Ich bekam kein verdammtes Auge zu. Außerdem war ich so angespannt, dass die Muskeln in meinem Rücken hart wie Stahl waren und es zwischen meinen Schulterblättern zog und pulsierte. Egal in welche Position ich mich legte und wie oft ich versuchte, mich zu entspannen – meine Gedanken schweiften immer wieder ab, und mein Körper war innerhalb eines Wimpernschlags wieder angespannt, wie ein zurückschnappendes Gummiband. Denn ich hatte eine Entscheidung getroffen. Ich würde mich auf den Deal mit Monroe einlassen. Vorerst. Allerdings behielt ich es mir vor, jederzeit meine Meinung zu ändern, sollte mein Misstrauen wachsen. Ich musste der Sache noch weiter auf den Grund gehen, und das konnte ich nur in Manhattan. Nicht hier, eingeschlossen mit Monroe in den Hamptons. Ihn auf meiner Seite zu wissen, bedeutete Sicherheit, und das hatte vorerst Priorität, besonders, was Peter anging. Ich malte mir aus, wie er reagieren würde. Was wohl in seinem abgefuckten Kopf vorgegangen war, als Monroe mir den Antrag gemacht hatte? Gut möglich, dass Peter nun erst recht außer Rand und Band war. Und solange das der Fall war, konnte ich Monroes Schutz verdammt noch mal gut gebrauchen. Peter jagte mir größere Angst ein als jedes Monster unterm Bett, jeder Schatten in einer Zimmerecke. Und was beinahe genauso beängstigend war, war die Sorge darüber, ob Monroe und Peter wirklich zerstritten waren … oder ob sie nicht doch unter einer Decke steckten. Ob das hier nur ein gemeinsamer Plan war, um mich zu ihrer beider Marionette zu machen. Wieso sollte Monroe Peter loswerden wollen und mich ihm vorziehen? Sie waren Brüder. Zwischen ihnen war ein fest verwobenes Band. Wieso sollte Monroe sich für ein Mädchen entscheiden, das er erst seit ein paar Monaten kannte, und nicht für seinen kleinen Bruder? Ich wollte wirklich daran glauben, dass Monroe diesmal ehrlich war, dass er die Karten tatsächlich auf den Tisch gelegt hatte. Aber ein bohrendes Gefühl in mir warnte mich und flüsterte mir immer wieder zu, dass er noch jede Menge Asse im Ärmel versteckt haben könnte.
Ich atmete hart aus, starrte an die dunkle Zimmerdecke und spielte mit einem Faden, der sich aus dem Saum der Decke gelöst hatte – oder eher, den ich herausgezupft hatte. Währenddessen dachte ich über den Anruf bei Donovan nach dem Frühstück nach, ließ das Gespräch wieder und wieder in meinem Kopf abspielen, als wäre die Erinnerung eine Nachricht auf einem Anrufbeantworter. Monroe hatte zwar bewiesen, dass er seinen Teil unserer Vereinbarung einhielt, indem er Donovan kontaktierte, aber ich verspürte nicht die geringste Erleichterung. Dabei war ich davon überzeugt gewesen, dass es mir einen schweren Stein von der Brust nehmen würde, sobald Donovan wusste, wo ich war. Monroe hatte ihm mitgeteilt, dass wir morgen zurück in die Stadt fahren würden, so wie abgemacht. Sicher, es beruhigte mich ein Stück weit, dass Donovan sich Sorgen um mich machte. Dass irgendwem tatsächlich aufgefallen war, dass etwas nicht stimmte. Aber nicht einmal das konnte etwas daran ändern, wie sehr ich unter Strom stand. Denn es war längst nicht mehr mein größtes Problem, von Monroe in die Hamptons verschleppt worden zu sein. Das Telefonat war viel zu kurz, steif und unangenehm gewesen, und wir hatten wegen Monroe nicht frei sprechen können. Ich hatte Donovan lediglich versichert, dass es mir gut gehe und er sich keine Sorgen machen brauche, obwohl alles in mir danach geschrien hatte, ihm von dem zu erzählen, was die Darlington-Brüder getan hatten, von Paytons Unschuld und von der falschen Verlobung. Vom Plan. Er hatte irritiert und verdutzt geklungen – und ich konnte es ihm nicht verübeln. An seiner Stelle hätte ich vermutlich nicht anders reagiert. Aber nicht nur Monroes Anwesenheit hatte mich gehemmt, frei zu sprechen, sondern auch meine Entscheidung, auf den Deal einzugehen. Solange ich hier war und mir kein Bild der gesamten Lage machen konnte, durfte ich kein Risiko eingehen und Monroe gegen mich aufbringen. Es war dumm genug gewesen, ihm von meinen Gefühlen für Holden zu erzählen. »Ich habe mich verliebt, Monroe. Ich habe mich in jemand anderen verliebt.« Gott, ich hatte die Worte in der Sekunde bereut, als ich sie ausgesprochen hatte. Auch wenn es die Wahrheit war, so war ich definitiv zu weit gegangen, und der Schmerz und der Schock in seinen Augen waren alles andere als gespielt gewesen. Er hatte mich angesehen, als hätte ich ihm eine Stahlfaust in den Magen gerammt. Im nächsten Moment hatte er sich umgedreht und war gegangen. Der Rest des Tages war voller Kälte gewesen. Er war mir aus dem Weg gegangen und ich ihm. Es tat mir nicht leid, und doch hatte ich ein schlechtes Gewissen.
Die Angestellten hatten mir nach dem Frühstück eine Tasche mit Kleidung ins Zimmer gebracht, die ich nie zuvor gesehen hatte. Aber sie war allemal besser als das Kleid. Also hatte ich mir eine etwas zu enge Jeans, Boots, die mir zu groß waren, und einen blauen Kaschmirpullover übergezogen, gefolgt von einem Mantel, der viel zu schwer und teuer aussah. Ich hatte sinnlos herumgesessen und schließlich das Privatgelände des Anwesens erkundet, weil es sonst nichts zu tun gab und ich Monroe nicht unter die Augen treten wollte. Ich war über Dünen gelaufen und am Privatstrand entlangspaziert. Ich hatte den Wellen des dunklen Wassers zugesehen, und ich hatte stille, wütende, verwirrte Tränen verdrückt, während der salzige Novemberwind mir ins Gesicht geblasen und meine Haare in der Luft hatte tanzen lassen. Auch als ich ins Haus zurückgekehrt war, war ich bedrückt und nachdenklich gewesen. Ich hatte lange unter der heißen Dusche gestanden, mich dann in einen Flanellpyjama geschmissen und mich anschließend ins Bett verkrochen, ohne auch nur einen Bissen von dem anzurühren, was mir aufs Zimmer gebracht worden war.
Mit einem frustrierten Stöhnen vergrub ich das Gesicht im Kissen. Komm schon, schlaf ein, verdammt! Mein Kopf wollte einfach keine Ruhe finden. War es zu hart gewesen, ihm geradeheraus zu sagen, dass ich Gefühle für jemand anderen hatte? Es war grausam genug, auf ein Liebesgeständnis keine Erwiderung geben zu können. Aber das? Dass ich in einen anderen verliebt war?
Immer wieder dachte ich an den Ausdruck in seinen Augen. Er hatte ausgesehen wie ein getretener Hund. Aber dann, für einen winzigen Moment, kurz bevor er sich umgedreht hatte und gegangen war …
Ich fröstelte bei der Erinnerung. Vielleicht bildete ich es mir nur ein, vielleicht spielte mein Kopf mir Streiche, aber da war eine Härte in seine blauen Augen getreten, die den Schmerz für den Bruchteil einer Sekunde in Gletschereis verwandelt hatte. Es verstärkte die summende Angst in meinen Adern nur. Was, wenn mein Geständnis der fatalste Fehler gewesen war, den ich hätte begehen können? Was, wenn Monroe zu dem Schluss kam, dass ich sein ultimativer Feind war? Er hatte es auf die nette Art versucht – und sein Deal hatte Erpressung und meine Entführung beinhaltet. Was würde er als Nächstes tun, jetzt wo ich sein Herz gebrochen hatte? Wenn er sich dafür entschied, nicht länger nett zu sein?
»Verdammt«, keuchte ich, setzte mich auf und schlug die Bettdecke zurück. Die Angst in meinen Adern verwandelte sich in ausgewachsene Panik, und kalter Schweiß bildete sich auf meiner Stirn. Wenn ich diesen herannahenden Sturm nicht augenblicklich aufhielt, hätte ich weitaus größere Probleme als ohnehin schon. Ich musste mich bei Monroe entschuldigen, bevor er sich dazu entschied, mich zu zerstören. Mich und Payton. Ich musste mit ihm reden.
Und zwar sofort.
Barfüßig verließ ich das Zimmer und trat in den dunklen Flur. Nach dem Abendessen waren die Angestellten gegangen, sodass Monroe und ich wieder vollkommen allein im Haus waren. Es war kein Laut zu hören, und so tief in der Nacht wirkte die Villa gespenstisch.
Ich trat vor Monroes Tür, wischte die schweißnassen Handflächen an meinem Pyjama ab und atmete tief durch. »Fuck«, wisperte ich, blickte zur Decke und hob die Faust. Zwei Herzschläge vergingen.
Dann klopfte ich.
Ich hatte keine Ahnung, wie spät es mittlerweile war, aber vermutlich war es längst nach eins. Oder nach zwei?
Ich war drauf und dran, einfach hineinzustürmen und ihn zu wecken, doch da öffnete sich die Tür.
Sanftes Licht durchbrach die Dunkelheit, und Monroes große Gestalt erschien vor mir. Seine blonden Haare waren zerzaust, die weinrote Baumwollhose hing tief auf seinen Hüften, und das weiße T-Shirt war knittrig – alles sprach dafür, dass ich ihn geweckt hatte.
»Sarah«, sagte er mit belegter Stimme und musterte mich. »Was ist los?«
Meine Kehle war plötzlich staubtrocken. »Ähm, a-also, ich konnte nicht schlafen«, gestand ich mit viel zu hoher Stimme und stützte die Hände auf meiner Taille ab, nur um sie einen Moment später wieder fallen zu lassen. »Hab ich dich geweckt, oder können wir reden? Oder ist morgen früh besser? Sorry, ich wollte nicht stören oder so.«
Er blinzelte irritiert. Vermutlich, weil ich aussah, als hätte ich einen Bienenstock im Hintern. Scheiße, ich musste mich beruhigen. Ich durfte mir meine Panik nicht anmerken lassen!
»Komm rein«, sagte er zögerlich und trat zur Seite.
Fahrig strich ich mir zwei Haarsträhnen hinter die Ohren, die mir aus dem Zopf gerutscht waren, und betrat sein Zimmer. Mit weichen Knien steuerte ich das Bett an, um mich zu setzen. Als mir jedoch bewusst wurde, was ich da tat, hielt ich auf halber Strecke abrupt inne. Wo sollte ich hin? Einfach stehen bleiben?
Ich hörte, wie die Tür hinter mir zufiel. In der Stille der Nacht hätte es genauso gut der ohrenbetäubende Schuss einer Pistole sein können.
Ich rührte mich nicht. Konnte es nicht. Und dann spürte ich, wie er hinter mich trat, spürte seine Körperwärme und wie sich mir die Nackenhaare aufstellten.
Er berührte mich nicht.
Und doch fühlte es sich so an.
»Wieso bist du hier, Sarah?«, fragte er leise.
Ich schloss die Augen und suchte nach den richtigen Worten. Sag ihm, dass es dir leidtut. Sag ihm, dass du ihn heiraten wirst. Dass ihr ein Team seid. Dass ihr auf derselben Seite steht und er dir vertrauen kann.
»Es tut mir leid, Monroe«, flüsterte ich.
»Das beantwortet meine Frage nicht.« Finger legten sich an meine Hüfte. Vorsichtig, testend.
Adrenalin schoss wie Feuer durch meine Adern. Die Sekunden verstrichen, und mit jeder einzelnen schien seine Berührung sicherer zu werden. Er umfasste meine Hüfte und zog mich näher an sich, bis mein Rücken seine Brust berührte.
Ich zwang meinen Mund zu Worten. »Doch, das tut sie«, flüsterte ich, drehte mich zu ihm um und zwang mich dazu, den Kopf zu heben und ihm in die Augen zu sehen. »Ich konnte nicht schlafen, weil ich ein schlechtes Gewissen habe. Was ich zu dir gesagt habe, meine Gefühle …« Meine Stimme versagte. Verdammt, wieso war es in der Praxis so viel schwerer als in der Theorie?
Er kniff die Lippen zusammen, und sein verschlafener Blick wich Kälte. Dieselbe Eiseskälte, die ich heute schon einmal bei ihm gesehen hatte.
»Dann bist du also mitten in der Nacht hergekommen, um mir noch mal eins reinzuwürgen?«, fragte er mit gefährlich ruhiger Stimme.
Mein Atem beschleunigte sich, doch ich konzentrierte meine Kraft darauf, mir nichts anmerken zu lassen. Ich schüttelte den Kopf und legte ihm sogar eine Hand auf den Oberarm. »Nein. Natürlich nicht. Monroe, es tut mir wirklich leid. Ich … ich hätte es dir schonender beibringen sollen.«
Ich sah, wie er schluckte. Spürte, wie sich die Muskeln in seinem Arm anspannten. »Ich glaube dir nicht.«
Seine Worte erwischten mich kalt. »Was meinst du damit? Was glaubst du mir nicht?«, fragte ich mit unüberhörbarem Beben in der Stimme.
Ein freudloses Schnauben entwich ihm, und er fuhr sich durch die Haare. »Hast du mir nicht gestern erst erzählt, dass deine Gefühle für mich echt waren? Wie kann das sein, wenn du offenbar in jemand anderen verliebt bist? Eins davon muss also eine Lüge sein. Entweder hast du mich nie geliebt, oder es gibt den anderen Kerl nicht, wer auch immer es ist. Auch wenn ich so meine Vermutungen habe.«
»Ich habe nicht gelogen!«, sagte ich sofort. »Weder gestern noch heute. Ich habe beide Male die Wahrheit gesagt. Monroe, es ist einfach passiert. Ich habe es nicht drauf angelegt. Und es tut mir leid.«
In seinen Augen tobten die verschiedensten Gefühle, und die Schatten auf seinem markanten Gesicht wirkten fast schon unheilvoll. Er … sah aus wie ein Racheengel.
Das erinnerte mich daran, wie er mich als Racheengel bezeichnet hatte, in der Nacht in Darlington House, als Grace und die Professoren aufgeflogen waren. »Ich habe eine Schwäche für hübsche Racheengel.«
»Hast du mit Sutherland geschlafen?«, fragte er plötzlich.
Ich zuckte zurück, ehe mir blankes Entsetzen das Blut aus dem Gesicht trieb.
»Was?«, wisperte ich. »Ich meine … Wie kommst du darauf, dass es … Was?«
»Sag mir, ob du mit Sutherland im Bett warst, Sarah«, befahl er durch zusammengebissene Zähne und ballte die Hände zu Fäusten.
»Ich habe nie behauptet, dass es Holden …« Doch sein Verarsch-mich-nicht-Blick ließ keine Ausreden zu. Er konnte mir die Wahrheit vom Gesicht ablesen.
Also gab ich auf und ließ die Schultern sinken. »Nein. Ich habe nicht mit ihm geschlafen.« Wir haben andere Dinge getan. Die Worte steckten mir im Hals, und ich biss mir auf die Zunge, damit ich sie nicht aussprach. Ich könnte mir vermutlich genauso gut mein eigenes Grab schaufeln. Außerdem war ich ihm, trotz meiner Angst, keine Rechenschaft schuldig, und ich hasste es, dass es sich so anfühlte. Dass er sie von mir verlangte. Angst, Trotz und Wut ergaben einen Cocktail, der es ordentlich in sich hatte und Übelkeit in mir aufsteigen ließ.
Monroe beobachtete mich genau, als könnte er mich lesen wie ein Buch. Ich bemühte mich um eine gleichgültige Miene, doch es klappte nicht wirklich.
»Aber du willst es«, murmelte er fassungslos. Mit jeder Sekunde wurde er ruheloser und brachte Abstand zwischen uns. »Du willst von Sutherland gefickt werden.«
»Ich hasse es, wenn du so sprichst«, stieß ich hervor.
»Nein, normalerweise turnt es dich an.«
Dieses Arschloch. Am liebsten hätte ich ihn angefaucht, dass es ihn nichts mehr anging, was mich anturnte und was nicht, aber das blieb mir ebenfalls im Hals stecken.
Er wurde immer aufgewühlter, auch wenn er so aussah, als wollte er es mit allen Mitteln unterdrücken. Ein grimmiges Lächeln umspielte seine Lippen, und er lachte auf. »Scheiße, jetzt verstehe ich.«
»Was verstehst du?«, fragte ich gequält.
»Wieso du hier bist. Mitten in der Nacht in meinem Zimmer.« Er sah mich wieder an. Im nächsten Moment trat er wieder vor mich, schob seine Hand in mein Haar, packte meinen Hinterkopf und zog ihn zurück. Ein Keuchen entfuhr mir. Er baute sich über mir auf, und sein Atem ging flach und unregelmäßig.
»Monroe! Was …«
»Du willst nicht nur ihn, habe ich recht?«, fragte er. »Er ist nicht der Einzige, von dem du gefickt werden willst. Deshalb bist du hier.«
Das Herz hämmerte mir in den Ohren. Ich wollte ihn von mir schubsen und davonrennen, mich verstecken und zu einer Kugel zusammenrollen. Aber ich konnte mich nicht rühren, war wie zur Salzsäule erstarrt. Und doch rang ich mir die nächsten Worte ab. »Ich will nicht von dir gefickt werden, Monroe, und deshalb bin ich auch nicht hier. Es geht mir nicht um Sex. Es dreht sich nicht ständig alles um Sex!«
Irgendetwas an meinen Worten schien die Dinge noch weiter zu verschlimmern. Er wurde blass, und auch wenn er ein Meister darin war, seine Gefühle im Zaum zu halten, sah ich den alarmierten Ausdruck in seinen Augen.
»Dann liebst du ihn auch?«, fragte er tödlich leise.
Ich konnte ihn nicht ansehen. Nicht, wenn er diese Frage stellte. Anstatt irgendetwas zu retten oder wenigstens geradezubiegen, ritt ich mich ganz offensichtlich nur noch tiefer in die Scheiße.
Ich hörte ihn tief durch die Nase einatmen, spürte, wie er kurz davor war, zu explodieren. Nicht nur, dass ich in einen anderen verliebt war, es war ausgerechnet Holden Sutherland. Bis heute wusste ich nicht, was zwischen Monroe und Holden geschehen war, dass sie sich so sehr hassten, aber es schien die Lage noch schlimmer zu machen, dass er es war.
Es brodelte in mir, mal heiß, dann wieder kalt. Deshalb schüttelte ich den Kopf. Nickte. Zu unsicher, wie ich auf eine so große Frage antworten sollte.
Ich hielt seine Berührung nicht länger als, packte seine Handgelenke und schob sie von mir. »Verdammt, Monroe, i-ich kenne Holden noch nicht lange und nicht gut genug, um das zu wissen. Es ist noch keine Liebe.«
Noch . Das Wort hallte zwischen uns nach wie in einer tiefen Schlucht.
»Und das zwischen uns?«, fragte er unablässig weiter.
Ich hob den Blick. Und in diesem Moment wusste ich es. Ein Nein würde es endgültig machen. Würde mich unwiderruflich zu seinem Feind machen.
Und dennoch konnte ich ihm nicht ins Gesicht lügen, nur um mich besser zu fühlen.
»Unsere Beziehung wurde auf Lügen und Täuschung aufgebaut«, erwiderte ich ausweichend. »Das haben wir heute zur Genüge festgestellt, meinst du nicht auch?«
Seine Mundwinkel hoben sich erneut, doch der aufgewühlte Ausdruck blieb. In dem Licht der Nachttischlampe sah das Blau seiner Augen fast schwarz aus. »Sag mir, dass du mich nicht liebst. Dass du mich nie geliebt hast.«
Mein Puls wurde immer schneller, je länger sein Blick mich durchbohrte. Na los, jetzt sprich es endlich aus! Sag ihm, dass du ihn liebst!
Aber das wäre eine Lüge. Ich hatte ihn geliebt. In der Vergangenheit. Ich hatte mich mit Haut und Haaren in die Version von ihm verliebt, die er mir vorgespielt hatte. Aber für den Mann, der vor mir stand, empfand ich nichts als Wut, Angst und Abscheu.
»I-ich hätte nicht herkommen sollen«, stieß ich hervor und drehte mich um, bereit, die Flucht zu ergreifen. Doch noch bevor ich mich in Bewegung setzen konnte, packte Monroe mein Handgelenk und wirbelte mich wieder zu sich herum.
»Sag es, Sarah«, verlangte er mit bebender Stimme und ergriff mein Kinn, zwang mich, ihn anzusehen und den Kopf zu heben. »Nach allem, was ich getan habe, habe ich es vermutlich nicht anders verdient. Ich habe dich praktisch in die Arme dieses Bastards getrieben. Aber das zwischen euch ist nicht mit dem vergleichbar, was wir haben, und das weißt du auch.«
»Wir haben nichts «, flüsterte ich. »Nur einen Palast aus Lügen. Ein Kartenhaus, das in sich zusammengefallen ist.«
Er schüttelte vehement den Kopf. Die Intensität in seinem Blick ließ meinen Magen zusammenkrampfen.
»Es waren nicht nur Lügen. Wir haben uns vielleicht gegenseitig etwas vorgemacht, aber wenn wir zusammen waren, dann waren wir echt. Ich habe nicht gelogen, wenn wir stundenlang geredet haben. Und du hast nicht gelogen, als du mir von dir erzählt hast.«
»Hör auf«, sagte ich erstickt, spürte Panik in mir aufkeimen. »Das, was du getan hast, die unverzeihlichen Dinge …«
Doch er machte weiter, hörte mir gar nicht zu. »Es war keine Lüge, als ich mich nach dir gesehnt habe, wenn du nicht bei mir warst«, sagte er eindringlich und zog mich näher an sich, bis mein Körper zu viel von seinem berührte. »Es war keine Lüge, dass ich kaum noch klar denken konnte, wenn du mich angelächelt oder mich berührt hast. Und es war keine verfluchte Lüge, als wir miteinander geschlafen haben. Vieles war falsch, aber das war echt , Sarah. Und es ist erst einige Wochen her.«
Einige Wochen. Etwas mehr als einen Monat. Wieso kam es mir so vor, als wäre es in einem anderen Leben gewesen? Ich erinnerte mich an das Herzklopfen, das ich in seiner Nähe empfunden hatte – das gleiche Herzklopfen, das mich auch jetzt erfüllte, auch wenn dieses von Angst herrührte. Ich dachte daran, wie aufgeregt ich gewesen war, als er mich zum ersten Mal besucht hatte, als wir uns zum ersten Mal nähergekommen waren. Daran, wie ich ständig an ihn hatte denken müssen. Wie jeder noch so kleine Abstand, der uns getrennt hatte, vor Anziehung geknistert hatte. Ich hatte so viel über Bord geworfen, hatte Fehler begangen, hatte Sex mit ihm gehabt, trotz der vielen Lügen und des Betrugs. Denn das, was ich gefühlt hatte, hatte nicht in meinen Plan gehört, war voll und ganz meins gewesen. Nur dass ich jetzt nicht einmal einen Widerhall von alldem in mir finden konnte. Als hätten seine grausamen Wahrheiten auch den letzten Rest an Gefühl aus mir herausgebrannt und nichts als Asche übrig gelassen.
Ich wollte mich aus seinem Griff befreien, doch er ließ mich nicht los. Seine Hände glitten tief meinen Rücken hinab, und er zog meinen Körper so eng an seinen, dass kein Blatt mehr zwischen uns passte.
»Sieh mir in die Augen«, befahl er. »Wenn du mir in die Augen sehen und sagen kannst, dass du nie etwas für mich empfunden hast, werde ich es dabei belassen. Dann lasse ich dich in Ruhe und werde dich nie wieder damit behelligen.« Wieder schluckte er schwer. »Aber wenn das nicht der Fall ist, dann gebe ich nicht auf.«
Die Frage war nicht fair. Er sprach nicht nur vom Hier und Jetzt. »Wieso?«, wisperte ich. »Scheiße, wieso tust du das, Monroe?«
»Weil ich dich verdammt noch mal trotz aller Regeln liebe! Und wenn wir heiraten …« Seine Hände glitten unter den Flanellstoff und fuhren meinen Rücken hinauf.
Haut auf Haut.
Flüssiges Feuer folgte seiner Berührung, und es entsetzte mich so sehr, dass mein ganzer Körper erstarrte.
»Wenn wir heiraten«, setzte er erneut an, »dann … müssen wir uns nicht scheiden lassen. Nicht, wenn wir es nicht wollen.«
Wut flammte in mir auf. »Das wäre vollkommen und absolut …«
»Wäre es das?«, fragte er leise und strich mit dem Daumen über meine Wirbelsäule. »Ich glaube nämlich nicht. Ich glaube, es wäre perfekt, und ich glaube, genau deshalb bist du hergekommen. Weil du es insgeheim auch willst. Stell es dir nur mal vor. Wir reiten praktisch in den gottverdammten Sonnenuntergang und bekommen all das, was wir uns je erträumt haben …« Er senkte den Kopf noch weiter, bis ich seinen Atem auf meinen Lippen spüren konnte. »Wie hoch standen schon die Chancen, dass ausgerechnet wir beide uns in dieser unmöglichen Situation ineinander verlieben?«
Ich keuchte. »Aber …«
»Lass uns herausfinden, was wir füreinander empfinden können, wenn wir vollkommen ehrlich miteinander sind und nicht vorgeben, jemand zu sein, der wir nicht sind. Oder einen Plan verfolgen.« Mit einem Mal klang Monroe geradezu flehend. »Versuch mir zu verzeihen. Bitte. Gib uns noch eine Chance, ich weiß, dass wir perfekt sein könnten. Siehst du es nicht auch?«
Ich wollte schreien. Wollte weinen und fortrennen. Das war ganz bestimmt nicht die Richtung, die ich vorgesehen hatte, auch wenn es irgendwie beruhigend war, zu sehen, dass er offenbar noch nicht meinen Mord plante. Es gehörte eine Menge Wahnsinn dazu, mir nach unseren Gesprächen in den letzten Tagen diese Worte entgegenzuschleudern, aber das war typisch für Monroe.
»Ich brauche eine Antwort, eine richtige«, flüsterte er und strich mit den Lippen über meine. Der Schock donnerte wie ein Stromschlag durch mich hindurch. »Komm schon, Sarah, sag mir, dass du mich nie wolltest und nie geliebt hast, und ich gebe auf.«
Ich dachte an Holden, dachte daran, was ich für ihn empfand. Du willst mich, und ich will dich. Ein verzweifelter Laut entfuhr mir, und das Rauschen in meinen Ohren wurde lauter. Monroes Lippen waren zu nah, sein Körper zu warm, sein Duft zu vertraut. »Ich …«, begann ich und versuchte wieder, mich von ihm zu lösen. Doch er zog mein Gesicht noch näher an seines. Das Brodeln in meinen Ohren wurde lauter.
»Schön, ja, ich habe dich geliebt! Aber jetzt … ich meine, ich … ich kann dich nicht …«
Doch ich konnte nicht weitersprechen.
Denn im nächsten Moment küsste er mich leidenschaftlich.
Seine Hände umfassten meinen Kopf, und er küsste mich so verzweifelt, als wäre etwas in ihm gebrochen. Als hätte ich etwas in ihm gebrochen. Aber auch wütend, als wollte er mir mit aller Kraft etwas beweisen, was ich nicht sah. Seine Lippen, weich und fordernd, fühlten sich an wie ein brechendes Herz.
Monroe Darlingtons gebrochenes Herz in den Händen zu halten, war das Gefährlichste, was mir je hätte passieren können.
Wut und Ekel und Empörung stiegen in mir auf, wurden jedoch gleich darauf von gleißender Alarmbereitschaft und Angst überschattet.
Ich hatte keine Zeit, um zu denken. Und vielleicht würde ich es bereuen. Doch in diesem Augenblick schaltete ich in den Überlebensmodus.
Deshalb erwiderte ich den Kuss.
Monroe spürte es und stöhnte in meinen Mund. Ich kniff die Augen zusammen, als seine Zunge in mich drang, und vergrub die Finger in seinen Haaren, stellte mir vor, dass ich nicht über seinen Nacken fuhr, sondern ihm die Augen auskratzte. Der Kuss hatte nichts mit Sanftheit zu tun, hätte nicht weiter davon entfernt sein können. Er war pure Dominanz und getränkt von seinem Schmerz. Seine Hände glitten haltlos über meinen Rücken, gruben sich in meinen Hintern, packten meine Hüften. Sie hinterließen eine Schneise der Verwüstung und trieben mir Tränen in die Augen.
Er bewegte das Becken, und als ich seine Erektion an meinem Bauch spürte, hielt ich es nicht mehr aus.
Panisch stieß ich ihn von mir und taumelte zwei Schritte zurück. Atemlos bedeckte ich meine pochenden Lippen mit den Fingern. Fuck. Ich hatte den Kuss erwidert. War ich so tief gesunken? War meine Angst vor ihm so groß, dass sie mir den schwächsten Moment meines verdammten Lebens beschert hatte?
Unaufhaltsamer Ekel und Wut auf mich selbst ließen noch mehr Tränen in meine Augen treten, bis sie schließlich überschwappten und die ersten Tropfen meine Wangen hinunterliefen. Nun war ich es, die sich wie ein Monster vorkam, denn alles, woran ich denken konnte, war Holden. »Das … das hättest du nicht tun dürfen«, wisperte ich.
»Das ist mir für den Moment Antwort genug«, sagte er mit rauer Stimme und lächelte schief. »Ich liebe dich, Sarah. Und jetzt weiß ich zumindest, dass du mich genauso liebst, auch wenn du es noch nicht aussprechen kannst.«
Ich fuhr mir durch die Überreste meines Zopfes. Meine Finger zitterten unübersehbar. Holden, Holden, Holden, Holden. Mein Kinn zuckte unkontrolliert, und noch mehr Tränen liefen über meine Wangen. Ich war jämmerlich. Genau die Marionette, für die Monroe mich hielt. Und vielleicht gab es auf der Welt keinen Menschen, den ich so sehr hasste wie ihn, denn er hatte mich über meine Grenzen hinausgetrieben. Hatte mich dazu gebracht, etwas zu tun, was ich nicht gewollt hatte.
Ich wich seinem Blick aus und wischte mir fahrig über das Gesicht. »Das war ein Fehler. Ich hätte nicht herkommen sollen.« Ich drehte mich um und lief mit schnellen Schritten zur Tür. Ein Schluchzen zupfte an meiner Kehle, aber ich wollte unter keinen Umständen vor ihm zusammenbrechen. Es fühlte sich allerdings so dringend an, als müsste ich kotzen.
»Keine Sorge, Sarah«, rief er mir nach, als ich die Tür aufriss und in den Flur stürzte. »Ich werde mir diese drei kleinen Worte von dir schon noch zurückverdienen. Wir haben jede Menge Zeit, und ich bin ein geduldiger Mann.«