen so beschwingten Gang, hm?«
Daniel blieb stehen und wandte sich um. »Romeo, ich habe entschieden, dass heute ein toller Tag ist.«
»Das ist die richtige Einstellung, Daniel. Mann, du hast recht. Du inspirierst mich, Mann!«
Daniel zwinkerte ihm zu. Er fühlte sich selbst inspiriert.
»Und sie hat dir zurückgeschrieben, habe ich gesehen. Könnte das vielleicht etwas mit dieser wundervollen Stimmung zu tun haben?«
Daniel schnellte auf dem Absatz herum und starrte Romeo an. »Was? Ich habe die Zeitung heute noch gar nicht gesehen. Ich war so beschäftigt damit, sie im Zug zu suchen, dass ich gar nicht daran gedacht habe, sie in der Zeitung zu suchen!«
Romeo warf Daniel vom Empfangstresen ein Exemplar der Zeitung von diesem Morgen zu. Daniel schlug prompt die richtige Seite auf, las die Nachricht und stand dann da und grinste Romeo an.
»Daniel?«, sagte Romeo schließlich.
»Ja?«, sagte Daniel verträumt. Sie hatte ihn gesucht! Im Zug!
»Steh nicht hier herum, geh und schreib ihr zurück!«
Daniel lächelte noch breiter, falls das überhaupt möglich war.
»Bin schon dran«, sagte er, richtete, mit dem Daumen in der Luft, einen Finger auf Romeo und krümmte ihn leicht, als würde er auf den Abzug drücken. »Bin. Schon. Dran.«
Er ging zurück zu seinem Büro und schrieb Nadia, auf Anhieb perfekt, zurück:
Du bist witzig. Sagt man dir das oft? Witzig und süß. Wie glücklich kann ich mich schätzen?! Hör zu, falls du den Zug je pünktlich erreichen solltest, würde ich sehr gern meinen Schritt tun. Ich bin gespannt darauf, dich richtig kennenzulernen. LG, der U-Bahn-Typ
Er las sich den Text mehrmals durch, und dann, mit einem zufriedenen Nicken, drückte er auf »Senden«.
Daniels gute Stimmung hielt bis kurz nach sieben an, als er mitten im Sky Garden stand, Londons höchstem öffentlichem Garten auf einem riesigen Büroturm, der die Form eines Walkie-Talkies hatte, mit einer Rundumaussicht über London.
Umgeben von Fremden, bekam er undeutlich mit, wie Lorenzo seine etwas ausgeschmückte Geschichte zum Besten gab, wie er früher als Stripper gearbeitet hatte, um sein Masterstudium zu finanzieren, und dabei einmal mit seinem Penis im Rüssel des Elefanten stecken geblieben war, der vorn an seinen Stringtanga genäht war. Die Mädchen – Frauen, auch wenn sie alle ziemlich jung zu sein schienen, vielleicht zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig – verschlangen die Geschichte, lachten laut und berührten seinen Arm und stachelten ihn auf, sodass er einzelne Passagen noch einmal erzählte und sie noch mehr zum Lachen brachte. Daniel fragte sich, mit welchem der Mädchen er zu schlafen versuchte, wohl wissend, dass Lorenzo sich nicht auf eine beschränken würde, als Gaby ihn auf einmal am Ärmel zupfte.
»Sie haben es geschafft! Ich freue mich ja so!«, sagte sie und beugte sich vor, um ihn auf beide Wangen zu küssen.
»Das habe ich«, erwiderte Daniel und begrüßte sie ebenfalls mit Luftküssen. »Aber ich fürchte, es sieht so aus, als ob mein Begleiter besser ankommt als ich.« Sie starrten beide in Lorenzos Richtung, der inzwischen zu seinem Witz über die Krabbe an der Bar ausgeholt hatte, und als er zur Pointe kam, brach sein Publikum erneut in flirtendes Gekicher aus. Eine der Frauen warf den Kopf zurück, eine Hand an ihre Kehle gelegt, und nahm Blickkontakt zu Daniel auf, als sie ihre Fassung wiedergewann. Sie hielt seinem Blick einen Moment betont stand und sah dann ebenso rasch weg.
»Aber Sie werden bei der einzigen Person gut ankommen, die wirklich wichtig ist«, meinte Gaby. »Die Frau der Stunde müsste jeden Augenblick hier sein. Sie wollte vom Büro zu Fuß hierherkommen, um sich ein bisschen die Beine zu vertreten.«
»Sehr vernünftig«, meinte Daniel, nicht sicher, was er sonst sagen sollte. Die beiden standen da, in einem verlegenen Moment der Schwebe. Sie kannten sich nicht wirklich und waren auch nicht wirklich in der Stimmung, so zu tun, als ob sie das ändern wollten. Drink. Er entschied sich für einen Drink. »Ich gehe zur Bar. Kann ich Ihnen etwas mitbringen?«
»Nein, nein«, sagte Gaby. »Ich muss dort drüben kurz jemanden begrüßen. Ich bin gleich wieder bei Ihnen. Ich freue mich ja so, dass Sie gekommen sind.«
Daniel hob eine Hand in Lorenzos Richtung, als würde er ein imaginäres Bier schlürfen, das universelle Zeichen für »Willst du noch eins?«. Lorenzo hob zur Antwort sein leeres Glas, das universelle Zeichen für »Ja, ich will!«.
Vier oder fünf Drinks später wurde Daniel bewusst, dass er irgendwie, irgendwann den Arm um die nackten Schultern einer Frau gelegt hatte und dass sich draußen die Dämmerung gesenkt hatte. Gaby war nie zurückgekommen, um ihm irgendjemanden vorzustellen – tatsächlich hatte er sie seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Aber es war egal. Er hatte sein zweites Bier getrunken, um seine Nerven zu beruhigen, und sein drittes, weil das zweite so gut geschmeckt hatte. Sobald bei ihm der Groschen gefallen war, dass es kein großes Bekanntmachen mit einer Fremden geben würde, das er überstehen musste, schlürfte er auch noch das Bier, das Lorenzo ihm wenig später reichte. Inzwischen war er unbeabsichtigt ziemlich betrunken, und er hatte im Grunde nicht viel gesagt, während er weiterhin Lorenzos Auftritt vor seinem bewundernden Publikum zusah. Aber das musste er auch gar nicht. Er kannte seine Rolle, wenn sie beide zusammen unterwegs waren. An den wenigen Abenden, die sie in eine Bar gegangen waren, war Daniel meist schweigsam geworden, was ihn, wie ihm Frauen mehr als einmal gesagt hatten, grüblerisch und geheimnisvoll aussehen ließ.
Das erschien ihm lachhaft, nicht zuletzt, weil sie alle keine Ahnung hatten, dass er beschwipst, nicht grüblerisch war. Außerdem würde seine Mum jeden, der das von ihrem Sohn dachte, rasch eines Besseren belehren, aber hin und wieder hatte es sich für ihn doch als vorteilhaft erwiesen. Die Frau, zu der er vor einer Weile Blickkontakt aufgenommen hatte, hatte seinen Blick über ihre Gruppe hinweg immer wieder aufgefangen und sich schließlich, als er wieder zur Bar ging, vorgebeugt und gesagt: »Bestellst du mir einen großen Roten, bitte?« Er hatte sie angesehen und genickt. Sie war hübsch. Er dachte darüber nach, was der Dating-Guide darüber sagte, sich Optionen offenzuhalten, nicht eine einzige Person in den Mittelpunkt der eigenen Zuneigung zu stellen, sich weiter umzusehen, um den Druck abzubauen. Es war Zeit, den Arm um sie zu legen.
»Verschwinden wir von hier«, hauchte sie ihm wenig später heiß ins Ohr. Daniel sah sie an. Irgendwie hatten sie sich von der Gruppe gelöst und waren zusammen in eine Ecke gedrängt worden. Auf einmal lag ihre Hand an seiner Brust, kühl am Baumwollstoff seines Hemds. Er wusste, wenn er zu ihr hinuntersah, würde sie zu ihm hochsehen, und es würde eine Einladung zu einem Kuss sein. Sie bot ihm an, nach Hause zu fahren und Sex mit ihr zu haben.
In einem anderen Leben, vor zehn Jahren, vor fünf Jahren! Oder, offen gestanden, selbst letztes Jahr noch hätte er Ja gesagt. Er hätte sie mit nach Hause genommen und Sex mit ihr gehabt und sie danach noch ein paarmal getroffen, und beide hätten versucht, ihre jeweiligen Puzzleteile zusammenzufügen, obwohl sie nicht zusammenpassten. Aber nach der Sache mit seinem Dad wusste er, dass das Leben zu kurz war, um es mit Leuten zu verschwenden, nach denen er nicht verrückt war.
»Entschuldigung, ich …«, begann er und nahm seinen Arm von ihrer Schulter.
Das Mädchen blickte enttäuscht, aber auch unbeirrt. »Hast du eine Freundin?«
»Nein«, sagte Daniel.
»Ich sag’s auch nicht weiter …«, fuhr das Mädchen fort und trat wieder einen Schritt auf ihn zu. Daniel legte seine Hände auf ihre, um sie von seinem Bauch zu nehmen, wo sie sie leicht hatte ruhen lassen, auf eine Art, die – wie ihm trotz seines betrunkenen Zustands nicht entging – durchaus nett war.
»Es tut mir leid«, sagte er entschieden, und das Mädchen zuckte, wie er ihr zugutehalten musste, einfach die Schultern und entfernte sich.
Zu Hause, allein im Bett mit einem großen Glas Wasser auf seinem Nachttisch, hörte Daniel ungewollt sieben Minuten lang dem Stoßen und Stöhnen zu, das aus Lorenzos Schlafzimmer drang, bevor es abrupt aufhörte und jemand das Schlafzimmer verließ, um pinkeln zu gehen, wobei er die Badezimmertür leicht geöffnet ließ. Daniel hörte es an der Art, wie es hallte. Er schlief nicht gut in dieser Nacht. Er träumte, er sei eine Krake. Er hielt irgendetwas in jeder Hand, und er wollte unbedingt ein Buch aufheben, das er gefunden hatte, aber er konnte es nicht in die Hand nehmen, ohne etwas anderes hinzulegen. Und das wollte er nicht. In seinem Traum, als Krake, empörte er sich so sehr über die Vorstellung, etwas loslassen zu müssen, um sich das Ding anzusehen, das er sich so unbedingt ansehen wollte, dass er schweißgebadet, keuchend und atemlos aufwachte und sich richtig, richtig traurig fühlte.
Er wünschte, es läge jemand neben ihm im Bett.
Er wünschte, er wäre mit seiner besten Freundin im Bett, in einem Haus, das ihnen gehörte, vielleicht sogar mit Ringen an ihren Fingern.
Daniel wollte, was seine Mum und sein Dad gehabt hatten. Er wollte es so unbedingt. Und nicht einfach mit irgendeiner.
Er wollte die Liebe seines Lebens.