I
ch brachte es einfach nicht über mich, ihr die Wahrheit zu sagen.
Der Ausdruck in ihren Augen, als sie merkte, was sie getan hatte, war schmerzhaft genug. Dies war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige Ort, an dem Kailani die Wahrheit darüber, wie unkontrollierbar ihre Verbindung zum Wort zu sein schien, erfahren musste.
Gleichzeitig hatte ich Ehrfurcht vor ihr. Die Kraft, die nötig war, um Kreaturen dauerhaft zu töten, die sich aus so ziemlich allem regenerieren konnten, musste etwas Außergewöhnliches sein. In der Tat, wenn ich innehielt, um richtig darüber nachzudenken, war dieser auslöschende Lichtblitz so heiß und so intensiv wie das Feuer, das aus einem Jet oder einem Treibstoffmotor kam. Er brannte mit solcher Kraft und mit einer so hohen Geschwindigkeit, dass er dem Nervensystem der Vollkommenen nicht genügend Zeit gab, um zu verhindern, dass das Feuer den gesamten Körper verzehrte.
Varga hatte jedoch recht. Wenn Kailanis Machtausbruch auch außergewöhnlich war und unglaublich effektiv schien, konnte er weder leicht reproduziert noch kontrolliert werden. Der Blackout hatte diesmal eindeutig mit mir zu tun gehabt, ähnlich wie beim letzten Mal. Immer, wenn ich verletzt war und kurz vor dem Tod stand, schien Kailani die Kontrolle zu verlieren, und das machte mir Sorgen.
Wir waren ineinander verliebt.
Aber ich wollte nicht die Quelle ihres unfreiwillig destruktiven Verhaltens sein. Ich konnte nicht umhin, mich zu fragen, ob es vielleicht besser wäre, wenn wir getrennt wären. Zumindest vorerst, während sich dieses Strava-Problem klärte. Trotzdem lehnte mein Herz die Idee vollständig ab. Wir waren uns gerade erst nähergekommen, nachdem wir jahrelang auf Zehenspitzen umeinander herumgetänzelt waren.
»Ich mache mir Sorgen, weil Cassiel so einfach verschwunden ist«, sagte Kailani und zog mich zurück in die Realität.
»Wir müssen so schnell wie möglich hier raus«, antwortete Varga. »Wenn er so einfach getürmt ist, dann hat er vielleicht gespürt, dass mehr Vollkommene auf dem Weg zu uns sind, und wollte kein Risiko eingehen.«
»Wir müssen auf jeden Fall wieder an den Waldrand zurückkehren«, murmelte ich. »Elonora, Nevis und Raphael sollten bald zurück sein.«
In der Ferne hallte eine Reihe von Explosionen wider. Soweit ich es beurteilen konnte, waren sie ziemlich weit weg und nicht die Überschallknalle von Vollkommenen, die mit ihrer nervig hohen Geschwindigkeit durch den Himmel rasten. Varga blickte zu seiner Linken zum Kolosseum und suchte mit seinem Wahren Blick den Bereich ab. Sein Mundwinkel zuckte.
»Es ist das Kolosseum. Sie haben es geschafft. Sie haben Ta’Zans Flugpläne in die Luft gejagt«, sagte er. »Ich kann das Feuer von hier aus sehen. Sie haben innen ein Loch in das Kolosseum gerissen.«
»Dann müssen sie jetzt auf dem Rückweg sein«, antwortete Kailani.
Sie nahm ihre Waffe und schoss durch den Dschungel. Kallisto, Varga und ich folgten ihr, als wir zurück zum Rand des Dschungels zu unserem Treffpunkt liefen. Trotz unserer Verluste und dem plötzlichen Verschwinden von Cassiel hatten wir unsere Mission erfüllt. Die Kommunikationsblocker waren vollständig deaktiviert, was bedeutete, dass wir jede Sekunde unsere Ohrstöpsel und Telluris-Seelenverbindungen wieder verwenden konnten, um miteinander zu kommunizieren.
Es dauerte nicht lange, bis Elonora, Nevis und Raphael dort auftauchten, wo wir uns getrennt hatten. Sie gaben sich aus ungefähr zwanzig Meter Entfernung zu erkennen, höchstwahrscheinlich, um uns nicht in die Defensive zu bringen. Wir waren schon nervös genug.
Ich war überrascht, dass sie fünf Fehlerhafte dabeihatten. Einer hatte türkisfarbenes Fell, das seinen Hals und den größten Teil seines Oberkörpers bedeckte, an einigen Stellen war es auch durch seine Tunika sichtbar. Die anderen hatten Reptilienmerkmale mit runden gelben Augen und verschiedenen farbigen Schuppen an ihren Gliedern und im Nacken. Sie blinzelten schnell, als sie versuchten zu begreifen, wer wir waren und was wir hier machten.
»Gut gemacht!« Varga gratulierte Elonora, nahm sie dann in seine Arme und hielt sie für einige Momente fest, während Nevis neben ihr stand und sein stolzes Lächeln nicht verbergen konnte.
»Ich kann nicht glauben, dass wir es zurückgeschafft haben!« Elonora kicherte und drehte sich dann zu den Fehlerhaften um, die sie dem Rest des Teams vorstellte. »Dies sind die Ingenieure, die für die Flugpläne von Ta’Zan verantwortlich sind. Jedenfalls fünf von den sechs. Das sind Marku, Elias, Chancy, Kerron und Luden.«
Wir reichten ihnen die Hand und stellten uns vor, während Raphael uns von Kopf bis Fuß musterte und dann die Augen verengte.
»Wo ist Cassiel? Wo sind die Draenir-Jungs?«, fragte er.
Die Frage fühlte sich wie ein Schlag in die Magengrube an, aber ich übernahm schnell die Kontrolle über die Unterhaltung.
»Cassiel verschwand, nachdem wir den Turm deaktiviert hatten«, sagte ich. »Keiner von uns hat ihn gehen sehen. Wir waren … beschäftigt.«
»Mit was? Und die Draenir?«, bohrte Raphael sichtlich genervt nach.
Kailani seufzte. »Cassiel ist beim Kommunikationsblocker in Schwierigkeiten geraten. Vollkommene griffen ihn an, sie waren zu viele für ihn allein. Wir haben ihm geholfen, aber … Hunter sagt, dass wir die Draenir im Kampf verloren haben.«
»Was meinst du damit? Warst du denn nicht dabei?«, fragte Elonora leicht verwirrt.
»Ich hatte wieder einen Blackout«, murmelte Kailani. Nevis und Elonora erstarrten. Sie wussten genau, was das bedeutete. »Ich erinnere mich nicht.«
»Moment, was? Wie hat …« Raphael versuchte, nach weiteren Antworten zu suchen, aber ich unterbrach ihn.
»Die Sache ist die, ich wurde im selben Kampf verletzt, in dem die Draenir getötet wurden. Da waren über zwei Dutzend Vollkommene. Wir waren in der Unterzahl und hatten nicht mit so vielen gerechnet«, sagte ich. »Kailani hat mich am Boden liegen gesehen und die Kontrolle verloren. Sie ging in den Wort-Modus und sandte eine Explosion, die alle Vollkommenen tötete. Wir haben uns selbst gerade noch rechtzeitig geduckt.«
»Sonst wären wir Rösti gewesen«, murmelte Varga und ich warf ihm einen tadelnden Blick zu. Kailani fühlte sich nicht wohl mit dem, was passiert war und sie wusste nicht einmal, wie die Draenir wirklich gestorben waren. Varga meinte es nicht böse, aber sein Fettnäpfchen-Syndrom war genauso ärgerlich wie das von Jovi oder Dmitri. »Aber das sind wir nicht«, fügte er grinsend hinzu. »Uns geht’s super!«
»Ich werde es dir später erklären«, flüsterte Elonora Raphael zu und konzentrierte sich dann wieder auf Kailani und mich. »Zumindest haben wir die Mission erfolgreich beendet«, sagte sie und lächelte uns beide sanft an. »Hoffen wir, dass die anderen es auch getan haben.«
»Was ist mit Cassiel?«, fragte Raphael. »Ich fühle mich wirklich nicht wohl, wenn er da draußen ist, mit all dem, was er über uns weiß.«
»Es ist nicht so, dass wir zu diesem Zeitpunkt etwas dagegen unternehmen könnten«, antwortete Elonora. »Er ist für uns praktisch nicht auffindbar. Wir sollten uns also darauf konzentrieren, was wir als Nächstes tun müssen. Wir müssen zu unserem Treffpunkt am blauen Felsen zurückkehren und auf die anderen warten.«
Wir sammelten uns wieder und folgten Raphael den Weg zurück den Hügel hinunter und durch den südlichen Dschungel zum Strand. Von da an würde unsere Reise hoffentlich so reibungslos wie die Hinreise verlaufen. Kallisto und Varga blieben direkt hinter Raphael, die Fehlerhaften hinter ihnen. Kailani und ich bildeten zusammen mit Nevis und Elonora das Schlusslicht der Gruppe.
Ein paar Minuten vergingen schweigend, während wir tiefer in die Wälder eindrangen, der Schatten uns verschluckte und Elonora und Varga ihre Kapuzen wieder abnehmen konnten. Zu dieser Stunde war es ziemlich heiß und Vampire konnten nur bestimmte Temperaturen ertragen, bevor es wirklich unbehaglich wurde.
»Wir haben Isda dort getroffen«, sagte Elonora.
»Ah, ihr geht es gut!«, rief Varga aus. »Das ist schön zu hören. Was machte sie für einen Eindruck?«
»Sie war ein bisschen traurig, weil wir ihren Freund hier mitgenommen haben«, mischte sich Raphael ein und nickte Marku hinter sich zu, »Aber ansonsten ist sie immer noch auf unserer Seite.«
»Ich gab ihr einen Ohrstöpsel für Grandpa und Grandma«, antwortete Elonora. »Wir werden sicher bald von ihnen hören.«
»Moment, du bist Isdas Freund?« Varga schnappte nach Luft und sah über die Schulter zu einem etwas verlegenen Marku, der nur nickte. »Das ist ja krass. Ich bin dank ihrer Hilfe hier draußen, weißt du?«, fügte er hinzu und sah dann zu Raphael. »Wann wird die Kommunikation wieder eingeschaltet, nachdem die Blocker ausgefallen sind?«
Raphael zuckte die Achseln. »Es sollte nicht lange danach geschehen. Ich denke, es wird eine Weile dauern, bis die blockierenden Wellen nachlassen. Mit diesem Teil der Magi-Tech kenne ich mich nicht so aus, aber ich denke, bis spätestens Sonnenuntergang wird alles wieder funktionsfähig sein.«
»Wir haben unseren Teil getan«, sagte Elonora. »Nun bleibt nichts anderes zu tun, als zurückzugehen und uns mit den anderen zu treffen. Wir müssen die nächste Stufe unserer Mission planen.«
Darin waren wir uns alle einig.
Ein paar Inseln später, nachdem Elonora uns genau erzählt hatte, wie ihr Einsatz im Kolosseum verlaufen war, nahm ich Elonora für ein Gespräch unter vier Augen beiseite. Als Kailani sah, dass ich ihre Seite verließ, sah sie mich fragend an.
Ich lächelte zurück. »Ich bin gleich wieder da.«
Kailani sagte nichts, sondern ging stattdessen weiter. Elonora und ich blieben stehen und ließen uns ungefähr zwanzig Meter zurückfallen.
»Wir müssen reden«, flüsterte ich.
»Was ist passiert?«, fragte sie, ihre Augenbrauen erstaunt hochgezogen.
»Die Draenir sind nicht im Kampf gegen die Vollkommenen gestorben«, sagte ich mit gedämpfter Stimme.
Elonora blieb stehen. »Was? Was ist passiert? Oh …«, hauchte sie und stellte sofort die Verbindung zu dem her, was wir ihr zuvor gesagt hatten. »Oh nein … Kailani …«
Ich nickte. »Sie hat die Kontrolle verloren, Lenny. Ich wurde verletzt und … es löste etwas in ihr aus. Sie explodierte in diesem seltsamen, blendenden Licht. Als das Feuer kam, duckten wir uns gerade noch rechtzeitig. Die Draenir waren oben in den Bäumen und schossen so viele Vollkommene wie möglich ab. Sie haben es nicht rechtzeitig geschafft. Sie hatten keine Chance.«
»Oh Mann«, stöhnte Elonora und schüttelte bestürzt den Kopf. »Sie weiß es nicht. Du hast es ihr nicht gesagt … warum?«
»Weil ich nicht wollte, dass sie ausflippt. Nicht hier, nicht jetzt. Und ehrlich gesagt hatte ich nicht den Mut, es ihr zu sagen«, antwortete ich. »Nenn mich einen Feigling, wenn du willst. Ich glaube, ich habe es verdient.«
»Nein, Hunter. Du bist ein weißer Wolf mit einem großen Herzen«, sagte Elonora lächelnd. Aber ihre gute Laune ließ schnell nach. »Was sollen wir tun?«
»Ich weiß nicht«, murmelte ich und starrte Kailani an. Sie sah mich gelegentlich über die Schulter an, als würde sie sicherstellen, dass ich immer noch da war. Jedes Mal lächelte ich sie an und hoffte, damit ihr aufgewühltes Herz zu beruhigen. Sie war immer noch besorgt über ihre Blackout-Episode, aber ich konnte nicht viel tun, außer ihr emotionale Unterstützung zu geben.
»Wir müssen es ihr sagen.«
»Ja.«
»Sobald wir wieder in der Basis sind«, sagte Elonora. »Wir müssen es ihr sagen, Hunter. Und dann müssen wir mit Lumi darüber sprechen. Der Sumpfhexenschwur oder was auch immer ist mir egal. Dies sind besondere Umstände. Es muss eine Lücke geben, eine Möglichkeit für Lumi, Kailani dabei zu helfen, diese Sache zu kontrollieren. Andernfalls könnte sie leicht zu einem echten Risikofaktor für unsere Mission und auch für uns werden. Und das kann ich nicht zulassen.«
»Ich auch nicht, Lenny. Wir sind da einer Meinung.«
»Dann hilf mir, Lumi zu überzeugen, wenn wir zurück sind. Sie muss verstehen, was passiert ist. Sie muss eine Ahnung haben, was sie tun kann, um Kailani zu helfen. Ich liebe dieses Mädchen von tiefstem Herzen und ich hasse es, sie so zu sehen«, antwortete Elonora.
Ich atmete aus. »Ich auch, Lenny.«
Kailanis größter Vorteil war, dass sie Leute wie uns um sich hatte. Angesichts unserer gegenwärtigen Umstände und der bevorstehenden Probleme brauchten wir unsere Hexe mehr denn je im Kampf gegen Ta’Zan.
Am wichtigsten war jedoch, dass ich die Liebe meines Lebens an meiner Seite brauchte, um mit ihr ein langes und gesundes Leben zu führen. Damit ich mich ihr so widmen konnte, wie sie sich mir widmete. Diese Sache zwischen uns knisterte schon seit Jahren.
Und ich würde meine Kailani, meine temperamentvolle kleine Hexe, verdammt noch mal nicht an das Wort verlieren.