Harper
W ir lehnten uns alle zurück und sahen voller Ehrfurcht zu, wie Shayla und Nova hinter Arwen und Viola eintraten, begleitet von den vier Vollkommenen – zwei wunderschönen Männern und zwei atemberaubenden Frauen, die sie in feine, weiße Seidentuniken gekleidet hatten.
Die Männer hatten kurzes, platinblondes Haar und Augen wie TaʼZan. Die Frauen hatten schwarze Haare, die seit ihrer Gefangennahme extrem schnell gewachsen waren. Ich nahm an, dass dies Teil der vielen genetischen Verbesserungen war, die TaʼZan an seinen Vollkommenen-Frauen vorgenommen hatte. Sie verhielten sich sehr still und sahen jeden von uns aus großen Augen mit einer Mischung aus Neugier und Misstrauen an.
»Es ist okay«, sagte Arwen, als wollte er nicht nur uns, sondern auch die Vollkommenen beruhigen. »Hört alle zu, ich möchte, dass ihr Nathaniel, Uriel, Angelica und Deena kennenlernt. Diese Namen wurden ihnen von TaʼZan gegeben. Sie waren in kleine Metallplatten eingraviert, die sie um den Hals trugen, als wir sie herbrachten. Ich glaube, sie tragen sie zur Identifizierung.«
Die Vollkommenen nickten uns kurz zu.
Mir fiel auf, wie still sie waren, und ich fragte, »Wie geht es ihnen?« In ihren Augen spiegelten sich gemischte Gefühle wider, die von Angst und Sorge bis zu Verwirrung reichten.
»Nun, der Lernalgorithmus von Phoenix ist ein Geschenk des Himmels«, antwortete Arwen.
Alle Augen richteten sich jetzt auf Phoenix, über dessen Lippen ein verlegenes Lächeln huschte. »Ich habe alle Daten von ihren Speicherchips heruntergeladen, alles geprüft und herausgefunden, wie TaʼZan ihnen alles beigebracht hat. Es war nicht schwer, ein eigenes System zusammenzustellen. Zugegeben, es ist neutraler und ohne Propaganda … und es ist in einer Beta-Version.«
»Hey, die Lerneinheiten zu Sprache und kognitiven Reizen waren fantastisch!«, sagte Viola. »Es reichte aus, damit unsere vier Gäste hier reden und alles verstehen konnten.«
»Die nächste Etappe wird eine Art Weltgeschichte sein«, fuhr Arwen fort. »Sie müssen etwas über das Schattenreich, die GAÜS, Eritopia, Neraka, Nimmerstrom, die übernatürliche Dimension und so weiter lernen. Und über Strava. Wir möchten, dass sie wissen, was zuerst hier war, vor ihrem Schöpfer und vor ihnen.«
Bastien stand von seinem Stuhl auf und starrte die Vollkommenen an. »Also reden sie.«
»Ja, das tun wir«, antwortete Nathaniel. »Aber wir wissen nicht, was ihr von uns erwartet.«
»Sie haben keine Erinnerungen daran, wer sie waren oder was sie getan haben«, erinnerte uns Arwen.
»Aber hast du es ihnen gesagt?«, fragte Bastien.
Arwen nickte. »Ja. Doch es ergibt für sie nicht viel Sinn. Nicht ohne Kontext. Deshalb müssen wir sie so objektiv wie möglich unterrichten.«
Ruby seufzte. »Also, was genau willst du damit sagen? Du möchtest ihnen alles vermitteln, was in den bekannten Bereichen des Universums existiert, sodass sie selbst herausfinden können, was sie tun können und sollen?«
»Genau. Unvoreingenommene Informationsbereitstellung«, sagte Arwen. »Sie wollen unbedingt mehr lernen und verstehen. Am wichtigsten ist es, zu wissen, dass ihre Verhaltensweise friedlich ist. Sie sind in keiner Weise aggressiv oder ablehnend gegenüber irgendetwas, was wir ihnen bisher gesagt haben.«
»Wir sind uns bewusst, dass wir tot waren und dass ihr uns gefangen genommen habt«, sagte Nathaniel. »Wir haben wiederholt miteinander gesprochen, nachdem wir unser Bewusstsein wiedererlangt haben. Wir sind uns alle einig.«
»Worin genau seid ihr euch einig?«, fragte ich.
»Dass wir so konform wie möglich sein wollen«, antwortete Uriel.
»Wir sind uns unserer Fähigkeiten bewusst. Viola und Nova haben uns alles erzählt«, fügte Angelica hinzu.
Das klang nach einer schrecklichen Idee und mein Gesichtsausdruck muss diese Empfindung wohl widergespiegelt haben, als ich die beiden Töchter finster ansah.
»Wir dachten, es wäre besser, wenn sie Bescheid wissen«, sagte Viola und zuckte dann mit den Schultern. »Es schien logisch. Das tut es immer noch.«
»Hätten sie allein herausgefunden, wozu sie in der Lage sind, wären sie wütend auf uns gewesen, weil wir ihnen die Wahrheit vorenthalten haben«, mischte sich Nova ein.
Arwen grinste. »Da stimme ich den Mädchen zu. Wenn wir mit diesen Leuten zusammenarbeiten wollen, müssen wir von Anfang an einen offenen und ehrlichen Dialog mit ihnen führen.«
»Siehst du das auch so?«, fragte Mona Shayla.
»Das tue ich«, antwortete Shayla. »Sie sind unglaublich mächtig und wir brauchen sie auf unserer Seite. Das können wir nur erreichen, wenn wir ehrlich miteinander sind.«
Mona nickte langsam, als würde sie alles verarbeiten.
»Okay, also, was haben wir hier?«, fragte River. »Schattenreich-Schule, nächste Auflage?«
Arwen seufzte. »Ja. Wir werden ihnen so viele Informationen wie möglich über unsere und ihre Welten geben. Dann werden wir ja sehen, was sie denken«, sagte sie. »Ich glaube nicht, dass sie von Natur aus Mörder sind. Vielmehr bin ich überzeugt, dass dies Teil ihrer Indoktrinierung hier auf Strava war. Ich bin sicher, sie werden die Dinge bald so sehen wie wir.«
Ein Moment verging in absoluter Stille – es war eine geladene Stille, die alle belastete. Aber bald wurde eine Entscheidung gefällt, die in unseren Augen schimmerte, als wir uns ansahen. Wir waren uns alle einig.
»Es kann nicht schaden, es zu versuchen«, grummelte Bastien.
Nathaniel, Uriel, Angelica und Deena lächelten uns an.
»Wir sind bereit zu lernen und zu verstehen«, sagte Nathaniel. »Im Moment sind wir an Gewalt jeglicher Art nicht interessiert.«
»Ehrlich gesagt bin ich mir nicht sicher, ob ich herausfinden möchte, was für eine Person ich früher war, aber soweit ich das beurteilen kann, ist es besser, es zu erfahren, als mit der Ungewissheit zu leben«, antwortete Uriel.
»Cool, dann lasst es uns so machen!«, rief ich aus. »Was ist das Schlimmste, was passieren kann?«
»Dass sie zu mordlustigen Bestien werden, unabhängig davon, was sie lernen«, schlug Phoenix vor. Jedes Wort tropfte mit Sarkasmus.
»Du kannst eine rhetorische Frage immer noch nicht erkennen, oder?«, schoss ich zurück.
Arwen klatschte einmal in die Hände. »Wir geben ihnen hier auf dem Berg Zur ein eigenes Quartier«, sagte sie. »Wir werden sie jederzeit im Auge behalten, aber ich würde empfehlen, dass sie sich frei bewegen können.«
»Wir könnten sie ohne extreme Maßnahmen nicht aufhalten. Und das würde dem Zweck dieses Experiments widersprechen«, antwortete Caleb.
Während ich Nathaniel, Uriel, Angelica und Deena betrachtete, musste ich mich fragen, was für Kreaturen sie wirklich waren. Waren sie am Ende einfach nur dazu geschaffen, zu gehorchen und alles zu zerstören, was sich ihnen in den Weg stellte, oder waren sie fähig, – so wie Phoenix es vermutete – auf der Grundlage ihrer Erinnerungen eigenständige Persönlichkeiten zu werden, die ihre eigenen Gedanken und Meinungen formen konnten?
Zu diesem Zeitpunkt blieb mir zunächst nur die Hoffnung. Vier Vollkommene auf unserer Seite waren besser als keine. Wir konnten auf Strava noch nicht eingreifen, es sei denn, wir wollten eine weitere Flotte verlieren. Das Nächstbeste, was wir tun konnten, war daher, uns mit unseren … Gästen zu verbünden.
Außerdem war Arwen ein zäher Brocken. Sie hatte ihre eigene Art, die Dinge in die Hand zu nehmen.