Elonora
R akkhan reichte uns ein stiftähnliches Gerät mit einer Anzeige zum Ablesen der Blutprobe. Wie Draven und Serenas Team vor uns war ich erstaunt über die schlichte Lebensweise der Draenir im Vergleich zu ihrer technologisch so fortschrittlichen Vergangenheit. Die Plage hatte großes Chaos angerichtet und die Bevölkerung fast ausgelöscht, weshalb ich es ihnen nicht vorwerfen konnte, dass sie nichts von der Person wissen wollten, die zur Entstehung der Plage beigetragen hatte.
Rose und die anderen halfen Rakkhan dabei, seinen Stamm zu mobilisieren. Die Ältesten und die Kinder sollten auf eine andere Insel ziehen und in dem dortigen unterirdischen Lager Zuflucht suchen. Sie verfügten über genügend Ressourcen, um dort zumindest vorübergehend ein neues Leben zu beginnen. Die jungen Männer und Frauen, die bei uns blieben, halfen ihnen, ihre Taschen zu packen und sich auf den langen Weg vorzubereiten.
Zusammen mit Ridan und Dmitri machte ich mich daran, Amanes Gruppe auf die Plage zu testen.
»Ihr stecht einfach mit der scharfen Nadel in die Haut«, erklärte Rakkhan und zeigte auf die Nadel des stiftartigen Geräts. »Das Licht am Ende wird rot, wenn der Test positiv auf das Virus reagiert. Sonst bleibt es blau. Taucht die Spitze in diese Flüssigkeit, bevor ihr die nächste Person testet«, fügte er hinzu und reichte mir ein kleines Glas, das mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt war. »Es ist ein starkes Desinfektionsmittel, das so ziemlich jede Art von Mikroorganismus abtötet. Auf diese Weise werden keine Bakterien durch die Nadel weitergegeben, falls jemand infiziert ist.«
Ich nickte ihm dankbar zu und verließ dann in Begleitung von Ridan und Dmitri die Hütte. Wir gingen an den vielen Zelten und Lagerfeuern vorbei, die die Draenir entlang des Hauptweges errichtet hatten und die im Schatten der dichten Baumkronen, die sich über unsere Köpfe erstreckten, lagen. In der Ferne dröhnte es am Himmel, aber angesichts der Wetterbedingungen war es schwer, zwischen Donnerschlägen und sich nähernden Überschallknallen der Vollkommenen zu unterscheiden.
Meinem Wahren Blick nach zu urteilen waren keine Feinde in der Nähe, aber ich konnte nicht sagen, ob sie sich nur besonders gut versteckt hatten oder ob wir sie tatsächlich abgeschüttelt hatten. Vorerst war ich einfach nur dankbar für diesen Augenblick des Friedens. Ich war begeistert darüber, dass noch Draenir lebten. Das zeigte mir, dass TaʼZan nicht so allmächtig war, wie er behauptete. Das Leben bahnte sich doch immer einen Weg, über die Mittel und Pläne eines Wissenschaftlers hinaus.
Wir gingen durch den behelfsmäßigen hölzernen Torbogen, der den Haupteingang zum Lager markierte, bogen dann links ab und steuerten direkt auf Amane, Raphael, Douma, Kallisto, Leah und Samael zu, die sich unter einem riesigen Baum, der einem Mammutbaum ähnelte, niedergelassen hatten. Ein Vorhang aus dichtem Regen erreichte uns schnell und dicke Tropfen rannen durch die vielen Schichten von Zweigen und Blättern. Wir waren teilweise durchnässt, als wir Amanes Gruppe erreichten, die im Trockenen auf uns wartete.
»Okay, Rakkhan ist damit einverstanden, dass sich uns diejenigen anschließen, deren Test auf das Virus negativ ausfällt«, sagte ich und warf Amane einen strengen Blick zu. »Wer das Virus der Plage in sich trägt, kann jedoch nicht mitkommen. Ich fürchte, das wird das Ende unserer gemeinsamen Reise bedeuten.«
Kallisto ließ die Schultern sacken. »Wir hatten doch keine Ahnung«, seufzte sie. »Wir dachten, die Plage sei … etwas Natürliches. Wir wussten nicht, dass sie erst von TaʼZan selbst entwickelt und freigesetzt wurde. Er hat uns angelogen. Sie hat uns angelogen«, fügte sie hinzu und zeigte wütend mit einem Finger auf Amane, die im Gegenzug die Augen verdrehte.
»Ach, komm schon, hör auf damit!«, sagte Amane. »Ich weiß nicht, was ich noch sagen kann, außer, dass es mir leid tut. Es tut mir sehr leid. Wenn ich die ganze Wahrheit gekannt hätte, hätte ich die virale Matrix niemals vervollständigt. Auch Amal hätte es wohl nicht getan, obwohl sie TaʼZan verehrt. Rakkhans Bedingung erscheint mir sinnvoll. Ich möchte niemanden infizieren, wenn mein Test positiv ausfällt.«
»Wurdest du jemals getestet, nachdem das Virus freigesetzt wurde?«, fragte Ridan, den Blick auf Amane gerichtet. Ihre Züge wurden weicher und sie zog eine schmerzhafte Grimasse, als sie den Kopf schüttelte.
»Nein. Ich bin immer davon ausgegangen, dass ich das Virus trage, aber ich habe mich nie testen lassen, genauso wenig wie Amal. Wir wussten, dass es durch die Luft übertragen wird und uns nicht töten kann«, antwortete sie.
»Und ihr wart einfach damit einverstanden?«, fragte Ridan.
»Was hätten wir tun sollen? Wir waren geblendet und folgsam. Verdammt, wenn TaʼZan uns aufgefordert hätte, uns selbst zu verletzen, hätten wir es wahrscheinlich getan«, murmelte Amane.
»Okay, okay, schon genug«, brummte Raphael und streckte dann eine Hand aus. »Stecht mich einfach mit dem Ding und lasst es uns hinter uns bringen. Ich bin nicht den weiten Weg hierhergekommen, um wieder fortgeschickt zu werden.«
Ich unterdrückte ein Kichern und führte dann die Spitze der Nadel an seinen Unterarm, genau dorthin, wo eine Vene unter seiner hellbraunen Haut pulsierte. Ich drückte auf den Knopf und der Stift bohrte sich durch die Haut, bis ein Blutstropfen hervorquoll. Ich zog den Stift zurück und einige Sekunden später leuchtete das Licht blau.
»Du bist sauber«, sagte ich zu Raphael.
»Juppi«, antwortete er.
»Die Wahrscheinlichkeit, dass Vollkommene das Virus übertragen können, ist minimal«, antwortete Amane. »Als sie geschaffen wurden, war die Plage bereits verschwunden. Andernfalls wäre es auf euren Scannern aufgetaucht.«
Da hatte sie recht. Wir hatten ganz Strava gescannt, bevor wir das Gründerresort auf Noagh gebaut hatten. Wir hatten die Luft- und Wasserqualität überprüft. Selbst wenn das Virus gegen die Draenir entwickelt worden war, wäre es bei Scans und Tests immer noch sichtbar geworden. Doch es hatte absolut keine Anzeichen auf Viren oder Bakterien gegeben, die unser Leben hätten bedrohen können. Trotzdem musste ich auf Nummer sicher gehen, um Rakkhans willen und um sein Vertrauen zu gewinnen.
Ich tauchte die Nadelspitze in die Desinfektionslösung und testete als Nächstes Douma. Wie erwartet war auch ihr Ergebnis negativ. Dmitri atmete erleichtert auf und konnte seine Augen nicht von ihr lassen. Der arme Halbwolf war offensichtlich verliebt und ich war mir angesichts unserer Umstände immer noch nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Andererseits, wenn uns nichts anderes als Tod und Elend erwartete und dies seine einzige Gelegenheit war, sich in jemanden zu verlieben, wie konnte ich ihm dann diese Chance auf Glück verwehren?
Leahs und Samaels Test fiel ebenfalls negativ aus.
»Das ist ein gutes Zeichen, oder?«, fragte Kallisto, unfähig ihre Hoffnung zu verbergen, dass sie den Test ebenfalls bestehen würde. Ich verstand sie sehr gut, denn sie hatte überhaupt nichts mit der Plage zu tun gehabt.
»Ich bin mir nicht sicher«, seufzte Amane. »Einige von uns haben sich das Virus vielleicht doch eingefangen.«
Kallisto brummelte etwas Unverständliches und streckte dann ihre Hand aus, damit ich ihr Blut abnehmen konnte. Sobald das Licht des Stifts blau wurde, grinste sie und atmete tief aus. Ihre Aura strahlte Erleichterung aus.
»Ich bin froh zu wissen, dass ich nicht für den Tod von Draenir verantwortlich bin«, murmelte sie. »Ganz im Gegensatz zu anderen Fehlerhaften hier.«
Kallisto war Amane gegenüber nicht aus Gemeinheit so feindselig, sondern eher aus Enttäuschung. Amane zu provozieren schien ihre Art zu sein, damit umzugehen. Trotz ihrer bitteren Wortwechsel verband die beiden Fehlerhaften eine ziemlich eigenartige Freundschaft, die über Jahre gewachsen war. Ihr Loyalitätskonflikt hatte sie entfremdet, aber sie empfanden immer noch Zuneigung füreinander. Das konnte ich in Kallistos Augen erkennen, wenn sie Amane einen Blick zuwarf.
Nun war Amane an der Reihe. Sie rührte sich nicht, als ich die Spitze der sterilisierten Nadel gegen eine Vene an ihrem Handgelenk drückte.
»Bist du bereit?«, fragte ich leise. Sie nickte knapp.
Das Blut wurde entnommen und die darauffolgenden Sekunden schienen sich in die Ewigkeit zu strecken, bis das Licht endlich blau wurde und Amane lächelte. Ich war erleichtert, aber niemand war so begeistert von dem Ergebnis wie Ridan, der trotz seines Murrens und des finsteren Gesichtsausdrucks überglücklich war. Der Drache hatte seinen Stolz und er hatte Amane vertraut. Sie hatte ihm das Leben gerettet und er hatte eine Art Bindung zu ihr aufgebaut.
Genau wie bei Dmitri fürchtete ich auch in diesem Fall, dass dieser Schuss nach hinten losgehen könnte. Aber gleichzeitig verstand ich vollkommen, wie die beiden sich in diese Kreaturen hatten verlieben können. Immerhin schlug auch mein Herz wie verrückt beim Anblick des dhaxanianischen Prinzen, der in einer ganz anderen Welt als meiner eigenen geboren und aufgewachsen war.
»Wir können euch also alle begleiten, richtig?«, fragte Kallisto mit leuchtenden und hoffnungsvollen Augen.
Ich lächelte sie sanft an. »Ja. Ehrlich gesagt habe ich mir genau das gewünscht«, sagte ich und sah dann Amane an. »Ich verstehe, warum du uns nichts davon erzählt hast, welche Rolle du in der Entwicklung der Plage gespielt hast. Das macht es nicht richtig, aber ich verstehe es. Ich hätte dich lieber an unserer Seite als auf der Seite unserer Feinde und ich bin mir sicher, dass die anderen in unserem Team trotz ihrer finsteren Blicke genauso denken«, fügte ich hinzu und warf Ridan einen kurzen Blick zu.
Douma kicherte, stand dann auf und blieb neben Dmitri stehen. »Es wäre zu schade gewesen, nicht mehr in deiner Nähe sein zu können«, sagte sie zu ihm. »Dein Gesicht ist mir vertraut und ich würde mich nur ungern von dir trennen.«
»Das bin ich für dich? Ein vertrautes Gesicht?«, fragte Dmitri und hob sarkastisch eine Augenbraue.
»Ich glaube, das war als Kompliment gemeint«, sagte ich und unterdrückte ein Lachen.
»Vielleicht tröstet es dich zu wissen, dass ich nirgendwo lieber sein würde als hier«, seufzte Amane und ließ Ridan nicht aus den Augen. Ihre Worte ließen ihn nicht kalt. Im Gegenteil, seine Aura leuchtete golden und bestätigte meine früheren Schlussfolgerungen erneut.
»Ich weiß«, antwortete Ridan leise. »Aber du kannst es mir und den anderen nicht vorwerfen, dass wir sauer auf dich sind.«
Amane schüttelte den Kopf. »Nein, natürlich nicht. Ich wäre an eurer Stelle genauso wütend. Lange Zeit dachte ich, dass hinter TaʼZans Wahnsinn Methode steckt. Doch dann sah ich seine Begeisterung über die Nachricht vom Tod der Draenir. Egal, wie gefährlich oder bösartig eine Spezies ist, es ist immer noch falsch, sich über ihren Tod zu freuen, besonders, wenn Kinder betroffen sind. TaʼZan lächelte immer, wenn er Aufnahmen von Draenirkindern und -frauen sah, die im Sterben lagen. Aber ich war ihm immer noch ergeben, trotz des Zweifels, der sich in meine Seele schlich.«
»Wann genau hast du dich von ihm entfremdet? Sei ehrlich«, forderte Kallisto und tat ihr Bestes, um Amane für ihre Taten weniger zu hassen.
»Nachdem wir aufgewacht waren und TaʼZan Derek und seine Leute entdeckt hatte. In dem Moment, als er sie sah, hielt er sie für den Schlüssel zur Optimierung seiner Schöpfung«, antwortete Amane. »Amal und ich haben ihm noch geholfen, aber ich war nicht mehr mit dem Herzen dabei. Als die erste Generation aus ihren künstlichen Gebärmüttern kam und ich sah, was TaʼZan sie lehrte, war ich angewidert. Er will keine perfekte Gesellschaft. Er will nur jeden zerstören, der nicht höchsten Standards entspricht, wie er und seine Vollkommenen. Wir sind … nur die Verbindung zwischen den Arten, glaube ich. Wir sind nicht so wichtig wie seine Vollkommenen.«
»Ja, das ist genau seine Ansicht«, bestätigte Raphael. »Er will Tod und Zerstörung. Es ist, als solle das ganze Universum dafür bezahlen, dass die Draenir gemein zu ihm waren.«
»Nun, da hat er Pech gehabt!«, fauchte ich. »Ich wurde auch einmal gemein behandelt, aber deshalb lösche ich nicht gleich ganze Spezies aus. Himmel nochmal!«
»Vielleicht wäre Mudak ein besserer Einfluss gewesen, wenn er nicht von seinen Leuten eingesperrt worden wäre.« Bogdanas Stimme schnitt durch den Regen und lenkte unsere Aufmerksamkeit auf sie.
Wir drehten die Köpfe und stellten fest, dass sie nur etwa drei Meter entfernt stand, leichtfüßig und lächelnd. Ihre Aura war ein Durcheinander von Farben und ziemlich schwer zu lesen. Entweder war sie innerlich zerrissen oder sie hatte gelernt, mich zu verwirren, denn ich war die Einzige, die erkennen konnte, ob sie die Wahrheit sagte. Ich traute ihr alles zu. Immerhin war sie eine alte Elfin und hatte mehr Erfahrung als unser gesamtes Team.
»Bogdana! Wir haben dich nicht kommen hören«, murmelte ich.
»Natürlich nicht. Ich bin ziemlich geschickt darin, mich unentdeckt zu bewegen«, antwortete sie und konzentrierte sich dann auf Amane und Raphael. »Ihr zwei scheint TaʼZan am besten zu kennen. War er schon immer so destruktiv?«
Ich fragte mich, was Bogdana mit dieser Frage bezweckte. Ihr zufolge hatte sie den Planeten vor TaʼZans Geburt verlassen. Vielleicht versuchte sie, sich ein Bild von Mudaks Schöpfung zu machen.
»Definiere destruktiv!«, sagte Raphael mit einem Grinsen. »TaʼZan verachtet im Allgemeinen alle Lebensformen, die er für minderwertig hält. Er neigt dazu, ihnen ihre Nützlichkeit abzusprechen.«
»Mit Lebensformen meinst du auch uns Humanoide, wie wir uns selbst und ähnliche Arten nennen?«, fragte ich in dem Versuch, ihn besser zu verstehen. »Elfen, Hexen, Werwölfe, Druiden. Was auch immer. Alles mit zwei Armen, zwei Beinen, einem Kopf und kognitiven Fähigkeiten. Habe ich recht?«
Raphael nickte. »Der Rest sind Tiere. Sie sind nützlich für die Umwelt. Einige sind Nahrung, andere sind Raubtiere. Am Ende gibt es ein natürliches Gleichgewicht. TaʼZan behauptet, dass das Gleichgewicht bei eurer Art nie erreicht wurde und ihr alle nutzlos und destruktiv seid.«
»Das ist doch Unsinn«, schnaubte Ridan. »Die Druiden zum Beispiel verehren die Natur und alles, was sie zu geben hat. Die Elfen sind tief mit den natürlichen Elementen verbunden. Ich könnte noch mehr Beispiele nennen, aber sicher verstehst du, was ich meine.«
»Das tue ich«, nickte Raphael. »Aber erwarte nicht, dass auch TaʼZan das auch so sieht. Er ist ganz berauscht von seiner Macht. Er glaubt, er sei der Natur überlegen.«
»Ja, und wir sind uns bereits darüber einig, dass dieser Schuss für ihn nach hinten losgehen wird«, murmelte ich, worauf Douma kicherte.
»Es ist mehr als egoistisch und irrsinnig, anderen eine Art aufzuzwingen, weil sie angeblich besser ist«, sagte sie. »Ich verstehe, dass ich in einem Labor hergestellt wurde und dass ich sowohl ein Ergebnis der Natur als auch der Wissenschaft bin. Damit habe ich kein Problem. Ich bezweifle, dass ich jemals meinen Platz in der Welt finden werde, aber wenn wir die anderen davon überzeugen, wie Raphael und ich zu denken, hat TaʼZans Betrug vielleicht zwangsläufig ein Ende. Es ist nicht richtig, so viele Leben zu zerstören, nur weil man die Macht dazu hat.«
»TaʼZan wäre ohne die Draenir nicht einmal hier«, seufzte Amane. »Ohne die Draenir wären auch wir nicht am Leben. Auch nicht ohne Wasser, welches das Leben überhaupt erst möglich macht. Oder ohne den Planeten, auf dem wir leben …«
Bogdana lächelte. »Genau. Die Natur war, ist und wird immer an erster Stelle stehen. Sie wird auch am Ende da sein, sollte es denn ein Ende geben. Wenn das Leben für immer weitergeht, dann ist die Natur mit Sicherheit immer da. Die Natur wird uns alle überleben, einschließlich TaʼZan und die Vollkommenen und alle anderen. Ich fürchte, das ist etwas, was TaʼZan noch nicht erkannt, geschweige denn akzeptiert hat. Es spricht von seiner Kurzsichtigkeit.«
»Er ist egoistisch«, sagte Amane mit gerunzelter Stirn. »Er gibt vor, sich um seine Schöpfungen zu sorgen, aber das tut er gar nicht. Er hält einen so lange am Leben, wie er einen braucht. Danach wird man verstoßen. Aber das ist eher eine Frage des Prinzips als das Ergebnis einer emotionalen Bindung. TaʼZan mag es nicht, seine eigenen Schöpfungen zu zerstören, aber das bedeutet nicht, dass er es nicht tut, wenn es sein muss. Er wird nicht zögern. Alle, die noch an seiner Seite stehen, glauben, dass sie ihm etwas bedeuten und dass er das alles für sie tut.«
»Aber da irren sie sich«, ergänzte Raphael und sah Bogdana mit zusammengekniffenen Augen an. »TaʼZan sorgt sich nur um sich selbst und darum, alle anderen zu überlisten. Er will etwas unter Beweis stellen und seine eigene Überlegenheit und die der Vollkommenen demonstrieren, obwohl ich nicht sicher bin, wem genau er das zeigen will. Mudak ist tot. Die Draenir ... nun, er hält sie alle für tot.«
Ich nickte langsam und folgte der Argumentation. »Also, für wen macht er das alles? Für alle Fremden? Oder für jemand Besonderen?«
»Von seiner Mutter ist nichts bekannt? Darüber, wer sie war oder woher sie kam?«, fragte Bogdana. Dieser abrupte Themawechsel überraschte uns alle.
»Seine Mutter? TaʼZan wurde wie wir in einem Labor erschaffen«, antwortete Amane.
»Das stimmt, aber der Embryo, der später zu TaʼZan wurde, wurde in einen Mutterleib gelegt«, sagte Bogdana. »In ein echtes Lebewesen, nicht in eine künstliche Gebärmutter. Das ist die Mutter, von der ich spreche.«
»Das wusste ich nicht«, murmelte Raphael und kratzte sich am Hinterkopf. »Woher weißt du das?«
Bogdana erzählte ihm, was sie uns bereits in Rakkhans Hütte erzählt hatte. »Es gibt also keine Informationen über die Leihmutter.« Sie seufzte.
»Was hast du dir denn von ihr versprochen?«, fragte ich leicht verwirrt.
»Ich frage mich nur, wer sie war, und ob Mudak gewollt hätte, dass sie an TaʼZans Leben teilhat. Eine Mutter hätte sein Verhalten stark beeinflusst«, erklärte Bogdana. »Schon ein wenig Liebe und Fürsorge können den Unterschied zwischen einem fortschrittlichen Genie und dem bösen Superhirn, mit dem wir uns hier herumschlagen, ausmachen.«
Amane schüttelte den Kopf und ließ einen tiefen Seufzer aus ihrer Brust rollen. »Wir wissen es nicht. Er hat nie eine Mutter erwähnt. Nun, wir haben ihn auch nie danach gefragt. Er hat uns erzählt, dass er von Mudak Marduk geschaffen wurde, also haben wir angenommen, dass er wie der Rest von uns aus einem künstlichen Mutterleib stammt.«
»Könnte es irgendwo Aufzeichnungen geben? Irgendwelche Dokumente, Berichte, wissenschaftliche Zeitschriften, Forschungsarbeiten von Mudak ... irgendetwas?«, fragte Dmitri und hob beide Augenbrauen, während er sich streckte. »Ich meine, TaʼZans Erschaffung muss doch irgendwo registriert worden sein. Immerhin war es ein Meilenstein für die Draenir, ob es ihnen nun gefiel oder nicht!«
Bogdana sah über ihre Schulter und nahm sich einen Moment Zeit, um auf die Hütte des Ältesten Rakkhan zu starren. »Ich wette eine Million Goldmünzen, dass der alte Draenir, der für dieses Lager verantwortlich ist, etwas weiß.«
Es war eine gute Frage, die wir Rakkhan stellen mussten. Er wusste zwar nichts von TaʼZans Leihmutter, aber Mudak musste irgendwo Aufzeichnungen geführt haben. Und diese Dokumente mussten nach seiner Verhaftung irgendwo gelandet sein – entweder bei den Draenir oder in irgendeiner Kiste. Es waren über hundert Jahre vergangen, seit die Plage die Draenir fast vollkommen vernichtet hatte, aber Überreste ihrer kolossalen Bauten waren noch erhalten.
Irgendwo verbargen sich womöglich unzählige Geschichten, die nur darauf warteten, entdeckt zu werden.
Geschichten, die nur darauf warteten, erzählt zu werden.