6 Die Geschichte

6.1 Geschichten erzählen mit der Kamera

Als es noch kein Fernsehen und keine Computer gab, als das Radio noch nicht erfunden war und noch keine Rotationspressen Zeitungen zu tausenden produzierten, hatten sie für die Menschen eine ganz andere Bedeutung als in der heutigen Zeit: die Geschichtenerzähler. Sie waren über Jahrtausenden die einzigen, durch welche die Menschen an Geschichten rankamen. Seien es erfundene oder wahre Begebenheiten. Viele Geschichtenerzähler entwickelten in langer Tradition eine wahre Meisterschaft darin, und nicht nur im Orient waren sie hoch geachtete Leute, die sich um ihr Auskommen keine Gedanken machen mussten.

Alles Vergangenheit? Eher das Gegenteil ist der Fall. Wenn eines die Entwicklung der verschiedenen Informationstechnologien überdauert hat, dann ist es die Liebe der Menschen zu Geschichten. Wir lieben Geschichten und lassen uns Tag für Tag unzählige davon erzählen. Sei es im Fernsehen, im Radio, auf der Straße, von unserem Nachbarn oder unseren Kindern. Seien es wahre Begebenheiten oder erdachte Erzählungen. Geschichten können Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende überdauern. Manche sind von Bedeutung, viele unwichtig.Einige sind einprägsam, andere sofort wieder vergessen. Viele sind spannend aber noch mehr sind stinklangweilig.

Jeder Film erzählt eine Geschichte

Wenn wir einen Film machen, machen wir genau dasselbe: wir erzählen Geschichten. Und es muss eine spannende oder doch zumindest interessante Geschichte sein, sonst schaltet der Zuseher (zumindest gedanklich) ab. Es gibt wenige Filme, die es geschafft haben, allein durch die Kraft ihrer Aufnahmen zu leben. Aber selbst dann sind sie nach einer gewissen Dramaturgie entstanden, die man auch als Geschichte auffassen kann. Mit Geschichte ist nicht unbedingt eine Spielhandlung gemeint. Aber von irgendetwas handelt zwangsweise jede Dokumentation, jede Reportage und jeder Bericht. Jeder Urlaubsfilm – und wenn wir ihn nur für uns und unsere Familie drehen – erzählt die Geschichte unseres Urlaubs.

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Abb. 6.01 Auch eine Rafting-Tour steckt voller kleiner Geschichten, die zusammen eine wiederum eine größere Geschichte ergeben.

Die Kunst im Geschichtenerzählen (das gilt für das gesprochene Wort, wie für den geschnittenen Film) besteht darin, eine Begebenheit verständlich wiederzugeben und gleichzeitig eine Spannung zu erzeugen, die den Zuschauer dazu bewegt, dabeizubleiben. Wir müssen ihn bei der Stange halten; müssen ihn auf den weiteren Verlauf neugierig machen und dürfen ihn mit den Antworten nicht enttäuschen. Um im Film eine Geschichte zu erzählen und diese für den Zuschauer gleichzeitig einfühlsam und spannend zu gestalten gibt es verschiedene Techniken.

Einen Film filmt man nicht auf einmal. Er entsteht aus zahllosen einzelnen Einstellungen die später in der Nachbearbeitung zu einem Ganzen zusammengesetzt werden. Es empfiehlt sich dabei möglichst strukturiert vorzugehen, denn dann kommt man leichter zu einem Ergebnis.

Die klassische Aufteilung

Natürlich geht es auch anders und jede Regel kann gebrochen werden. Doch das funktioniert nur, wenn man um sie weiß. Eine Geschichte, das haben wir ja schon in unserer Kindheit in der Schule gelernt gliedert sich am leichtesten in Einleitung, Hauptteil und Schluss. Dabei sollte der Hauptteil den größte Raum einnehmen und sich von der Spannung her stetig steigern, bis er nach seiner Auflösung zum Schluss, der den Ausklang bildet, abfällt. Die Einleitung dient dazu, den Leser oder den Zuschauer mit den grundsätzlichen Gegebenheiten der Geschichte vertraut zu machen und ihn auf diese einzustimmen.

Eine Geschichte, sei es eine literarische oder eine gefilmte, muss nicht so aufgebaut sein, aber es ist eine gängige Form, die funktioniert, weil sie der Leser oder Zuschauer verstehen. Schon in der Grundschule lernen wir, unsere Erlebniserzählung, unseren Aufsatz so zu gliedern. Und genau darin liegt die Gefahr dieser Erzähltechnik, da sie zu gefällig ist und Überraschungen wenig Raum bietet. Aber es ist eine Möglichkeit, Ihre Geschichte zu erzählen.

Kurze Filme brauchen keine Einleitung

Um bei der Literatur zu bleiben, kommt es bei der literarischen Gattung der Kurzgeschichte vor, dass auf eine Einleitung verzichtet wird. Der Leser wird sozusagen mitten ins Geschehen hineingeworfen und befindet sich sofort mitten in der Handlung. Dasselbe ist auch häufig bei Kurzfilmen der Fall. Sie müssen entscheiden was für Ihren Film passend ist und auf welche Art und Weise Sie Ihren Zuschauer an die Hand nehmen, aber treffen Sie Ihre Entscheidung bewusst. Halten Sie sich aber gerade bei kurzen Filmen – das gilt vor allem auch bei Reportagen und kurzen Dokumentationen – nicht mit langen Einleitungen auf. Werfen Sie Ihren Zuschauer ins kalte Wasser, indem Sie beispielsweise mit einer Groß- oder Detailaufnahme starten und ihn so neugierig auf deren Auflösung machen. Statten Sie ihn nur mit den Informationen aus, die er braucht, um dem Film folgen zu können. Damit sind vor allem die „journalistischen W-Fragen“ (siehe oben) gemeint, die sie bei einer kurzen Reportage oder einem Bericht möglichst schon in den ersten beiden Sätzen beantworten. Machen sie ihn damit auf den Rest des Filmes scharf, indem Sie manche Informationen bewusst zurückhalten, auf diese Sie aber schon vage Hinweise gestreut haben.

Der Hauptteil ist, egal welche literarische Gattung und welches Filmgenre man betrachtet, derjenige, der den meisten Raum für sich beansprucht. Im Theater gliedert sich eine Geschichte in verschiedene Akte. So eine Aufteilung macht auch im Film durchaus Sinn. Die Spannung steigert sich im Hauptteil. Das ist leichter gesagt als getan. Wie erzeugt man beispielsweise Spannung in einem Film über das Paarungsverhalten der Weinbergschnecken? Wie kommt Spannung in den eigenen Urlaubsfilm und wie kann man diese auf das Ende hin steigern und den Zuschauer bei der Stange halten?

Der Rote Faden

Jeder Film hat ihn und jeder Zuschauer braucht ihn, um dem Film überhaupt folgen zu können. Also müssen Sie folglich schon beim Drehen der einzelnen Einstellungen darauf achten, dass er vorhanden ist. Einfach drauf los gefilmt sind bis jetzt selten gute Filme entstanden. Am erfolgreichsten gehen Sie vor, wenn Sie, bevor Sie Ihren Camcorder in die Hand nehmen, wissen, worauf Sie hinauswollen. Machen Sie sich dafür im Vorfeld bereits möglichst genaue Notizen, die mindestens den Inhalt der einzelnen Sequenzen, sowie der einzelnen Einstellungen enthalten. Schreiben Sie ein kleines Drehbuch, auch wenn Sie über Weinbergschnecken berichten wollen.

Am Anfang steht die Planung

Wenn Sie im Bereich von Reportage und Berichterstattung arbeiten, haben Sie auf der einen Seite das Glück, dass der rote Faden aufgrund der sich ereignenden Handlung von Haus aus vorhanden ist. Auf der anderen Seite müssen Sie aber genau die Aufnahmen drehen, die wiederum diesen roten Faden ersichtlich machen. Machen Sie sich um das zu filmende Ereignis möglichst detaillierte Gedanken und recherchieren Sie. Setzen Sie sich mit dem Ziel des Films auseinander. Was wollen Sie damit bezwecken?

Wenn Sie beispielsweise eine Hochzeit filmen, werden Sie im Vorfeld alle Informationen über den Ablauf einholen, die Sie bekommen können. Es kann und wird immer wieder passieren, dass sich die Abläufe vor Ort anders ereignen als geplant; dass irgendetwas Unvorhersehbares passiert, dass eine Reihenfolge nicht eingehalten wird und so weiter. Wenn Sie sich aber gut vorbereitet haben, werden Sie auf spontane Veränderungen besser reagieren können und behalten trotzdem den roten Faden bei. Wenn es sich die Braut vor dem Standesamt in allerletzter Sekunde dann doch noch anders überlegt, sind Sie als Hochzeitsfilmer jedoch machtlos.

Rückblenden und Veränderungen der Zeit

Eine Geschichte muss aber nicht linear erzählt werden. Das bedeutet, die Chronologie der Ereignisse muss nicht um jeden Preis beibehalten werden. Auch Rückblenden haben ihren Reiz und können auch dazu dienen, dem Zuschauer bestimmte Sachverhalte zu erklären. Das ist gerade bei Reportagen und Dokumentationen oft sinnvoll. Wichtig ist es aber, dass der Zuschauer die Rückblende als solche auch erkennt. Das kann zum Beispiel mit einer Texteinblendung geschehen, kann aber auch in einem Off-Text erklärt werden. Wenn sich dazu noch die Bildcharakteristik ändert, ist der Hinweis an den Zuschauer, dass es sich um eine Rückblende handelt, perfekt. Eine Änderung der Bildcharakteristik kann bedeuten, dass das Bild beispielsweise eine andere Farbzusammensetzung annimmt, schwarzweiß oder unschärfer wird. Oft benutzt und deshalb schon abgenutzt sind die simulierten Streifen eines strapazierten Zelluloidfilms, die durchs Bild laufen.

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Abb. 6.02–6.05 Die durch Unschärfe, Farbwechsel und einen Linseneffekt in Abb. 6.04 veränderte Bildcharakteristik weist zwischen den übrigen Einstellungen den Zuschauer auf eine Rückblende hin.

Aber nicht nur die Rückblende findet man häufig in den unterschiedlichsten Filmgattungen. Gerade in Spielfilmen ist es ein mittlerweile oft verwendetes Stilmittel, Filme nicht chronologisch zu erzählen. In Tom Tykwers „Lola rennt“ springt die Zeit zweimal an ihren Ausgangspunkt zurück und erzählt die Geschichte neu. In Terry Gilliams „12 Monkeys“ springt die Zeit hin und her, da eine Thematik des Films „Zeitreise“ ist. Auf die Spitze trieb es Quentin Tarrantino in seinem Film „Pulp Fiction“. Er nahm eine lineare Handlung, zerschnitt sie an verschiedenen Stellen und fügte sie so aneinander, dass sie erst dadurch ihren Reiz bekam und interessant wurde. So wurden dem Zuschauer im Verlauf des Films Dinge erklärt, die er erst später verstand, weil der Zusammenhang erst im Verlauf des Films rückwirkend hergestellt wurde; Ursache und Wirkung wurden so in ihrer Abfolge verändert. Auf diese Weise entstand eine Reihe von Aha-Effekten, die auch bei wiederholtem Betrachten noch anhielten. Eigentlich eine Meisterleistung, betrachtet man die ursprünglich doch eher simple Handlung.

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Abb. 6.06 Szene aus dem Film „Pulp Fiction“. 1994 ein wahrer Publikumsmagnet und seitdem ein Kultfilm.

Wenn Sie ähnliches für Ihren Film planen, überlegen Sie sich zuvor gut, ob so ein Stilmittel in eine Reportage oder Dokumentation passt. Rückblenden können oft sehr sinnvoll sein, aber übertreiben Sie nicht. Ziehen Sie eine oder mehrere unbeteiligte Testpersonen zurate, die sich Ihren Film ansehen. So bekommen Sie schnell die Rückmeldung, ob irgendetwas nicht verstanden wird.

Von Einstellungen, Sequenzen und Komplexen zum gesamten Film

Genau in dieser Reihenfolge drehen Sie einen Film. Planen sollten Sie ihn aber genau in der umgekehrten Reihenfolge. Wenn Sie Ihr Filmprojekt nicht dem Zufall überlassen wollen, werden Sie einen Grund haben, warum Sie überhaupt einen Film drehen wollen. Dabei ist es unerheblich ob es sich um eine Reportage oder einen Spielfilm handelt. Am Anfang eines jeden Projekts steht die Idee. Diese ist gleichbedeutend mit der Absicht, die dahinter steht. Hier kristallisiert sich heraus, was Sie dem Zuschauer mit welcher Absicht vermitteln wollen. Dies ist der Sinn des ganzen Films und der Grund warum Sie sich die ganze Arbeit überhaupt antun. Hier geht es um die Story, das Thema oder schlicht: die Gesamtaussage. Diese gliedert sich wiederum in mehrere Teile. Beim Theater sind das die einzelnen Akte, die ihrerseits auf die Gesamtaussage hinarbeiten. In den meisten Fällen sind es drei, können aber auch durchaus fünf oder mehr sein. Die Aufgliederung bei Spielszenen ist an die Akte des Theaters angelehnt. Dokumentationen, Reportagen und Berichte gliedern sich in einzelne Komplexe, die wiederum zur Gesamtaussage hinführen. Ein Komplex bildet sinngemäß in sich eine Einheit.

Die einzelnen Komplexe bestehen ihrerseits aus den einzelnen Sequenzen. Eine Sequenz ist ein kleiner Teilabschnitt, der vom Sinn her zusammen gehört und in der Regel aus mehreren Einstellungen besteht. Es ist aber auch durchaus möglich, dass eine Sequenz auch nur aus einer einzigen besteht. Innerhalb einer Sequenz sollten sich Ort, Zeit und Handlung nicht verändern, sondern sich höchstens kontinuierlich weiterentwickeln.

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Abb. 6.07a Komplex 1, Sequenz 1, Szene (Einstellung) 1 / Abb. 6.07b Komplex 1, Sequenz 1, Szene 2

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Abb. 6.07c Komplex 1, Sequenz 1, Szene 3 / Abb. 6.07a–c Drei Einstellungen, die hintereinander geschnitten sinngemäß eine Sequenz ergeben.

Nehmen Sie zum Beispiel eine Reportage über die Inszenierung eines Theaterstücks. Die Gesamtaussage oder auch der Inhalt des Films besteht darin, dem Zuschauer zu zeigen, wie spannend und aufwendig eine Freiluftinszenierung ist; wie viele Arbeitsschritte notwendig sind, bis es letzten Endes zur Aufführung kommt. Wenn Sie sich die Mühe machen, zu Beginn eines Projekts, die Gesamtaussage klar und deutlich zu formulieren, haben Sie die Gliederung Ihres Films bereits in der Tasche. In dem genannten Beispiel bestünden die einzelnen Komplexe (chronologisch betrachtet) aus dem ersten Treffen der Akteure, der ersten Probe, einer späteren Probe, der Kostüm- und schließlich der Licht- und Generalprobe. Es folgt die hoffentlich gelungene und erfolgreiche Premiere mit viel Applaus. Den Ausklang bilden Reaktionen der Zuschauer, der Akteure und des Regisseurs mit dem Ausblick auf weitere Projekte.

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Abb. 6.08a Komplex 1, Sequenz 2, Szene 1 / Abb. 6.08b Komplex 1, Sequenz 2, Szene 2

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Abb. 6.08c Komplex 1, Sequenz 2, Szene 3 / Abb. 6.08a-c Ebenso verhält es sich mit den nächsten drei Einstellungen.

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Abb. 6.09 Komplex 1, Sequenz 3, Szene 1

Die folgende Einstellung – eine Interviewszene – ist für sich allein gesehen eine eigenständige Sequenz. Alle drei Sequenzen bilden durch ihren Inhalt eine Einheit und somit einen Komplex. Die letzte Sequenz (Interviewszene) bildet die Überleitung zum nachfolgenden Komplex, der sich wiederum in Sequenzen und einzelne Einstellungen gliedert.

Es muss nicht immer der Reihe nach sein

Sie müssen die Geschichte aber nicht unbedingt linear erzählen. Gerade, wenn Sie dem Zuschauer etwas Bekanntes präsentieren, kann ein Springen in der Chronologie manchmal dazu beitragen mehr Schwung in den Film zu bringen. Um bei dem Beispiel der Theaterinszenierung zu bleiben: Viele Menschen waren selbst noch nicht bei einer solchen Inszenierung von Anfang bis Ende dabei. Doch beinahe jeder weiß, dass (chronologisch betrachtet) vor der Premiere eines Stücks die Generalprobe stattfindet, welche wiederum auf zahllose Proben und weitere Vorbereitungen folgt. Da die Chronologie der Ereignisse dem Zuschauer im Groben bekannt ist, ist es möglich, die einzelnen Komplexe in einem gewissen Rahmen in ihrer Reihenfolge zu vertauschen.

Beginnen Sie deshalb den Film nicht unbedingt mit dem ersten Treffen. Zeigen Sie beispielsweise Aufnahmen von der Premiere oder sogar vom Schlussapplaus. Mit einem gesprochenen Off-Text wie „… bis es aber so weit war, gab es einen langen Weg mit vielen Hindernissen…“ haben Sie nicht nur eine perfekte Überleitung auf den Anfang der Geschichte, sondern Sie haben den Zuschauer neugierig darauf gemacht, um welche Schwierigkeiten es bei der Inszenierung überhaupt gehen könnte. Aber Sie können auch einen Darsteller oder gar den Regisseur in den Mittelpunkt stellen. Dieser erzählt Ihnen die Geschichte der Theaterinszenierung aus seiner Sicht. So haben Sie bei der Nachbearbeitung die Möglichkeit den Film in Rückblenden in Form einzelner Komplexe zu erzählen.

Und jeder Komplex gliedert sich wiederum in einzelne Sequenzen. Diese könnten bei den Proben der Theaterinszenierung ein kurzer Dialog zwischen dem Regisseur und einem der Darsteller oder eine kurze Pause von Beteiligten während einer Probe sein. Sequenzen sind die kleinsten sinnmäßig zusammengehörigen Einheiten und bestehen aus einer oder mehreren Einstellungen.

Planung und Dreh

Während Sie bei Ihrer Planung vom Allgemeinen zum Speziellen gehen, läuft die Praxis genau umgekehrt. Doch ist es in den allermeisten Fällen wichtig, dass Sie Ihr späteres Ergebnis möglichst genau planen. Dann ist die Wahrscheinlichkeit am größten, dass Sie die Aufnahmen drehen, mit denen Sie das aussagen können, was Sie beabsichtigen.

Kaufen Sie sich ein kleines Notizbüchlein, das Sie stets bei sich tragen. Wenn Sie eine Idee zu einem Film haben, skizzieren Sie diese mit wenigen Worten. Ideen im Kopf haben oft die Eigen- oder Unart, dass sie sich selbständig weiterdenken und verändern oder im schlimmsten Fall sogar verflüchtigen. Halten Sie deshalb Ihre Ideen in Schriftform fest. Wenn Sie sich einmal angewöhnt haben, Notizen zu machen, werden Sie auch bald feststellen, dass sich einige davon durchaus für gute Filmprojekte eignen. Einige Ideen werden Sie nicht mehr loslassen. Dann ist es höchste Zeit einen Film zu planen.

Exposé, Treatment, Drehbuch

Diese drei Begriffe hören sich ungeheuer professionell an. Und doch handelt es sich dabei nur um Werkzeuge und Arbeitsschritte, die Ihnen helfen, Ihre Gedanken soweit zu sortieren, damit Sie später genau wissen, welche Aufnahmen Sie für Ihren Film benötigen.

Im Exposé machen Sie sich in möglichst wenigen Sätzen Gedanken zur Idee ihres Films. Je kürzer und griffiger, desto besser. Versuchen Sie sowohl die Idee, als auch das, was Ihr Film aussagen soll und was Sie beim Zuschauer erreichen wollen in wenige Worte zu fassen. Dabei ist es unerheblich, ob Sie einen Action-Film, eine Dokumentation, eine Reportage oder ein Urlaubsvideo planen. Selbst für einen Film mit der eigenen Familie rentiert es sich auf diese Weise seine Gedanken zu ordnen. Wenn Sie vorhaben, eine Naturdoku über Schwäne auf dem Chiemsee zu drehen, könnte Ihr Exposé wie folgt aussehen:

Dieser eine Satz reicht aus um Ihre Gedanken zur Gesamtaussage des geplanten Films griffig festzuhalten. Natürlich können Sie Ihr Exposé noch detaillierter ausführen, aber diese wenigen Worte reichen aus, um zu wissen, worum es gehen soll. Zeit, sich ans Treatment heranzuwagen.

Das Treatment ist schon wesentlich genauer. Hier beschreiben Sie Ihren Film so, wie Sie ihn sich vorstellen. Das bedeutet, dass Sie bereits die einzelnen Komplexe festlegen und sich der Reihe nach aufschreiben, was in Ihrem Film zu sehen ist. Hier haben Sie auch die beste Möglichkeit, um über den roten Faden nachzudenken und diesen überhaupt in Ihren Film zu bringen. Eine Beschreibung der einzelnen Komplexe könnte wie folgt aussehen:

Der nächste Teil der Planung ist dann bereits das Drehbuch. Hier legen sie zu den einzelnen Komplexen fest, welche Einstellungen sie drehen wollen (oder müssen) um zu Ihrer Gesamtaussage oder der des einzelnen Komplexes zu kommen. Hier beschreiben Sie die geplanten einzelnen Einstellungen so gut Sie können. Beschreiben Sie nicht nur deren Inhalt. Legen Sie auch die Einstellgröße und die Länge der Szene fest. Sollte es (bei Schwänen ist das zwar nicht der Fall) in Ihrem Film Dialoge geben, planen Sie diese natürlich auch mit ein. Dasselbe können Sie natürlich auch für den Off-Text machen. Entwerfen Sie am besten an Ihrem PC eine Spaltenaufteilung für die wichtigsten Eckpunkte der einzelnen Aufnahmen in Ihrem Film. Dann könnte ein Drehbuch zum Beispiel so aussehen:

Komplex 3:

Sequenz 2 :“Die Eier brechen auf.“

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Das Drehbuch muss kein Kunstwerk und keine Doktorarbeit sein und in der Regel wird es auch außer Ihnen niemand lesen. Aber Sie schreiben es ja nur für sich. Oft werden Sie feststellen, dass Sie von Ihrem Drehbuch abweichen müssen. Sei es, dass etwas Unvorhersehbares (aber durchaus Willkommenes) passiert, auf das sie spontan reagieren, oder dass Sie neue Seiten an Ihrem Thema entdecken, die Ihnen zuvor nicht bekannt waren. Trotzdem hilft Ihnen das Drehbuch, beim roten Faden zu bleiben und auf die Aussage des Films hinzuarbeiten, die sie beabsichtigen. Die Gefahr, dass Sie sich in den Ereignissen verlieren und sich somit verzetteln besteht bei der Verwendung eines Drehbuchs fast nicht mehr. Wie ausführlich Sie Ihr Drehbuch gestalten und welche Informationen darin enthalten sein müssen, bleibt natürlich Ihnen überlassen.

Die Spannung im Film

Ein Film muss seine Zuschauer unterhalten. Einmal abgesehen von höheren Zielen und dem Verbreiten von mehr oder minder edlen Botschaften und Anschauungen, ist es das oberste Gebot, sein Publikum nicht zu langweilen. Das beginnt schon damit, dass man uninteressante und unwichtige Inhalte entfernt, und endet bei der Spannung, die es zu erzeugen gilt, um den Zuschauer bei der Stange zu halten, noch nicht.

Dass ein Actionfilm oder ein Thriller spannend ist, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Aber gilt dies auch für ein Reisevideo oder einen Familienfilm? Spannung erzeugen heißt Neugierde schaffen. Und das betrifft nicht nur Spielfilme, sondern vor allem auch Reportagen und Dokumentationen.

Fragen einbauen

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Abb. 6.10–6.12 Machen Sie es sich zur Angewohnheit, Zweifel beim Zuschauer zu sähen (aber übertreiben Sie nicht). Wenn Sie über eine Bergtour berichten, erwähnen Sie die schlechte Wettervorhersage oder ein nahendes Gewitter, bei einer Bootstour beschreiben Sie den maroden Zustand des Kahns mit dem Sie unterwegs sind. Und bei diesem Affen äußern Sie Ihre Zweifel über dessen Friedfertigkeit, nicht ohne seine gefährlich scharfen Zähne und seinen misstrauischen Blick zu erwähnen.

Einen Film spannend zu gestalten ist in erster Linie eine Frage, wie Sie Ihrem Zuschauer eine Geschichte erzählen. Natürlich können Sie der Reihe nach die Begebenheiten oder die Inhalte wiedergeben. Zuerst passiert dieses, dann passiert jenes. Inhaltlich haben Sie dann alles beieinander. Spannung kommt so jedoch nicht auf. Also müssen Sie, wenn Sie auf das Ziel des Films, der Sequenz oder des Komplexes hinarbeiten, Zweifel beim Zuschauer sähen, ob das jeweilige Ziel überhaupt erreicht wird. Dies ist am einfachsten über den Off-Text möglich.

Nimmt man zum Beispiel einen Film über eine Bergbesteigung, gibt es genügend Möglichkeiten, Zweifel am Gelingen des Projekts zu streuen. Mit Formulierungen wie „würden wir es schaffen?“, „wir hatten keine Vorstellung von dem, was uns erwarten würde“ oder „der Wetterbericht hatte eine unbeständige Wetterlage angekündigt“ lassen sich Fragen und Zweifel auf den Zuschauer übertragen. Natürlich sollte dieses Frage-und-Zweifel-Spiel der Thematik des Films angepasst sein, und man sollte hier auch nicht übertreiben. Allerdings sollte man es sich angewöhnen, beim Erzählen eines Films, nicht alle Informationen dem Zuschauer so ohne Weiteres preiszugeben. Vergessen Sie dabei aber nicht, jede Frage in einem gewissen zeitlichen Zusammenhang auch zu beantworten. Erhält der Zuschauer auf Fragen, die im Film auftauchen, keine Antwort, ist er verärgert.

Parallelmontage erzeugt Neugierde

Spannung kann aber auch anders erzeugt werden. Nehmen Sie zum Beispiel zahlreiche Serien oder auch Daily Soaps, von denen es unzählige Beispiele gibt. Gerade immer dann, wenn die Spannung am höchsten ist oder wenn sich gerade eine unerwartete Wendung ergeben hat oder sich gerade andeutet, ist entweder die Sendezeit zu Ende, es findet ein Schauplatz- und Handlungswechsel statt oder es wird ein Werbeblock dazwischen geschoben. Der Zuschauer bleibt dran oder schaltet das nächste Mal wieder ein, da er unbedingt wissen will, wie es weitergeht.

Für Ihren Film bedeutet das nicht, dass Sie jetzt auch noch einen Werbeblock einfügen müssen, obwohl dies auch eine witzige Idee sein kann. Ein Schauplatz- oder Handlungswechsel ist jedoch etwas, mit dem Sie Ihren Film interessanter gestalten können. Dies ist am einfachsten mit einer sogenannten Parallelmontage möglich. In der Parallelmontage haben Sie zwei Handlungen, die idealerweise einen Zusammenhang besitzen und sich letztendlich in einem Punkt treffen. Zwischen beiden Handlungen wechselt der Film hin und her; und das idealerweise an Stellen, an welchen gerade Fragen oder Zweifel aufgetaucht sind. Das kann auch mit einem Urlaubsfilm funktionieren. Stellen Sie sich einen entspannten Urlaubstag mit Ihrer Familie am Meer vor. Sie haben Ihre Kinder bei Spielen im Wasser und wie sie sich ein Eis holen (etc.) gefilmt. Diese Aufnahmen könnten Sie zu einem schönen Komplex zusammenschneiden. Sie haben jedoch erfahren, dass man nur wenige Kilometer von Ihrem Urlaubsort entfernt Tandem-Gleitschirmflüge anbietet. Da dies gerade für einen Filmer eine aufregende Möglichkeit ist um Luftaufnahmen zu machen, beschließen Sie spontan dieses Angebot wahrzunehmen. Während Sie im Anschluss Ihr Abenteuer in der Luft filmen, passt Ihre Gattin auf den Nachwuchs auf. Jetzt könnten Sie aus Ihrem kleinen Luftabenteuer später ebenfalls einen eigenen Komplex schneiden. Sie haben jedoch auch die Möglichkeit beide Sequenzen in einer Parallelmontage zu schneiden.

Daraus ergibt sich folgende Aussage: Während Frau und Kinder einen entspannten Nachmittag am Meer haben, begibt sich Papa auf ein Abenteuer in die Lüfte. Möglichkeiten zwischen den Schauplätzen hin und her zu wechseln ergeben sich genug, da sich sowohl der Nachmittag am Meer als auch Ihr Abenteuer in der Luft sinngemäß in mehrere Sequenzen unterteilen lässt. Dazwischen wechseln sie zwischen beiden Handlungen hin und her. Und das am besten immer an Stellen, an welchen Sie vorher eine Frage über den weiteren Verlauf in den Raum gestellt haben. Mit Ihrer Rückkehr zur badenden Familie führen Sie beide Komplexe hinterher zusammen. Ob der Gleitschirmflug und die Aufnahmen Ihrer Familie am Meer tatsächlich am selben Tag entstanden sind, interessiert später, wenn das Urlaubsvideo fertig ist, keinen mehr.

Geschichten nicht erzählen, sondern erzählen lassen

Hat man die richtigen Aufnahmen gedreht, lässt sich mit dem passenden Off-Text bequem eine Geschichte erzählen. Wesentlich abwechslungsreicher ist es jedoch, wenn man sie sich erzählen lässt. Und das am besten noch von den Protagonisten im Film. Das ist besonders authentisch.

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Abb. 6.13 Gerade auf Reisen sollten Sie, nachdem sie einen freundlichen Kontakt zu den Einheimischen hergestellt haben, immer auf der Suche nach guten O-Tönen sein. Der Mann mit den Schlangen erzählt Ihnen im Idealfall auf Englisch, wie er zu seinem Beruf als Schlangenzüchter kam. Wenn es ihnen dann noch gelingt, solche Momente auf Video zu bannen, sind Ihnen später aufmerksame Zuschauer sicher.

Natürlich können Sie – wenn Sie Tierfilmer sind - in einem Film über die Wildschweine im Ebersberger Forst diese nicht selbst zu Wort kommen lassen, soviel steht fest; wohl aber den zuständigen Förster; sozusagen als Experten. Wenn Sie sich für dieses Thema interessieren, werden Sie um einen Kontakt mit ihm nicht herumkommen. Aber Gleiches gilt für jede Geschichte, die Sie über Menschen erzählen, auch wenn Sie nur den Umzug eines Freundes dokumentieren. Gewöhnen Sie es sich an, nicht nur über Menschen zu berichten. Geben Sie Ihren Protagonisten die Möglichkeit über sich selbst zu berichten. So kommen Sie nicht nur näher an das Geschehen heran, sondern überbrücken auch die Distanz zwischen Ihnen und den Gefilmten, welche durch die Kamera entsteht. Das merkt auch der Zuschauer.

Treten Sie mit den Menschen, die Sie filmen, in Kontakt. Sehen Sie dabei aber nicht nur auf das Display oder durch den Sucher, sondern sehen Sie den Menschen, die Sie filmen, in die Augen. Lassen Sie (ob vom Stativ oder ausnahmsweise aus der Hand) den Camcorder laufen und verwenden Sie ein Richtmikro um die Sprachverständlichkeit zu sichern. Stellen Sie spontan ihre Fragen und/oder filmen Sie Statements der Personen. Selbst wenn sich das Gesagte auf Sie und Ihre Kamera bezieht. Entscheiden Sie später, ob Sie in Ihrem Film Verlegenheitskommentare wie „das Fernsehen ist ja auch da“ oder spontane Erklärungen zu den Ereignissen brauchen können oder nicht. Sammeln Sie neben den zahlreichen Detail- und Großaufnahmen auch möglichst viele O-Töne der anwesenden Personen. Seien Sie auch in Drehpausen um lockeren und freundlichen Kontakt bemüht aber drängen Sie sich nicht auf. Oft genug sind Sie aber mit der Kamera so interessant, dass viele (leider auch viele Selbstdarsteller) um einen Kontakt mit Ihnen bemüht sein werden.

Andere Materialien nutzen

Um Geschichten zu erzählen, lassen sich neben den gefilmten Aufnahmen noch zahlreiche weitere Materialien und Quellen nutzen. Egal ob Sie Fotos, Schriftstücke, Bilder, Urkunden oder altes Tonmaterial in Ihren Film einbauen. Wenn Sie um ein Thema recherchieren, müssen Sie immer Ausschau nach Materialien und Medien aller Art halten, die Ihren Film unterstützen und somit bereichern können.

Tondokumente lassen sich problemlos digitalisieren, Bilder und Fotos lassen sich einscannen oder einfach nur abfilmen. Diese Medien eignen sich hervorragend dazu, den Film abwechslungsreicher zu gestalten. Beachten Sie bei deren Verwendung aber vor allem die Rechte der jeweiligen Urheber (Copyright!!).

Üben, üben, üben

Wie so vieles am Filme machen, ist auch das spannende Erzählen einer Geschichte nicht nur Technik, sondern auch viel Übung und Gespür. Vor allem, was das richtige Timing anbelangt. Wenn man seinen Film am PC nachbearbeitet, sieht man viele Einstellung und Sequenzen oft ein dutzend Mal. Da kann sich auch schon einmal die beste Objektivität in Ermüdung verflüchtigen. Ziehen sie deshalb von Zeit zu Zeit immer wieder eine objektive Person zu Rate, die mit dem Schaffensprozess nichts zu tun hat. Und hören Sie auf deren Kritik.