Rose
A ls die Dunkelheit der Nacht über Merinos fiel, beruhigte sich der Sturm. Der Geruch von nassem Holz und Gras erfüllte meine Lungen, als ich tief Luft holte und unsere Teams betrachtete – drei Gruppen in der Mitte des Lagers.
Bogdana blieb an Rakkhans Seite, beide ließen sich auf der Verandastufe seiner Hütte nieder. Ich nahm an, dass es sich um zwei sehr alte Seelen handelte, die durch die Umstände wiedervereint und durch eine gemeinsame Vergangenheit miteinander verbunden waren.
Lumi kam zu mir, während die anderen ein letztes Mal ihre Taschen und Vorräte überprüften. Unser Aufbruch stand bevor und ich musste zugeben, dass meine Nerven angespannt waren. In meiner Brust spürte ich eine Mischung aus Hoffnung und Angst. Ersteres wurde von Letzterem bedroht, da es nichts Verheerenderes gab, als seine Hoffnungen von der Realität zerschlagen zu lassen. Seit unserer Ankunft auf Strava hatten wir das schon mehr als einmal erlebt.
Nur hing dieses Mal das Schicksal des gesamten Universums in der Schwebe.
»Wie sieht die Lage bisher aus?«, fragte Lumi mich.
»Eigentlich nicht schlecht. Die Zermalmer ändern natürlich alles. Aber dass die Draenir mit uns zusammenarbeiten, ist wertvoller als alles andere«, sagte ich. »Die Jungen wissen vielleicht nicht so viel über Strava wie beispielsweise die Fehlerhaften oder Raphael, aber Rakkhans Wissen ist entscheidend für unsere nächsten Schritte.«
»Ich muss sagen, ich bin überrascht, dass er die Plage überlebt hat. Nun, ich bin überrascht, dass überhaupt einer von ihnen überlebt hat«, murmelte Lumi. »Nach allem, was wir über das Virus wissen, hatte es verheerende Auswirkungen. Es breitete sich schnell aus. Die meisten Draenir hatten keine Chance.«
»Du weißt, dass immer auch ein wenig Glück im Spiel ist. Rakkhan war wahrscheinlich einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort«, sagte ich.
»Oh, ich weiß nicht. Ich lebe schon lange genug, um zu wissen, wie selten man einfach Glück hat und wie unglaublich nützlich eine gute Planung sein kann.«
Mein Atem stockte für einen Moment, als ich begriff, was Lumi damit andeutete. Ich starrte sie eine Weile mit offenem Mund an, bis sie langsam eine Hand hob und mein Kinn wieder nach oben schob. Sie unterdrückte ein Grinsen, als sie nach vorn blickte.
»Willst du damit sagen, dass Rakkhan mehr über die Plage wusste, als er uns erzählt hat?«, krächzte ich.
»Ich will gar nichts sagen. Ich denke nur über die Möglichkeit nach«, antwortete Lumi. »Ich vertraue dir, Rose. Genug, um zu wissen, dass du es für dich behalten und auch darüber nachdenken wirst. Während du hier bei Rakkhan bleibst, kannst du vielleicht einige Fragen stellen. Der Älteste scheint dir zu vertrauen. Ich würde es an deiner Stelle ausnutzen.«
Ich atmete aus. »Glaubst du wirklich, Rakkhan wusste von der Plage, bevor sich das Virus ausbreitete, und hat nur ein paar Draenir zusammengetrommelt, um sie zu retten?«
»Ich würde die Möglichkeit nicht ausschließen.«
»Puh. Du sprichst manchmal in Rätseln. Zu welchem ​​Zweck hätte er das tun sollen?«
Lumi zuckte die Achseln. »Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass er wusste, dass er die Plage nicht aufhalten konnte, er jedoch einige Draenir retten könnte, wenn er sie nur weit weg vom Infektionsherd bringt.«
Ich konnte ihre Vermutung nicht widerlegen, aber ich fragte mich doch, warum Rakkhan das hätte tun sollen. Was hätte ihn dazu gebracht, sein Wissen den anderen Draenir gegenüber zu verschweigen und stattdessen eine Handvoll Überlebender nach Merinos zu bringen?
Ich hatte Zeit, um darüber nachzudenken, während ich darauf wartete, dass unsere drei Teams zurückkehrten– hoffentlich sicher, gesund und mit erfolgreich abgeschlossenen Missionen.
»Du musst Bogdana im Auge behalten, während wir weg sind«, murmelte Lumi, verschränkte die Arme und stand wie beiläufig neben mir, während wir beide das Lager überblickten.
Die meisten Zelte waren abgebaut worden und hatten sich bereits in Holzkohle verwandelt, aber einige von ihnen leuchteten immer noch rot und knisterten im Lagerfeuer. Wir hatten ein paar stehen lassen, in denen wir und die jungen Draenir schlafen konnten, zusammen mit dem Brunnen und dem Tisch für die Zubereitung von Speisen. Alles andere war zerstört worden, da wir uns darauf geeinigt hatten, bei Bedarf jederzeit aufbrechen zu können. Jedes unserer Teams hatte Verfolgungszauberutensilien erhalten, damit wir einander finden konnten, wenn wir gezwungen wären, das Lager zu verlassen.
»Das werde ich, mach dir keine Sorgen«, antwortete ich.
»Sie hat uns nicht alles erzählt, darauf würde ich mein Leben verwetten«, sagte Lumi.
»Ich weiß. Ich habe ähnliche Vermutungen, was sie betrifft. Ich glaube, Elonoras Wächterfähigkeiten färben langsam auf mich ab.« Ich kicherte.
Lumi grinste. »Entweder das, oder deine Instinkte sind schärfer, als du gedacht hast. Versteh mich nicht falsch, ich bin mir sicher, dass Bogdana uns bei den Hermessi helfen wird. Sie ist von all den Elfen, denen ich begegnet bin, seit diese ganze Katastrophe in Strava begonnen hat, definitiv diejenige mit der stärksten Verbindung zu ihnen. Aber da gibt es etwas in ihrer Vergangenheit, das sie uns nicht erzählt.«
Ich nickte langsam und warf ihr dann einen Seitenblick zu. »Weißt du, Heron lässt zwei seiner Schutzwachen bei uns. Das bedeutet zwei mächtige Maras, mit Sumpfhexensymbolen auf ihrer Haut, die mit Sicherheit brauchbarere Fähigkeiten haben als wir, wenn es um Bogdana geht.«
»Elonora hat bestätigt, dass die alte Elfin etwas vortäuscht. Aber sie spürte einen Anflug von Angst. Als ob Bogdana uns mehr erzählen möchte, sie aber Angst davor hat, wie wir reagieren könnten«, sagte Lumi. »Ob sich dies auf unsere Mission auswirkt oder nicht, bleibt abzuwarten. In jedem Fall ist Diskretion geboten. Mit Bogdanas Verbindung zu den Hermessi können wir es nicht riskieren, sie als Verbündete zu verlieren.«
»Ich werde die Wachen dazu bringen, sie sich gründlich vorzunehmen«, murmelte ich. »Bevor sie überhaupt weiß, wie ihr geschieht. Was auch immer es ist, wir werden es herausfinden, Lumi.«
Die Sumpfhexe schenkte mir ein trockenes Lächeln. Ihre weiße Iris mit den blauen Rändern ließ mich erschaudern. Immer wenn ich sie ansah, fühlte ich mich gleichzeitig unwohl und erleichtert. Ich hatte das Gefühl, dass das in ihrer Natur lag, und ich fragte mich, ob Kailani das gleiche Gefühl in mir wecken würde, wenn sie ihre Ausbildung zur Sumpfhexe einmal abgeschlossen hatte und so wie Lumi wurde.
»Ich schlage vor, du tust es, wenn niemand in der Nähe ist, insbesondere nicht Rakkhan und die Draenir«, sagte sie. »Wenn das, was uns Bogdana vorenthält, unsere zerbrechlichen Allianzen mit den Draenir oder Raphael gefährden kann, sollten wir es lieber für uns behalten und darüber reden, sobald wir von dieser ersten Phase unserer Mission zurück sind.«
Jetzt war ich an der Reihe zu nicken. »Das sehe ich auch so. Ich werde mich zurückhalten.«
»Außerdem ist die alte Elfin sehr erfahren. Wenn sie auch nur den geringsten Verdacht schöpft, dass du versuchst, in ihr Bewusstsein einzudringen, um herauszufinden, was sie verbirgt, wird sie uns den Rücken kehren oder, schlimmer noch, uns mit einem Trick täuschen. Ich traue ihr alles zu, Rose. Sie ist älter als ich und das will was heißen.« Lumi seufzte. »Mit dem Alter kommt Erfahrung.«
»Was glaubst du, ist es, was Bogdana uns nicht erzählt? Sicher hast du seit deiner Ankunft einige Vermutungen angestellt«, flüsterte ich.
Lumi sah sich um und konzentrierte sich für einen kurzen Moment auf Bogdana und Rakkhan, bevor sie mich wieder ins Visier nahm.
»Rakkhan hat sie wiedererkannt. Er kennt sie und wir wissen, dass sie Mudak Marduk sehr nahestand. Die Betonung liegt auf ,sehrʽ, Rose«, antwortete sie. »Was auch immer sie für sich behält, ich bin ziemlich zuversichtlich, dass es um Mudak und implizit um TaʼZan geht. Andererseits ist es nur eine Vermutung, solange sie es nicht bestätigt. Es könnte sich genauso gut als nichtig herausstellen.«
»Aber wenn es stimmt, könnte es definitiv Auswirkungen auf unsere Mission haben.«
»Bogdana ist nicht dumm. Sie würde es nicht riskieren, unseren Plan zu vereiteln, nur um sich selbst zu schützen. Sie ist keine schlechte Person oder zumindest habe ich nicht den Eindruck«, sagte Lumi. »Ihr Geheimnis mag wichtig sein, aber ich bezweifle, dass es eine große Bedeutung für unser Vorhaben hat. Ich denke, die Wachen werden in jedem Fall weiterhelfen können.«
»Ich werde der Sache auf den Grund gehen.«
Und ich meinte es ernst. Wenn Bogdana etwas wusste und irgendwelche Informationen zurückhielt, die wir möglicherweise gegen TaʼZan verwenden konnten, würden wir es herausfinden. Die Wachen waren keine gewöhnlichen Maras, sondern mit den Zauber-Tattoos einer Sumpfhexe beschenkt, und dienten dem Maragebieter als Leuchtfeuer reiner Energie.
Je mehr von ihnen anwesend waren, desto mächtiger waren die bewusstseinsverändernden Fähigkeiten des Maragebieters – bis zu dem Punkt, an dem er Massenmanipulationen durchführen und große Gruppen dazu zwingen konnte, ihm zu gehorchen. Heron, der bis zu der Rückkehr seines Bruders als Herr der Weißen Stadt fungierte, hatte sieben Wachen bei sich. Die beiden, die zurückblieben, waren mehr als genug, um in das Bewusstsein einer Elfin einzudringen, selbst wenn sie so alt und erfahren war wie Bogdana.
Ich war nicht glücklich darüber, hierzubleiben. Lieber hätte ich Elonora und ihr Team begleitet, aber einer von uns musste die Stellung halten und dafür sorgen, dass die Draenir auf unserer Seite blieben. Darüber hinaus brauchten wir eine Kommandozentrale, einen Ort, an den wir zurückkehren konnten.
Strava für die Draenir zurückzugewinnen und das gesamte verdammte Universum zu retten war nun mal kein Kinderspiel. Wir hatten eine Strategie und mehrere Phasen, die vor uns lagen. Eine Kreatur wie TaʼZan, die bereits so viel Macht und Einfluss erlangt hatte, zu besiegen, war eine ziemliche Leistung.
Und jeder von uns hatte in diesem Plan seine Rolle, die er spielen musste. Meine war ziemlich einfach. Ich wollte die Wachen weder bei Rakkhan noch bei Bogdana einsetzen. Noch nicht. Ich dachte, ich könnte die Dinge auf die altmodische Weise regeln. Ich würde zuerst mit dem Ältesten der Draenir sprechen und versuchen, ein Gespür dafür zu bekommen, was er getan hatte. Zu verstehen, wie er es geschafft hatte, die Jungen zusammenzutrommeln und nach Merinos zu bringen, bevor die Plage sie einholen konnte, war ein guter Indikator dafür, ob er im Voraus davon gewusst hatte oder nicht.
Und die Elfin war extrem alt dafür, um die Wachen mal eben in ihr Bewusstsein eindringen zu lassen, damit sie dort nach einer verborgenen Wahrheit suchten. Was Bogdana uns nicht erzählte, könnte sehr wohl nur eine peinliche Kleinigkeit sein. Es könnte aber auch ein potenzielles Ass in unserem kollektiven Ärmel sein, vorausgesetzt, wir spielten unsere Karten richtig.