3.9 Filmen mit Gegenlicht

Licht schafft Stimmungen. Stellen Sie sich nur einmal in einem dunklen Raum vor einen Spiegel und nehmen Sie eine Taschenlampe zur Hand. Strahlen Sie einmal Ihr Gesicht von vorne, von der Seite und direkt von unten an und Sie werden sehen, wie Ihr eigenes Gesicht jedes Mal eine andere Stimmung, einen anderen Ausdruck erhält. Besonders eindrucksvoll konnte man das Licht einer Taschenlampe von unten bei dem Film Blair Witch Projekt sehen. Es geht aber auch weniger dramatisch, und deswegen nicht weniger stimmungsvoll. Besondere Stimmungen lassen sich in Ihren Aufnahmen erzeugen, wenn Sie Gegenlicht gekonnt einsetzen. Doch ist dies nicht ganz einfach und es gibt bestimmte Gegebenheiten zu beachten.

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Abb. 3.83

Video mag weiches Licht

Gegenlicht erzeugt meist einen sehr hohen Kontrast. Technisch bedingt ist Video nicht in der Lage, ein so hohes Kontrastverhältnis zu bewältigen. Deshalb muss man sich bei der Bildgestaltung dieser Tatsache bewusst sein. Filmen Sie beispielsweise eine Person frontal vor einem Fenster, so wird diese – vor allem, wenn Sie sich auf die Automatik des Camcorders verlassen – viel zu dunkel abgelichtet, während Details, die außerhalb des Fensters liegen und für Ihre Bildgestaltung eigentlich gar keine Rolle spielen, gut sichtbar und richtig belichtet abgebildet werden. Sie haben nun vier Möglichkeiten, mit diesem Problem umzugehen. Eine einfallslose, eine schlechte, eine gute und eine kreative.

Die einfallslose Lösung besteht darin, dass Sie die Person bitten, sich einen anderen Standplatz zu suchen, sodass das Licht nicht mehr von hinten auf sie fällt. Problem gelöst. Prädikat: langweilig.

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Abb. 3.83–3.84 Wenn das Gegenlicht schräg zum Objekt und nicht direkt in die Kamera strahlt, lässt es sich am ehesten bewältigen. Dabei büßt es wenig von seiner Stimmung ein.

Die schlechte Lösung besteht darin, dass Sie die Person da lassen, wo sie sich befindet. Nun öffnen Sie die Blende (notfalls mit der Gegenlichttaste) so weit, bis die anfangs zu dunkle Person so hell ist, wie Sie sie haben wollen. Nun wird die Person zwar besser zu erkennen sein. Doch was ist mit dem Kontrast und der Brillanz des Bildes passiert? Ihre Person steht jetzt vor gleißendem Weiß. Zwar erkennt man alle ihre Details, doch die Kontraste, welche die Person selbst hat, sind flau und farblos. Außerdem kann es passieren, dass der Hintergrund nun so überstrahlt, dass die Person keine klare Außenkontur mehr besitzt. Eine Lösung, aber keine gute.

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Abb. 3.85 Eine klassische Gegenlichtsituation, wie Sie Ihnen immer wieder begegnen wird, wenn Sie eine Person gegen ein Fenster filmen. Das Bild wird flau und manchmal auch grobkörnig, wenn Sie es mit der Gegenlichttaste oder manuell über die Blendenfunktion aufhellen.

Die dritte Möglichkeit besteht darin, dass Sie die im Bild zu dunkle Person aufhellen. Dies können Sie mit einer zusätzlichen Lichtquelle erreichen oder Sie reflektieren das Licht, das durch das Fenster in den Raum scheint, mit einem Spiegel, einem Aufheller oder einem Stück weißen Karton auf die Person vor dem Fenster zurück. So mildern Sie den hohen Kontrast des Bildes ab. Ihre Person wird heller und Ihr Bild erhält eine gewisse Brillanz, da Ihr Camcorder nun einen Kontrastumfang vorfindet, mit dem er umgehen kann. Eine gute und professionelle Lösung.

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Abb. 3.86 Dass bei diesem Bild mit einem zusätzlichen Licht gearbeitet wurde, verraten nur die winzigen Lichtpunkte in beiden Augen des Kindes. In der Regel arbeiten Sie im Freien nicht mit einem Strahler. Ergänzen Sie aber Ihre Ausrüstung um einen Aufheller.

Die vierte Lösung besteht darin, dass Sie aus der Not eine Tugend machen. Wenn Sie eine Person ins Gegenlicht stellen, können Sie diese dunkel oder sogar schwarz abbilden. Sie wird zur Silhouette. Zum Scherenschnitt. Nutzen Sie diese Möglichkeit. Arbeiten Sie das Profil Ihrer gefilmten Person heraus. Spielen Sie mit Licht und Schatten. Zeigen Sie das Gesicht Ihrer Person von der Seite (vor allem wenn Sie eine bemerkenswerte Nase hat). Wenn sie noch dazu Zigarettenrauch in den leeren weißen Bildraum bläst – ich weiß, Rauchen ist ungesund! – ist die Bildwirkung perfekt.

Üben Sie das Herausarbeiten von Silhouetten bei Motiven aller Art. Wenn Sie Ihre Augen so weit schließen, dass Sie nur noch durch Ihre Wimpern sehen können, fällt es Ihnen leichter, Silhouetten zu sehen und einen Schwarz-Weiß-Eindruck von Ihrem Motiv zu bekommen. Gehen Sie auch hier wieder um Ihr Motiv herum und beobachten Sie, aus welcher Perspektive heraus sich die interessanteste und aussagekräftigste Kontur ergibt. Dann machen Sie Ihr Bild. Wohlgemerkt gegen das Licht.

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Abb. 3.87: Silhouetten haben ihren besonderen Reiz und erzeugen durch ihre klare Abgrenzung gegenüber dem Hintergrund effektvolle Stimmungen. Trainieren Sie Ihren Blick dafür!

Streulicht

Achten Sie bei Gegenlichtaufnahmen immer darauf, dass die Lichtquelle nicht direkt in das Objektiv des Camcorders strahlt. Die Blendenflecke, die sich daraus ergeben, können Sie noch als „kreativen“ Effekt abtun. Für die Qualität des Bildes viel schlimmer ist jedoch das Streulicht, das Sie sich einfangen. Dieses führt zu einer dramatischen Verschlechterung der Abbildungsleistung Ihres Objektivs und flacht den Kontrast extrem ab. Vermeiden können Sie das dadurch, dass Sie erstens die Lichtquelle nicht direkt im Bild haben, zweitens eine Sonnenblende (Kompendium) verwenden und/oder drittens mit einem Stück Karton oder notfalls mit der Hand (was aber tunlichst nicht im Bildausschnitt zu sehen sein sollte) einen Schatten über das Objektiv legen. Vergleichen Sie die unterschiedlichen Ergebnisse und Sie werden erstaunt sein.

Gegenlicht schafft Plastizität

Gegenlicht muss nicht immer frontal kommen. Das ist der Extremfall. Von Gegenlicht spricht man immer, wenn sich die Lichtquelle von der Kamera aus gesehen hinter dem Motiv befindet. Am leichtesten zu handhaben ist seitliches Gegenlicht. Mit ihm werden Sie am häufigsten arbeiten. Für eine gefilmte Person ist es ideal, wenn ihr das Licht über die Schulter scheint. Erstens muss sie dann die Augen nicht zukneifen, da sie nicht geblendet wird und zweitens zaubert ein solches Licht eine wunderbare Lichtkante auf Haar und Schulter, das dem Motiv einen besonderen Glanz und Plastizität verleiht. Sollten Sie erkennen, dass wichtige Partien des Gesichts zu dunkel geraten, können Sie mit einem dezenten Aufheller noch etwas Licht ins Dunkel bringen. Aber hellen Sie deswegen niemals das gesamte Bild auf!

Manche Objekte erstrahlen aber erst so richtig im Gegenlicht in ihrer ganzen Pracht. Seien es die Blätter eines lichtdurchfluteten Waldes oder bunte Blütenblätter im Allgemeinen. Erst durch das Gegenlicht kommt ihre Farbpracht so richtig zum Ausdruck. Dies gilt gleichermaßen für alle transparenten, sprich lichtdurchlässigen, Objekte. Sei es der Rauch von Schornsteinen, der sich im Winter aus einem Meer von Häusern nach oben windet oder simple Auspuffgase. Erst im Gegenlicht werden sie überhaupt sichtbar. Gleiches gilt für Nebelschwaden.

Genauso reizvoll kann es sein, Architektur und Landschaft im Gegenlicht abzubilden. Beides bekommt eine impressionistische Wirkung. Handelt es sich um kein direktes sondern um ein leicht seitlich gerichtetes Gegenlicht, bekommen Sie in Ihre Motive eine Modellierung, wie das mit direktem Licht nie möglich wäre.

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Abb. 3.88 Architektur im Gegenlicht. Erst dadurch bekommt dieses Bild etwas Grafisches, was das Besondere an ihm ausmacht.

Ideale Gegenlichtsituationen erhalten Sie vor allem in den frühen Morgenstunden von kurz vor bis kurz nach dem Sonnenaufgang. Dann trifft das Licht in relativ flachem Winkel auf Ihr Motiv und Sie können am besten mit ihm arbeiten. Experimentieren Sie!