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ährend wir uns am Rande des Dschungels ausruhten und Ta’Zans Diamantkolosseum überblickten, hatte ich etwas Zeit, um über das nachzudenken, was ich während unserer Mission beobachtet hatte. Elonora unterhielt sich mit Nevis, und ich konnte erkennen, dass zwischen den beiden mehr im Gange war als ein einfaches Gespräch. Ich brauchte keine Wächter-Fähigkeiten, um zu sehen, dass sich die beiden mochten.
Raphael und Cassiel hatten sich ebenfalls viel zu sagen. Der sogenannte verbesserte Vollkommene gab uns alle Informationen, die wir über das Kolosseum, die besten Routen innerhalb und außerhalb des Stützpunkts und die Bewegungen der Wachen im Laufe eines ganzen Tages benötigten. Varga ergänzte sein Wissen mit seinen eigenen Beobachtungen aus dem Inneren der Diamantkuppel sowie von seiner Flucht.
Die Draenir hielten Wache – die vier Jungen waren noch recht jung, aber sie waren während der gesamten Mission bisher äußerst hilfreich gewesen. Ich war mir sicher, dass sie uns auch weiterhin helfen würden. Immerhin war dies ihre Welt, die wir retten wollten.
Meine Großeltern waren in dieser Diamantkuppel. Hunderte unserer Leute waren dort gefangen, darunter Hunters Eltern und die Großeltern von Varga und Elonora. GAÜS-Gründer und enge Verbündete wurden mit Schockhalsbändern, die sie an einer Flucht hinderten, auf bloße Gefangene reduziert. Sie alle zählten auf uns, und trotz meiner wackligen, aber erblühenden Beziehung zum Wort als Sumpfhexenschülerin glaubte ich fest, dass ich das Ende der Welt verhindern könnte.
Wir mussten noch einen letzten Turm deaktivieren und danach wollten wir das Kolosseum infiltrieren und alles zerstören, was Ta’Zan über die Raumfahrt gesammelt hatte – Schiffe, Notizen, Berechnungen und Entwürfe, alles, was ihm helfen konnte, den Planeten mit seinen Vollkommenen zu verlassen.
»Weißt du, ich habe etwas an dieser Magi-Technologie bemerkt, die Ta’Zan benutzt«, sagte ich und lehnte mich beiläufig an Hunters Schulter, um ein bisschen Trost in dieser feindlichen Welt zu finden. Elonora und die anderen sahen mich an. »Es wird alles mit Serium betrieben. Wenn man die Energiequelle entfernt, funktioniert nichts mehr.«
Cassiel lächelte. »Du bist eine kluge Hexe.«
»Ich weiß, ich umgebe mich nur mit Genies.« Raphael gluckste und zwinkerte mir freundlich zu. Es war jedoch nicht freundlich genug, um zu verhindern, dass ein leises Knurren aus Hunters Kehle kam.
»Ich verstehe, wie man Magie mit Technologie kombinieren kann. Wir machen das im Schattenreich auch. So bauen wir unsere Schiffe«, fuhr ich fort. »Aber diese Magi-Technologie ist anders, weil sie etwas anderes benötigt, um zu funktionieren – in diesem Fall Serium. Jetzt kann aber Serium nirgendwo anders als auf Strava gefunden werden, weshalb die Magi-Tech es nie geschafft hat, den Planeten zu verlassen. Sie ist nur hier heimisch, weshalb wir noch nie davon gehört haben.«
»Die Draenir hielten sich in diesen Dingen bedeckt«, antwortete Nevis. »Sie wollten nicht, dass jemand anderes etwas über ihre Magi-Technologie erfährt. Sonst hätte es Aufzeichnungen in diesen alten Druiden-Reisetagebüchern von Luceria gegeben, oder?«
Elonora nickte. »Nun, sie hatten allen Grund. Ich meine, seht euch all die tollen, aber auch schrecklichen Dinge an, die man damit machen kann. Stellt euch vor, ein anderer Planet hätte Wind von der mit Serium betriebenen Magi-Technologie bekommen. Was wäre geschehen, wenn andere sie in die Finger bekommen hätten?«
Die jungen Draenir hörten unserer Unterhaltung zu und warfen gelegentlich einen Blick zu uns herüber, aber sie mischten sich nicht ein. Wahrscheinlich wussten sie nichts davon. Rakkhan hatte sich sehr viel Mühe gegeben, sie auf Merinos isoliert zu halten.
Raphael stand auf. »Es ist besser, wenn sie auch weiterhin nur hier bleibt. Nicht alles, was stravianisch ist, ist gut für den Rest des Universums. Das ist ein typisches Beispiel«, sagte er und zeigte mit einem Finger auf das Diamantkolosseum.
»Wir müssen aufbrechen«, antwortete Elonora, stand auf und überprüfte ihre Waffe.
Die Sonne tauchte die gesamte Region in Morgenlicht und überall öffneten sich Wildblumen, um sie zu begrüßen. Vollkommene flogen in Vierergruppen über das Kolosseum und wirbelten herum, bevor sie nach außen schossen und über den blauen Himmel rasten. Wir waren auf diesem Hügel unter dem Schutz der Bäume sicher, aber wir konnten nicht länger versteckt bleiben.
Ich überprüfte meinen Ohrstöpsel und mein Telefon, die von Phoenix, Jovi und Dmitri für die Arbeit auf Strava angepasst worden waren – vorausgesetzt, die Kommunikation war eingeschaltet. »Es gibt noch kein Signal«, murmelte ich.
»Es wird auch kein Signal geben, bis wir den letzten Turm ausschalten«, sagte Cassiel und zeigte irgendwo vage hinter uns.
Weniger als einen Kilometer entfernt stand der letzte Turm.
»Sobald wir ihn deaktivieren, wird alles wieder funktionieren«, fügte Raphael hinzu.
Elonora grinste. »Das heißt, Telluris wird auch wieder offen sein. Wir können mit dem Rest unseres Teams sowie mit denen, die den Flottenangriff überlebt haben, kommunizieren.«
»Hört zu, ich werde den Turm deaktivieren«, sagte Cassiel. »Ihr kümmert euch um das Kolosseum.«
»Langsam, warte.« Raphael packte sein Handgelenk, bevor Cassiel davonlaufen konnte. »Was hast du vor?«
»Wir verschwenden Zeit damit, erst eine Sache zu tun, und dann die nächste!«, antwortete Cassiel. »Ich kann nicht im Kolosseum gesehen werden und ich kann nicht auf eure Unsichtbarkeits … oder sonstige Paste vertrauen. Basierend darauf, wohin mein Ortungschip ging, als wir diesen Hirsch zum letzten Mal gesehen haben, kann ich mich dem Kolosseum nicht nähern. Ich bin nützlicher, wenn ich diesen letzten Turm ausschalte. Ich weiß, wie das System funktioniert. Ich weiß, welche Kabel ich abklemmen muss und so weiter. Sobald ich damit fertig bin, wird es mindestens ein paar Tage dauern, bis die Kommunikation wieder eingeschaltet ist.«
Nach Raphaels Angaben würden mindestens zwei Tage vergehen, bis die Kommandozentrale über eine Fehlfunktion des Turms informiert würde.
»So könnt ihr in das Kolosseum eindringen und diese verdammten Schiffe zerstören«, fügte Cassiel hinzu und sah Raphael an. »Ich habe dir alles gesagt, was du wissen musst, genug, um direkt an den richtigen Ort zu gelangen und das zu vernichten, was nötig ist, um die Vollkommenen noch eine Weile am Boden zu halten.«
Wir schwiegen einen Moment lang, bis Nevis scharf ausatmete. »Also werden Raphael, Elonora und ich das Kolosseum infiltrieren.«
»Was? Cassiel stolziert einfach davon und sagt uns, dass er etwas tun wird, obwohl wir ihm nicht voll vertrauen können?«, fragte Raphael stirnrunzelnd.
»Was meinst du damit, dass du mir nicht voll vertrauen kannst?«, fragte Cassiel und verschränkte die Arme.
»Alter, wir haben uns erst vor fünf Minuten kennengelernt. Ich habe hier schon mein Leben aufs Spiel gesetzt und ich werde nicht Kopf und Kragen riskieren, wenn du es dir anders überlegst und uns auslieferst!«, sagte Raphael.
Nevis grinste, deutlich amüsiert von diesem angespannten Hin und Her. Im Gegensatz zu diesen beiden war der dhaxanianische Prinz definitiv eine der zurückhaltendsten und ruhigsten Kreaturen, denen ich jemals begegnet war.
»Kailani, Hunter, Kallisto und die Draenir können hierbleiben und uns bei Bedarf unterstützen«, sagte Nevis. »Vorausgesetzt, die Kommunikation wird wieder aufgenommen, sobald Cassiel seine Arbeit erledigt hat, können wir uns entsprechend verständigen, oder?«
Wir nickten alle.
»Gut. Und Varga kann hier oben alles im Auge behalten, auch Cassiel – wenn auch aus der Ferne«, fügte Nevis hinzu. »Wir werden wissen, ob Cassiel ehrlich zu uns war, sobald die Kommunikation zurückkehrt. Tut sie es nicht, werden wir wissen, dass er uns betrogen hat, und er wird uns nicht finden können, weil keiner von uns hier sein wird.«
»Lass mich sehen, ob ich das richtig verstanden habe«, sagte Raphael und kratzte sich an seinen blonden Stoppeln. »Wir überlassen Cassiel den letzten Turm. In der Zwischenzeit gehen du, Lenny und ich zum Kolosseum, während alle anderen zurückbleiben. Varga behält Cassiel mit seinen Wunderaugen im Auge. Und wenn Cassiel nicht tut, was er tun soll, was machen wir dann? … Wir laufen, so schnell wir können?«
»Meine Herren, meine Damen, bitte«, warf Cassiel ein. »Gebt mir einen Vertrauensbonus. Wir haben uns bis jetzt so gut verstanden. Ich war euch, gelinde gesagt, eine große Hilfe.«
»Und ihr zwei schient euch prima zu verstehen«, murmelte Hunter und unterdrückte ein Grinsen.
Raphael verdrehte die Augen und stöhnte frustriert auf. »Ich versuche hier nur professionell zu sein. Wie gesagt, ich bin viel zu gutaussehend, um hier mein Leben zu riskieren«, sagte er, zeigte an sich herab und brachte mich damit zum Lachen.
»Cassiel weiß, welche Art von Feuerkraft wir haben«, mischte sich Kallisto ein. »Er wäre nicht dumm genug, uns zu verraten, denn er weiß, dass wir ihn dafür in Asche verwandeln würden.«
»Und ich bin vollkommen einverstanden damit, ihn im Auge zu behalten«, fügte Varga hinzu.
»Nun gut. Einverstanden. Lasst es uns so machen«, räumte Raphael ein, kniff die Augen zusammen und stieß Cassiel mit dem Zeigefinger in die Brust. »Du solltest es besser nicht vermasseln.«
»Oh, wir werden wissen, falls er es tut«, sagte ich und zeigte auf meinen Ohrstöpsel.
Bisher war unsere Mission ziemlich reibungslos verlaufen. Mit den Zermalmern in unserem Arsenal hatten wir einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Vollkommenen. Zugegeben, sie wussten nicht, dass wir nur einen begrenzten Vorrat an Munition hatten, aber es war genug, um ihnen einen mächtigen Schrecken einzujagen.
Wir waren nicht länger die Opfer. Wir waren nicht länger die Gejagten. Technisch gesehen waren wir zwar noch
nicht die Jäger, aber ja, verdammt, das Blatt hatte sich gewendet.