4.3 Der Sinn und Zweck des Schnitts

Als die DVD in den Camcorder Einzug hielt, stand es in den Anfangszeiten schlecht um die problemlose Nachbearbeitung. Das hat sich zum Glück schnell geändert. Für die AVCHD-Technologie galt bei Einführung das gleiche. Außerdem priesen die Hersteller damals das neue System damit an, dass es für den Anwender sei, der seine Aufnahmen nicht nachbearbeiten und sie gleich nach dem Filmen betrachten möchte. Schöne neue Videowelt! Damit würde man jedoch auf viele Seiten des kreativen Filmens verzichten, denn der Schnitt ist nicht nur etwas für Leute, die gerne am Computer sitzen, da sie sonst nichts zu tun haben: Er macht durchaus Sinn.

Schnitt verkürzt die Zeit

Einen Vorgang in Realzeit abzubilden ist im Normalfall nicht möglich, macht meistens wenig Sinn und würde den Zuseher nur unnötig langweilen. Außerdem ist es technisch gesehen oft auch nur schwer zu realisieren. Deshalb verkürzen Sie im Schnitt die Zeit, indem Sie nur die Szenen zeigen, die für die Gesamtaussage von Bedeutung sind. Dies passiert zum einen bereits bei der Aufnahme, zum anderen bei der Nachbearbeitung.

Wenn Sie zum Beispiel mit Ihrer Familie in den Sommerurlaub fliegen und ein Urlaubsvideo drehen, werden Sie nicht alles vom Aufstehen am Morgen über die Fahrt zum Flughafen und so weiter drehen, sondern Sie wählen signifikante Stellen aus, die charakteristisch für diesen Vorgang sind. Das Aufstehen, das Einsteigen ins Taxi, das Sie zum Flughafen bringt, das Einchecken am Flughafen, das Abheben und der Blick aus dem Fenster. Die nächste Szene spielt bereits am Ankunftsflughafen. Wenn sich auf der Fahrt mit dem Taxi oder während des Fluges nichts Besonderes ereignet, werden Sie diese auch nicht im Film zeigen. So findet hier im Schnitt eine zeitliche Verkürzung statt, die einen Vorgang, der normalerweise mehrere Stunden in Anspruch nimmt, in wenigen Minuten zusammenfasst.

Schnitt erzeugt Emotionen

Vergleichen Sie eine Naturdoku mit einem Action-Streifen. Zugegeben, ein ungleiches Paar. Aber während im Action-Film die Schnitte an manchen Szenen im Sekundentakt folgen, haben Sie bei Naturdokus oft Einstellungen, die schon einmal zehn oder zwanzig Sekunden stehen können. Durch schnelle Schnittfolgen wird beim Zuschauer künstlich Stress erzeugt, da er unbewusst jede neue Einstellung erst einmal in den Gesamtzusammenhang einordnen muss. Ist das ansatzweise geschehen, folgt schon wieder die nächste Einstellung. Das wirkt aufregend. In den letzten Jahrzehnten haben sich unsere Sehgewohnheiten insoweit geändert, als dass wir mit schnellen Schnittfolgen durchaus zurechtkommen. Dazu war jahrelanges Training als Zuschauer nötig. Noch vor Jahrzehnten hätte man der fragmentarischen Schnittfolge in Action-Filmen wie „Matrix“ oder die „Bourne-Identität“ nur wenig abgewinnen können. Unser Gehirn wäre schlichtweg überfordert gewesen.

Schnitt sagt aus

Des Weiteren lassen sich durch den Schnitt nicht nur Emotionen aller Art erzeugen. Auch lassen Schnittfolgen mehr Aussage zu, als das mit einer einzelnen Einstellung möglich wäre. Das ist wie mit den zusammengesetzten Wörtern in unserer Sprache. Ein „Salat“ zum Beispiel ist etwas ganz anderes als ein „Kabelsalat“. Wenn in der ersten Einstellung eine hübsche Frau zu sehen ist, so ist dies in erster Linie (von der Bildaussage her) nur eine hübsche Frau. Zeigt die darauf folgende Einstellung die Auslage eines Juweliers mit glitzernden Diamanten und Ringen, so ist mit dieser Schnittfolge eine eindeutige Aussage verbunden: „Diamants are a girls best friend.“ Sehen wir im Anschluss an die hübsche Frau aber keinen Schmuck, sondern vielleicht Blumen, einen jungen Mann der ihr zulächelt oder ein Kind, bekommt die Folge der Einstellungen jedes Mal eine andere Bedeutung. Diese Bedeutungen entstehen aber erst durch den Schnitt im Kopf des Betrachters. Zuvor sind sie quasi nicht existent.

Schnitt beseitigt Fehler

Dem Schnitt kommt eine weitere wichtige Bedeutung zu. Fehler, die bei der Aufnahme gemacht werden, können hinterher sauber beseitigt werden. Seien es verwackelte Szenen oder ein missglückter Schwenk: In der Nachbearbeitung werden sie unproblematisch entfernt. Zu hoffen bleibt, dass Sie nach Möglichkeit missglückte Szenen nachgedreht haben, sonst sehen Sie beim Schnitt in die Röhre, wenn Ihnen etwas Wichtiges fehlt.

Doch Schnitt hat noch eine ganze Reihe an weiteren Funktionen und zahlreiche Stilmittel des Films sind unweigerlich mit ihm verbunden. In der Filmsprache, der Sprache aufeinanderfolgender Bilder und deren Aussagen, haben bestimmte Montagearten (Schnitt = Montage) bestimmte Bedeutungen und Wirkungsweisen auf den Zuschauer. Um zwei Szenen aneinander zu fügen, gibt es im Grunde genommen nur zwei Möglichkeiten, die in unterschiedlichen Varianten zum Einsatz kommen können: Den Hartschnitt und die Blende.