Nach dem Frühstück wurde Mary ins Lehrerzimmer gerufen. Wieder versprach es, ein warmer Tag zu werden. Ihr Herz schlug so heftig, dass ihr Atem stoßweise ging und ihre Lippen bebten. Sie klopfte zweimal kurz und scharf an.
»Herein.«
Sie trat ein und setzte sich auf den vermaledeiten Rosshaarstuhl, von dem sie immer runterzurutschen drohte. »Guten Morgen, Miss Treleaven, guten Morgen, Mrs Frame.«
Die Begrüßung wurde erwidert und Tee eingeschenkt. Nicht Lapsang Souchong. Mary stellte ihren sofort auf einen Beistelltisch, damit die Tasse nicht auf der Untertasse klapperte.
Anne Treleaven nahm einen Schluck, stellte ihre Tasse ab und richtete den Blick ihrer intelligenten grauen Augen auf Mary. »Wir hoffen, dass du dich nach den Ereignissen vom Sonntag wieder besser fühlst.«
»Absolut, danke.« Nachdem sie sechsunddreißig Stunden das Bett hatte hüten müssen und nur Wasser für ihren vom Rauch verätzten Hals bekommen hatte, war sie fast verrückt geworden.
»Wir haben dich hergebeten, Mary, damit du deinen Bericht über die Affäre Henry Thorold vortragen kannst. Wie du weißt, ist sein Fall inzwischen abgeschlossen und er ist in Polizeigewahrsam.«
»Und Mrs Thorold?« Die Frage entschlüpfte ihr, ehe sie sie unterdrücken konnte.
»Noch flüchtig.« Anne Treleavens knappe Antwort war die einzige Andeutung, wie verärgert sie darüber war. »Scotland Yard meint, dass sie möglicherweise das Land verlassen hat.«
Mary machte große Augen. »Dann muss sie Sonntag abgefahren sein – gleich nachdem sie das Wohnheim angesteckt hat. Vielleicht hat sie ja deshalb nicht genug Paraffin verteilt, um den Brand zu beschleunigen; sie war in Eile.«
»Alles möglich«, sagte Felicity Frame. »Und wenn sie bereits im Besitz eines gefälschten Reisepasses war, konnte sie es leicht bis Sonntagabend nach Frankreich schaffen.«
»Die Agentur erhält demnächst vielleicht den Auftrag, Scotland Yard bei der Suche nach Mrs Thorold zu helfen«, sagte Anne Treleaven. »Aber hier und heute geht es um ihren Mann. Ehe ich Scotland Yard den abschließenden Bericht über ihn vorlege, gibt es noch eine Reihe von Details, die ich mit dir abstimmen will und die für die Anklage von Nutzen sein könnten. Du kannst anfangen, sobald du bereit bist.« Mary wollte sich nicht von Anne Treleavens förmlicher Art verunsichern lassen, aber sie musste doch schwer schlucken, ehe sie ihre Stimme fand. »Wie Sie ja wissen, bin ich ursprünglich nach Cheyne Walk gekommen, um Familie Thorold zu beobachten, nicht, um zur aktiven Teilnehmerin in dem Fall zu werden.« Ihre Stimme war immer noch belegter als sonst, aber zumindest war sie fest. »Mit der Zeit fand ich heraus, dass der Sekretär, Michael Gray – von dem wir vermuteten, dass er an den dunklen Geschäften beteiligt war –, Mr Thorold ebenfalls verdächtigte. Gray hat mich dann informiert, dass er sich heimlich Kopien von einigen entscheidenden Unterlagen gemacht und sie gut versteckt habe. Soviel ich weiß, hat die Polizei diese Unterlagen an sich genommen.«
Anne Treleaven nickte. »Soweit ich gehört habe, war er sehr kooperativ. Er wird jedoch immer noch verhört. Dein Bericht kann bestimmt dazu beitragen, ihn von jedem Verdacht freizusprechen.«
»Das hoffe ich.« Mary holte tief Luft. »Als ich Mr Thorolds Akten einsah, habe ich James Easton kennengelernt, der ähnliches Material suchte.« Sie konnte nicht verhindern, dass ihr die Röte in die Wangen stieg, doch sie fuhr eilig fort: »Im Laufe unserer Zusammenarbeit entdeckten wir das Laskarenheim in Limehouse und Mrs Thorolds Haus in Pimlico. Inzwischen hatte ich fast alle Informationen, die ich brauchte, wusste aber nicht, wie ich sie zusammenfügen sollte, bis es fast zu spät war. Das fehlende Bindeglied zwischen Mr Thorold, dem Laskarenheim und dem Haus in Pimlico war natürlich Mrs Thorold. Ich hätte eine Frau niemals so unterschätzen dürfen«, fügte sie hinzu, »nicht mal eine, die vorgab, gebrechlich zu sein. Aber ich habe Mrs Thorold unterschätzt. Sie war gerissen: Sie tarnte ihre Geschäfte als außereheliche Affäre. Das perfekte Klischee. Und irgendwie hat das ja auch gestimmt. Mrs Thorold verriet das Vertrauen ihres Mannes, aber nicht durch Ehebruch, sondern indem sie eigene Geschäfte machte.
Rückblickend hätte mir Mrs Thorold doch verdächtiger vorkommen sollen. Manchmal war sie schwächlich und passiv, dann wieder ganz bestimmt und willensstark. Genau genommen war Mr Thorold der viel bessere Schauspieler: Er kam als ganz normaler, leicht gestresster Geschäftsmann daher, nicht wie einer, dessen Handelsgeschäfte von seiner Frau sabotiert wurden und dessen Unternehmen kurz vor dem Zusammenbruch stand. Jedenfalls habe ich mich von Mrs Thorold ablenken lassen. Erst in letzter Minute, als Cassandra Day mir das Notizbuch zeigte, das sie gefunden hatte, begriff ich, dass Mrs Thorold tatsächlich Geschäfte macht.« Sie unterbrach sich. »Sie wissen vielleicht, dass James Easton es geschafft hat, ihr eine verhältnismäßig umfassende Erklärung zu entlocken?«
Anne Treleaven zog eine Augenbraue hoch. »Soviel ich weiß, handelt es sich um ein ganz klassisches, dramatisches und schurkenhaftes Geständnis: Hochsee-Piraterie, Rache, eheliche Unstimmigkeiten.«
»Er muss ein sehr gewandter junger Mann sein«, meinte Felicity Frame grinsend.
Mary biss nicht an. »Die Schwäche unserer Theorie besteht natürlich darin, dass sie von diesem Geständnis abhängt. Das Notizbuch ist sehr vorsichtig geführt – ohne direkte Hinweise auf das Geschäft. Es könnte Hunderten von Leuten gehören.«
»Aber etwas darin hat dich doch in das Laskarenheim geführt …«, sagte Felicity Frame.
Mary zögerte. »Ja … es gibt eine Bleistiftnotiz, die auf das Heim und den Nachnamen des Heimleiters hinweist, wenn auch verschlüsselt. Meine Entscheidung hinzugehen war – vielleicht sogar zu einem großen Teil – instinktiv und kam aus dem Bauch.«
»Es gibt keinen Grund, warum Vernunft und Instinkt nicht zusammenpassen«, sagte Anne Treleaven ernst.
Dankbar nickte Mary für die Unterstützung. »Wahrscheinlich kennen Sie die Einzelheiten von Mrs Thorolds Piratengeschäft besser als ich; Sie haben doch selbst mit James gesprochen?«
»James?« Anne Treleaven zog fragend die Augenbrauen hoch.
»Mr Easton«, verbesserte sich Mary. Ihre Wangen wurden feuerrot.
»Ach so. Ja, man hat dich aus Sicherheitsgründen nicht zu diesem Gespräch hinzugezogen. Wir haben ihn natürlich nicht selbst getroffen; dafür war das Yard zuständig. Aber wir haben die Mitschrift seiner Aussage gelesen. Mrs Thorolds Haus in Pimlico ist gestern durchsucht worden. Obwohl fast alle Unterlagen verbrannt worden sind – im Kamin befand sich viel Asche –, gibt es genug Hinweise, die es uns erlauben, eine Theorie zu aufzustellen.
Durch ihre eigenen Prahlereien wissen wir, dass Mrs Thorold eine Piratenmannschaft angeheuert hat, die die Schiffe ihres Mannes auf hoher See überfiel; wahrscheinlich hat sie dafür detaillierte Strecken- und Frachtinformationen benutzt, die sie aus den Akten gestohlen hat. Sie hat anscheinend einen Komplizen in der Firma gehabt, höchstwahrscheinlich einen jüngeren Abteilungsleiter namens Samuels, der gestern nicht zur Arbeit erschienen ist. Seine Wohnung ist verlassen, und niemand weiß, wo er steckt.
Wir sind nicht sicher, wann Thorold dahintergekommen ist, was sie treibt. Das kann erst kürzlich passiert sein, denn er hat das Laskarenheim in seinem Testament erst im letzten Jahr bedacht. Möglicherweise hatte er Angst, niemand würde ihm glauben, dass er so lange nichts gemerkt hat. Eine Frau ist Eigentum ihres Mannes, und was sie weiß, hat ihr Mann auch zu wissen. Davon geht man gesetzlich und im täglichen Leben aus, und deshalb hat sie sich wohl darauf verlassen, dass ihr Geheimnis sicher sei. Wer hätte denn auch ahnen sollen, dass Mrs Thorold Piratenbanden zusammenstellen, die Schiffe ihres Mannes überfallen, seine Fracht stehlen und seine Mannschaft ermorden lassen könnte?«
Alle drei Frauen schwiegen betroffen angesichts der Ungeheuerlichkeit dieses raffinierten Plans.
Schließlich sagte Mary leise: »Mr Thorold hat die billigsten ausländischen Matrosen angeheuert, die er finden konnte. Er war stolz auf seine kostensparende Aktion. Einer der Vorteile des britischen Weltreichs, so hat er es eines Abends zu Hause beschrieben. Seine Billig-Mannschaften kamen Mrs Thorold auch zugute, weil keiner es für nötig hielt, den Tod von einigen Seeleuten aus Fernost zu untersuchen.« Mary verstummte und dachte an Mr Chen. »Fast keiner zumindest. Lloyd’s war hauptsächlich an der Fracht interessiert, die verschwunden war.«
Felicity Frame nickte zustimmend. »Die Versicherung: ein weiterer interessanter Aspekt. Wie vermutet, beging Mr Thorold tatsächlich Versicherungsbetrug, indem er behauptete, dass die Schiffe verschollen oder gesunken seien, obwohl sie in Wirklichkeit mit der gesamten Fracht sicher angekommen waren – einschließlich der geschmuggelten Ware. Wie uns Michael Grays Aussage zeigt, hat Mr Thorold einigermaßen erfolgreich einen Mann namens Mays bestochen, die innerbetriebliche Untersuchung zu manipulieren und Beweise für den Betrug zu vernichten. Allerdings konnte er die Wahrheit nur eine gewisse Zeit lang vertuschen, bis Lloyd’s Mays gegenüber dann doch misstrauisch wurde.
Ungefähr zur selben Zeit fing Mr Thorold an, echte Forderungen für Ladungen zu stellen, die tatsächlich von Piraten gestohlen worden waren. Er muss außer sich gewesen sein, als er erfuhr, dass seine echten Reklamationen durch die früheren, unrechtmäßigen gefährdet wurden. Auf eine Versicherung zu verzichten, konnte er nicht riskieren; die Piraterie gefährdete sein Unternehmen. Seine Schiffe wurden mit erstaunlicher Regelmäßigkeit überfallen und er hat sicher schon bald jemanden mit Insiderwissen in Verdacht gehabt. Es ist nicht klar, wann er begriff, da es seine Frau war, aber allmählich dämmerte ihm das. Aus dem Grund hat er wahrscheinlich das Laskarenheim in seinem Testament bedacht; es war seine Art, den Versuch zu unternehmen, etwas wiedergutzumachen.«
»Und vielleicht«, überlegte Anne Treleaven, »eine Art indirektes Geständnis. Mary, bist du durch das Testament dazu angeregt worden, eine Verbindung zwischen Chelsea und Limehouse herzustellen?«
»Ja.« Mary lenkte rasch von den Laskaren ab. »Wir wussten von dem Haus in Pimlico, weil sie dort regelmäßig hinfuhr, genau wie Mr Samuels. Aber Limehouse hat sie nie aufgesucht. Eine Reihe unvorhergesehener Ereignisse – James Eastons Beteiligung; die Adresse in dem Notizbuch, das Cass Day gefunden hatte – brachte uns auf die Verbindung.« Sie sah ihre Arbeitgeberinnen an.
Anne Treleaven nickte ernst. »Danke für deine Zusammenfassung, Mary. Die Arbeit, die du geleistet hast, war äußerst wertvoll. Vielleicht hast du jetzt selbst noch Fragen.«
Mary nickte und errötete über das unerwartete Kompliment, das besonders wertvoll war, dass es von Anne Treleaven kam. »Es gibt ein paar Dinge, die ich nicht verstehe«, sagte sie vorsichtig. »Wie hat Mrs Thorold herausgefunden, dass James – ich meine, Mr Easton – dem illegalen Handel auf der Spur war?«
Anne Treleaven nickte. »Mr Easton ließ sowohl das Haus in Pimlico als auch das Laskarenheim überwachen. Einer seiner Späher, ein zehnjähriger Junge, ist Sonntagmorgen tot – ermordet – aufgefunden worden. Mrs Thorold muss ihn enttarnt haben. Es scheint relativ einfach gewesen zu sein, dem Jungen Informationen zu entlocken, ehe sie ihn umbrachte. Dich hat sie ironischerweise nicht verdächtigt, weil sie nicht der Ansicht war, dass ihr eine junge Dame auf die Schliche kommen könnte.«
Das war allerdings pure Ironie.
»Klingt logisch«, sagte Mary. »Aber warum hat sich Mrs Thorold gegen das Geschäft ihres eigenen Mannes gewandt? Ich kann ja verstehen, dass man außer Handarbeiten und gesellschaftlichen Anlässen noch etwas anderes machen will; ihre eigene Tochter hatte das gleiche Bedürfnis, und es ist ja auch etwas, das wir hier am Institut alle gutheißen. Aber die Handelstätigkeit ihres eigenen Mannes zu sabotieren …? Das klingt weder intelligent noch weitsichtig.«
Felicity Frame nickte eifrig. »Sicher. Wir können da auch nur Vermutungen anstellen, aber die Aussage von Mr Easton deutet an, dass sie auf ihren Mann herabsah; die Bezeichnung tief sitzende Verachtung ist nicht zu hoch gegriffen. Vielleicht war das ihre Art, sich an ihm zu rächen oder ihm ihre Überlegenheit zu beweisen.«
»Es lassen sich verschiedenste Erklärungen finden«, sagte Anne Treleaven mit einem leichten Vorwurf. »Aber genau kann nur sie das wissen.«
»Oder vielleicht auch nicht. Ehen sind komplizierte Bestien«, sagte Felicity Frame munter. »Die Anzahl der offiziell hingebungsvollen Ehemänner und -frauen, die ihre besseren Hälften am liebsten umbringen oder in Stücke reißen würden, ist ganz erstaunlich.«
Mary machte sich Gedanken über das »Mrs« vor Felicity Frames Namen. Einen Mr Frame hatte sie niemals erwähnt …
»Nächste Frage?«, stieß Anne Treleaven sie an.
»Warum hat Scotland Yard schon einen Tag früher zugeschlagen?«
Anne Treleaven wirkte etwas verärgert. »Das war fast verheerend. Ein etwas übereifriger Inspektor im Yard fand, sobald das Schiff im Hafen eingelaufen sei, sei es ein guter Zeitpunkt, die Beweise zu sichern. Wir hätten es allerdings vorgezogen, wenn er das mit uns abgestimmt hätte.«
Mary nickte. »Ach so. Ich hoffe, dass Ihre Hauptagentin nicht in Schwierigkeiten geraten ist …«
»Die Hauptagentin ist eine äußerst fähige Spionin«, sagte Anne Treleaven. »Dass du in das Speicherhaus eingedrungen bist, hat ihr wirklich nicht gepasst, aber sie wird mit fast jeder Überraschung fertig.«
Mary wurde rot. »Sicher.«
»Sieh es so«, sagte Felicity Frame etwas milder. »Du bist ihre Kollegin und somit die letzte Person, von der sie unangenehme Überraschungen erwartet, vor allem wenn es sich um vorschriftswidriges Vorgehen handelt. Deine Eskapade im Lagerhaus hat zwar nichts Schlimmeres angerichtet, aber sie hat ihr Unannehmlichkeiten bereitet.«
Mary dachte angestrengt darüber nach, was sie erwidern könnte, das weder dahingesagt noch defensiv klang, doch Anne Treleaven mischte sich mit unerwarteter Milde ein: »Damit müssen wir uns jetzt nicht weiter aufhalten, denn du hast ja aus der Erfahrung gelernt. Hast du noch weitere Fragen?«
»Nur eine noch …«, sagte Mary zögernd. »Das gehört hier vielleicht nicht her, aber was halten Sie von Hunden?«
Anne Treleaven war verwirrt. »Hunde! Als Haustiere?«
Mary nickte.
»Hier im Institut?« Anne Treleaven konnte den Widerwillen auf ihrem Gesicht nicht ganz unterdrücken.
Felicity Frame runzelte die Stirn. »Warum fragst du?«
»Mr Thorold hatte einen Wachhund«, sagte Mary entschuldigend. »Es war kein guter Wachhund … er war eher daran interessiert, mit Fremden zu spielen, als sie zu vergraulen … Ich frage mich einfach, was jetzt mit ihm geschieht.«
»Ich nehme an, du hast den Hund bei deinen nächtlichen Runden kennengelernt?«, fragte Felicity Frame.
»Nicht besonders gut«, gab Mary zu. »Aber er war so eine nette Promenadenmischung …«
Felicity Frame sah Anne Treleaven an. »Ich frage nach«, sagte sie bestimmt. »Ja. Meine Liebe, ich weiß, du magst keine Tiere, aber auch ein Hund sollte nicht leiden, nur weil sein Besitzer ein Schurke ist.«
»Danke.«
»Apropos, Mary … das ist jetzt eine ziemlich persönliche Frage …«
»Ja, Miss Treleaven?« Mary wappnete sich gegen eine Frage nach ihren Eltern. Obwohl ihr vor dem, was da kommen mochte, graute, würde es auch eine Erleichterung sein, über ihren Vater zu reden …
Doch Anne Treleaven machte einen eindeutig unbehaglichen Eindruck und blieb stumm.
Nach einem Blick auf ihre sprachlose Kollegin nahm Felicity Frame das Wort wieder auf. »Es geht um deinen Verbündeten, James Easton.«
Dann war ihr Geheimnis also noch sicher. Trotzdem, das neue Thema war ebenfalls höchst unangenehm, und sie konnte die Hitzewallung, die ihr in Hals, Wangen und Ohren stieg, nicht unter Kontrolle bringen. Sonntagnachmittag hatten Anne Treleaven und Felicity Frame sie gefunden, wie sie und James sich vor dem Laskarenheim gemeinsam an einen Laternenpfahl klammerten und hysterisch über ihr Entkommen kicherten. Sie hatten da wohl wirklich nicht wie reine »Kollegen« ausgesehen.
»Wir würden uns nicht um deine persönlichen Freundschaften kümmern, wenn du einfach nur Lehrerin am Institut wärst«, sagte Felicity Frame behutsam. »Aber als Mitglied der Agentur müssen wir dich fragen: Wie viel weiß James Easton?«
»Nichts von der Agentur«, erwiderte Mary rasch. »Wir sind ganz zufällig aufeinandergestoßen, unter Umständen, die für uns beide verdächtig waren.« Ihre Wangen brannten, als sie an die Minuten in dem Schrank dachte. »Als er eine Erklärung verlangte, habe ich ihm erzählt, dass ich herauszufinden versuchte, was aus dem letzten Zimmermädchen geworden sei. Unter den Bediensteten war allgemein bekannt, dass sie schwanger war, und zwar von Mr Thorold.«
»Und er hat dir geglaubt?«, wollte Felicity Frame wissen.
»Ich denke schon. Er hat vorgeschlagen, dass wir zusammenarbeiten und Informationen austauschen.«
»Was war sein Motiv, die Akten von Mr Thorold zu durchsuchen?«
»Sein Bruder stand kurz davor, Angelica einen Heiratsantrag zu machen. Mr Easton war besorgt, wie sich Thorolds Geschäftsgebaren auf die Eastons auswirken könnte, wenn die Familien durch Heirat verbunden wären.«
»Praktisch denkender junger Mann«, murmelte Felicity Frame. »Er selbst ist wohl kein Romantiker?«
Mary wurde wieder puterrot. »Ich weiß nicht, Mrs Frame.«
Felicity Frame sah sie eine Minute fest an, dann lächelte sie. »Verstehe.«
Mary war sicher, dass sie das tat.