Weniger beim Filmen von einzelnen Aufnahmen als dann in der späteren Montage
(= Schnitt), bei welcher der fertige Film entsteht, bemerken wir die Fehler: Manche Aufnahmen wollen so gar nicht zusammenpassen, scheinen sich sogar regelrecht abzustoßen. Woran das liegt, erkennt man oft erst im Schnitt, doch dann ist es meist zu spät, da ein Nachdreh oft unmöglich ist.
Doch woran liegt es eigentlich, dass manche Aufnahmen zusammenpassen und andere wiederum nicht? Wodurch ergibt sich später der Fluss der geschnittenen Bilder, der bei einem richtig geschnittenen Film gar nicht bewusst wahrgenommen wird?
Ein Grund dafür sind die sogenannten filmischen Achsen, die zusammenpassen oder sogar übereinstimmen müssen. Achsen sind ein unvermeidbares Übel, die bei ihrer Beachtung aber zur späteren Kontinuität im Film beitragen. Im Einzelnen wird zwischen Handlungsachse, Bewegungsachse, Blickachse und Kameraachse unterschieden. Dabei ist es gerade bei den ersten beiden wichtig, dass sie sich bei aufeinanderfolgenden Einstellungen nicht ändern oder übertreten werden.
Stellen Sie sich ein Fußballspiel im Fernsehen vor. Zum Beispiel ein Länderspiel, Deutschland gegen England. Die deutsche Hälfte befindet sich links im Bild; das englische Tor steht rechts. Während eines deutschen Konterangriffs stürmen die deutschen Spieler über das gesamte Spielfeld auf den englischen Torhüter zu. In schnellen Schnitten sehen Sie bei langen Pässen zuerst das gesamte Spielfeld; als Podolski einen Abwehrspieler ausspielt eine Nahaufnahme und als es schließlich zum erfolglosen Schuss auf das Tor kommt, eine Halbtotale. Jede dieser Einstellungen wurde von einer anderen Kameraposition aufgenommen, und doch verläuft der Angriff bis zum Torschuss kontinuierlich von links nach rechts. Warum ist das so? Die Antwort ist so einfach wie wichtig: Es liegt daran, dass sich sämtliche Kameras, durch die Sie das Spiel mitverfolgen können, auf ein und derselben Seite des Spielfeldes befinden. Die Handlungsachse ist die imaginäre Linie vom deutschen Team auf der linken zur englischen Mannschaft auf der rechten Seite (betrachtet man nur die Vorwärtsbewegung der deutschen Mannschaft auf dem Spielfeld, könnte man in diesem Fall auch von einer Bewegungsachse sprechen; siehe unten).
Was würde passieren, wenn dem nicht so wäre, wenn sich zum Beispiel auch nur eine der Kameras auf der gegenüberliegenden Seite des Spielfeldes befinden würde? Dann wären Sie beim Betrachten der Schnitte ordentlich verwirrt. Der Ball würde unkoordiniert hin und her gespielt und eine Richtung des Angriffs wäre nicht auszumachen. Denn während bei der ersten Kamera der Angriff im Spiel von links nach rechts verliefe, verliefe es von der anderen Seite des Spielfeldes gesehen zwar in dieselbe Richtung, doch nun von rechts nach links. Will man im Film jedoch die Richtung beibehalten, muss man auch mit sämtlichen Kamerastandpunkten auf einer Seite des Spielfelds bleiben, sonst gibt es den sogenannten gefürchteten Achssprung. Die Handlungsachse wird durch die beiden sich gegenüberstehenden Mannschaften beschrieben, da auf ihr die Handlung des Spiels verläuft. Deutsche Hälfte links; englische rechts. Genau auf dieser Handlungsachse liegen als äußerste Punkte im 180°-Winkel die beiden gegenüberliegenden Tore. Diese Achse darf nicht überschritten werden, sonst ändert das Spiel unerwartet seine Richtung und der Zuschauer ist irritiert. Auch wenn nun auf einmal die englische Mannschaft im Ballbesitz ist, so ist dem Zuschauer klar, dass diese zumindest in der einen Halbzeit ihre Angriffe auf das deutsche Tor von rechts nach links unternimmt.
Ebenso verhält es sich, wenn man zwei Personen im Dialog filmt. Person A befindet sich links im Bild, Person B rechts. Beide Personen sehen sich an, reden miteinander und bilden somit die Handlungsachse. Wenn Sie diese Personen nun von der anderen Seite filmen, befindet sich plötzlich Person A rechts und Person B links im Bild, da Sie die Handlungsachse übersprungen haben.
Abb. 3.32 Sobald zwei Personen in Bezug zueinander stehen, befindet sich zwischen ihnen eine Handlungsachse, die nicht übersprungen werden darf. Dafür genügt auch schon ein Blickkontakt. Hätte man die beiden Mädchen in der nächsten Einstellung aus dem Gebäude heraus gefilmt, hätten sie im Bild ihre Positionen gewechselt und die Handlungsachse wäre überschritten worden.
Stellen Sie sich vor, Sie filmen eine Parade. Diese bewegt sich von rechts nach links. Nun wechseln Sie die Straßenseite und filmen erneut. Dies führt nicht nur zu einem Bruch in der Kontinuität in der Bewegung, da die Parade jetzt genau in die andere Richtung läuft, sondern der Zuschauer denkt auch, dass sie nun wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren würde.
Es gibt aber noch eine andere Möglichkeit, mit der Kontinuität der Bewegungsachse zu brechen: Stellen Sie sich vor, Sie machen eine Schifffahrt auf einem Fluss flussabwärts. Da Ihnen die Ufer auf beiden Seiten sehr gut gefallen, filmen Sie einmal vom rechten und dann wieder vom linken Bootsrand das Ufer. Diese Aufnahmen können Sie später nicht aneinander schneiden, da in den Aufnahmen von backbord das Ufer in Ihrem Bild von rechts nach links, in den Aufnahmen von steuerbord aber von links nach rechts an Ihnen vorbeizieht. Verwirrung total durch Bruch in der Kontinuität der Bewegungsachsen.
Abb. 3.33 Bewegungsachse: Sobald sich Ihr Motiv bewegt, haben Sie es mit einer Bewegungsachse zu tun.
Abb. 3.34 Dies gilt aber auch, wenn sich Ihre Kamera bewegt. Filmen Sie beispielsweise von einem Boot aus, sollte die Landschaft stets in der gleichen Richtung an Ihnen vorüber ziehen.
Findet zwischen zwei Aufnahmen ein Achssprung statt, ist der Zuschauer erst einmal verwirrt und muss sich neu orientieren. In neueren Filmen versucht man den Achssprung als Stilmittel zu integrieren, um Spannung und Tempo zu steigern. Genau genommen bleibt er aber trotzdem ein Schnitt- oder Anschlussfehler.
Spielhandlungen haben ihren Ursprung im Theater. Dabei gibt eine Parallele zum Bühnenrand die Handlungsachse vor. Im Publikum sehen Sie die Handlung immer nur von einer Seite dieser Achse. Denn Sie können ja nicht plötzlich hinter die Bühne treten und das Geschehen von dort aus beobachten. Trotzdem gibt es im Film auch Gründe, die ein Überschreiten der Handlungs- oder Bewegungsachse nötig und auch möglich machen können. Grundsätzlich ist es ja auch nicht verboten, eine dieser Achsen zu überschreiten, Sie kommen dafür nicht ins Gefängnis. Nur muss es für den Zuschauer klar zu erkennen sein, dass Sie es tun.
Im Falle der beiden sich unterhaltenden Personen kann das geschehen, indem Sie die Handlungsachse während des Gesprächs mit laufender Kamera überschreiten. Dann ist jedem Zuschauer klar: Aha, die Personen haben nicht ihre Position geändert, sondern die Kamera ist nur um sie herum gegangen.
Manche Achssprünge, die sich beim Filmen nicht vermeiden lassen, kann man auch mit einem neutralen Zwischenschnitt verdecken. Das heißt, Sie schneiden zwischen die beiden Aufnahmen, in denen der Achsensprung passiert, eine neutrale Aufnahme, aus der die Achse nicht ersichtlich wird. Zugegeben: eine Verlegenheitslösung.
Die Richtung einer Bewegungsachse kann man etwas leichter ändern, ohne dass es negativ auffällt. Im Beispiel unserer oben beschriebenen Parade könnten Sie zwischen die beiden Aufnahmen eine Einstellung einfügen, in der die Parade direkt frontal auf die Kamera zukommt. Erst danach zeigen Sie die Aufnahmen von der anderen Straßenseite. So haben sie die Bewegungsachse glaubwürdig überschritten.
Abb. 3.35–3.38 Eine Möglichkeit, die Richtung der Bewegungsachse zu ändern, ohne dass es stört: Diese Einstellungen hintereinander erzeugen keinen Bruch, da das Überschreiten der Bewegungsachse in Etappen und mittels eines neutralen Zwischenschnitts bewerkstelligt wird.
Ein anderes Beispiel ist ein fahrendes Auto, das sich im Bild von rechts nach links bewegt. Wenn Sie nun das Auto aus dem Bild hinausfahren lassen, können Sie es aus beliebiger Richtung in der nächsten Einstellung wieder ins Bild hineinfahren lassen, ohne dass ein Bruch entsteht. Diese Kombination signalisiert dem Zuschauer jedoch den Umstand, dass dazwischen den zwei Bildern eine ganze Fahrt stattgefunden hat.
Als Kameraachse bezeichnet man die direkte Linie von der Kamera ausgehend hin zu dem gefilmten Objekt. Filmen Sie aus ein- und derselben Kameraposition ein Motiv in unterschiedlichen Einstellungsgrößen (zum Beispiel Totale, Halbnah und Detail), so ergibt sich ein Ransprung ans Motiv auf der Kameraachse. Zoomfahrten finden immer auf der Kameraachse statt. Ein Ransprung kann jedoch mehr Dynamik in die Schnittfolge bringen und zu mehr Tempo beitragen. So können Sie, wenn Sie sich einer Person in mehreren Einstellungen nähern, Bildsprünge vermeiden, indem Sie Ihren Standpunkt mit jeder neuen Einstellung etwas verändern.Der Ransprung ist jedoch ein Stilmittel, das bewusst eingesetzt werden sollte.
Abb. 3.39 Kameraachse
Als Blickachse wird die imaginäre Linie bezeichnet, die von den Augen einer gefilmten Person ausgeht und zu dem Punkt hinführt, den diese Person gerade sieht. Sieht in einer Einstellung eine Frau auf ihre Armbanduhr, so geht die Blickachse von ihren Augen direkt auf die Uhr am Handgelenk.
Möchten Sie nun in der nächsten Einstellung zeigen, was die Frau gerade sieht, so muss bei dieser die Kameraachse mit der Blickachse aus der vorangegangenen Aufnahme übereinstimmen, damit es glaubwürdig wirkt. Das gilt auch bei zwei Personen, die sich unterhalten. Hier ist (vorausgesetzt, die beiden sehen sich beim Gespräch in die Augen) die Blickachse zugleich auch die Handlungsachse.
Abb. 3.40 Blickachse: Der Mann im Bild sieht auf das Display seiner Fotokamera. Eine anschließende Einstellung könnte folglich das Display der Fotokamera in Großaufnahme sein. Denken Sie bereits beim Filmen an logische Anschlüsse.