»Wenn du deine Schwester wiedersehen willst, spielst du jetzt gefälligst mit, Sarah.«
Mein Herz begann zu hämmern, als wollte es fliehen, so beißend war die Angst, die sich in mir ausbreitete. Er wusste etwas über Paytons Verschwinden. Er hatte … Hatte er sie in seiner Gewalt? Hielt er sie irgendwo fest? Fuck, wenn Wilson Fairfax bald starb und es um sein Erbe ging …
Stiefbruder. Natürlich. Deshalb hatte Monroe dafür sorgen wollen, dass ich mich in ihn verliebte. Es ging um das Erbe meines leiblichen Vaters. Seines Stiefvaters.
Im nächsten Moment zog er mich auch schon auf die Mitte der Bühne und steckte das Mikrofon ans Stativ vor uns. Sein Griff war wie ein Schraubstock. Mein Kopf zuckte zur Seite – und mit einem Mal starrte ich in Hunderte von Gesichtern. Auf einen Schlag realisierte ich wieder, wo ich war.
Monroe drehte sich seitlich zum Publikum und ergriff auch meine andere Hand. Wie auf Knopfdruck wurde sein Blick zärtlich und sein Lächeln warm und verliebt.
»Sarah«, begann er, was die Leute wieder still werden ließ. »Von dem Moment an, als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, wusste ich, dass ich meine Zukunft vor mir sehe.«
Meine Augen weiteten sich. Ach. Du. Scheiße.
Nein!, wollte ich schreien. Dann erinnerte ich mich wieder an seine Worte. Payton. Wenn du deine Schwester wiedersehen willst, spielst du jetzt gefälligst mit.
»Ich weiß nicht, womit ich es verdient habe, von der wundervollsten Frau aller Zeiten geliebt zu werden«, fuhr er fort und erntete erneut Seufzer vom Publikum. »Du und ich – wir sind ein Team, Baby. Du bist meine Seelenverwandte, meine beste Freundin und meine große Liebe. Das, was wir haben, gibt es nur ganz selten auf der Welt, und ich wäre der glücklichste Mann im Universum, wenn ich den Rest meines Lebens an deiner Seite verbringen dürfte.« Er sank auf ein verdammtes Knie und strahlte zu mir hoch.
»Oh fuck«, wisperte ich. Monroes Strahlen wurde breiter, doch er drückte meine Hände dabei so fest, dass mir vor Schmerz Tränen in die Augen schossen und meine Sicht verschleierten. Einige klatschten begeistert. Als wären es Freudentränen!
» Sarah Quinn«, sagte Monroe mit so lauter, durchdringender Stimme, dass jeder im Saal ihn hören konnte. »Erweist du mir die Ehre und heiratest mich?«
Erwartungsvolle Stille breitete sich aus. In mir jedoch wurde es laut. Und die Tränen, die mir nun über meine Wangen liefen, hatten nichts mit seinem quälend festen Griff zu tun. Es war pures Entsetzen. Payton. Er hat Payton.
Mein Herz fühlte sich an, als würde es von einem brennenden Pfeil durchbohrt werden. Ich hob den Blick, weil ich nicht anders konnte, sah in die vielen lächelnden, erwartungsvollen Gesichter. Dann blieb mein Blick an einem Paar dunkler Augen hängen.
Holden und ich sahen uns an, und das Brennen in meinem Herzen wurde verheerender. Er schüttelte den Kopf. Eine flehende Geste.
Monroe drückte erneut meine Hand.
Ich sah ihn wieder an. Ein Schluchzen entfuhr mir, und ich biss mir auf die Unterlippe. Hass ergriff von mir Besitz. Hass und widerlich süßer Verrat, so dickflüssig wie Honig und zugleich so zerstörerisch wie eine Naturkatastrophe. Ich hasste Monroe Darlington so sehr, dass ich schreien wollte. Und ich wollte vor Angst zusammenbrechen, denn ich hatte den Fehler begangen, es nicht zu erkennen. Ich hatte den Fehler begangen, Monroe Darlington zu lieben.
Ich sah ihm in die poolblauen Augen, die einst mein Herz erobert hatten, und kleisterte mir ein falsches Lächeln auf die Lippen, denn unzählige Leute der High Society von Manhattan beobachteten uns und warteten wie gebannt auf meine Antwort.
Dann, unter Tränen, holte ich tief Luft.
»Ja, ich will.«
***
Monroe zerrte mich aus Darlington House. Die Gäste applaudierten und machten uns Platz; sie lächelten uns zu, doch ich konnte sie kaum ansehen. Alles verschwamm vor mir, und die Welt drehte sich viel zu schnell.
Rufe erklangen hinter uns, doch Monroe wurde nicht langsamer. Er beschleunigte seine Schritte, was mich stolpern ließ, aber ich wehrte mich nicht. Wenn du deine Schwester wiedersehen willst, spielst du jetzt gefälligst mit.
Ich erkannte Peters Stimme, die nach uns rief, und die von Wilson Fairfax – ein Mann, der ein Fremder für mich war, jemand, von dem ich mir wünschte, er wäre nicht der, der er war: Paytons und mein leiblicher Vater.
Wieder geriet ich ins Straucheln, als Monroe mich über das Parkett mit sich zog. Wut brodelte in mir wie Lava in einem Vulkan, kurz bevor er ausbrach. Doch ich zwang mich, zu lächeln. Zwang mich, so zu tun, als würde mir dieser Augenblick nicht die Seele aus dem Leib reißen. Wenn du deine Schwester wiedersehen willst, spielst du jetzt gefälligst mit. Ich konnte nicht denken, nicht atmen. Wehren konnte ich mich erst recht nicht – ich durfte es nicht. Nicht, wenn er Payton in seiner Gewalt hatte, denn das hatte er auf der Bühne deutlich gemacht. Ich musste mitspielen, solange ich nicht wusste, was mit Payton war. Die Vorstellung, Monroe könnte ihr etwas angetan haben oder sie irgendwo gegen ihren Willen festhalten, ließ blanke Angst in mir aufsteigen. Meine Zwillingsschwester war nicht untergetaucht. Sie war nicht einfach nur abgehauen nach unserem furchtbaren Streit bei unseren Eltern in San Francisco.
Monroe Darlington hatte sie in seiner Gewalt.
»Was hast du mit Payton gemacht?«, stieß ich hervor. Wir hasteten aus dem Festsaal in Richtung Garderobe und Foyer. Ich versuchte, einen Blick über die Schulter zu werfen, ohne auf den hohen Schuhen das Gleichgewicht zu verlieren.
» Halt den Mund« , zischte Monroe, und seine Finger bohrten sich fester in mein Handgelenk. Schmerz schoss meinen Arm hoch, und ich schnappte nach Luft.
Wieder hörte ich die Stimme von Wilson Fairfax, wie er nach Monroe rief und dann nach mir. Doch das Rauschen in meinen Ohren wurde immer lauter und meine Gliedmaßen immer schwerer.
Ein verzweifeltes Schluchzen entfuhr mir, und ich stolperte schließlich doch über meine Füße, als Monroe mich aus dem Eingangsportal und die Treppen hinunter zur Straße zerrte. Der erste Novemberwind peitschte mir Haarsträhnen ins Gesicht und wirbelte Laub auf dem feucht glänzenden Gehweg auf. Autos rauschten auf der Straße an uns vorbei, die Scheinwerfer hell, die Rücklichter rot glühend.
Sarah Quinn, erweist du mir die Ehre und heiratest mich?
Ja, ich will.
Monroe hatte mich ernsthaft gefragt, ob ich ihn heiraten wollte, und ich hatte mit Ja, ich will geantwortet. Ich hatte keine Wahl gehabt.
Ja, ich will.
Ja, ich will.
Wenn du deine Schwester wiedersehen willst, spielst du jetzt gefälligst mit, Sarah.
Jetzt, wo wir das Gebäude verlassen hatten, gab es keinen Grund mehr für mich, mich nicht zu wehren, also kämpfte ich gegen seinen eisernen Griff an.
»Lass mich los!«, fauchte ich und blieb stehen. »Lass mich los, oder ich rufe die Cops, du psychotisches Arschloch! Loslassen! Wo ist meine Schwester? Was hast du getan?«
Monroe drehte sich zu mir um. Im Licht der Straßenlaterne war sein Gesicht, das ich vor gar nicht so langer Zeit noch als engelsgleich empfunden hatte, die Fratze eines Teufels.
»Einen feuchten Dreck werde ich tun«, sagte er und sah mich so hasserfüllt an, dass mein Magen in die Kniekehlen sackte. »Und du wirst auch einen Scheiß unternehmen. Also halt den Mund und komm mit.«
»Nein!« Ich versuchte, mich gegen seinen Griff zu stemmen, aber es nützte nichts. Wieder zerrte er mich mit sich, diesmal gnadenloser als zuvor.
»Es ist mir egal, ob ich dich über den Bordstein schleifen oder tragen muss, aber du kommst mit. Und reiß dich zusammen, bevor die Gäste etwas mitbekommen.« Wie um sicherzugehen, sah er kurz zum Eingangsportal. Was auch immer er dort erblickte, sorgte dafür, dass er mich mit kalter Zufriedenheit weiterzog, in Richtung einer schwarzen Limousine am Bordstein.
Ich biss mir so fest in die Unterlippe, dass ich Blut schmeckte und Schmerz durch meine Nerven donnerte. Es war alles, was mich davon abhielt, in Tränen auszubrechen, wo ich doch wüten und schreien und Feuer spucken wollte.
Obwohl das Rauschen in meinen Ohren immer weiter anstieg, war da plötzlich eine Stimme hinter uns, die es durchschnitt. Eine vertraute Stimme, die meinen Namen rief …
Holden.
»Sarah!«, rief er erneut, und der Klang zerschmetterte etwas in mir. Ich konnte das hier nicht zulassen. Ich kämpfte nicht genug. Ich musste mich stärker zur Wehr setzen.
»Stopp!«, rief ich atemlos und stemmte mich wieder gegen Monroes Zerren, auch wenn es nichts brachte, denn er war wesentlich stärker als ich. Ein verzweifelter Schrei entfuhr mir.
»Schön weiterlaufen«, knurrte er, als ich aus dem Tritt geriet und stolperte.
»Bitte«, flehte ich. »Monroe, bitte. Lass mich los!«
Ich wollte zu Holden, wollte zurück zu ihm rennen, um ihm zu sagen, dass nichts von dem, was er gehört oder gesehen hatte, echt war, sondern nur eine Farce, ein verdorbenes Spiel eines Darlingtons. Erpressung. Aber ich konnte es nicht, solange Payton nicht in Sicherheit war. Es spielte keine Rolle, was zwischen meiner Schwester und mir stand – alles, was zählte, war, sie vor diesem Monster zu beschützen.
Ich sah über die Schulter. Ich wollte Holden zumindest einen Blick zuwerfen, ein Flehen, damit er verstand, doch er war noch nirgends zu sehen.
In derselben Sekunde schob Monroe mich plötzlich auf die Rückbank der Limousine.
Alles ging zu schnell. Die Tür wurde zugeschlagen, im nächsten Moment saß er neben mir, und dann fuhren wir auch schon los.
»Nein!«, keuchte ich und presste die Hände ans Fenster, gerade als Holden die Stufen des Portals hinunterstürmte. Er entdeckte die Limousine, kam zum Stehen und sah uns hinterher. Seine Brust hob und senkte sich schnell. Er wirkte erschüttert. Doch … da war keine Erkenntnis auf seinem Gesicht, sein Blick reichte nicht bis zu mir. Die verdunkelten Scheiben verhinderten es.
Ich schlug mit der Faust gegen das Glas. »Nein!«, heulte ich noch einmal, während wir uns immer schneller fortbewegten. Er musste doch zumindest meine Hände sehen. Das musste er!
Dann verschwand Holden außer Sicht, denn wir bogen mit so viel Geschwindigkeit um eine Kurve, dass ich über die Sitzbank rutschte und gegen einen Körper prallte.
Monroes Körper.
Ich wirbelte herum, holte aus und schlug blindlings zu.
Ein befriedigendes Klatschen folgte, und ein Kribbeln schoss durch meine Hand.
»Ich habe dir vertraut!«, schrie ich, und meine Stimme brach. »Ich habe dir vertraut, und du hast mich verraten! Du elender Bastard!« Erneut holte ich aus, um den Abdruck meiner Hand auf ewig in seine Wange einzubrennen, doch Monroe packte wieder mein Handgelenk und fing den Schlag ab.
»Wag es ja nicht«, zischte er und beugte sich vor mein Gesicht. »Wenn du noch einmal versuchst, mich zu schlagen, wird dir das noch bitter leidtun, Sarah Quinn.«
»Wo ist Payton?«, fragte ich und zerrte an meiner Hand, bis er sie endlich losließ. Hastig wich ich vor ihm zurück und presste mich an Fenster und Tür, so weit weg von ihm wie möglich. »Was hast du mit meiner Schwester gemacht?!« Panisch sah ich mich um, dann lehnte ich mich vor, auch wenn die dunkle Trennwand hochgefahren war. Ich hämmerte dagegen. Monroes Fahrer musste doch irgendetwas von dem hier mitbekommen, er musste mir helfen! »Hey! Hallo! Helfen Sie mir, halten Sie an!«
»Ich habe keinen blassen Schimmer, wo dein Schwesterherz steckt«, sagte Monroe knapp, während ich unablässig hämmerte. »Und spar dir die Mühe. Nicht nur, dass die Scheibe ziemlich robust ist, Christopher arbeitet schon seit Jahren für mich. Mein Fahrer ist loyal und wird gut bezahlt. Es interessiert ihn nicht, was du zu sagen hast.«
Meine Verzweiflung wuchs. Ob er log oder nicht, sein Fahrer fuhr die Trennwand nicht herunter.
Mein Kopf zuckte wieder in Monroes Richtung. »Du lügst. Wo ist sie? Was sollte der Scheiß mit der Verlobung? Wo ist Payton?!«
Mit kalter Geringschätzung betrachtete er mich. Seine Mundwinkel hoben sich, doch es reichte nicht für ein Lächeln, was den Anblick nur noch grausamer machte. »Es ist wirklich einfach, dich wie eine Marionette tanzen zu lassen, wenn man die richtigen Fäden zieht, weißt du das?«
Mein Mund klappte auf, und ich blinzelte ihn perplex an. Dann, langsam, machte es Klick. Marionette. Fäden ziehen.
Erkenntnis breitete sich in mir aus, und das Blut wich mir aus dem Gesicht. »Aber du hast … du hast gesagt, dass …«
Monroe verdrehte die Augen. »Wie ich schon sagte, ich weiß nicht, wo Payton steckt. Und jetzt schnall dich an.«
»Nein«, flüsterte ich. Das konnte nicht wahr sein. Er hatte es nur gesagt, um zu bekommen, was er wollte? »Du hast Payton also nicht …«
»Nein, habe ich nicht. Es könnte mir gleichgültiger nicht sein, wo sie ist.«
Mit jedem Zug wurde mein Atem schneller. Ich sank in den Sitz und starrte fassungslos geradeaus. Es ist wirklich verdammt einfach, dich wie eine Marionette tanzen zu lassen. Wie in Dauerschleife wiederholte meine innere Stimme dieselben Worte: Monroe hat Payton gar nicht in seiner Gewalt. Es war ein Bluff. Nichts weiter als ein Bluff. Er hatte meine Liebe zu Payton gegen mich verwendet, um mich zu benutzen und zu manipulieren. Um das zu bekommen, was er wollte.
Ich packte den Türgriff und rüttelte daran, obwohl die Wagentür offensichtlich verriegelt war. Ich konnte nicht aufhören, nicht, wenn alles in mir zusammenbrach. Die Panik schnürte mir die Luft ab, und ich hatte das plötzliche Gefühl zu ersticken. Ich musste hier raus. Es war mir egal, dass wir noch fuhren, ich wollte sofort hier weg.
Aber die Tür gab nicht nach, so sehr ich auch an ihr rüttelte und zerrte.
»Lasst mich raus!«, schrie ich.
»Gerade hinsetzen und anschnallen, Sarah«, sagte Monroe angestrengt.
Keuchend drehte ich den Kopf zu ihm. Breitbeinig und in seinem maßgeschneiderten Anzug füllte seine große Gestalt den Platz neben mir aus und strahlte nichts weiter als Kälte und nervenaufreibende Ruhe aus.
Der Hass in meiner Brust formte sich zu einem Ball aus Hitze, die alles andere überstrahlte. »Das wirst du bereuen«, flüsterte ich. »Damit wirst du nicht durchkommen. Du wirst dafür bezahlen, was du getan hast, und ich werde persönlich dafür sorgen.«
Er erwiderte meinen Blick, ohne mit der Wimper zu zucken. In aller Ruhe löste er die Fliege vom Hals.
Seine Stimme war gefährlich ruhig, als er das Wort ergriff. »Zum letzten Mal: Schnall dich an. Oder ich halte dich die ganze Fahrt über fest, das kannst du dir aussuchen.«
Ein angewiderter Laut kam mir über die Lippen. Doch als ich mich nicht rührte und er mich herausfordernd ansah, gab ich nach. Kochend vor Wut, schnallte ich mich an und krallte meine Finger anschließend in den Ledersitz. Den Teufel würde ich tun und zulassen, dass er mich auch nur berührte.
Die Limousine schnurrte leise, und Christopher schlängelte sich durch den dichten Verkehr von Manhattan.
Hinter meinen Augen lauerten heiße Tränen. Doch ich würde nicht weinen. Nicht zusammenbrechen. Diesen Triumph gönnte ich ihm nicht auch noch.
Ich zog die Lippen zwischen die Zähne, starrte durch die getönten Scheiben und betrachtete die vorbeiziehenden Lichter aus Laternen, Ladenschildern und Fenstern. Meine Kehle schnürte sich zu. Verdammt. Wie hatte es bloß so weit kommen können? Ich hatte nur auf die Spendengala von Fairfax gehen wollen, nachdem sich plötzlich herausgestellt hatte, dass dieser stinkreiche New Yorker Geschäftsmann mein leiblicher Vater war. Der wahre Grund, wieso sich meine Zwillingsschwester im letzten Jahr so verändert und von mir, Laurel und unseren Eltern distanziert hatte. Denn Payton hatte kein Wort darüber verlieren dürfen, was geschehen war, dafür hatte Fairfax gesorgt. Und er hatte heute Abend mit einer Verschwiegenheitserklärung sichergehen wollen, dass auch ich die Wahrheit für mich behielt. Payton hatte gar keinen Sugar Daddy gehabt – etwas, was ich die ganze Zeit geglaubt hatte, denn es war die naheliegendste Erklärung dafür gewesen, dass sie diese riesige Wohnung auf der Upper East Side und all das Geld besaß. Meine Schwester hatte keinen obsessiven Liebhaber. Sie war bloß unserem stinkreichen biologischen Vater begegnet. Eigentlich war mein Plan für heute Abend gewesen, Wilson Fairfax zu befragen, um anschließend nach San Francisco zu fliegen und meinen Eltern dieselben Fragen zu stellen. Für die Schnittmenge. Um herauszufinden, was die Wahrheit war. Und dann …
Stiefsöhne .
Monroe und Peter Darlington sind Fairfax’ Stiefsöhne.
Wieder verknotete sich mein Magen. Monroe war der Strippenzieher gewesen, von Anfang an. Er hatte »Game Over, Sarah« gesagt, also musste er es gewesen sein: Er musste die Zettel in Paytons Apartment verteilt haben. Ich dachte an den Einbruch, aber auch an unsere Dates … Und ich dachte an den Moment, als ich nach dem Einbruch zu ihm gefahren war, seine Wohnung betreten und ihn mit Cameron gesehen hatte.
Er hatte mich von Anfang an hinters Licht geführt, und alles hing damit zusammen, dass er und Peter Wilson Fairfax’ Stiefsöhne waren und wir seine leiblichen Töchter.
Ich krallte die Finger fester in das harte Leder des Sitzes und rang nach Fassung, während nichts außer dem Surren des Motors zu hören war.
»Wohin fahren wir?«, fragte ich mit hohler Stimme.
Monroe reagierte nicht.
Meine Wut flammte erneut auf, und ich knirschte mit den Zähnen. Wenn er ernsthaft glaubte, dass ich mich so bereitwillig entführen ließ, dann hatte sich dieser Psychopath geschnitten. Denn das war es doch, was das hier war. Eine verdammte Entführung!
Hastig zog ich das Handy aus meiner kleinen Tasche. Ich musste Hilfe rufen. Ich musste Holden kontaktieren, Donovan, Celia, Laurel, die Cops oder wen auch immer.
Doch dann geschah alles ganz schnell.
Ich hörte das Klicken seines Gurtes, dann stürzte Monroe sich auf mich, und seine großen Hände packten meine, zerrten an ihnen und versuchten, mir das Handy zu entreißen.
»Nein! Lass mich los!«, schrie ich und drehte mich von ihm weg. »Loslassen! Fass mich nicht an!«
Seine Finger bohrten sich in meine, um sie gewaltsam vom Smartphone zu ziehen. »Gib das … verdammte Handy … her!«
Ich rammte den Ellbogen gegen seine Brust, und verschaffte mir damit Zeit. Ich entsperrte das Handy, öffnete die Anrufliste, tippte 911 hinein und …
Monroe entriss es mir, rutschte zurück auf seinen Platz und fuhr das Fenster hinunter.
»Nicht!« Ich packte seinen Arm, krallte die Nägel in seine Hand – doch es war zu spät. Kaum war der Fensterspalt groß genug, war mein Handy fort.
Er hatte es einfach aus dem fahrenden Wagen geworfen.
»Nein!«, heulte ich auf, ballte die Hand zur Faust und rammte sie ihm geradewegs in den Magen. Erneut rangen wir miteinander. Monroe gab einen wütenden Schrei von sich und warf mich plötzlich der Länge nach auf die Rückbank. Das Feuer in mir hatte nichts mit der Hitze gemeinsam, die ich noch vor wenigen Wochen empfunden hatte, wenn ich unter ihm gelegen hatte. Diesmal erfüllte mich Panik.
»Runter von mir!« Ich versuchte zu treten, zu kratzen, zu schlagen. Doch er packte meine Hände, riss sie nach oben und drückte sie über meinem Kopf ins Leder. Sein Gewicht erdrückte mich, und sein Geruch, der mir jetzt nicht mehr berauschend, sondern widerlich vorkam, sorgte dafür, dass mir die Galle hochstieg.
Alles wurde zu einem Wirrwarr. Er presste seine Stirn gegen meine, damit ich meinen Kopf nicht gegen seine Nase schlagen konnte, verstärkte den Griff seiner Hände, verschränkte unsere Finger und drückte sie fest ins Leder.
Ich stemmte mich dagegen. »Ich sagte, geh runter von mir!«
Seine Augen blitzten auf, und er schob schwer atmend die Oberlippe zurück, was mehr einem Fletschen als einem Lächeln gleichkam. »Du und ich brauchen als frisch Verlobte doch ein wenig Zweisamkeit, meinst du nicht?«
Ich atmete so schnell, dass mir schwindelig wurde. Gleichzeitig hatte ich das Gefühl, zu ersticken. »Fick dich, Monroe!«, zischte ich. »Und geh. Runter. Von. Mir. Sonst spucke ich dir in deine hässliche Visage!«
»Wir wissen beide, dass du meine Visage alles andere als hässlich findest, Sarah.«
Ich hasste das Gefühl seines Atems auf meinen Lippen. Hasste es, meinen Namen aus seinem Mund zu hören.
Bevor Monroe herausfinden konnte, ob ich meine Drohung wahr machte oder nicht, ließ er mich los und setzte sich in einer geschmeidigen Bewegung wieder aufrecht hin.
Keuchend tat ich es ihm gleich und sah zur hochgefahrenen Trennscheibe. Mit einem Mal konnte ich die Tränen und das Zittern in mir nicht länger zurückhalten.
Er hatte gewonnen.
Mein Handy war weg.
Ich steckte fest.
Ich wurde verdammt noch mal von Monroe Darlington entführt.
Reiß dich zusammen, Sarah. Du wirst nicht zusammenbrechen, du bist stark!
Fahrig befeuchtete ich die Lippen und durchbohrte ihn mit meinem Blick, den er augenblicklich erwiderte. »Und ich dachte, Peter wäre der Psychopath in der Familie«, flüsterte ich. »Herzlichen Glückwunsch, du hast mich erfolgreich hinters Licht geführt.«
Plötzlich lachte er auf. »Und das kommt ausgerechnet von dir ! Du bist eine gewissenlose, eiskalte Schlampe, die über Leichen gehen würde, um zu bekommen, was sie will.«
»Ich soll gewissenlos sein?!«, schoss ich zurück.
»Du hast eiskalt vergessen«, fügte er hinzu und hob die Brauen.
Entrüstet lachte ich ebenfalls auf. »Du bist komplett durchgeknallt. Scheiße, jetzt fang endlich an zu reden, Monroe! Was sollte das mit der Verlobung? Eine verdammte Verlobung ?!«
»Tja«, sagte er seufzend und sank tief in die Rückbank. »Jetzt spielen wir eben nach meinen Regeln und nicht länger nach deinen.«
Der Horror grub sich immer tiefer in mich hinein. Da waren Wut und Empörung. Doch mit einem Mal war dort auch … Resignation. Hoffnungslosigkeit, Taubheit.
Wenn du deine Schwester wiedersehen willst, spielst du jetzt gefälligst mit.
Marionette.
Sarah Quinn, erweist du mir die Ehre und heiratest mich?
Ja, ich will.
Ich drehte mich zum Fenster um und sah, wie wir über eine der Brücken Manhattan hinter uns ließen.
Panik schrillte durch mich hindurch. Wo zum Teufel wollte Monroe mit mir hin?
»O Gott«, wisperte ich und schlang die Arme um mich. »Ich werde wirklich entführt.«
Er erwiderte nichts. Stritt es nicht ab. Und das machte alles nur noch schlimmer.
Ich sah meinen Entführer an. Den Mann, dem ich vor nicht allzu langer Zeit meine Liebe gestanden hatte. Den Mann, dem ich heute Abend vor Publikum gesagt hatte, dass ich ihn heiraten würde.
Meine Stimme war leise und dünn. »Monroe, sag mir sofort, wohin du mich bringst.«
Diesmal ignorierte er mich nicht, sondern erwiderte meinen Blick. Ein Muskel an seinem Kiefer zuckte, und er betrachtete mich eine ganze Weile in der stillen Limousine. Dann teilten sich seine Lippen, und er sah wieder aus dem Fenster.
»Wir fahren in die Hamptons.«