36
Eddie
»Ich habe einfach das Gefühl«, sagte Eddie über den Tisch hinweg zu seiner besten Freundin, »dass sie irgendetwas zurückhält. Ich meine, sie ist da, sitzt oder geht neben mir oder sitzt mir am Esstisch gegenüber, und wir reden und lachen und machen Witze und Pläne, aber manchmal ist es so, als ob ihre Gedanken abschweifen und sie an etwas anderes denkt beziehungsweise an jemand anderes.«
»Oh, das nervt«, meinte Callie mitfühlend. Die beiden kannten sich, seit sie zehn Jahre alt waren. Sie waren als Nachbarn zusammen aufgewachsen und hatten ihre Jungfräulichkeit aneinander verloren, aber letztlich entschieden, dass sie als Freunde besser dran waren. Callie hatte Eddie in seinem ersten Studienjahr einmal übers Wochenende auf der Universität besucht und seinen Kommilitonen, Matt, kennengelernt, der an dem Abend zufällig mit ihnen beim Studentenwerk war, und jetzt waren die beiden verheiratet und hatten zwei Kinder. Sie hatten eine Chlamydien-Infektion überstanden und eine Hypothek für eine wunderschöne Eckwohnung abseits der Old Street aufgenommen. Jetzt spielte Matt mit den Kindern in dem Park auf der anderen Straßenseite. Eddie und Callie konnten sie von ihrem Fensterplatz aus sehen und winkten von Zeit zu Zeit.
»Klinge ich verrückt?«, fuhr Eddie fort. »Ich meine, ich kann dir eigentlich nichts Bestimmtes sagen. Es ist nur so ein Gefühl.«
Callie zuckte die Schultern. »Du durchschaust die Menschen doch ziemlich gut, Ed. Wenn dein Bauchgefühl dir etwas sagt …« Ihre Stimme verlor sich. Sie wollte ihn nicht aktiv ermuntern, an seiner Beziehung zu zweifeln. Er hatte so glücklich geklungen, als sie sich an dem Wochenende, nachdem er Nadia kennengelernt hatte, auf FaceTime unterhalten hatten. Callie wusste, dass er das Leben ansah, das sie mit Matt hatte, und es sich für sich selbst wünschte. Er war schon immer ein hoffnungsloser Romantiker. Aber aus irgendeinem Grund hatte es mit seinen Freundinnen einfach nie geklappt. Sechs Monate lang hatten sie und Matt sich mit ihm und Melania zu Doppeldates verabredet, das waren sechs Monate, die sie aus ihrem Gedächtnis streichen musste! Die Frau war Tiefkühlerbsen-Testerin, mein Gott! Wie hatte Eddie es bloß geschafft, mit einer Frau zusammen zu sein, die in ihrem Job die Temperatur von Tiefkühlerbsen in der Fließbandfertigung überprüfte?! Es war klar, dass das mit den beiden keine Zukunft hatte, aber die meisten anderen Frauen waren durchaus nett gewesen. Callie konnte wirklich mit ihm mitfühlen.
»Aber vielleicht kannst du euch ein bisschen Zeit geben. Wenn ihr die meiste Zeit Spaß habt, genieß es einfach als das, was es ist.«
»Meinst du?«, sagte Eddie. Sein Telefon summte. Es war Nadia. »Oh, entschuldige, Cal.«
»Hey, Schatz«, sagte er ins Telefon.
»Hey, Schatz«, antwortete Nadia. Eddie war sich nicht sicher, wann sie angefangen hatten, sich gegenseitig »Schatz« zu nennen, aber er mochte es. Er mochte es, einen »Schatz« zu haben. Manchmal sagte er sogar »Liebling«. »Kannst du auf dem Weg zu mir Tesafilm mitbringen? Ich habe versucht, Marys Geschenk für heute Abend einzupacken, aber ich kann den Tesafilm nicht finden.«
Eddie mochte es auch, um kleine Erledigungen gebeten zu werden. Er wollte der Typ sein, den man anrufen konnte, damit er auf dem Nachhauseweg Kleinigkeiten mitbrachte.
»Na klar«, sagte er. »Schick mir eine Nachricht, wenn du sonst noch etwas brauchst, okay?«
»Mache ich«, antwortete Nadia. »Hast du eine schöne Zeit? Hast du den beiden gesagt, dass ich mich darauf freue, sie bald mal kennenzulernen?«
Eddie sah hinüber zu seiner besten Freundin, sah ihr zu, wie sie ihre Kinder und ihren Ehemann beobachtete. Er sagte zu Callie: »Nadia sagt, sie freut sich schon darauf, euch kennenzulernen.«
»Oh!«, antwortete Callie. »Wir uns auch, Nadia! Wir haben schon so viel Gutes gehört!«
Die unausgesprochene Wahrheit zwischen Callie und Eddie war, dass Nadia die beiden nur deshalb noch nicht kennengelernt hatte, weil Eddie sich noch immer unsicher war. Oder, genauer gesagt, weil Eddie sich unsicher war, ob Nadia sich sicher war.
»Ich muss jetzt zurück zu meinem Frühstück, Schatz, aber wir sehen uns in ungefähr einer Stunde, okay?«
»Okay! Bis dann!«
Sie legte auf.
Callie gab der Bedienung ein Zeichen, ihnen die Rechnung zu bringen, und wandte sich dann an Eddie: »Ihr kennt euch doch erst seit wie lange, sechs Wochen? Niemand muss sich nach sechs Wochen schon sicher sein. Ich weiß, du hast dich am Anfang ziemlich heftig verknallt, aber manchmal braucht Liebe Zeit, um zu wachsen. Vielleicht denkt sie an jemand anders, will es aber gar nicht.«
»Das stimmt«, meinte Eddie. »Ich habe dir ja gesagt, ihr Ex war ein gemeiner Dreckskerl. Aber ich bin doch völlig anders als er.«
Callie gab der Bedienung ihre Karte und wandte sich wieder an Eddie: »Das geht auf uns, Süßer. Danke, dass du so ein wundervoller Patenonkel bist.«
Eddie lächelte. »Danke, Callie.« Er sah hinüber zum Park, sah Matt und die Mädchen zu ihnen zurückkommen. Er fragte sich, ob Matt und Callie eine Art telepathische Verbindung verheirateter Paare hatten, durch die Matt wusste, dass es Zeit war, zurückzukommen, weil Callie die Rechnung beglichen hatte, oder Callie wusste, dass sie die Rechnung begleichen sollte, weil Matt im Begriff war, den Park zu verlassen und mit den Mädchen zurückzukommen.
»Onkel Eddie!«, kreischte Lily, die Jüngere der beiden, als er durch die Glastür auf die Straße trat. Sie rannte auf ihn zu, und Eddie hob sie hoch. Er hielt sie unter ihren Achseln am ausgestreckten Arm vor sich, sodass sie auf Augenhöhe waren, und sagte: »Hat das Spaß gemacht? Hattet ihr Spaß im Park?«
»Ja«, antwortete Lily und strampelte fröhlich mit den Füßen, während sie in der Luft schwebte.
»Soll ich dir dieses Pfund geben, das ich in meiner Hosentasche habe, und mit dir zum Laden gehen?«, fragte Eddie.
»Ja! Ja!«, kreischte Lily, woraufhin ihre ältere Schwester am Saum von Eddies T-Shirt zog und sagte: »Kriege ich auch ein Pfund?«
Eddie setzte Lily wieder auf dem Boden ab und kniete sich neben Bianca.
»Aber ja«, sagte er und öffnete seine Hand, sodass zwei Pfundmünzen zum Vorschein kamen. Bianca nahm beide und reichte eine davon ihrer Schwester, und die beiden gingen voran zum Zeitungsladen, während sie darüber diskutierten, was sie sich kaufen würden.
»Typisch Onkel Eddie«, sagte Matt. »Füllt die Kinder mit Zucker ab und gibt sie uns dann wieder.«
»Ahhh«, sagte Eddie. »Sie könnten dich überraschen und sich einen Apfel kaufen.«
»Wirst du solche Wahnvorstellungen auch noch haben, wenn du selbst ein Dad bist?«, witzelte Matt, und Eddie verdrehte die Augen. Er gab keine Antwort, aber er dachte bei sich, wie sehr er sich das wünschte, wie gern er ein Dad wäre. Aber die Frau, mit der er zusammen war – er war sich nicht sicher, ob sie die eine war. Er sah, wie Callie über seinen Kopf hinweg ihrem Ehemann zuzwinkerte. Die beiden waren in ihrer eigenen kleinen Welt, wenn auch nur für eine Sekunde, während ihre beiden Kinder voranstolperten. Ihre Liebe sah so aus, wie er wollte, dass seine Liebe sich anfühlte, aber er wusste, auch wenn es schmerzlich war, dass Nadia für ihn nicht das sein würde, was Callie für Matt war. Vielleicht hatte Callie doch recht gehabt. Es spielte keine Rolle, dass er es nicht erklären konnte. Das machte es nicht falsch . Es hieß nur, dass es jetzt, im Moment, nicht vollkommen richtig war.