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Daniel
Daniel hatte richtig gute Laune – er hatte nicht nur die Sache mit Nadia (wieder) in die Hand genommen, er hatte auch, kurz bevor er Feierabend machte, eine E-Mail bekommen, dass er nächste Woche um diese Zeit offiziell Wohnungseigentümer sein würde.
»Ich hab’s getan«, sagte er auf dem Weg nach draußen in der Lobby zu Romeo. »Die Wohnung, sie gehört mir! Jetzt geht’s los!«
Romeo sprang von seinem Platz hinter dem Empfangstresen auf.
»Das ist ja toll, Mann, richtig, richtig gut gemacht!«
»Danke, Kumpel.«
Romeo blickte wehmütig. »Ich hoffe, Erika und ich können uns eines Tages auch etwas kaufen«, sagte er. »Das wäre ziemlich cool.«
Daniel zog schockiert die Augenbrauen hoch. »Zusammenziehen? Ich wusste gar nicht, dass es so ernst geworden ist, Mann!«
Romeo ging seit dem Sommer mit Erika, einer Frau, die er bei einem Sauerteig-Brotbackkurs kennengelernt hatte, und Daniel wusste, dass Romeo schwer verliebt war, aber er wusste nicht, dass er bereits eine Zukunft mit ihr plante.
»Ich glaube, sie ist die Richtige«, sagte Romeo. »Ich könnte ihr definitiv einen Ring an den Finger stecken. Ich meine, nicht morgen oder so, aber sie ist mit Sicherheit für immer.«
»Teufel noch mal, das ist ja toll«, erwiderte Daniel. »Weißt du was, bring sie mit zu meiner Einweihungsparty. Du wirst meine ganzen Unikumpel lieben, und ich kann es kaum erwarten, Erika kennenzulernen.«
Romeo reckte eine Faust.
»Geht beides klar«, sagte er. »Du hast ein Date.« Er dämpfte seine Stimme ein klein wenig, als komischen Effekt. »Apropos, hast du schon irgendwas gehört, wann sie deine Nachricht bringen könnten?«
»Nein.« Daniel streifte seine Handschuhe über, als er eine eisige Novemberböe durch die offene Tür spürte. »Aber das habe ich auch sonst nie gewusst. Sie bringen sie einfach, wann sie sie bringen. Jetzt habe ich es nicht mehr in der Hand«, ergänzte er und hob seine behandschuhten Hände, als wollte er sich ergeben.
»Na ja«, meinte Romeo. »Die Wohnung, das Mädchen, es läuft wie geschmiert für Weissman.«
»Es läuft wie geschmiert für Romeo und Weissman«, berichtigte Daniel ihn.
»Das klingt nach einem ziemlich netten Duo«, meinte Romeo.
»Ja, nicht wahr?«, antwortete Daniel.
Daniel ging über die Straße zur U-Bahn, um durch die City zu einem Networking-Event der City-Beschäftigten zu fahren. Er war sich unschlüssig gewesen, ob er hingehen sollte, aber da heute offenbar sein großer Tag war, kam er zu dem Schluss, dass er es tun sollte. Wenn aller guten Dinge drei waren, war er offen dafür, was Nummer drei sein könnte. Er hatte noch keinen neuen Vertrag in Aussicht, nachdem der Converge-Auftrag an Weihnachten endete, auch wenn er annahm, dass sie ihn vielleicht behalten würden, um auch den nächsten Teil des Projekts abzuwickeln. Es konnte nichts schaden, sich unter ein paar neue Gesichter zu mischen und eine Handvoll Visitenkarten zu verteilen.
»Daniel!«, hörte er eine Stimme, nicht lange nachdem er seine Jacke aufgehängt hatte und zur Bar gegangen war. Die ersten Minuten, wenn man allein irgendwo ankam, waren immer ein bisschen schwierig, vor allem bei einem Arbeitsevent, daher war es am besten, einfach eine Runde durch den Raum zu drehen und sich einen Drink zu holen und zu überlegen, wo die freundlichsten Gesichter waren. Er war froh, von jemandem in Beschlag genommen zu werden. Der erste Gesprächseinstieg war immer der schwerste.
»Gaby!« Daniel wandte sich mit seinem kleinen Glas Rotwein um. »Die Frau, der Mythos, die Legende!«
Gaby beugte sich vor, und sie küssten sich auf beide Wangen. »Ich muss mich bei dir entschuldigen«, sagte sie.
Daniel machte eine wegwerfende Handbewegung. »Schnee von gestern«, sagte er in der Annahme, sie wollte sich dafür entschuldigen, dass sie ihn bei der Sommerparty ihrer Firma vor ein paar Monaten im Stich gelassen hatte.
»Deine E-Mail an mich danach war so liebenswürdig, aber ich wollte einfach noch einmal sagen, wie peinlich es mir ist, dass ich dich erst beschwatzt habe, zu dieser Party zu kommen, und dich dann allein gelassen habe, ohne auch nur zu erklären, dass Nadia nicht kommen würde. Es war alles ein einziges Durcheinander. Und du warst so nachsichtig.«
Daniels Körper zuckte, als er den Namen Nadia hörte. Er wusste natürlich, dass Gaby nicht seine
Nadia meinen konnte, falls er sie überhaupt so nennen konnte, aber der Name war einfach so selten – vor der Nadia in seinem Zug war er noch nie einer Nadia begegnet –, dass er nicht umhinkonnte, eine Reaktion darauf zu spüren.
»Oh Gott, habe ich irgendetwas Falsches gesagt?«, fragte Gaby.
»Nein, nein. Es ist nur … Nadia. Den Namen hört man nicht sehr oft.«
Gaby zuckte die Schultern. »Ich habe eigentlich noch nie darüber nachgedacht, aber nein, ich nehm’s nicht an.« Sie lächelte ihn an. »Wie gefällt es dir eigentlich bei Converge?
Ich habe richtig interessante Dinge darüber gehört, wie sie die Verwendung von Cloud-Speichern in die Datenerweiterung einbeziehen …«
Und so nahm der Abend seinen Lauf. Schicke Leute redeten schickes Zeug, mit erstaunlich gutem Rotwein und Kellnern mit Fliegen, die winzige Yorkshire-Puddings mit Roastbeef servierten.
Daniel konnte den Gedanken nicht abschütteln, dass Gaby eine Nadia erwähnt hatte, und als sie ihn abfing, kurz bevor er ging, aufgehalten von der Suche nach seinen Handschuhen, die er, das hätte er schwören können, in seine Jackentaschen gesteckt hatte, konnte er es sich nicht verkneifen zu fragen: »Gaby, es ist vielleicht eine etwas seltsame Frage. Aber deine Freundin Nadia, wie heißt sie mit Nachnamen?«
»Fielding«, antwortete Gaby. »Warum?«
Daniel zuckte die Schultern. »Nur so«, sagte er. »Ich habe mich nur gefragt, ob es die Nadia ist, die ich kenne. Die Welt ist klein und das alles.«
»Und, ist sie das?«, fragte sie.
»Nein«, antwortete Daniel, obwohl er eigentlich keine Ahnung hatte, ob sie es war oder nicht. Er hatte nie gewusst, wie »seine« Nadia mit Nachnamen hieß.
»Okay, na dann. Gute Nacht. Wir sehen uns auf der Februarparty?«
Daniel nickte. »Wir sehen uns auf der Februarparty. Gib mir Bescheid, wenn ich dir bei irgendwas helfen kann.«
»Mache ich«, sagte Gaby und wandte ihre Aufmerksamkeit dann einem anderen aufbrechenden Gast zu, um sich von ihm zu verabschieden.
Daniel googelte Nadia Fielding,
sobald er draußen war. Seine Finger waren eiskalt, aber die vor ihm liegende Aufgabe war zu dringend, um sie aufzuschieben. Eine Reihe Fotos der Nadia, die er kannte, wurde angezeigt – der Nadia vom Markt und von der U-Bahn und der, die er gestern Abend gesehen hatte. Jetzt hatte er einen Nachnamen, und damit hatte er auch ein LinkedIn-Profil, das ihm bestätigte, dass sie bei Rainforest arbeitete. Er konnte sein Glück kaum fassen. Gaby kannte sie! Er sollte ihr vor Monaten vorgestellt werden! Alle Anzeichen deuteten darauf hin, dass es ihm absolut bestimmt war, sie zu treffen. Ihrer beider Schicksal schien unvermeidlich.
Ich fühle es
, dachte er bei sich. Diesmal werde ich es nicht vermasseln
. Er konnte es kaum erwarten, dass die Anzeige erschien – er war so aufgeregt, Nadia endlich, endlich zu treffen. Sie waren füreinander bestimmt! Er konnte nicht glauben, dass er die Liebe seines Lebens um ein Haar verpasst hätte.