Derek
W ir hatten unser Vertrauen und unsere Hoffnung auf Hilfe in die falsche Person gesetzt.
Amal hatte uns hintergangen. Sie hatte TaʼZan darüber auf dem Laufenden gehalten, was wir vorhatten, und so war der Aufstand der Fehlerhaften von Anfang an zum Scheitern verurteilt gewesen. Dennoch hatte TaʼZan sie nicht aufgehalten, sondern das Ablenkungsmanöver zugelassen und Amal ermutigt, uns aus der Diamantkuppel zu befreien, uns durch das Kolosseum zu führen und uns der Flucht tatsächlich nahe zu bringen ... nur, um dann alles mit seinem Auftauchen und seiner übertrieben ruhigen Art zunichtezumachen.
Aber trotz allem gab es doch noch einen Hoffnungsschimmer. Die Fehlerhaften hatten mit einem Verrat und mit ihrem Scheitern gerechnet. Aus diesem Grund hatte Isda Varga auf anderem Weg befreit und ihn von unserer Gruppe getrennt, sobald wir unser »Gehege« verlassen hatten.
Varga war also frei und wir steckten wieder in der Diamantkuppel. Wir hatten noch keine Ahnung, ob Araquiel, Abaddon und ihre Gefährten unsere Kinder geschnappt hatten, und so machten wir uns immer noch Sorgen, dass Abaddon die Beherrschung verlieren und blutrünstig werden könnte. Ich wusste nicht, wie oft sie ihm noch entwischen konnten. Außerdem hatte TaʼZan nun doch seinen neuen, größeren und verbesserten Vollkommenen, Cassiel, losgeschickt, um Varga zu verfolgen. TaʼZan ging davon aus, dass der junge Vampir-Wächter-Prinz Cassiel zum Team von Ben und Rose führen würde.
Wenigstens einer von uns hatte es aus den Diamantwänden des Kolosseums hinausgeschafft. Da draußen standen Vargas Chancen besser als hier drinnen, mit einem Elektroband um den Hals.
»Ich frage mich, was mit Isda, Monos und den anderen passiert ist«, sagte Sofia und legte ihren Kopf an meine Schulter.
Wir hatten uns auf dem Glasboden direkt neben Lucasʼ Bett niedergelassen. Marion war bei Lucas und kümmerte sich um seine Wunden. Cassiel hatte kurzen, aber schmerzhaften Prozess mit ihm gemacht, doch die langen, tiefen Schnitte in seiner Brust begannen bereits, wieder zu heilen.
»Sie werden wahrscheinlich bestraft«, antwortete ich. »Sie haben rebelliert. Wenn TaʼZan keine Vergeltung übt, würde das als Schwäche interpretiert werden.«
»Sie wollten uns helfen«, seufzte Sofia.
»Nein, sie wollten sich selbst helfen. Sie wollten TaʼZan stürzen, indem sie uns befreien, damit wir gegen ihn kämpfen können«, warf Claudia ein. »Die Fehlerhaften sind nicht dumm. Sie wussten genau, worauf sie sich einlassen.«
»Trotzdem habe ich Mitleid mit ihnen«, sagte Sofia. Instinktiv legte ich meinen Arm um ihre Schultern und zog sie näher an mich. Ich konnte nicht genug von dem beruhigenden Gefühl bekommen, das mir ihre Anwesenheit besonders unter diesen Umständen gab.
»Ich sage ja nicht, dass sie dir nicht leidtun sollen«, erwiderte Claudia und rieb sich das Gesicht mit den Händen. »Es ist nur ... Wir müssen uns um unsere eigenen Leute Sorgen machen. Varga ist da draußen.«
»Ah, du machst dir also Sorgen um deinen Enkel«, schnaubte Lucas und stemmte sich in eine sitzende Position, während Marion ihn mit Argusaugen beobachtete. »Das verstehe ich, Claudia, wirklich. Aber wir können nicht die Fremden vergessen, die darauf vertrauen, dass wir sie retten.«
Corrine atmete aus und schüttelte den Kopf. »Wisst ihr, ich habe versucht, mich fortzuteleportieren, als TaʼZan auftauchte«, murmelte sie. »Aber irgendwie hat er meine Fähigkeit blockiert.«
Kailyn nickte ihr kurz zu. »Ja, Isda hat etwas davon erwähnt. Sie verwenden den gleichen Trick bei Kailani, um sie davon abzuhalten, das Team fortzuzappen.«
»Und trotzdem entkommen ihnen unsere Kinder immer wieder.« Ich kicherte. »Wir haben sie verdammt gut erzogen.«
Plötzlich waren alle Augen auf mich gerichtet, nicht nur die der Gründer, sondern auch die der anderen Gefangenen. Ich musste lächeln. Zum ersten Mal seit Tagen konnte ich einen Hoffnungsschimmer sehen, der trotz der Umstände nicht verblasste.
»Du bist aber gut drauf«, sagte Xavier mit gehobener Augenbraue. »Ich bin mir nicht sicher, ob du es schon bemerkt hast, aber wir stecken wieder in der verdammten Diamantkuppel und tragen Elektroschock-Halsbänder.«
»Ja. Aber Varga ist frei. Unser Plan B hat funktioniert. Es ist also doch nicht vollkommen unmöglich, TaʼZan auszutricksen. Wir haben so viel Zeit und Energie dabei verloren, uns von ihm beeindrucken zu lassen, dass wir eine sehr naheliegende Tatsache übersehen haben: Er ist nicht so viel anders als wir. Er hat Schwächen, ähnlich wie wir. Ihm fehlen entscheidende strategische Erfahrungen, ebenso wie seinen Vollkommenen. Wir verfügen über diese Erfahrungen und es ist an der Zeit, dass wir von ihnen Gebrauch machen. Wir können ihn schlagen. Ich weiß es. Ich kann es spüren.«
Claudia lächelte, aber in ihren Augen lag Traurigkeit. »Ich verstehe, was du meinst. Ich empfinde ähnlich. So, als ob die Befreiung gleich um die Ecke wartet. So, als ob ... wir es fast geschafft haben! Aber TaʼZan hat gerade seinen bisher stärksten Hybrid losgeschickt, um meinen Enkel zu jagen, die anderen zu fangen … und sie alle hierherzuschleifen.«
»Oder um sie zu töten, wenn sie zu viel Ärger machen«, fügte Yuri mit hängendem Kopf hinzu. Ein Muskel zuckte nervös in seinem Kiefer. »Elonora, Varga. Alle, die versuchen, uns zu helfen.«
»Ja, wir haben ihn alle gehört, aber ich bezweifle, dass TaʼZan diesen Teil seiner Drohungen wahr machen wird«, antwortete Corrine. »Ich meine, überleg doch mal! Unsere Kinder führen ihn schon seit einiger Zeit an der Nase herum. Sie sind klug. Sie sind stark, unerbittlich und scharfsinnig. Er wird sie analysieren wollen. Er wird wissen wollen, wie sie ticken und was sie im Vergleich zu seinen Vollkommenen intellektuell überlegen macht. Als er sagte, dass Cassiel unsere Leute töten würde, war er einfach nur sauer und wollte uns Angst einjagen.«
»Bist du eine Optimistin oder glaubst du das wirklich?«, fragte ich mit zuckendem Mundwinkel.
Corrine zuckte mit den Schultern. »Vielleicht beides.«
»Gut. Das ist genau die Einstellung, die wir jetzt brauchen«, antwortete ich.
»Ich habe über etwas nachgedacht, seit TaʼZan uns Cassiel präsentiert hat«, meldete sich Ibrahim zu Wort. »Ihre Intelligenz muss Grenzen haben, oder? Genauso wie ihre körperliche Leistungsfähigkeit. Sie können nicht allwissend und allmächtig sein. Ich halte das für physisch unmöglich. Wir sind schließlich alle Produkte der Natur, und selbst mit Genmanipulation kann man nur ein bestimmtes zusätzliches Potenzial freisetzen, oder?«
»Das ist eine logische Annahme«, nickte Vivienne. »Aber worauf willst du hinaus?«
»Die Vollkommenen haben ihre Grenzen, ähnlich wie die Fehlerhaften. Ich glaube, sogar Cassiel hat einige eingebaute Hürden. Das sollte uns also Hoffnung geben, denn ihre Macht ist begrenzt. Ergibt das Sinn?«, fragte Ibrahim, worauf wir alle nickten. »Das Einzige, was im Moment zu ihren Gunsten wirkt, ist neben ihrer Schnelligkeit und ihrer Stärke die Tatsache, dass sie nicht getötet werden können. Zumindest nicht, soweit wir wissen. Aber wenn wir annehmen, dass auch sie ihre Grenzen haben ... dann sollten wir dem auf den Grund gehen.«
»Was genau schlägst du vor? Sollen wir die Vollkommenen auf ihre Einschränkungen hinweisen? Sollen wir ihnen das Gefühl geben, selbst irgendwie minderwertig zu sein?«, fragte ich leicht verwirrt.
»Ich denke, dass das ein guter Ansatz wäre. Wir sollten sie darauf aufmerksam machen, dass TaʼZan ihnen bewusst Grenzen gesetzt hat. Dass er sie fürchtet. Autsch ...« Ibrahim wandte sich und holte tief Luft. »Dieses Halsband funktioniert nach wie vor einwandfrei.«
Die Doppeltür öffnete sich und ein unerwartetes Gesicht tauchte auf.
Wir alle erstarrten, als Isda die Kuppel in Begleitung von anderen Fehlerhaften mit Essenskarren betrat. Sie war immer noch hier und nicht bei den anderen aufständischen Fehlerhaften. Von Monos fehlte jede Spur, weshalb wir davon ausgingen, dass er gefangen und eingesperrt worden war.
Aber Isda hatte Varga zur Flucht verholfen! Doch jetzt war sie hier und servierte unser Essen mit einem schwachen Lächeln und einem argwöhnischen Blick in den Augen.