Epoche Aufklärung
‚Aufklärung‘ bezeichnet in der deutschen Literaturgeschichte eine umfangreiche Epoche. Schon ihre zeitliche Ausdehnung ist sehr groß; der Zeitraum, der ihr in der Literaturgeschichtsschreibung zugeordnet wird, reicht von etwa 1690 bis nach 1800. Im Gegensatz zu ‚Klassik‘, ‚Romantik‘ oder anderen Epochen ist ‚Aufklärung‘ weder auf Literatur noch auf die Künste im Allgemeinen beschränkt: Ihren inneren Zusammenhalt gewinnt diese Epoche durch weitreichende, relativ stabile Strukturen, die weitaus mehr als nur Literatur einschließen. Sie etablieren ausgedehnte Kontexte, in denen Literatur als Bestandteil eines umfassenden Wissens- und Bildungssystems im Verlauf des Jahrhunderts eine immer bedeutendere Rolle gewinnt und schließlich für mehr als die darauf folgenden zwei Jahrhunderte kulturelle Hegemonie erlangt.
Selbstbeschreibung
Als literaturwissenschaftliche Epochenbezeichnung wird ‚Aufklärung‘ zwar erst nachträglich eingeführt, doch bereits gegen Ende des 18. Jahrhunderts ist der Terminus den Zeitgenossen zur Selbstbeschreibung ihres Zeitalters geläufig. Größte Wichtigkeit für die Literatur im deutschen Sprachraum gewinnt ‚Aufklärung‘ zunächst dadurch, dass sie deren flächendeckende Herausbildung in der Nationalsprache erstmals konsequent betreibt. In den vorausgegangenen literarischen Epochen war immer das Latein neben dem Deutschen Literatursprache, erst im Verlauf der Aufklärung kommt es zu einer unstrittigen Konzentration auf die eigene Muttersprache. Zugleich werden in diesem Zeitalter jene Bildungsgrundlagen gelegt, die weiteren Teilen der Bevölkerung schließlich den Zugang zur Schriftkultur ermöglichen.
Historische Umbruchphase
In der Epoche der Aufklärung wird der Wandel vom Mittelalter zur Neuzeit abgeschlossen; Wissen, Gesellschaft, Staat und Wirtschaft erhalten im Laufe des 18. Jahrhunderts jene Prägung, die später als ‚neuzeitlich‘ selbstverständlich wird. Die Funktion der Literatur in diesen Wandlungsprozessen ist bedeutender als in jedem früheren oder späteren Jahrhundert. Wenn auch seitdem nur wenige aufklärerische Werke als ‚überzeitliche hohe Dichtung‘ des ‚Höhenkamms‘ kanonisiert wurden, so wirken doch die literarischen und literaturbezogenen Strukturen des Zeitalters nachhaltig auf die gesamte spätere Entwicklung. Diese Umstände verleihen der literarischen Aufklärung einen einzigartigen historischen Sonderstatus, der innerhalb der Literaturgeschichte eine wirkungsvolle Umbruch- und Formationsphase markiert.
Frühe Neuzeit/ Neuzeit
Im Laufe des 18. Jahrhunderts entsteht eine Literatur, die die schon von den Zeitgenossen als altertümlich empfundenen Eigenarten des Barocken ablegt und schließlich zur Klassik überleitet. Rückblickend lässt sich sagen, dass sie am Ende des 18. Jahrhunderts neuzeitliche, ja teilweise beinahe moderne Merkmale annimmt. Die Erfahrung zeigt, dass man heute Literatur aus der Anfangsphase der Aufklärung nur schwer verstehen, in Texten um 1800 aber durchaus bereits vertrautere Züge finden kann. Die Literatur der Aufklärung bietet somit das Bindeglied zwischen Früher Neuzeit und Neuzeit, sie initiiert einen Prozess fortwährender, in eine Richtung weisender Entwicklungsdynamik. Diese Modernisierung beschränkt sich nicht auf die Literatur, sondern schließt die gesamte Weltwahrnehmung und das Menschenverständnis ein, auch im Hinblick auf Wissenschaften, Politik und Technik kann die Epoche der Aufklärung als eine Art Wiege unserer Jetztzeit beschrieben werden.
Epocheninterne Differenzierungen
Da die historisch-kulturellen Ereignisse innerhalb des großen Zeitraumes von über hundert Jahren eine hohe Dynamik und Vielfalt aufweisen, lässt sich diese Großepoche kaum mit einigen wenigen Schlagwörtern angemessen charakterisieren. In den Jahren 1700 und 1800 gleichermaßen Merkmale derselben Aufklärung zu sehen, erfordert erhebliche Abstraktionen, die über konkrete historische Einzelheiten hinweggehen. Die Aspekte, die im 18. Jahrhundert bei diachroner wie synchroner Betrachtung zu einem Gesamtphänomen ‚Aufklärung‘ beitragen, weisen, aus der Nähe gesehen, nämlich durchaus auch heterogene Eigenschaften auf.
Zur literarhistorischen Binnendifferenzierung werden im selben Zeitraum deshalb weitere literarische Epochen angesetzt; die wichtigsten darunter heißen ‚Empfindsamkeit‘ (ab etwa 1750), ‚Rokoko‘ (veraltet!, ab etwa 1760), ‚Sturm und Drang‘ (ab etwa 1770), ‚Klassik‘ (ab 1786) und ‚[Jenaer] Romantik‘ (ab 1790). Sie bestehen neben der fortlaufenden Aufklärungsbewegung, ja können mehr oder weniger als kontroverse Teile von ihr betrachtet werden, die ohne eine permanente Reibung an aufklärerischen Prinzipien keine Legitimation besäßen.
Die eigentliche Strömung wiederum wird in sich in Frühaufklärung (1690–1730), Hochaufklärung (1730–1770) und Spätaufklärung (1770– nach 1800) gegliedert. Sowohl im Hinblick auf politische und gesellschaftliche als auch auf literarische Entwicklungen bieten alle drei Phasen jeweils eigentümliche Problemstellungen. Jeder dieser Zeiträume umfasst unter literaturtheoretischen, gattungstypologischen und sozialfunktionalen Aspekten unterschiedliche Entwicklungsstände und Themenkonstellationen. Als Schwellenereignisse und Strukturierungsschwerpunkte dieser Subepochen werden gewöhnlich folgende angenommen:
Frühaufklärung
Die literarische Frühaufklärung beginnt mit Forderungen nach nationalsprachlichem akademischem Unterricht und Schrifttum. Strukturelle Prägung erhält der Entwicklungsabschnitt durch die Verbreitung dieser Idee, zugleich aber vor allem durch die Popularisierung und Dynamisierung allgemeiner aufklärerischer Fragestellungen, die eine Grundlegung der Epochensignaturen bewirken und nach und nach die barocken Traditionen verabschieden.
Hochaufklärung
Die literarische Hochaufklärung steht unter dem beherrschenden Einfluss des wichtigsten poetologischen Regelwerks, des Versuch einer critischen Dichtkunst (1730) Johann Christoph Gottscheds (1700–1766), an dessen Verbreitung und Durchsetzung sich zugleich eine vehemente Debatte anschließt. Darin wird einerseits der Literaturbegriff der Aufklärung methodisch geklärt, andererseits auch bald in eine Vielzahl divergierender Facetten zergliedert. Ein Effekt dieser weitreichenden Diskussionen ist die Aufsprengung der vermeintlich einheitlichen Entwicklung in die bereits erwähnten (Teil-)Strömungen der zeitgenössischen Literatur. Hier wirkt sich besonders die Kritik an der Einseitigkeit verstandesmäßiger Aufklärung aus, empfindsame Konzeptionen stärken die Wertschätzung der Sinnlichkeit und des moralischen Gefühls, die in konkurrierenden Literaturkonzeptionen gewürdigt werden.
Spätaufklärung
Eine literarische Spätaufklärung lässt sich hingegen weniger an einem eigenen konstitutiven Ereignis festmachen als am Auftreten der erwähnten konkurrierenden literarischen Strömungen (Sturm und Drang, Klassik, Romantik), das eine klärende Rückbesinnung auf ein Selbstverständnis von ‚Aufklärung‘ erzwingt. In den Auseinandersetzungen wandeln sich die Rahmenbedingungen aufklärerischer Literatur auch in Bezug auf ihre epistemologischen und sozialen Fundamente. Zugleich wird für die Zeitgenossen selbst erkennbar, dass das ehedem zuversichtlich betriebene Projekt ‚Aufklärung‘ an Grenzen stößt.
Strukturgeschichte
Kein Überblick über die Literaturgeschichte der deutschen Aufklärung lebt von der Aufzählung einzigartiger dichterischer Werke. Im Lichte der anspruchsvollen ästhetischen Wertmaßstäbe späterer Epochen bietet das 18. Jahrhundert scheinbar nur wenig Bewahrenswertes, Lessings Nathan und Klopstocks Oden mögen dazuzählen. Die unerhörten Werke, vom Werther über den gestiefelten Kater bis zum Don Karlos, allesamt erst aus dem letzten Drittel des Jahrhunderts, werden bereits den neueren literarischen Strömungen zugerechnet. Und doch sind auch sie nicht plötzlich aus dem Nichts erschienen, sie alle beruhen auf Ergebnissen aufklärerischer Debatten.
Was für die Konstitution der literarischen Aufklärung zunächst einmal zählt, sind die gemeinsamen Eigenschaften, die die literarischen Werke, so unbedeutend sie im Einzelnen wirken mögen, untereinander in Verbindung setzen. Diese seriellen Eigenschaften der Texte werden durch die literarischen Normen einer relativ geschlossenen Poetik in ihren Grundlagen bestimmt und erhalten darüber hinaus noch gewisse differierende Ausprägungen. Beschränkt man jedoch die Betrachtung nicht allein auf kulturelle Phänomene, nämlich Texte (Werkgeschichte), publizistische Strategien (Mediengeschichte) und gewerbliche Verteilung (Buchhandelsgeschichte), sondern bezieht Autoren als handelnde Personen mit in die Betrachtung ein, so erhält die Darstellung weiterhin eine sozialgeschichtliche Komponente. Unter diesen Voraussetzungen wäre es kaum sinnvoll, Literaturgeschichte der Aufklärung ausschließlich als Ereignisgeschichte, als Skizze eines epochalen ‚Höhenkamms‘ unverwechselbarer auratisierter Kunstwerke zu rekonstruieren; es entsteht vielmehr eine Strukturgeschichte, die vor allem wiederkehrende Epochenmerkmale (vgl. Müller 1989, 205 ff.) der literarischen Texte, ihrer allgemeinen Kontexte sowie ihrer Urheber und Rezipienten ins Blickfeld nimmt.
Komplementäre Strömungen
Neben den Hauptentwicklungslinien der aufklärerischen Literatur, die vor allem an Prinzipien der rationalistischen Wissensvermittlung orientiert ist, finden sich weitere Entwicklungszusammenhänge der Literatur, die als Nebenstömungen bezeichnet werden können. Sie gehören durch ihre komplementäre Ausprägung ebenfalls unverzichtbar in die Literaturlandschaft des Zeitalters. Hervorzuheben wäre unter ihnen zunächst der Sturm und Drang, der jedoch in der vorliegenden Einleitung nicht berücksichtigt wird.
Empfindsamkeit
Des Weiteren entstehen in der Schönen Literatur seit etwa 1740 Tendenzen der Empfindsamkeit, die der rücksichtslosen Vorherrschaft der Vernunft Grenzen zu setzen bemüht sind. Der Terminus ‚Empfindsamkeit‘ bezeichnet eine Strömung der deutschen Literatur des 18. Jahrhunderts, die in diesem Sinne als Komplement zur Aufklärung entsteht und parallel zu ihr verläuft. Im Gegensatz zu ‚Aufklärung‘ hat diese Bezeichnung eine deutlich geringere Reichweite, sie ruht erstens auf deren Grundprinzipen auf und ist zweitens auf die Schöne Literatur und ihre Berührungsbereiche mit Moralphilosophie, pietistischer Theologie und anderen kulturellen Feldern beschränkt. Die Verwendung des Terminus ‚empfindsam‘ zur Bezeichnung einer neuen Gefühlskultur geht wohl auf Lessings Vorschlag zurück, das in der englischen Literatur geläufige Wort ‚sentimental‘ im Deutschen mit diesem Begriff wiederzugeben.
Die Entwicklung der deutschen Literatur des fortgeschrittenen 18. Jahrhunderts ist ohne eine Würdigung der ‚Empfindsamkeit‘ nicht zu verstehen. Wo Aufklärung bloß auf den Verstand des Menschen setzt, bezieht Empfindsamkeit Herz und Sinne in die Betrachtung mit ein. Die in diesem Kontext vorgenommene Aufwertung des Gefühls geht auf die Erfahrung zurück, dass nicht alle menschlichen Äußerungen oder Handlungen rational sind, sondern gleichfalls oder häufig allein auf Empfindungen beruhen. Diese sind nicht aufklärbar, das heißt, sie können dem logisch-systematischen Denken nicht sinnvoll untergeordnet, ja oft nicht einmal in dessen Kategorien erklärt werden. Dieser Bereich markiert eine Grenze für die traditionelle, rationalistische Aufklärung und ihrer anthropologischen und erkenntnistheoretischen Auffassungen.
In der Empfindsamkeit wird somit – in einer positiven Auslegung – die rationalistische Aufklärung um wichtige menschliche Dimensionen erweitert. Diese betreffen erstens die natürliche Veranlagung und intuitive Fähigkeit zum moralischen Handeln (dies wird bewirkt und angeleitet durch ein von Gott oder der Natur gegebenes ‚gutes Herz‘), zweitens die sinnliche Wahrnehmung und die Entwicklung von Gefühlen. Weder die Entscheidungen des Herzens noch die Entstehung sinnlicher Eindrücke und Gefühle müssen dem Verstand unterworfen werden, wie es die Aufklärungstheorie postuliert. Die Kriterien der Empfindsamkeit sind jedoch nicht nur im positiven Sinne als Abgrenzung von Aufklärung zu verstehen. Die Vertreter des Rationalismus lehnen sie ab und erheben den Vorwurf, durch Empfindsamkeit werde jede objektivierbare Regelung der vernunftorientierten Aufklärung einer moralischen und subjektivistischen Gefühlsduselei (‚Empfindelei‘) geopfert.
Gefühlskultur
Die Literatur der Empfindsamkeit widmet sich der Exploration und Darstellung der neuen Erlebnis- und Wahrnehmungsbereiche, die sich dem empfindsamen Individuum erschließen. Während in der traditionellen Gesellschaftsform der Frühen Neuzeit – und entsprechend in ihrer Literatur – kein Platz für individuelle oder gar private Gefühle war, weil die Dinge durch rigide ständische Sozialordnungen und religiöse Verhaltensanweisungen eingerichtet waren, kann mit der kritischen Auflösung der sozialen Traditionsformen ein abweichender Ton aufkommen. Gefühle der Zärtlichkeit, der Liebe und des Mitleids sind die wirksamsten, die in der empfindsamen Literatur dargestellt werden. Aber auch Gegenstände, die sonst nur wissenschaftlicher Wahrnehmung oder topischer Gestaltung zugänglich waren, wie etwa die Natur, können hier zum Gegenstand und Ziel von individuellen Gefühlen werden: Naturgefühl entsteht. Empfindsame Reiseberichte zeugen davon ebenso wie die Naturlyrik, die sich von der lehrhaften Beschreibung einer naturgeschichtlich aufgefassten Umgebung abwendet und Natur als Illustration und Symbol der menschlichen Gemütszustände begreift und poetisch nutzt. Weiterhin äußert sich die entwickelte Empfindsamkeit in einer neuartigen ausgeprägten Gefühlskultur, die im zwischenmenschlichen Bereich Zärtlichkeit und Freundschaft als Handlungsmuster einführt und -fordert.
Empfindsamkeit in Deutschland hat daneben eine weitere Wurzel in der intensiven religiösen Gefühlspflege des Pietismus (in diesem Sinne erscheint Empfindsamkeit als säkularisierter Pietismus), wo die Glaubensfähigkeit des Einzelnen davon abhängt, sein Inneres akribisch zu beobachten und seine Psyche dem religiösen Erleben zu öffnen. Prägende Gedanken vermittelt die englische ‚moral sense‘-Philosophie, wie sie von Anthony A. C. Shaftesbury (1671–1713), David Hume (1711–1776) und anderen ausgearbeitet wurde. Sie geht aus von einem gutwilligen, auf Gutes gerichteten Kern des menschlichen Inneren. Allerdings nur, wenn die Vernunft die Kontrolle behält, darf der Mensch seinen Gefühlen nachgeben, ohne in die Gefahr zu kommen, gegen die Gebote der Moral zu verstoßen. Auf die Vernunftkontrolle zu verzichten scheint aber fast allen zu riskant, da dann in gefühlsbetonter Maßlosigkeit der Verlust aller Selbstbeherrschung drohe.
Universalität
Die Literatur der Aufklärung steht in engem argumentativem Entwicklungszusammenhang mit anderen Feldern intellektueller Betätigung. In keiner anderen Epoche ist die deutsche Literatur in ähnlicher Weise eng an Philosophie, Naturwissenschaften und Sozialtheorie gebunden wie im 18. Jahrhundert. ‚Aufklärung‘ ist als Signatur eines ganzen Zeitalters deshalb nicht auf Literaturgeschichte beschränkt, sondern hat ebenso einen Platz unter den politik- und kulturgeschichtlichen Epochenbildungen. Als ‚enlightenment‘ und ‚lumières‘ finden sich Entsprechungen in anderen europäischen Geschichtskonzepten. Sie kennzeichnen in allen westlichen Nationalkulturen gleichermaßen eine Umbruchszeit, die sowohl gemeinsame Grundlagen schafft als auch den Blick für historisch gewachsene nationale Unterschiede schärft.
Europäische Aufklärung
Chronologisch die ersten und ideengeschichtlich die führenden aufgeklärten Nationen sind England und Frankreich, die den anderen europäischen Staaten als Vorbild dienen. Dabei ist ‚Aufklärung‘ anfänglich noch wenig auf identitätsstiftende Nationalität bedacht, sie erhebt vielmehr einen europäischen, ja universellen, ‚menschheitsgeschichtlichen‘ Anspruch. Die Vergleiche im ökonomischen, politischen und kulturellen Sektor, die bei den Zeitgenossen trotzdem das Bewusstsein von unterschiedlichen Entwicklungsständen und Leistungen schärfen und zu einer Wettbewerbssituation beitragen, sprengen noch nicht das Bewusstsein von verbindender Menschheitsgeschichte. Durch Kolonialisation sowie politische Bewegungen in fernen Teilen der Welt (u. a. der [us-]amerikanischen Unabhängigkeitserklärung), wird ‚Aufklärung‘ im Laufe des 18. Jahrhunderts ausgebreitet und bildet eine der Grundlagen dessen, was heute ‚westliche Zivilisation‘ genannt wird.
Wissen und Methode
Da Literatur im Prozess der Aufklärung in enger Verbindung mit den allgemeinen intellektuellen, medialen und institutionellen Tendenzen steht, muss sie mit diesen in Zusammenhang betrachtet werden. Eine literaturgeschichtliche Perspektive, die diese literaturfremden Aspekte ausschlösse, kann der aufklärerischen Literatur nicht gerecht werden. Letztere trägt vor allem zur Verarbeitung neuen Wissens bei, sie dient als Transportmittel neuer Ideen, sowie der diskursiven Verständigung in brennenden Fragen des Zeitalters. Ganz allgemein bezeichnet das von den Zeitgenossen selbst gewählte Begriffswort ‚Aufklärung‘ auf bildliche Art und Weise ein ganzes Programm: Licht ins Dunkel zu bringen, die ‚Nebel‘ und ‚Finsternis des Mittelalters‘ zu lüften. Zu Beginn der Epoche ist die Schöne Literatur noch in diesem Sinne der ungebrochenen Darstellung bekannten, kodifizierten Wissens verpflichtet, erst nach und nach entfaltet Literatur Strategien der alternativen Darstellung von Erkenntnissen und etabliert eine fiktionalisierte Vermittlung eigener, nämlich literarischer Wahrheiten. Im Gegensatz zur Moderne wird die literarische Darstellung nicht als spielerische, Wissenschaft und Moral in heuristischen Inszenierungen herausfordernde Redeweise begriffen, sondern als Bestandteil eines übergreifenden Diskurses der Wahrheitssuche, in dem die Literatur anfänglich aufgeht und zu dem sie auch am Ende immer noch einen Beitrag leistet, wenn auch durch Kontroversen und Zweifel. Die Aufklärungsliteratur bleibt insgesamt der wissenschaftlichen Methode des Zeitalters verhaftet; wo sie sich diesem gegenüber kritisch verhält, ist ihre Auseinandersetzung in der Regel nicht radikal ablehnend, sondern nur korrigierend. Die wichtigste Unterscheidung der literarischen von der wissenschaftlichen Redeweise besteht in differierenden Stilkonventionen und Vermittlungsstrategien, während die zugrunde liegenden Erkenntnismethoden universell verbindlich bleiben.
Erkenntnisgewinn und aus ihm resultierend Wissenskompilation gehören zu den zentralen Anliegen aufklärerischen Handelns. Aufklärung zielt auf systematischen Wissenszuwachs, sie verbreitet eine wissenschaftlich-kritische Haltung gegenüber allen weltlichen und religiösen Dingen:
Das Werk der Aufklärung ist: viele Begriffe zu geben, und diese zu berichtigen, das ist, die Aufklärung muss jeden Begriff der Sachen, ihre Verhältnisse und ihre Ursachen und Folgen so geben, wie sie wirklich in der Natur sind. (Schlosser 1785, 85)
Da die Entdeckung des wahren Wissens sowohl methodisch als auch ontologisch an eine naturgegebene, anthropologisch immer schon vorauszusetzende Vernunft gebunden wird, erscheint es plötzlich seltsam, warum Aufklärung historisch gesehen nur schleppend aufgetreten ist und durchgesetzt wurde:
[…] man erfuhr nur erst sehr spät, und hat es noch nicht allenthalben erfahren, daß es eine Vernunft gäbe, die aus keinem Schulkompedium, und eine Rechtschaffenheit, die aus keiner Glaubensformel hergeholet zu werden nöthig hätte. (Reinhold 1784, 3f.)
Vernunft
Die Vernunft erhält den Vorzug vor anderen Erkenntnisverfahren, die Philosophie, die sie vertritt, steigt zur, Königin der Wissenschaften‘ auf. Sie löst in dieser Rolle die Theologie ab, die bis dahin die Vorherrschaft über alle anderen Wissenschaften, über alles menschliche Wissen überhaupt widerspruchslos hatte in Anspruch nehmen können. Mit der Methode der vernünftigen Erkenntnis werden auch die Formen und Inhalte der älteren, tradierten Wissensbestände neu erfasst und reformuliert; Aufklärung widmet sich deren rationaler Analyse und Verbesserung von Grund auf. Durch die immense Reichweite dieses fundamentalen Paradigmenwechsels werden sämtliche Wissensbereiche affiziert; der enge Wechselbezug zwischen den Wissensgebieten – die im Gegensatz zur modernen Disziplinbildung noch wenig fachlich untergliedert sind – lässt kaum einen Überstand an traditionellem Wissen fortbestehen. Unter diesen Umständen entsteht ein Eindruck von umfassendem und radikalem Neuanfang, der die Zeitgenossen zu immer neuen Anstrengungen beflügelt.
Naturbegriff
Folgender Wandel im weltanschaulichen Grundmodell repräsentiert im Kern das Anliegen aufklärerischer Wissenschaft: Statt Gott in den Mittelpunkt des Erkenntnisinteresses zu stellen, rückt man nun, Natur‘ an dessen Stelle und mit ihr den Menschen als natürliches, soziales und moralisches Wesen. Vorbildliches Modell ist dabei stets die physikalische Weltordnung, die nach dem neuen Naturwissenschaftsverständnis des Zeitalters aufgefasst wird, streng systematisch, (natur)gesetzlich geregelt und sich selbst immer treu. Dadurch wird der theologische Gottesbegriff aber nicht abgeschafft, sondern nur in seinen Auswirkungen und Folgen philosophisch-naturwissenschaftlich betrachtet; Natur erscheint als eine riesige Maschine, die von der Instanz eines göttlichen Schöpfers nach striktem Ablaufplan in Gang gesetzt wurde und fortan nach mechanischen Gesetzen ablaufe. Der Schöpfer selbst freilich erscheint weitgehend entbehrlich, stete Eingriffe von seiner Hand sind in einer geregelten Natur nicht erforderlich, ja sogar unerwünscht. Die Vorstellung von Gott wird entpersonalisiert, er ist nicht mehr der gute Vater im Himmel, sondern der einstmalige, große Werckmeister‘, der das, Uhrwerk‘ des Kosmos geschaffen habe. Das mechanische Naturkonzept wird bevorzugt durch mathematische Modelle beschrieben, Beweise und Herleitungen, nach Art der Mathematik‘ (,more geometrico‘) werden zum methodischen Ideal aller Argumentation.
Wahrheit
Die wissenschaftliche Erschließung der Welt, der kosmischen wie der Lebenswelt, geschieht mit einem gewissen programmatischen Pathos. Voraussetzung dafür ist zunächst, dass sich die Beteiligten darüber klar werden, dass sie Aufklärung betreiben, dass sie ihre Erkenntnisse mit dem Anspruch auf methodische Begründung und Absicherung erweitern. Daraus folgt weiter, dass sie eine Vorstellung von wissenschaftlich begründeter – und nicht durch Gott offenbarter – Wahrheit haben, dass sie den Prozess des Entdeckens und Lernens im Hinblick auf ein Ziel verfolgen, nämlich das letztlich, Wahre‘ herauszufinden. Aller Zweifel an der göttlichen Offenbarung und an der historischen Überlieferung, ferner alle Skepsis gegenüber nicht ausreichend begründeten Behauptungen haben einen gemeinsamen Fluchtpunkt: Es muss eine übergeordnete Wahrheit geben, die erkennbar, begründbar und insofern für alle Menschen letztlich verbindlich ist. In allen Debatten des Aufklärungszeitalters dient ein derartiger, hoch gewerteter Wahrheitsbegriff als leitendes Ideal. Im Laufe des 18. Jahrhunderts wird sich freilich herausstellen, dass die Hoffnung auf die eine, die einzige vernunftgestützte Wahrheit trügerisch ist, dass jede Methode letztlich aufgrund ihrer Voraussetzungen zu abweichenden Schlussfolgerungen führen kann und dass die philosophischen Auseinandersetzungen langfristig gar nicht zur Aufhebung von Gegensätzen beitragen, sondern vielmehr zur Vertiefung der bestehenden und zur Konstruktion immer neuer.
Kritik
Das konsensuelle Verfahren, ‚nichts zu glauben, alles zu prüfen‘, erzeugt aus sich selbst heraus beständiges Misstrauen gegen jede vermeintliche Wahrheit. Unter dem Begriff ‚Kritik‘ wird diese Infragestellung und Prüfung zur dominierenden Denk- und Argumentationsfigur; mit Formeln wie ‚unsere kritischen Zeiten‘ geht die Selbstdarstellung des Zeitalters reflektierend auf diesen Prozess ein. Diese aus der neuen wissenschaftlichen Frageweise abgeleitete Perspektive verschafft auch den literarischen Autoren ein erhebliches Selbstwertgefühl gegenüber der Tradition. Der Begriff ‚Kritik‘ eröffnet die Möglichkeit, aus bis dahin vermeintlich unzerstörbaren Kontexten auszubrechen und neue Wege zu gehen; er bezeichnet dabei nicht nur Ablehnung, sondern steht zugleich für wohlwollende und sachliche Prüfung, die freilich oft genug zu vernichtenden Urteilen über die herrschenden Zustände gelangt. Kritik zielt, im Guten wie im Bösen, auf Verbesserung der Lebensumstände und Sicherung des Erreichten, sie hat immer auch eine praktische Wirkungsabsicht, die in Abstimmung mit anderen zeitgenössischen Meinungen handlungsleitend wirken soll.
Öffentlichkeit
Die Bekanntmachung aller Kritik, ihre Unterstützung, Widerlegung oder abwägende Bewertung geschieht in einem allen zugänglichen Forum. Dies ist als zentrale Institution aller aufklärerischen Diskussionen anzusehen und stellt erstmals in der neuzeitlichen Geschichte Öffentlichkeit her. Im Gegensatz zu Versammlungen, an denen immer nur einige wenige Personen teilnehmen können und wo – vor der Einführung von Radio und Fernsehen – die gesprochene Rede eine mediale Beschränkung auf engsten Raum darstellt, wird die aufklärerische Öffentlichkeit durch schriftliche Äußerungen hergestellt. Dadurch reicht sie überall dorthin, wo gelesen und geschrieben wird; dieser Bereich endet erst an den Grenzen der Zivilisation. In der Öffentlichkeit erst entfaltet deshalb auch die Literatur der Aufklärung ihre epochentypische Wirksamkeit. Auf kleine Lektürezirkel kann und will sie sich nicht einschränken, sie tritt vielmehr auf als Medium der großen Debatten, sie bietet ihnen ein orts- und zeitunabhängiges Medienformat. Damit garantiert sie eine neutrale, für alle zugängliche demokratische Kommunikationsplattform. Literatur und Öffentlichkeit sind nicht voneinander zu trennen. Es ist nicht einmal zu entscheiden, ob die Öffentlichkeit der Literatur das Forum bietet, welches dieser erst zu ihrem Aufschwung verhilft, oder ob die Ausbreitung der Literatur von einer wachsenden Zahl von Zeitgenossen eine Beteiligung an dieser Kommunikation erzwingt und damit Öffentlichkeit herstellt.
Freiheitsgedanke
Die Erfahrung, dass auch im obrigkeitlich dominierten Staat die Öffentlichkeit als gesellschaftliche Formation beliebig vieler gleichberechtigter Glieder funktionieren könne, motiviert die Leserschaft immer weiter, sich am literarischen Prozess zu beteiligen. Forderungen nach republikanischen Verfassungselementen, nach allgemeinen Verfahren der Demokratie, ergeben sich daraus und verleihen der Literatur Wichtigkeit.
‚Was heißt Aufklärung’
Was im historischen Rückblick einfach und überschaubar erscheinen mag, geht aus der zeitgenössischen Diskussion keineswegs ohne Widersprüche hervor. Der Begriff ,Aufklärung‘ wird in kontroversen Auseinandersetzungen um deren Ziele und Erkenntnisverfahren problematisiert, den Rang einer allumfassenden öffentlichen Debatte erhält dieser Diskurs im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts. Einen Kristallisationspunkt stellt das Jahr 1783 dar, in dem Johann Friedrich Zöllner (1753–1804) in der Berlinischen Monatsschrift das ganze Konzept prinzipiell zur Debatte stellt, indem er seine Leser auffordert, zu der Frage ‚Was ist Aufklärung?‘ Stellung zu beziehen. In der Geschichtsschreibung zur Epoche gilt dieser Aufruf als Krisenzeichen, ja geradezu als Infragestellung, was den Umschlag des Aufklärungsoptimismus in eine zutiefst verstörende Reflexion markiere. Unter den zahllosen Einsendungen, die die Redaktion der Monatsschrift als Antwortvorschläge erhält, setzen sich vor allem die Argumente des Philosophen Immanuel Kant (1724–1804) durch. Seine Beantwortung der Frage: Was ist Aufklärung? gilt als einer der Schlüsseltexte zur Selbstbesinnung von Aufklärung im deutschsprachigen Raum. Die folgenden Zitate sind als Leitthesen zu verstehen, die bis heute in diesem Zusammenhang allgemein geläufig sind:
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung. (Kant 1977, 53)
Selbstdenken
Das Vorbild eines Aufklärers ist der, Selbstdenker‘, wie er als Ideal aus Kants Bestimmung hervorgeht. Es wird darauf vertraut, dass die Natur des Menschen die Neigung zum Selbstdenken einschließe und dass sich auf diese Weise ein Selbstaufklärungsprozess unwiderruflich ergeben und immer fortschreiben müsse:
Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden […] (ebd., 54).
Das Prozessuale des Denkens wird hier gegenüber dem bloßen Ergebnis aufgewertet. Das Ergebnis des Nachdenkens ist nicht allein erstrebenswert, die permanente Bemühung um richtige Einsichten, der Verlauf der Wahrheitssuche und die beharrliche Motivation zur Berichtigung haben den höheren Wert:
Nicht die Wahrheit, in deren Besitz irgendein Mensch ist, oder zu sein vermeinet, sondern die aufrichtige Mühe, die er angewandt hat, hinter die Wahrheit zu kommen, macht den Werth des Menschen. (Lessing 1886 X, 49)
Der Berliner Philosoph Moses Mendelssohn (1729–1786) äußert sich ebenfalls zu Zöllners Problemstellung. Sein Aufsatz Über die Frage: was heißt aufklären? stellt die Frage nach der Entstehung von Kultur im Prozess der Aufklärung, unter anderem untersucht Mendelssohn den Anteil, den die Schöne Literatur daran hat. Anders als Kant, der in der Tradition der von der Philosophie beherrschten Gelehrsamkeit verharrt, sieht Mendelssohn die herkömmliche Verbindung von Literatur und wissenschaftlich-philosophischer Aufklärung aufgehoben. Er greift damit bereits der zukünftigen Auffassung von autonomer Kunst vor, wie sie in den klassizistischen Konzepten der Weimarer Klassik entworfen werden wird. Die Künste erzeugen Kultur, so lautet Mendelssohns Tenor, nur die eigentliche Wissenschaft hingegen Aufklärung im engeren Sinne:
Bildung zerfällt in Kultur und Aufklärung. Jene scheint mehr auf das Praktische zu gehen: auf Güte, Feinheit und Schönheit in Handwerken, Künsten und Geselligkeitssitten (objektive); auf Fertigkeit, Fleiß und Geschicklichkeit in jenen, Neigungen, Triebe und Gewohnheit in diesen (subjektive). Je mehr diese bei einem Volke der Bestimmung des Menschen entsprechen, desto mehr Kultur wird demselben beigelegt; so wie einem Grundstücke desto mehr Kultur und Anbau zugeschrieben wird, je mehr es durch den Fleiß der Menschen in den Stand gesetzt worden, dem Menschen nützliche Dinge hervorzubringen. – Aufklärung hingegen scheinet sich mehr auf das Theoretische zu beziehen. Auf vernünftige Erkenntnis (objekt.) und Fertigkeit (subj.) zum vernünftigen Nachdenken über Dinge des menschlichen Lebens nach Maßgebung ihrer Wichtigkeit und ihres Einflusses in die Bestimmung des Menschen. (Mendelssohn 1784, 194)
Optimismus
Die Weltauffassung traditioneller Aufklärung richtet sich immer auf eine Zukunft, und ihr Zukunftsentwurf ist zu Beginn grenzenlos optimistisch. Ein Geschichtsbild voller Fortschrittssicherheit entsteht, es scheint nur eine Frage der Zeit, bis der Glücksanspruch aller Menschen verwirklicht werden könne. Aus dieser optimistischen Grundhaltung heraus kann die Gemeinschaft der Aufklärer zunächst unbeirrt für ihre Sache eintreten und ihren Wirkungskreis ausdehnen. Thomasii Vision einer allgemeinen, allseitigen Beteiligung von „allen Leuten/sie mögen seyn von was für Stande oder Geschlecht“ (Thomasius 1711, 12), scheint anfangs realisierbar, abhängig allein vom Einsatz und festen Willen der Akteure. Leibniz’ philosophische Beweisführung, dass der Mensch in der besten aller möglichen Welten lebe, besänftigt auf einer abstrakten Ebene weitgehend die Einwände und Zweifel: Da Gott allmächtig sei und keine Fehler mache, müssten die Mängel der Welt – wie Krankheit und Unglück – als ihr unumgänglicher Bestandteil angesehen werden. Die Lehre von den unvermeidlichen Mängeln des menschlichen Lebens (‚Theodizee‘) gilt damit als entproblematisierende Deutung der Geschichte, die Menschen leben in der ‚besten aller möglichen Welten‘.
Maßstab Mensch
Während, Natur‘ als Gesamtsystem ein Modell für die ganze bekannte – und unbekannte, das heißt in optimistischen Spekulationen entworfene – Welt abgibt, wird zum Maßstab allen irdischen Handelns der Mensch erhoben. Eine Sentenz wie der Vers „the proper study of mankind is man“ aus Popes Lehrgedicht Essay on Man (1734) verleiht dieser Auffassung repräsentativ Ausdruck. „Ich setze allezeit die Bestimmung des Menschen als Maß und Ziel aller unserer Bestrebungen und Bemühungen […]“ (Mendelssohn 1784, 194 f.) lautet die anthropozentrische Begriffsbestimmung von ‚Aufklärung‘ auch bei Mendelssohn. Der bereits zitierte Schlosser entfaltet kongeniale Gedanken: „Die Aufklärung soll also die Menschen zuerst darüber erleuchten; was ist das Glück der Menschen?“ (Schlosser 1785, 90) Diese Aufwertung des Menschen bekräftigt aus anderer Perspektive erneut die Ablösung der Theologie als Leitwissenschaft: Nicht der himmlische Maßstab sondern der menschliche konstituiert fürderhin die Handlungs- und Bewertungsgrundlage. Unbestritten bleibt in der deutschen Aufklärung freilich das christliche Weltbild schlechthin; die Neuorientierung am Menschen bestreitet weder die göttliche Ordnung noch die Geltung der christlichen Moral. Im Gegenteil, die Literatur findet eines ihrer wichtigsten Themen in der Untersuchung des menschlichen Wesens und seines Verhältnisses zu Natur und Religion.
Perfektibilität
Der Optimismus prägt das Menschenbild der Aufklärung nachhaltig. Da der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen wurde, habe er in vielerlei Hinsicht Anteil an den Eigenschaften des Schöpfers. Weil eine unterstellte universelle Vernunft in Gott nicht nur den, großen Werckmeister‘, sondern zugleich den größten Verstand, den allwissenden und allverstehenden Geist vermuten lässt, ist der menschliche Verstand als kleineres Abbild desselben zu begreifen. Zwar wird menschlicher Vernunftgebrauch demjenigen Gottes nie gleich sein können, doch sind alle Erkenntnisfortschritte in den Augen der Aufklärer potentielle Annäherungen an Gottes Allwissen. Unter der Voraussetzung, dass innerhalb weniger Jahrzehnte ein ungeahnter Wissensaufschwung möglich war, scheinen Grenzen der menschlichen Erkenntnis zunächst kaum denkbar. Der Mensch kann und wird sich beständig verbessern, er ist mehr oder weniger umfassend lernfähig, in der optimistischen Auffassung des Zeitalters: verbesserungsfähig. Die Feststellung Wagners, Fausts Famulus in Goethes Drama, dass die Menschheit es doch erstaunlich weit gebracht habe, repräsentiert im positiven Sinne eine konsensuelle Meinung der Aufklärung. Erst retrospektiv erscheint diese Zufriedenheit, ja Erfolgstrunkenheit eitel und borniert und kann schließlich nach 1800 von kritischen Köpfen nur noch mit Ironie gelesen werden.
Skepsis
Das Denkmuster der Kritik und der Glaube an eine unbegrenzte Fortschrittsoption erweisen sich also nicht immer als fortwährend steigerungsfähig und können selbst problematisch werden. Fragen nach dem Sinn permanenter Hinterfragung und sich steigernder Kritik der Kritik im Namen einer zerfleischenden Wahrheitsliebe verbreiten zunehmend ein Gefühl von Verunsicherung und endloser Suche. Mit der Diskussion, die von Zöllners Frage ‚Was ist Aufklärung?‘ angeregt wird, kommt die ungebrochenene Aufwärtsentwicklung der deutschen Aufklärung in den Jahren nach 1783 zu einem ersten Abschluss; eine Phase der reflexiven Standortbestimmung schließt sich an. Skepsis und der Wunsch nach Rückbesinnung auf verlässliche Fundamente markieren diese erste Krise der Aufklärung, sowie die wachsende Überzeugung, dass Aufklärung nicht automatisch menschenfreundliche Auswirkungen hat, sondern problembewusster Kontrolle bedarf:
Ich möchte zum Zeichen für Aufklärung das bekannte Zeichen des Feuers (∆) vorschlagen. Es gibt Licht und Wärme, es [ist] zum Wachstum und Fortschreiten alles dessen was lebt unentbehrlich, allein – unvorsichtig behandelt brennt es auch und zerstört auch. (Lichtenberg 1968, 790)
Ambivalenz
Dieses Diktum Georg Christoph Lichtenbergs (1742–1799) markiert als eines unter vielen das neu erwachende Bewusstsein von Ambivalenz. Zu einem Prüfstein wird die Französische Revolution; als sie in die Terrorherrschaft der Jakobiner übergeht, sehen viele Zeitgenossen die hohen Ideale der Aufklärung verraten und wenden sich von den Revolutionsideen ab. Man deutet die Ereignisse als Auswuchs instrumenteller Rationalität, die sich nicht mehr vernünftig kontrollieren lässt. Umso wichtiger erscheint es den deutschen Aufklärern, sich über die Pflege des Erreichten zu einigen und einen gemäßigten Kurs allgemeiner Aufklärung zu verfolgen.
Grenzen der Aufklärung
Die Erfahrung der Pariser Terrorherrschaft bewegt viele Zeitgenossen in Deutschland, Grenzen für die Herrschaftsansprüche der unbeschränkten Vernunft einzufordern. Diese Diskussion hält im Prinzip bis heute an, denn die ‚Dialektik der Aufklärung‘, wie sie 1944 Max Horkheimer und Theodor Adorno darstellen, dokumentiert die unmenschliche Zerstörungskraft radikalisierter Aufklärung: Im technizistischen Rationalisierungs- und Machbarkeitswahn beschädigt die Menschheit sich selbst und ihre Lebensbedingungen irreversibel. Im Laufe der deutschen Literaturgeschichte hat es deshalb immer wieder Gegenbewegungen gegen aufklärerische Tendenzen gegeben. So wendet sich beispielsweise die romantische Literatur gegen die Verstandesorientierung der Aufklärung und kehrt in vielen Variationen zurück zu religiösen Bekenntnissen.