Das Wort „Perspektive“ beschreibt in unserem Sprachgebrauch zweierlei: Zum einen ist es eine Umschreibung für den unterschiedlichen Standpunkt, aus dem wir oder andere eine Sache betrachten und beurteilen. Ein Auto mit 150 PS mag für mich sehr kraftvoll erscheinen; Michael Schuhmacher hingegen würde darüber nicht einmal müde lächeln. Dasselbe Fahrzeug also, nur aus einer anderen Perspektive betrachtet.
Abb. 3.24 Wenn man vom Boden aus hohe Gebäude filmt, kommt es zu sogenannten stürzenden Linien. Diese Schrägen schaffen Dynamik und Dramatik, führen sie uns doch klar vor Augen, wie klein man selbst ist. Sogar ohne dass der Betrachter ein Bildelement zum direkten Größenvergleich hätte.
Zum anderen beschreibt das Wort „Perspektive“ (lateinisch: perspectare = durchsehen) das, was wir mit der Kamera letztendlich machen: Wir schauen durch sie hindurch auf ein Objekt oder Motiv. Nur ist hier der Umstand von großer Bedeutung, aus welcher Position wir das tun. Und dies wiederum ist ein wichtiges Mittel der Bildgestaltung. Nicht nur deshalb, weil ungewöhnliche Standpunkte zu interessanten Bildkompositionen führen, sondern auch, weil man durch die Wahl der Kameraposition die Emotionen des Betrachters steuert. In diesem Zusammenhang spricht man auch von subjektiver Kameraführung. Tut man dies ohne nachzudenken, kann es leicht daneben gehen und in der Wirkung fehlschlagen, vor allem wenn es um die Abbildung von Menschen geht. Setzt man Perspektive hingegen bewusst ein, kann man zielgenauer auf den filmischen Effekt hinarbeiten, den man erreichen möchte.
Ob es sich um gewöhnliche oder ungewöhnliche Kameraperspektiven handelt, ist egal. Der bewusste Umgang mit ihnen ist wichtig und entscheidend für die Aussage und Wirkung des Bildes.
Wenn wir mit einem Flugzeug fliegen oder in einem Ballon fahren, können wir senkrecht nach unten sehen. Die Welt scheint klein und unbedeutend. Die Sorgen, die da unten liegen, sind so endlos weit entfernt.
Für die Bild- und Filmsprache bedeutet eine senkrechte Sicht nach unten die völlige Distanziertheit vom Geschehen. Man bekommt alles mit, ist aber gottähnlich in scheinbar weiten Sphären vom Geschehen distanziert. Selbst wenn da unten etwas passiert, ist man oben in Sicherheit. Man betrachtet etwas „von oben herab“.
Abb. 3.25 Ein Blick von den Petronas-Twin-Towers ist eine klassische Vogelperspektive und zeigt die kleineren Wolkenkratzer von Kuala Lumpur. Details auf den Straßen sind hier nicht mehr zu erkennen. Je näher die gefilmten Gebäude zur Kamera stehen, desto mehr beginnen die Senkrechten zu stürzen, während bei den Gebäuden im Hintergrund senkrechte Linien auch senkrecht bleiben.
Das exakte Gegenteil dazu wäre der senkrechte Blick von unten nach oben. Dabei sehen wir direkt in den Himmel, was nur bei wirklich interessanten Wolkenformationen ein Hingucker ist. Die Froschperspektive hingegen beschreibt den Blick von der untersten einnehmbaren Ebene schräg nach oben auf das betrachtete Objekt. Eine sehr reizvolle Perspektive, wenn es darum geht, Größe und Übermächtigkeit darzustellen. Denn eine Einstellung aus der Froschperspektive wirkt extrem subjektiv emotional auf den Betrachter: Wenn in der Einstellung davor ein kleineres Tier gezeigt wurde, ist einem bei der nächsten Einstellung in der Froschperspektive sofort klar, dass es sich um den Blick, die Sicht eben jenes Tieres handelt. Man spricht in diesem Zusammenhang auch von subjektiver Kameraführung. Diese Kameraposition kann (subjektiv) Gefühle wie Klein-, und Verlorensein sowie Hilflosigkeit vermitteln.
Abb. 3.26 Froschperspektive: Tiefer geht es nicht, die Kamera liegt auf dem Boden. Da sie aber geradeaus blickt und nicht nach oben gerichtet ist, stürzen die Linien der Gebäude auch nicht.
Abb. 3.27 Tiefe Kamerapositionen können aber auch täuschen: Da der Betrachter nicht weiß, wie weit die Person von den Twin-Towers entfernt ist, und die Person in dieser Perspektive größer erscheint, wirken die Türme im Hintergrund wesentlich kleiner als sie es eigentlich sind.
Sie verdeutlicht immer, dass wir uns sowohl emotional als auch die Machtposition betreffend auf der selben (Augen-)Höhe mit der abgebildeten Person befinden. Sie ist die neutralste Einstellung, wenn man ihr die zwei vorangegangenen gegenüberstellt.
Es gibt noch viele Positionen zwischen den hier beschriebenen Perspektiven, welche die Kamera einnehmen kann. Daraus ergeben sich immer verschiedene Wirkungen, besonders wenn man Menschen filmt. Große Bedeutung bei der Bildgestaltung kommt der Perspektive auch zu, wenn man Gebäude oder Landschaften filmt. Hierbei ist zwar nicht so viel Subjektivität und Emotionalität im Spiel wie bei der Aufnahme von Personen. Die richtige Einstellung schafft es aber, aus einem statischen Motiv ein spannendes Bild zu machen.
Wenn Sie um Neutralität bemüht sind, werden Sie Menschen aus dieser Sicht abbilden. Es gibt das geflügelte Wort „sich auf einer Augenhöhe“ mit jemandem befinden. Das bedeutet Ebenbürtigkeit, und diese wird in der Filmsprache mit einem Kamerastandpunkt beschrieben, bei dem sich die Kamera genau auf Augenhöhe mit dem Abgebildeten befindet.
Abb. 3.28 Normalsicht: Diese Person betrachten wir als ebenbürtig.
Filmt man hingegen aus der Untersicht, so schaut man gleichzeitig (wie im Sprachgebrauch auch) zu jemandem auf. Helden werden im Kino gerne so dargestellt. Diese Perspektive vermittelt Ehrfurcht und Achtung und verdeutlicht, dass die Person im übertragenen Sinne über uns steht. Gerade in politischen Propagandafilmen der Vergangenheit wurden die Machthaber ausschließlich aus dieser Perspektive gefilmt. Früher zeigte man im Kino Männer gerne aus einer leichten Untersicht, um sie größer und mächtiger erscheinen zu lassen.
Frauen hingegen zeigte man aus einer leichten Obersicht, vor allem wenn sie in einer Szene mit Männern zu sehen waren, die im realen Leben kleiner waren als die Hauptdarstellerin. Heute ist diese Art der Darstellung der Geschlechter fast völlig aus der Mode gekommen. Eine leichte Obersicht lässt die gefilmte Person unterlegen aussehen. Gleichzeitig wird uns durch diese Ansicht Schutzbedürftigkeit suggeriert.
Abb. 3.29 Untersicht: Diese Figur wirkt übermächtig, obwohl wir nicht wissen, wie groß sie in Wirklichkeit ist.
Abb. 3.30 Die Größe lässt sich auch darstellen, indem der Betrachter Elemente im Bild vorfindet, die einen Größenvergleich ermöglichen.
Abb. 3.31 Personen aus der Obersicht gefilmt wirken kleiner und hilfloser als sie es eigentlich sind. Filmt man Kinder, muss die Kamera nach unten. Mindestens auf Augenhöhe des Kindes oder noch ein wenig tiefer.