Ridan
N achdem Amane Raphael mit einem Seriumblocker ausgestattet und Araquiels Speicherchip entfernt hatte, bewachten wir abwechselnd seinen Körper, während er sich regenerierte. Uns blieben noch einige Stunden bis Mitternacht und ich hatte bereits meine Tasche für die Reise gepackt, komplett mit Zermalmer-Kapseln und meiner eigenen Waffe. Wallah hatte mir bereits gezeigt, wie man sie bedient, und wir hatten vereinbart, zuerst die Kugeln zu nutzen und den Zermalmer erst dann einzusetzen, wenn wir keine andere Option mehr hatten.
Ohne einen Seriumblocker bestand immer noch die Gefahr, dass Araquiel entdeckt wurde, aber Rose und Ben waren damit einverstanden, ihn in dem Lager unter der Erde zu halten, um dem vorzubeugen. Es hatte bei Douma funktioniert und musste nun auch bei Araquiel funktionieren. Außerdem bestand die Möglichkeit, dass Araquiel automatisch als tot angesehen wurde, sobald die Vollkommenen Spuren der Asche seiner Teamkollegen fanden. Sie würden sicherlich einiges davon im Gras entdecken, was dann leicht zu der Annahme führen sollte, dass auch er dauerhaft verloren war.
Ich ging zurück an die Oberfläche, nachdem ich Vesta und Zeriel in einer der medizinischen Kammern des Lagers bei ihm zurückgelassen hatte. Draußen bereiteten unsere Teams schon alles für die bevorstehenden Aufträge vor. Kallisto und Lumi überprüften die magischen Vorräte, während Dmitri, Ridan, Nevis und Taeral Waffen und Munition vorbereiteten. Draven und Serena kümmerten sich um das Schärfen der Klingen und Avril und Heron widmeten sich den jungen Draenir, um sie besser kennenzulernen.
Rose, Ben, Bijarki und die Fehlerhaften halfen einigen von ihnen, die leeren Zelte zu räumen, bauten sie ab und verbrannten sie Stück für Stück am Lagerfeuer. Je geringer unsere Spuren waren, desto besser, für den Fall, dass noch mehr Vollkommene vorbeikommen sollten. Bogdana saß auf den kleinen Stufen, die zu Rakkhans Veranda führten, und der Älteste saß direkt neben ihr. Sie unterhielten sich und ein nostalgisches Lächeln lag auf ihren Gesichtern, während sie sich umsahen.
Ich fragte mich, ob sie über vergangene Zeiten sprachen, über die Draenir und die Zeiten, als Bogdana noch hier gelebt und Mudak beunruhigend nahe gestanden hatte … Ich traute ihr immer noch nicht. Mein Bauchgefühl sagte mir, dass sie nicht ganz ehrlich zu uns war. Dass sie uns etwas vorenthielt. Laut Elonora und Lumi hatte ich das Recht, misstrauisch zu sein – das waren sie auch.
Ich lief eine Weile durch das Lager und bemerkte die Asche, die direkt am Eingang verstreut war – graue Spuren über dunklem, nassgrünem Gras. Ich konnte das Unbehagen nicht abschütteln, das mich seit dem Tod der Vollkommenen befallen hatte. Irgendwann würden mehr von ihnen kommen. Ich verstand nicht so ganz, wie sie uns so schnell hatten aufspüren können, aber wenn Abaddon es geschafft hatte, dann würden es auch andere schaffen. Außerdem gab es Aspekte von TaʼZans Mischung aus Magie und Technologie, die ich nicht ganz verstand.
Amane huschte durch die Bäume, einige Meter vom Zaun des Lagers entfernt, und ich spürte den Drang, ihr zu folgen. Leichtfüßig lief ich ihr nach. Sie bewegte sich schnell wie ein Pfeil, als sie tiefer in den Dschungel tauchte. Sie bemerkte mich nicht, obwohl ich nah an ihr dran blieb.
Sie warf einen Blick über die Schulter und ich versteckte mich hinter einem Baum. Sie weinte. Es brach mir das Herz, sie so zu sehen, und ich war entschlossen herauszufinden, warum sie so litt.
Ich blieb stehen und sah zu, wie sie auf einen der höchsten Bäume kletterte. Sie sprang von Ast zu Ast, bis sie sich auf einem nahe der Spitze niederließ. Sie bewegte sich eine Weile nicht, ich sah nur, wie ihre Schultern bebten, während sie schluchzte. Ich holte tief Luft und ging dann auf sie zu.
Amane hörte mich und blickte nach unten. Ihre leuchtend orangefarbenen Augen weiteten sich, als sie mich sah.
»Was tust du hier?«, fragte sie, ihre Stimme zitterte.
Innerhalb von Sekunden saß ich neben ihr auf demselben Ast. Er knarrte unter mir, aber ich hielt an der Hoffnung fest, dass er unter meinem Gewicht nicht nachgeben würde. Er schien stabil genug zu sein, um mich nicht in eine peinliche Situation vor der Kreatur zu bringen, die mich so faszinierte. Mein Herz schlug heftiger, als Amane mich ansah. Ich konnte die Wirkung, die sie auf mich hatte, nicht länger ignorieren. Ich musste etwas dagegen tun.
»Ich gehe nur ein wenig spazieren«, antwortete ich und mein Mundwinkel zuckte.
Sie verzog spöttisch den Mund und sah dann weg. »Und du konntest dir keinen anderen Baum aussuchen, um die Aussicht zu genießen?«
Und was für eine Aussicht das war. Wir waren immer noch im Schatten der Baumkrone, aber wir konnten trotz der aufkommenden Gewitterwolken alles um uns herum klar sehen. Der Dschungel war dicht und üppig und leuchtete in tiefen Grün- und Gelbtönen. Der graue Himmel dehnte sich bis zum Horizont aus. Das Wasser des Ozeans war fast blaugrün und nicht wie üblich von einem kräftigen Türkis. Die Gegend um Merinos wurde ständig von Stürmen und wochenlangen Regenfällen heimgesucht, aber sie besaß dennoch eine gewisse wilde Schönheit, die einem den Atem rauben konnte.
»Mir gefällt dieser Baum am besten«, sagte ich, »denn du sitzt hier oben.«
Amane versuchte zu lächeln, aber da war so viel Traurigkeit in ihr, dass sie praktisch aus ihr herausströmte. Sie gab nach und fing wieder an zu weinen. Ich war sprachlos und suchte fieberhaft nach etwas, das ich sagen oder tun könnte, damit sie sich besser fühlte. Mir fiel jedoch nichts ein.
Nur mein Arm schien plötzlich ein Eigenleben zu haben. Er legte sich um ihre Schultern und zog sie näher an mich heran. Amane hatte keine Einwände. Stattdessen schluchzte sie nur heftig.
»Shh … es wird alles gut«, flüsterte ich und merkte dann, dass ich keine Ahnung hatte, wovon ich sprach. Was wäre, wenn überhaupt nichts wieder gut würde? Das hätte mich zu einem Lügner oder schlimmer noch zu einem Idioten gemacht. »Oder zumindest denke ich, dass es so sein wird.«
Sie antwortete zwar nicht, aber sie beruhigte sich innerhalb weniger Minuten.
»Was bedrückt dich, Amane?«, fragte ich und drückte sanft ihre Schulter. Sie fühlte sich weich und gleichzeitig fest an. Ich fühlte ihre Schuppen unter meinen Fingerspitzen – leicht formbar und überhaupt nicht hart, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Ich fragte mich, welche Tiere TaʼZan gekreuzt hatte, um sie zu erschaffen, denn sie war wirklich atemberaubend.
»Alles«, sagte sie. »Alles ist falsch und ich bin schuld …«
»Warte, wovon redest du?«
»Ich habe das getan!«, schrie sie und deutete auf unsere Umgebung. »Die Draenir, die Plage … Ich habe TaʼZan geholfen, eine ganze Zivilisation zu zerstören. Millionen unschuldiger Kreaturen sind meinetwegen gestorben!«
Ich atmete aus. Technisch gesehen hatte Amane recht. Aber ihre Umstände waren kompliziert und ihr hatte es an Erfahrung und Reflexion gefehlt, um das zu verstehen. Trotz ihres brillanten Verstandes musste Amane noch lernen, die verschiedenen Grautöne zu unterscheiden, aus denen das Leben bestand.
»Du wusstest es nicht besser, Amane«, sagte ich zu ihr. »Du warst naiv. Du wusstest nur, was TaʼZan dir gesagt hat. Du dachtest, dass du das Richtige tust. Zugegeben, ein tödliches Virus zu entwickeln ist nicht gerade nobel, aber wie gesagt, TaʼZan hat dich manipuliert, so wie er jeden um sich herum manipuliert, um seinen Bedürfnissen zu entsprechen.«
Sie nickte. »So wie er meine Schwester manipuliert, meinst du.«
»Nun, ja. Und du kannst dir nichts von all dem vorwerfen. TaʼZan hat euch alle zu lange im Dunkeln gehalten, auch wenn ich bezweifle, dass Amal ihm jetzt noch blind folgt. Sie muss inzwischen ihre eigenen Zweifel haben, aber ohne dich fehlt ihr vielleicht der Mut, TaʼZan zu verlassen.«
»Wir müssen ihn aufhalten«, antwortete sie. Ihre tränennassen orangefarbenen Augen glänzten nun wie kostbarer Bernstein. »Ich muss ihn aufhalten, Ridan. Egal wie. Ich muss alles tun, um einen weiteren Völkermord zu verhindern. Ich kann nicht zulassen, dass das, was mit den Draenir passiert ist, jemals wieder geschieht. Nicht mit deinem Volk, nicht auf irgendeinem anderen Planeten in diesem endlosen Universum. Ich darf nicht zulassen, dass mehr Blut für seine Lügen vergossen wird.«
Ich konnte meinen Blick nicht von ihr abwenden. Aus ihrem Innersten drang ein Gefühl der Entschlossenheit, das meine Sinne erschütterte und meine volle Aufmerksamkeit und Bewunderung forderte. Sie war weit von der nihilistischen Schurkin entfernt, die mir nach Araquiels mörderischem Schlag das Leben gerettet hatte. Ich verdankte ihr so viel und ich würde nicht zulassen, dass sie der Verzweiflung erlag – nicht jetzt und auch in Zukunft nicht.
Aber ich musste auch ehrlich zu ihr sein.
»Du weißt, dass in diesem ganzen Durcheinander Leute ihr Leben verlieren werden«, sagte ich. »Das ist Krieg, Amane. Weitere Leute können sterben. Uns eingeschlossen.«
»Ich bin mir dessen bewusst«, seufzte sie. »Trotzdem denke ich, dass ich einen Weg finden könnte, die Anzahl der Opfer zu minimieren …«
»Was meinst du?«, fragte ich stirnrunzelnd.
Sie atmete aus und rieb sich mit den Handflächen das Gesicht. »Ich bin noch nicht sicher. Es ist nur eine Idee. Ich werde erst mehr herausfinden, wenn ich zu meiner Schwester gelange. Mein Verstand arbeitet anders, wenn sie da ist. Ich habe es dir gesagt – wir sind vielleicht Zwillinge, aber wir sind auch zwei Teile eines Ganzen. Wenn du mich jetzt schon für schlau hältst, warte, bis ich mit meiner Schwester zusammen bin. Es wird dich umhauen.«
Amal und Amane waren die einzigen biologischen Zwillinge, die sich jemals in einer der künstlichen Gebärmütter von TaʼZan gebildet hatten. Sie waren etwas ganz Besonderes: Wenn sie zusammen waren, funktionierten die Gehirne der Schwestern anders, auf einem viel höheren Niveau. So hoch, dass sie die genetische Vorlage für die Vollkommenen mithilfe von Vampirgenen entwickelt hatten. Sie hatten ein außerordentliches Raubtier geschaffen, mit den Fähigkeiten der Vampire, aber ohne ihre Schwächen.
Sobald Amal und Amane voneinander getrennt waren, funktionierten sie mit gewissen Einschränkungen. Sie waren zwar immer noch brillant, aber nicht so sehr, wie wenn sie zusammen waren. Was auch immer Amane im Sinn hatte, sie musste näher bei ihrer Schwester sein, um es vollständig zu verarbeiten und uns eine Lösung zu präsentieren. Ihr Ziel war jedoch klar. Sie wollte, dass sich die Geschichte nicht wiederholt. Sie wollte einen weiteren Völkermord vermeiden und sie wollte TaʼZan ohne allzu viel Blutvergießen aufhalten.
Ich hatte das Gefühl, dass dies etwas mit den Vollkommenen zu tun hatte, aber ich konnte nicht sicher sein, bis sie es mir bestätigte.
»Glaubst du, du könntest mehr als einen Vollkommenen kontaktieren und sie auf unsere Seite bringen, auch ohne Operation und Seriumblocker?«, fragte ich auf gut Glück.
Sie nickte erneut. »Ich weiß nur noch nicht wie.«
Plötzlich sah ich alles ganz klar vor mir. Ich hatte eine bessere Vorstellung davon, was wir tun würden und wie wir es tun würden. Ich umfasste ihr Kinn sanft mit Daumen und Zeigefinger und drehte ihren Kopf, damit sie mich ansehen konnte.
»Wir haben gerade viel um die Ohren«, sagte ich. »Lass uns diese erste Mission ins Rollen bringen. Wir helfen unseren Leuten und folgen unserem Plan. Sobald wir wieder im Lager sind, werden wir einen Weg finden, dich Amal näher zu bringen, versprochen.«
Sie dachte eine Weile darüber nach und lächelte dann schwach. »Je länger TaʼZan am Boden gehalten wird, desto größer ist unsere Chance, alle zu retten«, antwortete sie. »Ich weiß. Ich verstehe es. Wenn wir seine Flugpläne vereiteln, wird uns das wertvolle Zeit verschaffen. Von da an wird sich alles andere finden. Aber du musst dir über eines im Klaren sein: Wenn wir das durchziehen, seine Shuttles sabotieren und sein Kommunikationssystem deaktivieren, wird TaʼZan extrem wütend werden. Wenn er wütend ist, ist er grausam und … schrecklich kreativ.«
»Daran habe ich nicht den geringsten Zweifel«, seufzte ich. »Aber du bist nun schon lange genug bei uns, um zu verstehen, dass wir nicht so einfach aufgeben.«
Sie kicherte leise. »Ihr gebt nie auf.«
Ich verstummte und konnte meine Augen nicht von ihren abwenden. Im Schatten des Baumes wurde das Orange ihrer Iris dunkel wie Akazienhonig. Amane rührte sich nicht und mein Gehirn zwang mich schnell zu einer ziemlich einfachen Schlussfolgerung: Wir könnten sterben, ob das hier nun klappte oder nicht. Also, was hatte ich zu verlieren?
Ich folgte meinem klopfenden Herzen und beugte mich vor. Sie hielt den Atem an und ich küsste sie.
Amanes Lippen waren weich. Ein gedämpftes Stöhnen entrang sich meiner Kehle, als sie sich öffneten und ich die natürliche Süße ihres Mundes schmeckte. Ein Hauch von Beeren und die gleiche Art von Honig, die ich in ihren Augen gesehen hatte. Meine Hand hob sich instinktiv, umfasste ihre Wange und hinderte sie daran, sich zurückzuziehen.
Alles andere verschwand für einen Moment. Ob dieser Moment eine Sekunde oder eine Minute dauerte, konnte ich nicht sagen. Amane zu küssen fühlte sich unglaublich gut an und ich wusste tief in meiner Seele, dass es auch furchtbar süchtig machte. Diese Kreatur hatte mein Herz gestohlen, als sie diese kokosnussähnliche Maske zum ersten Mal von ihrem Gesicht genommen und sich als meine unerwartete Retterin offenbart hatte.
Als ich mich von ihr löste, kehrte die Welt zurück – laut und leise, hell und dunkel zugleich. Und Amane starrte mich mit großen Augen und köstlich rosigen Lippen an. Ich wollte sie noch einmal küssen, aber irgendetwas sagte mir, dass sie nicht bereit dafür war. Sie schien verwirrt zu sein.
»Es tut mir leid«, murmelte ich. »Ich musste nur … ich musste es einfach tun.«
»Was war das?« Sie atmete, blinzelte schnell und war deutlich verwirrt.
Da traf es mich. Amane hatte keine Ahnung, was ein Kuss war oder was er bedeutete.
»TaʼZan hat euch nie etwas über die Intimität zwischen zwei Personen beigebracht? Über Anziehung … und Liebe?«, fragte ich, nahm eine Locke ihres langen weißen Haares und wickelte sie um meine Finger. Ich blieb ihr ganz nah und atmete sie ein. Meine Nasenlöcher füllten sich mit ihrem natürlichen Duft – eine schillernde Mischung aus Jasmin und Hibiskus mit einem Hauch von Zitrus.
Sie schüttelte langsam den Kopf.
»Oh. Nun, das ist peinlich.« Ich kicherte.
»Warum peinlich?«
»Weil ich dir ein paar Dinge erklären muss, von denen ich nicht dachte, dass ich sie erklären müsste«, sagte ich lächelnd.
Sie hatte eine gewisse Unschuld, die mich im bestmöglichen Sinne des Wortes verrückt machte. Amane war unberührt, makellos und sie hatte mein Herz bereits fest in der Hand. Ich hatte nicht die Absicht, sie zu verlieren. Nicht jetzt und auch in Zukunft nicht.
Ich war nicht so traditionell wie die meisten Feuerdrachen, was Keuschheitsgelübde und einzige Seelenverwandte betraf. Ich hatte während meines Aufenthalts im Schattenreich in der Vergangenheit Freundinnen gehabt, aber keine konnte sich mit dieser wunderbaren Kreatur messen. Dies war meine einzige Chance, mein Leben zum Besseren zu wandeln – vorausgesetzt natürlich, ich überlebte Strava. Aber Amane war definitiv ein entscheidender Teil der Zukunft, die ich mir vorstellte. Dieser Kuss hatte mich darin nur bekräftigt.
Amane senkte ihren Blick und ihre Wangen glühten in einem wunderschönen Rosaton. Ihr Körper reagierte auf mich auf eine Weise, die sie selbst nicht einmal bemerkte. »Ich weiß nichts über … das, was auch immer das ist«, murmelte sie.
Ich strich mit meinen Fingerspitzen über die weiche Linie ihrer Wange und fuhr dann mit meinem Daumen über ihre Unterlippe, die immer noch zart von meinem Kuss war. Unsere Blicke trafen sich und ihre Pupillen weiteten sich, als wären sie in absolute Dunkelheit getaucht.
»Wie fühlt sich das an?«, fragte ich leise und heiser.
Amanes Wirkung auf mich war jetzt hörbar. Ich machte mir nur Sorgen, dass mein Herz nachgeben und explodieren würde, wenn man bedachte, wie heftig es schlug und gegen meinen Brustkorb hämmerte. Sie lächelte und ein Feuer loderte in mir auf.
»Es fühlt sich gut an«, flüsterte sie. »Wie nichts, was ich jemals zuvor gefühlt habe. Ich weiß nicht, was das ist oder was es bedeutet oder warum es mir gefällt.«
»Ich bin sicher, TaʼZan hat euch etwas über Fortpflanzung und diese Dinge beigebracht«, antwortete ich.
»Nun ja. Über den Geschlechtsakt zum Erhalt der Spezies«, sagte sie.
»Es ist jedoch mehr als das«, antwortete ich und rückte näher an sie heran, bis ihr warmer Atem meine Lippen kitzelte. »Amane, zwei Leute kommen nicht nur zusammen, um ein Baby zu bekommen und … die Spezies zu erhalten. Wir verbinden uns. Wir verlieben uns. Wir verbringen den Rest unseres Lebens damit, uns gegenseitig zu genießen, mit Leib und Seele, bis wir sterben. Oder wenn möglich bis zum Ende der Zeit. Das ist Liebe, Amane.«
»Was ist Liebe?«
Ich drückte meine Lippen für einen Moment gegen ihre, genug, um wieder in ihrer Weichheit zu schwelgen.
»Sie schleicht sich an dich heran. Du merkst erst, dass du verliebt bist, wenn es zu spät ist«, flüsterte ich ihr ins Ohr. »Fühlst du, wie dein Puls rast?«
»Ja«, brachte sie heraus, unfähig, sich zu bewegen.
»Fühlst du, wie dein Herz plötzlich heftig schlägt, wie sich deine Brust zu klein dafür anfühlt?«
»Ja …«
»Und wie fühlt sich das an?«, fragte ich und küsste sie noch einmal kurz.
»Ich bin nicht sicher, wie ich es beschreiben soll«, raunte sie und sah mich verwirrt an. »Nur, dass ich nicht will, dass es aufhört.«
Das war Musik in meinen Ohren. Es brachte das idiotischste Grinsen in mein Gesicht, so begeistert war ich, dass sie etwas fühlte, dass auch sie nicht genug von mir bekommen konnte. Ich könnte es von nun an mit tausend TaʼZans aufnehmen, nur um mit ihr zusammen zu sein.
Wir hatten während unserer Dschungelwanderungen unsere Höhen und Tiefen gehabt. Wir hatten Seite an Seite gekämpft und Früchte vom selben Baum gegessen. Wir hatten von dem Moment an, als wir uns kennengelernt hatten, viel Zeit miteinander verbracht. Selbstverständlich waren wir uns nähergekommen. Ich wurde mir ziemlich schnell bewusst, was ich für sie empfand, aber ich war zu beschäftigt damit, zu fliehen oder um mein Leben zu kämpfen, um etwas zu unternehmen. Ich hatte das Gefühl, dass dies einer der wenigen Momente war, die mir blieben, damit etwas zwischen uns geschah.
»Gut«, sagte ich und küsste sie ein viertes Mal. Immer noch genauso entzückend, genauso süchtig machend. »Ich empfinde das Gleiche.«
»Aber was bedeutet es? Ich verstehe es nicht. Ist das sexuelle Anziehung? Ich habe nur darüber gelesen. Ich weiß nicht, wie es sich anfühlen soll«, murmelte Amane und senkte ihren Blick.
»Das ist in Ordnung«, antwortete ich sanft. »Wir werden es gemeinsam herausfinden.«
»Warum bist du so?«, fragte sie mit gequältem Gesichtsausdruck. »Warum bist du so nett? Ich habe euch alle betrogen.«
Ich runzelte die Stirn. »Du redest davon, dass du über deinen Beitrag zur Plage geschwiegen hast?«, fragte ich und versuchte herauszufinden, was sie meinte und warum sie sich plötzlich in ihr Schneckenhaus zurückgezogen hatte. Sie nickte. »Amane, versteh mich nicht falsch. Ich war wütend, als ich herausfand, dass du an ihrer Entwicklung beteiligt warst. Aber wir können die Tatsache, dass das Blut von Millionen von Draenir an deinen Händen klebt, niemals ändern oder ungeschehen machen. Das Beste, was wir tun können, ist sicherzustellen, dass es nie wieder passiert.«
»Wir?«
»Ja, wir. Wir sind zusammen in dieser Sache, Amane. Und ich lasse dich nicht gehen«, sagte ich.
»Ich habe das Aussterben der Draenir verursacht …«
»Aber du versuchst jetzt, eine bessere Person zu sein. Du kämpfst auf unserer Seite. Du arbeitest hart daran, TaʼZan davon abzuhalten, es noch viel schlimmer zu machen«, antwortete ich. »Amane, du bist nicht mehr die Person, die TaʼZan geholfen hat. Dessen musst du dir bewusst sein.«
»Das bin ich. Ich weiß nur nicht, wer ich stattdessen sein werde.«
Ich küsste sie noch einmal auf die Wange und rutschte dann zu einem der unteren Äste hinab. Sie sah mich lächelnd an.
»Warum finden wir es nicht zusammen heraus?«, fragte ich. »Lass uns losziehen und TaʼZan das Leben zur Hölle machen. Wir können uns unterwegs noch ein wenig küssen, wenn es dir gefällt«, fügte ich hinzu und zog die Augenbrauen hoch.
Amane kicherte und mein Herz setzte einen Schlag lang aus. Ich liebte den Klang ihres Lachens. Dies war das erste Mal, dass ich es hörte, wie es durch die umliegenden Wälder hallte.
»Ich werde nicht Nein sagen, wenn es dir gefällt«, gab sie zurück.
Wir kletterten den Baum hinunter und jagten uns gegenseitig von einem Ast zum anderen, bis unsere Füße den nassen Boden berührten. Kaum waren wir unten angekommen, riss der Himmel auf und Regen fiel heftig auf die Erde. Wir rannten lachend um die Wette zurück ins Lager. Ich ließ sie gewinnen, es würde ihr guttun.
Ich wollte nicht, dass dieser Moment endete, aber ich wusste, dass er enden würde.
Das Beste, was ich tun konnte, war sicherzustellen, dass wir noch viele Momente wie diesen genießen konnten.