Hausarrest

 

Es gab vieles, was ich bis dahin nicht gewusst habe. Zum Beispiel, wie leer eine Stadt um halb vier Uhr morgens ist, dass die U-Bahn zum Flughafen zum Glück schon fährt. Aber auch, dass es beinahe unmöglich ist, sich unbemerkt aus dem sehr alten Haus von Tante Hannchen wegzuschleichen. 

Erstes Problem: Ich teilte mir mit Benno ein Zimmer. Und der war nicht nur der Rattenfänger von Hameln, sondern hatte auch Ohren wie ein Luchs. Weil er so neugierig war. 

Ich hatte mein Handy neben mich ins Bett gelegt und wollte mich vom Vibrationsalarm wecken lassen, aber die Angst zu verschlafen ließ mich kein Auge zutun. So hatte ich auch genügend Zeit, über mein Dilemma nachzudenken. Weil ich zu feige gewesen war, weil ich mich nicht blamieren wollte, weil es mir peinlich gewesen war, dass wir die Sommerferien zu Hause verbringen würden – aus welchem Grund auch immer, ich hatte gelogen. Deswegen musste ich also in aller Herrgottsfrühe zum Flughafen fahren und so tun, als würde ich mit meiner ganzen Familie nach Thailand fliegen. Aber nicht nur das!

Konstantin würde erst in zwei Wochen verreisen, Zoe in einer, dafür wollte sie nur vier Wochen wegbleiben, Cleo gleich, Pandora die letzten drei Wochen, also das bedeutete für mich …! Ich setzte mich auf, schnappte mir einen Block und die Taschenlampe und erstellte unter der Bettdecke einen ausgetüftelten Plan, der mir schließlich die wunderbare Erkenntnis vermittelte, dass es ungefähr zwei Wochen in den Sommerferien gab, in denen keiner der Angelogenen in der Stadt war. Das waren die einzigen zwei Wochen, in denen ich als Tula rausgehen konnte. Ansonsten war es viel zu gefährlich, dass mich jemand sah und dann die alles verderbende Frage stellen würde: »Warum bist du denn nicht in Thailand?«

Als es endlich drei war, schnappte ich mir den Rucksack, den ich ursprünglich für die Reise gepackt hatte, und versuchte, mich aus der Wohnung zu schleichen. Dabei erinnerte ich mich an Mamas begeisterten Ausruf, als wir das erste Mal in der Wohnung standen: »Schau mal, der schöne alte Dielenboden!«

Schön schon, aber laut. Jedes Brett machte sein eigenes Geräusch, wenn man drauftrat, und während ich den Boden verfluchte und die Luft anhielt, um irgendwie leichter zu sein, kam mir der Gedanke, dass ich die erste Dielenmusikantin werden könnte. Ich würde die verschiedenen Töne der Bretter herausfinden und ein Liedchen komponieren. Das wäre zumindest eine Beschäftigung für die vier Wochen, in denen ich nicht aus dem Haus durfte. Und dann könnte ich noch an den Weltmeisterschaften teilnehmen, wenn es die gab, mit den zwei wunderbaren Titeln Thailand, meine Perle und Zu Hause ist es doch am schönsten.

Ich bemerkte, dass die Bretter am Rand am wenigsten knarrten, und drückte mich an der Wand entlang aus der Wohnung. Das hatte ich schon mal geschafft, aber da das Licht im Hausflur nicht ging, weil gerade neue Kabel verlegt wurden, stolperte ich über einen Haufen irgendwas und fiel mit lautem Krachen ein paar Stufen hinunter. 

Ich blieb einfach sitzen, hielt mal wieder die Luft an und lauschte. Nichts zu hören. Meine Familie befand sich anscheinend in der Tiefschlafphase. Langsam rappelte ich mich hoch, stellte erleichtert fest, dass ich mir nichts gebrochen hatte, und schlich das dunkle Treppenhaus hinunter in die kühle Nachtluft.

In der U-Bahn war außer mir keiner, natürlich nicht, und solche Leute wie Cleo wurden wahrscheinlich von einem Chauffeur zum Flughafen gefahren, der James hieß. Ich klopfte mir den Staub von den Klamotten, den ich mir im Treppenhaus eingefangen hatte, und starrte vor mich hin, bis wir fünf Minuten vor vier beim Flughafen ankamen. Perfektes Timing. Darin würde ich in den nächsten Wochen richtig gut werden!

In der Abflughalle war im Gegensatz zum Rest der Welt die Hölle los, aber Cleo winkte mir schon von der Bar aus zu, sodass es keine Gelegenheit gab, sie zu verfehlen. »Tuuula!«

Ich begrüßte sie und ihre Eltern – der Architektenvater hatte tatsächlich einen kleinen Zopf und eine Lakritzbrille wie alle Architekten – und ließ mich in einen Stuhl fallen.

»Hey, wo ist denn der Rest der Familie?«, wollte Cleo wissen.

»Ach, die rasen immer los, um sich noch mit Zeitungen und so einzudecken.«

Cleos Eltern fanden das eine gute Idee und ließen uns alleine. Ich schielte zur Abflugtafel, auf der unser ehemaliger Flug nach Bangkok angezeigt wurde, und konnte zu meiner Erleichterung feststellen, dass Cleos Flug in die Provence früher ging. Das konnte helfen. Wir bestellten uns Kaffee und ich merkte, dass er dringend nötig war, immerhin hatte ich noch keine Sekunde geschlafen. Cleo ihrerseits schien hellwach, erzählte mir von ihren Urlaubsplänen und ich war froh, dass sie redete und ich nur zuhören musste.

»Sag mal, mit dir und Konstantin, ist da was?« Sie schaute mich aus ihren perfekt geschminkten Augen fragend an.

»Mit Konstantin? Äh … wie kommst du denn darauf?« Ich geriet leicht ins Stottern, obwohl es ja nicht gelogen war. Da war ja nichts mit Konstantin, außer dass ich total verliebt in ihn war, doch das würde ich mir in den nächsten sechs Wochen aus dem Kopf schlagen, ganz sicher.

Cleo zog die Augenbrauen hoch. »Man hat so ein bisschen den Eindruck. Ich sage dir nur eins, da würdest du es verdammt mit Zoe zu tun kriegen.«

Ich winkte ab, »Aber da ist ja nichts!«, und suchte verzweifelt nach einem anderen Thema. Die Schlaflosigkeit hatte jedoch mein Hirn verklebt. »Komm, ich mach ein Abschiedsschüttelbild von dir!«

Cleo lachte sich halbtot und ich stellte resigniert fest, dass sie sogar geschüttelt ganz entzückend aussah. In diesem Moment kamen Cleos Eltern und holten sie zum Einchecken ab.

»Da musst du doch sicher auch hin!« Cleos Vater deutete auf die Abflugtafel.

Ich sprang auf. »O ja, genau, da bin ich mit meinen Eltern verabredet!«

»Wir können uns ja gleich noch im Kiosk treffen«, schlug Cleo vor, »und uns die neueste Vogue kaufen!«

Zum Glück lagen die Schalter sehr weit auseinander, aber nicht so weit, dass Cleo mich nicht sehen konnte. Was tun? Es blieb mir nichts anderes übrig, als mich in der Schlange der Bangkokreisenden anzustellen und sie im Auge zu behalten. Schneller, als mir lieb war, kam ich an die Reihe und zögerte. Was jetzt? Die freundliche Frau vom Bodenpersonal schaute mich erwartungsvoll an und die Leute hinter mir fingen an zu murren. Also ging ich mit meinem Rucksack zum Schalter und beobachtete erleichtert, dass Cleo und ihre Eltern schon fertig waren und sich Richtung Kiosk aufmachten. Wenigstens das. Jetzt musste ich nur noch meinen Rucksack loswerden und das Spiel zu Ende spielen, solange ich mich in ihrem Blickfeld befand.

Die Frau hinterm Schalter streckte mir ihre Hand entgegen. »Ihr Ticket, bitte!«

Ich starrte sie nur an und sie zog die Augenbrauen hoch. »Das Ticket!«

»Äh, wissen Sie, ich fliege gar nicht«

»Sie fliegen nicht?«, fragte sie überrascht.

»Ich … äh … tue nur so«, stotterte ich.

Die Frau schaute mich an, als wäre ich reif für die Klapse. So fühlte ich mich auch.

»Schwer zu erklären, aber könnte ich meinen Rucksack einfach bei Ihnen abgeben und Sie heben ihn für mich auf?«, fragte ich und versuchte, so charmant zu lächeln wie Konstantin. »Ich hole ihn auch gleich wieder ab!«

Die nicht mehr ganz so freundliche Bodenpersonalfrau legte die Stirn in Falten, dann schüttelte sie den Kopf. »Tut mir leid, das ist gegen die Vorschriften.«

Ich nickte langsam, verfluchte, dass ich nicht Konstantin war, spähte noch einmal zu Cleos Schalter rüber, aber zum Glück waren sie definitiv weg Richtung Kiosk und ich verschwand mit meinem Rucksack zu den Toiletten. Irgendwie musste ich ihn loswerden, damit es nach Einchecken aussah. Also versteckte ich ihn unter den Waschbecken und lief zu Cleo, um mir die Vogue zu kaufen, mit der ich noch nie was anfangen konnte, weil die Klamotten erstens vollkommen unerschwinglich waren und zweitens nicht zu tragen. 

»Hast du denn deine Eltern gefunden?«, wollte Cleo wissen.

»Ja, ja, die sind schon durch, ich wollte mich nur noch von dir verabschieden und dann auch noch ein bisschen rumgucken … bevor ich in diese andere Kultur abtauche. Hab ja noch etwas Zeit!«

Ich grinste schief, brachte Cleo zur Sicherheitskontrolle, Küsschen rechts und links, und winkte, bis sie endlich verschwunden war. Geschafft. In jeder Beziehung. Ich war so müde, dass ich nur noch ganz langsam Richtung Toilette und Rucksack gehen konnte und meine Füße am Boden festzukleben schienen. Konstantin. Das war eine eindeutige Warnung gewesen. Ich seufzte, wurde aber aus meinen düsteren Gedanken gerissen, als ich eine Traube von Polizisten vor der Toilette stehen sah, von denen einer gerade mit einem Absperrband den Zutritt verweigerte. Mist, was war denn da los?

Ich wühlte mich durch die neugierig glotzenden Leute und tippte einem Polizisten auf die Schulter. »Entschuldigung, ich müsste nur mal schnell meinen Rucksack da rausholen.«

Alle Polizisten drehten sich zu mir um. Ihre Augen wurden zu Schlitzen und es war ganz still, bis endlich einer mit heiserer Stimme sagte: »Das ist dein Rucksack?«

 

Als ich nach dieser Mördertour wieder zu Hause ankam, fühlte ich mich mehr tot als lebendig. Jemand hatte meinen einsamen Rucksack angezeigt, weil er eine Bombe darin vermutete. Eine Stunde lang hatte ich versucht, der Polizei den Sachverhalt zu erklären, und eigentlich wollten sie mich persönlich nach Hause bringen und mal mit meinen Eltern reden wegen eventuell notwendiger psychologischer Behandlung oder so, aber schließlich konnte ich sie doch noch davon überzeugen, dass ich vollkommen harmlos war und nur zu feige, meinen reichen Freunden zu sagen, dass ich nicht so reich war.

»Du solltest darüber nachdenken!«, riet mir eine freundliche Polizistin und überreichte mir den Rucksack, der beinahe gesprengt worden wäre.

Es war sieben Uhr morgens, als ich die knarrende Treppe hinaufging, ohne dem Staub und den Plastikfolien auch nur irgendeine Beachtung schenken zu können, ich war viel zu müde.

Oben stand Benno in seinem Frotteeschlafanzug in der Wohnungstür. 

»Wo warst du?«

Ich seufzte. »Konnte nicht schlafen, deswegen bin ich ein bisschen spazieren gegangen.«

»Mit Rucksack?«

»Ja, und?«

Ich ging an ihm vorbei in unser Zimmer, ließ mich auf mein Bett fallen, war sofort eingeschlafen und wachte erst am Nachmittag wieder auf, als meine Mutter mit einer Tasse Kakao vorbeikam und sich langsam Sorgen machte. »Bist du krank?«

Ich schüttelte den Kopf. »Ich konnte nicht gut schlafen heute Nacht. Wahrscheinlich wegen Thailand und so!«

Meine Mutter streichelte mir über den Kopf. »Wir werden es uns schon schön machen.« 

Denkst du. Ihr vielleicht. 

Beim Abendessen verkündete mein Vater, dass er die Zeit nutzen würde, um bei den Renovierungsarbeiten mitzuhelfen. »Sonst dauert das ja noch ewig und das ist definitiv zu lange.«

»Ich helfe dir!«, bot ich spontan an, weil ich, nicht blöd, sofort das Potenzial zum Unauffällig-zu-Hause-Bleiben erkannt hatte.

»Du mit deinen zwei linken Händen!«, kreischte Benno. »Also ich geh ins Schwimmbad. Ernie, Jonas, Arthur und Darren fahren auch nicht weg.«

Mein Vater lächelte mich an. »Das brauchst du wirklich nicht, Tula.«

Sie wussten alle, dass ich nichts mehr hasste als handwerkliche Tätigkeiten, zum Beispiel riesige, eng gerillte Heizkörper neu zu lackieren oder eine kilometergroße Fläche Holz mit einem kleinen Papier abzuschleifen.

»Aber wenn du gerne möchtest?«

Ich nickte und schaffte es die ersten Tage wirklich ziemlich gut, unauffällig nicht rauszugehen, bis Papa mich in den Baumarkt schicken wollte, um Heizungslack nachzukaufen. Das konnte ich definitiv nicht machen.

»Geh du, ich bin hier gerade so schön drin.«

Mein Vater runzelte die Stirn. »Du siehst doch, dass ich hier nicht wegkann.«

Da hatte er recht. Der Schreiner, der gerade das Treppengeländer wieder zusammenbaute, brauchte ihn zum Halten.

»Warte, ich frage Benno!«

Papa rief mir noch irgendwas hinterher, aber ich war schon in der Wohnung verschwunden und in unser Zimmer, wo Benno mit seinen Freunden Karten spielte.

»Benno, kannst du mal schnell was für Papa besorgen?«

Benno schüttelte den Kopf. »Nee, ich bin hier gerade am Gewinnen!«

Ich stemmte die Arme in die Seiten. »Hör mal, du kannst auch ein bisschen mithelfen.«

Benno schaute mich an. »Warum gehst du nicht?«

»Weil ich gerade mitten im Streichen bin! Benno, ich kaufe dir auch ein Päckchen Fußballkarten.«

Benno überlegte nicht lange. »Drei!«

»Okay, drei!«

Am Ende fuhr Mama kopfschüttelnd mit Benno mit, der jetzt unbedingt wollte, aber natürlich noch viel zu klein war, um alleine mit der U-Bahn zum Baumarkt zu fahren, den richtigen Eimer Heizungslack zu erwerben und wieder nach Hause zu schleppen.

Ich ließ erleichtert Luft ab, als sie weg waren, da ertönte mein SMS-Signal. 

Hallo, Tula, bist Du gut angekommen? Denk an Dich, Konstantin.

Sofort begann mein Herz zu rasen. Der Märchenprinz dachte an mich, nicht weit von hier im Beethovenweg. Er dachte daran, wie ich jetzt in Thailand auf dem Fahrrad der Hitze trotzte. Konstantin. Sofort hatte ich sein schönes Lächeln vor Augen und versank in den Schwärmereien, die mir Cleo so eindringlich verboten hatte.

Alles gut hier!, tippte ich zurück und fragte mich, ob er Zoe auch schon geschrieben hatte. War die bereits weg? Ich seufzte, schaltete mein Handy aus und strich über das leere Buch, das Konstantin mir geschenkt hatte.

In den nächsten Tagen konnte ich es nicht mehr verbergen, dass ich nicht auf die Straße wollte. So was fällt einer Mutter auf und Benno war schon jetzt im Besitz eines riesigen Haufens Fußballkarten, weil er immer für mich losgehen musste. Am Abend schlug sie mit der Faust auf den Tisch und kündigte an, dass wir morgen eine schöne Fahrradtour am Rhein entlang machen würden. Durch das ganze Viertel und dann noch weiter. Katastrophe!

»Ich kann morgen nicht«, stotterte ich. »Also, auf gar keinen Fall!«

»Und warum nicht?«

»Ich will erst die Heizungen noch fertig streichen!«

Mein Vater lächelte mich an. »Du bist hiermit für morgen von allen handwerklichen Tätigkeiten befreit.«

»Aber das ist doch blöd«, wehrte ich mich, »dann ist die eine Seite schon getrocknet, das sieht man doch …!«

»Tula?«

»Ja?«

»Wir machen morgen eine Fahrradtour. Die ganze Familie!«

Punkt.

Natürlich war ich am nächsten Tag ganz fürchterlich krank und schaffte es, sogar meine Mutter davon zu überzeugen. Sie fuhren ohne mich.

»Aber versprich mir, dass du mal ein bisschen rausgehst. Frische Luft ist das einzig Wahre, wenn man solche Kopfschmerzen hat.«

Versprochen.

Tatsächlich hatte ich irgendwann überhaupt keine Lust mehr, im Bett herumzuliegen. Also zog ich mich an und stiefelte durch den Keller in den vermoosten Garten. Hier war alles ziemlich verdorrt, ich fand einen Wasserschlauch und entschied, dass auch Moos gelegentlich etwas Flüssigkeit verdient hatte. Dabei fiel mir auf, dass der Steinkreis verändert worden war. Jemand hatte die Steine umgelegt und einen Stern daraus gemacht, und das konnte auf keinen Fall Tante Hannchen gewesen sein. 

Während das Wasser in abgehackten Stößen aus dem Schlauch sprudelte, betrachtete ich die hohe Mauer, die unseren Garten umgab, und konnte die schönen, gepflegten Gärten der anderen dahinter erahnen. Ein kleiner Busch Rosen wuchs sogar von der einen Seite in unseren Garten und verschaffte ihm ein kleines bisschen Farbe. Gerade wollte ich daran schnuppern, da hörte ich plötzlich jemanden hinter mir.

»Hey!« 

Erschrocken drehte ich mich um und vermutete sofort irgendein bekanntes Gesicht, das mich jetzt erwischt hatte. Stattdessen stand ein Mädchen in meinem Alter auf der Mauer und schaute mich an. Sie war ganz in Schwarz gekleidet – außer ihre Füße, die waren barfuß und genau richtig groß.

»Hast du Boris gesehen?«

Boris? Ich musste ziemlich blöd aus der Wäsche gucken, denn das Mädchen fing an zu lachen, setzte sich auf die Mauer und sprang zu mir in den Garten.

»Boris, meinen Kater!«

Ich schüttelte den Kopf. »Ist er abgehauen?«

»Ich hab schon in allen Gärten nachgesehen und bei euch steht immer die Tür auf, da dachte ich …!«

Ich ließ den Wasserschlauch fallen, drehte den Hahn zu und schaute das Mädchen an. »Wohnst du hier?«

»Yeap, drei Gärten weiter.« Sie hob die Hand zum Gruß. »Dodo!« Ihre Augen waren so schwarz, dass man keine Pupille darin erkennen konnte, und ihre ebenfalls schwarzen Haare waren zu einem Bob geschnitten, der den Kopf wie ein Helm zu schützen schien. »Und du bist die Nichte von Tante Hannchen!«

Ich grinste. »Großnichte. Tula!« 

Ich erklärte ihr nicht, wo der Name herkam, um sie zu testen. Tatsächlich fragte sie nicht nach, sondern nahm ihn einfach so hin und erwähnte auch nicht meine großen Füße. »Kanntest du Tante Hannchen?«

Dodo kletterte von der Mauer und begann, den Steinstern umzusortieren. »Natürlich, wer kannte sie nicht? Sie war wirklich ganz schön verrückt. Vor allem beim Pfeifen!«

Ich musste lachen und hatte auf einmal ein wunderschönes, warmes und befreites Gefühl, weil plötzlich jemand da war, mit dem ich reden konnte, einfach so, ohne mich verstecken zu müssen. »Was machst du da immer mit den Steinen? Außerirdische anlocken?«

»Ach, das sind Zeichen für meine Katzen. Ich habe nämlich drei, eigentlich vier, aber eine ist verschwunden. Seitdem habe ich immer ein bisschen Angst um sie und diese Zeichen können sie vielleicht beschützen.«

Ich runzelte skeptisch die Stirn und Dodo zuckte mit den Schultern. »Hat mir deine Tante beigebracht … entschuldige, Großtante!«

»Wenn du willst, können wir gerne in unserem Keller nachsehen.«

Dodo nickte und blitzte mich dankbar aus ihren schwarzen Augen an. Also marschierten wir los und durchkämmten den Keller. Das war ziemlich schwierig, weil es sehr dunkel war, und ich beschloss, eine neue Birne für die alte Lampe zu besorgen, die unter der hohen Decke baumelte.

Dodo machte die ganze Zeit Katzengeräusche und rief leise nach ihrem Kater und tatsächlich hörten wir auf einmal ein klägliches Miauen. Dodo folgte dem Geräusch so sicher, als wäre sie selber eine Katze und könnte im Dunklen sehen. Ich stolperte hinter ihr her, bis wir in einem Kellerabteil vor einem großen Schrank landeten, aus dem das Miauen kam. 

»Moment, hier ist ein Lichtschalter«, sagte ich und knipste ihn an. Zum Glück, diese Lampe funktionierte! 

Dodo öffnete die Schranktür, die augenscheinlich zugefallen war. »Boris, bist du hier?«, flüsterte sie und fand ihn in der hintersten Ecke mit weit aufgerissenen, leuchtenden Augen. »Hey, was machst du denn für Sachen?« Sie zog ihn raus und nahm ihn auf den Arm, wo er sofort anfing, laut zu schnurren.

Ich starrte in den Schrank. Er war vollgestopft mit alten Klamotten von Tante Hannchen aus den verschiedensten Jahrzehnten und alle waren ziemlich schrill. »Cool!«