D
ie Dunkelheit war angenehm.
Es war, als ob alle meine Sorgen verschwunden wären. Es war sicher und still.
Doch ich fühlte eine Sehnsucht in meinem Herzen, die mich nicht ganz loslassen wollte. Und eine Leere in meiner Magengrube, die sich nicht richtig anfühlte. Ein Gefühl der Dringlichkeit durchfuhr mich und ich zwang mich, aufzuwachen. Für einen Moment war ich mir jedoch nicht sicher, ob ich jemals zurückkommen könnte.
Meine Augen öffneten sich und Licht durchflutete mein Bewusstsein. Irgendwo in der Ferne sangen Vögel – eine Vielzahl von Gesängen, auf die ich vorher nicht wirklich geachtet hatte. Sie waren mir fremd, aber angenehm, als hätte die Natur selbst eine Gruppe gefiederter Musiker zusammengestellt, um meine Seele zu beruhigen.
Hunter erschien vor mir. Besorgnis hatte tiefe Schatten zwischen seine Augenbrauen gezogen. Er musste bemerkt haben, dass ich zu mir gekommen war, denn die Sorgenfalten legten sich und ein warmes, liebevolles Lächeln erschien stattdessen.
»Hey, Baby«, murmelte er.
Ich fühlte, wie seine Hand meine Wange streichelte, und Wärme erfüllte meinen ganzen Körper. Das Rascheln von Blättern und eine leichte Brise sagten mir, dass ich mich irgendwo draußen befand. Die Vögel, die ich zuvor gehört hatte, bedeuteten, dass wir im Dschungel waren, … alles kam mir bekannt vor.
Die dunkleren Emotionen, die unter der Oberfläche sprudelten, waren jedoch nicht verschwunden. Sie hielten an, wie leichte Schmerzen in meiner Brust, wenn ich tief Luft holte. Hunter half mir in eine sitzende Position. Ich sah mich um und erblickte verkohlte Hüllen von Vollkommenen. Der Kommunikationsblocker war ebenfalls verbrannt.
Erst als der Geruch von geschmolzenem Metall und Plastik meine Nase erreichte, erinnerte ich mich daran, was passiert war – obwohl auch nur Fragmente zurückkehrten. Wir waren vom Rand des Dschungels hierhergekommen, um Cassiel zu helfen, der von der Anzahl der Vollkommenen, die ihn angegriffen hatten, leicht überwältigt gewesen war. Wir hatten den letzten Kommunikationsblocker deaktivieren wollen, um die Kommunikation wiederherzustellen. Hunter wurde dabei verletzt und ich … ich hatte einen Blackout.
Angst umklammerte mein Herz und verstärkte ihren Griff. Ich hatte das schon einmal durchgemacht. Auf ähnliche Weise hatte ich vor nicht allzu langer Zeit die Kontrolle verloren.
»Was … was ist passiert?«, fragte ich und sah mich wieder um.
Von den Draenir war nichts zu sehen. Kallisto und Varga standen immer noch und sahen mich mit gerunzelten Brauen an. Oh, hier war definitiv etwas passiert, und mein Bauchgefühl sagte mir, dass es nichts Gutes war.
»Du bist okay«, sagte Hunter zu mir.
»Wo … wo ist Cassiel?«, murmelte ich, denn ich konnte den Vollkommenen nirgendwo sehen. Ich erstarrte und zeigte dann auf die karbonisierten Figuren. »Habe ich … ist er einer von ihnen …«
»Was um alles in der Welt …«, murmelte Varga und drehte sich dann mehrmals um. Seine Augen schimmerten golden. Er fluchte leise. »Verdammt! Wann zum Teufel ist er abgehauen?«
Hunter und Kallisto waren gleichermaßen alarmiert.
»Er war genau hier, das schwöre ich«, sagte Kallisto. »Er … er muss sich davongeschlichen haben!«
»Aber warum?«, fragte ich. »Was um Himmels willen ist hier passiert?«
Varga atmete tief aus und ließ die Schultern sinken. »Nun, du
bist irgendwie … hier passiert.«
»Oh nein«, murmelte ich. Meine schlimmsten Befürchtungen bestätigten sich. »Moment, warte … habe ich das getan?!«, fragte ich und zeigte auf die verkohlten Überreste, die entgegen den Regeln der Physik immer noch standen.
»Hunter wurde verletzt und du bist irgendwie wieder ausgeflippt«, sagte Kallisto.
Ich brauchte keinen Wächter, um mir zu sagen, dass sie Mitleid mit mir hatte. Varga hingegen hatte eine permanent hochgezogene Augenbraue.
»Das ist nicht das erste Mal, dass du völlig die Kontrolle verloren hast.« Varga seufzte. »Mir wurde gesagt, dass deine Verbindung zum Wort ein bisschen … wacklig ist?«
Ich war schon kurz davor zu weinen und begriff kaum etwas von dem, was Varga sagte.
»Lass sie in Frieden«, sagte Hunter zu ihm. »Sie braucht vorerst etwas Ruhe.«
»Nein, ich muss wissen, was hier passiert ist. Ich habe das getan, oder?«, fragte ich.
Hunter starrte mich eine Weile an und nickte mir dann schwach zu. »Ja. Du hast angefangen zu glühen, aber diesmal war es anders. Du hast einen Lichtblitz ausgelöst, ich weiß nicht, wie ich es besser sagen kann. Es hat die Vollkommenen völlig verbrannt. Davon werden sie sich nicht erholen.«
Ich nahm mir einen Moment Zeit, um die Informationen zu verarbeiten. Es gab Lücken, die gefüllt werden mussten, weil ich mich an nichts erinnern konnte und es Sinn ergeben musste.
»Wo warst du?«, fragte ich ihn.
»Auf dem Boden. Varga, Kallisto und Cassiel duckten sich ebenfalls. So haben wir überlebt«, antwortete Hunter, ein Muskel zuckte nervös in seinem Kiefer.
Varga stöhnte. »Ich verstehe immer noch nicht, warum Cassiel weggelaufen ist. Wir haben den Auftrag erledigt. Es ist vorbei. Die Kommunikationsblocker sind ausgefallen und wir können den Kontakt zu unseren Teams und Calliope wieder aufnehmen. Vielleicht sogar zu einigen der Gefangenen in der Kuppel, da die Telluris-Verbindungen hergestellt wurden, für den Fall, dass keine Kommunikationsgeräte zur Hand wären. Wir haben es geschafft!«
»Vielleicht hatte er Angst«, murmelte Kallisto.
»Vor mir?«, fragte ich und fühlte mich schrecklich schuldig. Ich hätte aufatmen sollen, da ich es irgendwie geschafft hatte, eine Reihe von Vollkommenen dauerhaft zu töten, aber da war noch irgendetwas anderes.
Varga zuckte die Achseln. »Nun, er kennt dich erst seit ein paar Stunden. Und du hast buchstäblich über zwei Dutzend Vollkommene auf einen Schlag vernichtet. Wenn man es so betrachtet, wäre ich an seiner Stelle auch vorsichtig. Ich persönlich selbstverständlich nicht. Ich kenne dich schließlich schon seit meiner Kindheit. Du machst mir nicht so leicht Angst«, antwortete er mit einem halben Lächeln.
Er versuchte, mich auf seine Weise zu beruhigen. Aber es hatte nicht die beabsichtigte Wirkung.
»Du sagst mir also, dass ich mehr als zwei Dutzend Vollkommene praktisch ausgelöscht habe, als ich in Ohnmacht gefallen und in den … Wort-Modus gegangen bin?«, krächzte ich. Mein Hals war plötzlich ganz trocken.
»So ziemlich«, hauchte Hunter. »Du warst wie ein Kernreaktor, der einfach losging. Der erste Puls war verheerend. Er röstete die Vollkommenen ab einer Höhe von etwa dreißig Zentimetern. Er hat uns nur um Millimeter verfehlt.«
Varga zeigte auf die Füße einer noch stehenden verbrannten Leiche. »Ihre Füße und Knöchel sind intakt. Igitt, das ist so gruselig.«
»Werden sie sich nicht regenerieren?«, fragte ich.
Hunter schüttelte den Kopf. »Der Puls löschte sie aus und zerstörte ihr Nervensystem mit einem einzigen Schlag – unendlich intensiver als ein normales Feuer. Das hat einen Vollkommenen-Körper sonst davon abgehalten, vollständig zu verbrennen, aber jetzt gibt es nichts mehr zu regenerieren. Nur nutzlose Füße und Knöchel.«
»Was ist mit den Draenir-Jungs? Wo sind sie?«, fragte ich.
Sie alle verstummten für ein paar Sekunden und starrten mich mit weit aufgerissenen Augen an. Dieses nagende Gefühl in meinem Magen kam mit aller Macht zurück. Nichts davon war richtig.
»Sie sind im Kampf gegen die Vollkommenen gestorben, bevor du in Ohnmacht gefallen bist«, platzte es aus Hunter heraus.
Varga und Kallisto sahen erst einander an, dann mich und dann nickten sie bestätigend.
»Wir haben ihnen doch gesagt, sie sollten zurückbleiben«, sagte ich und bedauerte ihren Verlust. Die Draenir waren bereits vom Aussterben bedroht und das schon seit Ta’Zans Plage. Das Letzte, was sie brauchten, war zu sterben, während sie uns dabei halfen, ihn zu besiegen. Es schien einfach nicht fair zu sein.
»Das Gemetzel erhitzte sich sehr schnell«, antwortete Hunter. »Die Vollkommenen haben nicht lange gefackelt, als sie sie in den Bäumen entdeckten. Wir haben versucht, an sie heranzukommen, aber wir standen selber unter Beschuss. Wir haben unser Bestes getan. Und du auch, Kailani. Das ist alles, was du wissen musst.«
Eine Minute verging in unangenehmer Stille, während ich meine eigene Reaktion auf diese Wendung der Ereignisse beobachtete. Etwas passte immer noch nicht, wie ein Teil eines anderen Puzzles, das versuchte, sich in dieses einzufügen. Meine Instinkte zerrten immer wieder an meinem Gewissen, als ob sie etwas wüssten, was ich nicht wusste.
»Ich habe Vollkommene dauerhaft getötet. Das ist neu«, brachte ich heraus.
»Ich bin mir nicht sicher, ob es ein Weg ist, den wir in Zukunft beschreiten wollen«, sagte Varga. »Du hattest keine Kontrolle darüber. Und ehrlich gesagt möchte ich nicht in der Nähe einer Waffe sein, die nicht kontrolliert werden kann.«
Ich nickte langsam. »Nein, da stimme ich zu. Es ist einfach komisch. Und ich kann nicht über meine Verbindung zum Wort sprechen, sonst könnte ich dir genau sagen, was in mir vorgeht. Mein Sumpfhexenschwur ist in dieser Angelegenheit ziemlich streng. Aber wenn sich jemand dadurch besser fühlt, selbst ich weiß die meiste Zeit nicht, was mit mir passiert.«
Hunter legte seinen Arm um mich, als ich aufstand. Ich lehnte mich zur Unterstützung an ihn, dankbar, dass ich seinen muskulösen Körper an meinem spürte. Er gab mir ein seltsames Gefühl des Trostes, als könnte ich mich darauf verlassen, dass Hunter alles ein bisschen besser machte, egal was passierte und was als Nächstes kam.
Für jemanden wie mich war das alles, was zählte.
Trotzdem konnte ich den Zweifel nicht loswerden, dass einer von ihnen mir etwas vorenthielt, wenn nicht alle.