15
Nadia
Das Soho Farmhouse in Oxfordshire war ein grüner, belaubter Ort mit einem Luxusrestaurant und einem Wellnessbereich in umgebauten Scheunen. Am Tor zückte Emma ihren schwarzen Mitgliedsausweis – die Mitgliedschaft kostete ein paar Tausend Pfund im Jahr, garantierte aber einen Tisch neben einer Handvoll kleinerer Prominenter und Ex-Banker-und-jetzt-Kreativinvestoren, die sich für irgendwie bohemehaft hielten, weil sie der Website einer Schauspielerin oder der Benefizveranstaltung eines Musikers eine Geldspritze gegeben hatten.
Nadia und Emma waren in Hütte 34, und nachdem sie den Wagen ausgepackt hatten, fuhren sie mit ihren »Hausfahrrädern« über die glatten Asphaltwege und genossen die Stille, während sie hin und her kurvten, nur um hin und her zu kurven. Nadia wusste, dass das Zimmer mindestens fünfhundert Pfund die Nacht hätte kosten sollen (aber Emma erklärte beharrlich, sie hätte irgendeinen Deal bekommen, daher würde Nadia ihr nur zweihundert für das Wochenende schulden – was Nadia verdächtig vorkam, als ob Emma es mit dem Unterschied nicht so genau nahm, weil sie mehr verdiente), daher war es irgendwie ironisch, dass jede Hütte von außen so aussah, als sei sie einer Blechhütte am Straßenrand in Sibirien nachempfunden. Aber trotzdem. Die Bettwäsche war aus schwerer Baumwolle, es gab einen echten Kamin, und der Balkon schwebte gewissermaßen über einem kleinen Fluss, sodass man dort leicht eine halbe Stunde oder länger einfach vor sich hin träumen und aufs Wasser hinausstarren konnte. Und es war friedlich. Richtig, richtig friedlich.
»Süße, was hältst du von einer Gesichtsbehandlung?«, fragte Emma, während sie mit dampfenden Tassen mit Earl Grey draußen saßen. »Du weißt doch, wie deine Haut immer wird, wenn du geweint hast.«
Das stimmte, Nadia bekam jedes Mal noch mehr Pickel, wenn sie gestresst oder aufgewühlt war, und seit sie auf Milch verzichtete, ging es ihr richtig gut. Ihre Haut war jetzt seit zwei Wochen rein, und sie würde einen Teufel tun und zulassen, dass der Grässliche Ben irgendetwas daran änderte. Für jeden, der zuhörte, hätten Emmas Worte bissig klingen können, als ob sie irgendeine Art falsche Freundin wäre, aber Nadia wusste, dass sie es nur gut meinte. Sie nahm an, Emma konnte nicht verhindern, dass Nadia dem Grässlichen Ben über den Weg lief, aber sie konnte sechzig Minuten Verwöhnung pur durch eine Frau organisieren, die wusste, wie man Mitesser entfernte.
»Muss ich mit irgendjemandem reden?«
»Nein. Na ja. Nur mit der Kosmetikerin. Um ihr zu sagen, dass du traurig bist und einen Boost willst.«
»Okay. Vielleicht auch eine Pediküre. Ich habe das Gefühl, mehr Kontrolle über mein Leben zu haben, wenn meine Zehen hübsch aussehen.«
»Wird beides gemacht. Ich muss nur kurz im Büro anrufen, und dann gebe ich dem Concierge Bescheid.«
Emma öffnete die Glasschiebetür, um ihr Handy zu holen, das sie zum Aufladen drinnen gelassen hatte, und Nadia setzte sich und zog die Füße unter sich an. Während sie auf den Fluss hinaussah, fragte sich Nadia müßig, was für ein Mann eine solche Geste – eine Anzeige in die Zeitung setzen – machen würde. Als Emma sie an diesem Morgen abgeholt hatte, hatte sie ihr die Zeitung zugeworfen und in einem Singsang gesagt: »Er hat dir wieder geschrieben«, und während sie aus der Stadt und aufs Land hinausfuhren, hatte sich Nadia seine neue Antwort an sie immer wieder durch den Kopf gehen lassen. Du bist witzig. Bekommst du das oft gesagt? Witzig und süß. Wie glücklich kann ich mich schätzen?!
Nadia liebte dieses langsame Köcheln. Mit dem Grässlichen Ben war es viel zu schnell gegangen, inzwischen wusste sie, dass das »Liebesterror« genannt wurde. Männer wie Ben verführten hart und schnell, sodass die Liebe verwirrend war und man sich in ihr verlor. Vor langer Zeit einmal hatte Nadia gedacht, so sollte Liebe sein, aber sie hatte auf die harte Tour gelernt, dass es unendlich viel besser war, ganz bewusst langsame, kleine Schritte zu tun. Sich zwischendurch immer wieder bei dem anderen zu vergewissern. So fühlte es sich für sie mit dem U-Bahn-Typen an: wie eine Chance, im Laufe der Zeit etwas Schönes heranwachsen zu lassen. Es hatte etwas Beruhigendes. Und der Teil mit dem Glück brachte sie zum Lächeln. Wie glücklich kann ich mich schätzen?! , hatte der U-Bahn-Typ geschrieben. Sie schätzte sich auch glücklich. Glücklich, noch immer zu glauben, dass sie eine Chance auf Liebe hatte. Selbst wenn aus dem U-Bahn-Typen nichts werden sollte, war es witzig, sich mit ihm hin- und herzuschreiben. Sie beschloss, nicht mehr an den Grässlichen Ben zu denken. Er gehörte der Vergangenheit an. Sie konnte selbst über ihre Zukunft entscheiden.
Nadia kehrte mit einem Ruck aus ihrer Tagträumerei zurück, als sie eine leise, gemurmelte Stimme hinter der Hütte hörte.
»Emma?« Als sie den Hals um die Hütte reckte, sah sie ihre Freundin mit dem Rücken zu ihr dastehen. Emma schnellte herum, eine seltsame Miene im Gesicht.
»Komme schon!«, rief sie und flüsterte irgendetwas in ihr Handy.
Sie verschwand außer Sicht, und Nadia hörte, wie die Vordertür aufging, und dann tauchte ihre Freundin neben der Fliegentür zum Balkon auf.
»Gesichtsbehandlungen in zwanzig Minuten!«, sagte Emma, während sie die Tür öffnete. »Und ich habe mir gedacht, was hältst du davon, wenn wir zum Abendessen in den Pub unten an der Straße gehen? Dem Ox and Cart?«
Sie kam Nadia ein bisschen aufgedreht vor, aber Nadia sagte nichts dazu. Stattdessen entschied sie sich für: »Gesichtsbehandlungen: ausgezeichnet. Pub? Ich bin nicht so scharf darauf, auszugehen, wenn ich nicht geschminkt bin. Wollen wir uns stattdessen vielleicht etwas aufs Zimmer kommen lassen?«
»Tolle Idee«, sagte Emma, aber ihre Fröhlichkeit schien fast ein bisschen aufgesetzt.
»Geht es dir gut?«
»Mir? Ja. Natürlich. Und dir?«
Nadia starrte ihre Freundin an. Irgendetwas stimmte nicht.
»Ja, es geht mir schon besser«, sagte sie.