In den Wochen, in denen der Winter in den Frühling überging, fand die kleine grüne Insel Foss keinen Käufer. Es gab auf dem Festland keine potenziellen Interessenten, die sich veranlasst sahen, den Ankerplatz zu inspizieren oder die Qualität des Grases zu untersuchen.
Jüngere Mitglieder des New Athenian Club zogen Walter Baverstock auf, ermunterten ihn, ein Angebot für dieses abgeschiedene Fleckchen Land abzugeben, um »eine Basis auf den Hebriden«, wie sie es nannten, zu haben. Aber Walter weigerte sich, den Köder zu schlucken. Iain Carberys Weggang hatte sein Interesse an Mull schließlich gedämpft, und selbst Agnes hatte die Hoffnung fast aufgegeben, dass das große Gut von Fetternish eines Tages wieder in den Besitz ihrer Familie übergehen würde.
Foss blieb verlassen. Das unbewohnte Haus war schnell baufällig geworden, und Feuchtigkeit und heftige Stürme hatten das Holz schwer beschädigt.
Als Quig Anfang März hinüberfuhr, stellte er fest, dass die Veranda zusammengebrochen, eine Ecke des Dachs weggeweht war und sich Schimmel an den tragenden Balken eingenistet hatte. Allerdings hatte ein warmer Februar für ein gutes Wachstum des Grases gesorgt. Die Weiden waren bereits üppig genug, um eine kleine Herde oder auch eine größere von genügsamen Hügelschafen zu ernähren, die nicht jeden Tag gehätschelt werden mussten. Auf der Rückseite des Hügels jedoch, wo der alte Mann und seine Frauen beerdigt waren, hatte sich nichts geändert, abgesehen davon, dass die Inschrift auf dem neuen Grabstein bereits verwittert war und Flechten und Moos schon ihre Spuren auf dem Stein hinterlassen hatten.
Quig zögerte nicht. Er wusste besser als jeder andere, was getan werden musste.
»Es pachten? Foss pachten?«, sagte Biddy. »Von wem?«
»Von Innis und deinem Bruder Neil«, sagte Quig.
»Neil wird wahrscheinlich Geld auf die Hand haben wollen.«
»Hat er nicht gerade erst achthundert Pfund bekommen?«, sagte Quig.
»Du weißt, dass er das hat«, sagte Biddy. »Die notariell beglaubigte Auszahlung der Anteile an die Erben war deine letzte Aufgabe als Testamentsvollstrecker.«
»Nicht ganz«, sagte Quig. »Die Sache mit Foss muss noch geregelt werden.«
Biddy und er sprachen draußen miteinander.
Der Nachmittag war stürmisch, und jagende Wolken drohten mit mehr Regen. Sie standen auf dem Vorsprung von Olaf’s Ridge, von wo aus sie Fetternish House über die Kiefern ragen und Pennymain, Pennypol und die Treshnish-Inseln ausgebreitet vor sich liegen sehen konnten, von den Wogen des Atlantik beleckt. Foss war zu flach, um sichtbar zu sein, doch Quig und Biddy wussten genau, wo es lag, und schauten in diese Richtung, als ob die See selbst eine Lösung bieten könnte, indem sie das Eiland einfach verschluckte.
»Willst du damit andeuten, dass ich es kaufen soll?«, sagte Biddy. »Hast du eine so sentimentale Bindung an diesen Felshaufen, dass du es nicht ertragen kannst, zu sehen, wie die Familie es verliert?«
»Ich habe überhaupt keine sentimentale Bindung an die Insel«, sagte Quig. »Ich bin glücklicher, hier zu sein als dort. Aber es ist kein Felshaufen, Biddy. Es hat gute Erde und gutes, saftiges Gras, und ich mag einfach nicht, dass Weideland vergeudet wird.«
»Möchtest du, dass ich Rinder dorthin bringe?«
»Schafe wären besser. Greyfaces sind sehr robust.«
»Mein Schäfer könnte da etwas mitzureden haben«, sagte Biddy. »Wie viel Zeit müsste Michael aufwenden?«
»Lammen, Scheren und Decken. Drei oder vier Fahrten im Jahr«, sagte Quig. »Dazu einiges an Transportkosten. Aber das würdest du durch den Verkauf von zusätzlicher Wolle und Hammelfleisch ausgleichen. Du könntest nach dem alten System arbeiten und Frühlingslämmer aufziehen. Und«, fügte er hinzu, »ich bin hier oder in der Nähe, falls zusätzliche Hilfe gebraucht wird, um sie zu treiben.«
»Ich dachte, du seist Rinderzüchter?«
»Ich habe nichts dagegen, mit Schafen zu arbeiten.«
Biddy steckte die Hände in die Taschen ihres Ulsters und hob die Schultern, nicht weil ihr kalt war, sondern weil Quigs Rat so vernünftig und logisch klang, dass sie geneigt war, ihn zu befolgen.
Foss war intensiv angeboten worden, und man hatte Briefe an ein oder zwei Grundbesitzer auf Mull geschickt. Doch bisher hatte es nicht das geringste Interesse gegeben. Wenn Foss nicht bald einen Käufer fand, bestand die Möglichkeit, dass irgendein exzentrischer Engländer, der den Wunsch hatte, sein Leben als Einsiedler zu verbringen, es für ein Butterbrot erwerben würde oder dass es, schlimmer noch, an einen Amateurfarmer ging, der keine Ahnung hatte, worauf er sich da einließ.
»Denkst du darüber nach?«, sagte Quig.
»Ich denke darüber nach«, gab Biddy zu.
Quig war ein ruhiger Mann, doch wenn ihn etwas beschäftigte, konnte er ebenso hartnäckig sein wie sie. Zuweilen fiel es schwer zu vergessen, dass er kein Blutsverwandter war, nicht ihr wirklicher Cousin. Sie hatte ein Verhältnis zu ihm entwickelt, das schwer zu erklären war. Vielleicht hatte es etwas mit Donnie zu tun, mit ihrer beider Zuneigung zu dem Jungen. Ihr war immer bewusster geworden, welchen Dienst Quig ihnen damit erwiesen hatte, dass er sich Aileens angenommen und Donald großgezogen hatte, als sei er ein Bruder oder – richtiger – sein Sohn.
Quig sagte: »Wenn du eine kleine Tochterfirma gründest, deren einziges Kapital die Insel ist, könntest du ein Drittel einer jährlichen Pacht an deinen Bruder in Glasgow zahlen und ein Drittel an Innis.«
»Wie viel wäre das?«
»Fünfzehn oder zwanzig Pfund an jeden von ihnen.«
»Ich zahle bereits Pacht für Pennypol«, sagte Biddy. »Trotz allem, was du glauben magst, Quig, sind meine Mittel begrenzt. Fetternish trägt sich nicht von selbst, wie du weißt.«
»Dreißig oder vierzig Pfund für vierhundert Acres erstklassiges Weideland ist preiswert«, sagte Quig. »Du hast deinen Anteil an Evanders Erbe als Kapital. Tarrant wird ein paar weitere Bergschafe kaufen können, damit du anfangen kannst, und innerhalb zweier Saisons wirst du deinen Einsatz dreifach oder vierfach zurückhaben, und der Rest wird leicht verdientes Geld sein.«
»Falls, dies vorausgesetzt, Neil und Innis einverstanden sind, die Insel zu verpachten.«
»Innis wird es sein«, sagte Quig.
»Hast du mit ihr bereits darüber gesprochen?«, sagte Biddy.
»Nein, aber ich bin sicher, sie wird froh sein, dass Foss in der Familie bleibt.«
»Vielleicht können wir Gavin dazu bringen, dort zu leben, wenn er älter ist.«
»Wäre der beste Ort für den Burschen«, pflichtete Quig bei. »Ich denke, er hat vielleicht zu viel Campbell in sich.«
»Ach, ja?«, sagte Biddy. »Darf ich dich daran erinnern, dass ich auch eine Campbell bin?«
Quig grinste. »Ja, Ma’am, aber es gibt Campbells und Campbells, so wie es Quigleys und Quigleys gibt. Einige sind besser als andere, und manche, wie du, sind die Besten.«
Er hatte, wie Biddy bemerkte, kräftige weiße, gleichmäßige Zähne. Wenn er grinste, sah er jünger aus, nicht so jungenhaft, mehr gewöhnlich, so als ob trotz seiner offensichtlichen Gesetztheit etwas von einem Schlingel in ihm stecke.«
»Quigley«, sagte sie halb lachend, »flirtest du mit mir?«
»Nein, ich versuche nur, mein Ziel zu erreichen.«
»Auch jetzt?«, sagte sie. »Und glaubst du, du wirst es schaffen?«
»Könnte sein«, sagte Quig. »Ja, mit ein bisschen Glück könnte ich das.«
Es kam aus dem Nichts, wie ein Sturm, der sich seit Wochen ohne Sicht auf Land zusammengebraut hat. Als er dann ausbrach, geschah es mit einer solchen Heftigkeit, dass es Innis den Atem verschlug. Michael war während der ganzen Wochen des Lammens sehr grüblerisch gewesen. Wie gewöhnlich hatte er Gewicht verloren, was er sich eigentlich nicht leisten konnte, und war durch die langen Stunden auf den Feldern, durch hastige Mahlzeiten und zu wenig Schlaf bis auf Haut und Knochen abgemagert. Obwohl Barrett und er sich die harte Arbeit teilten, trug er die drückende Verantwortung für die Erträge, von denen Biddys Rechnungen bezahlt werden würden.
Innis sorgte dafür, dass die Mädchen – und auch Fruarch – ihrem Mann nicht im Weg waren, und tat alles, worum er sie bat, ohne Ausflüchte und Klagen. Sie hatte ständig heißes Wasser bereit und warmes Essen, das sofort serviert werden konnte. Sie kümmerte sich um kranke und zitternde verwaiste Lämmer und rettete all jene, die Gott zu retten beabsichtigte, und überdies noch einige mehr. Sie war fast ebenso müde wie ihr Mann, da diese Extraaufgaben zu allen ihren anderen Pflichten hinzukamen, dem Kochen und Putzen und Waschen und Flicken und sich darum zu kümmern, dass Gavin und die Mädchen jeden Morgen pünktlich zur Schule geschickt wurden.
Gavin würde die Schule geschwänzt haben, wenn sie es erlaubt hätte. Er war mit den Geheimnissen der Geburt bereits bestens vertraut und hatte seinem Vater mit kleinen, festen Händen geholfen, Lämmer in den Mutterschafen zu drehen, und als echter Sohn seines Vaters ertrug er die Unannehmlichkeiten des Schafehütens nicht nur gelassen, sondern mit einer gewissen Freude. Er betrachtete sich als Mann, als Assistent seines Vaters, und fühlte sich für die Schafe von Fetternish verantwortlich. Doch jeden Morgen wurde er von ihnen weggezerrt und zu dem reduziert, was er wirklich war: ein kleiner, finster blickender Schuljunge, der störrischer und unwissender als die meisten war.
Während des Lammens konnte Innis zwei Sonntagsgottesdienste in Glenarray nicht besuchen.
Aber sie erfuhr, dass Pater Gunnion nicht nach Mull zurückkehren würde und dass seine Pflichten von einem jungen Priester, Pater O’Donnell, übernommen worden waren, den sie nicht kannte und an den sie sich kaum wenden konnte, um sich Rat zu holen. Die Beichte, das Sakrament der Buße, war ein Ding, eine Sache zwischen ihr und Gott. Was sie gerade jetzt jedoch wirklich brauchte, waren Begriffsbestimmungen, eine Festlegung von Parametern dessen, was in den Augen der Kirche richtig und was falsch war.
Pater Gunnion hätte ihre missliche Lage verstanden, aber sie bezweifelte, dass ein junger Priester dies könnte. Wie konnte sie einem Fremden erzählen, wessen sie in Redwing Zeuge gewesen war, oder von ihrer Liebe zu Gillies, einer Liebe, die so stark war, dass sie nicht mehr länger geleugnet werden konnte? Hätte sie die Möglichkeit gehabt, sich Pater Gunnion anzuvertrauen, hätte der alte Priester ihr eine Art Trost spenden können oder vielleicht eine mögliche Hoffnung auf einen Kompromiss, wäre es womöglich niemals passiert.
Aber so war sie müde, müde an Körper und Seele, so desillusioniert, dass sie einem verhängnisvollen Trugschluss und einem blendenden Augenblick der Impulsivität erlag, nach dem es kein Zurück mehr gab.
Er hatte bei Laternenlicht spätnachts auf der kleinen Koppel nahe der Scheune die Lämmer von zwei Mutterschafen geholt, die Probleme hatten. Es war kurz vorm Ende des Temperatursturzes, und die Felder waren voller Lämmer, einzelner und Paaren, und ängstlicher Mutterschafe, die in der Dunkelheit blökten. Noch vor Tagesanbruch würde er wieder draußen sein, den Schlaf abschüttelnd, die Erschöpfung abschüttelnd, ihre Sorge abschüttelnd.
Doch jetzt kam er polternd durch die Tür herein, Stiefel und Hose und Segeltuchschürze mit Schmutz und etwas Blut vom Lammen verschmiert, Hände und Arme klebrig von dem Gallert, mit dem er sie eingeschmiert hatte. Er hatte an diesem Abend die letzte Waise herausgeholt und sie zu einem Mutterschaf gegeben, dessen Lamm tot geboren worden war. Er hatte das tote Lamm gehäutet, das Fell der Waise umgebunden und das Mutterschaf dazu gebracht, es anzunehmen, sodass das kleine Tier an ihren steifen braunen Zitzen saugen konnte. Dann hatte er die beiden in die Hürde neben dem Schuppen gebracht und würde sie am Morgen zusammen mit dem Paar, das gerade geworfen hatte, auf das Feld treiben.
Er war zufrieden oder hätte es sein sollen.
Doch er war es nicht.
Er trat an die Wanne mit heißem Wasser, das Innis eingefüllt hatte, zog Hemd und Schürze aus und wusch seinen Oberkörper gründlich. Innis hob das schmutzige Hemd vom Boden auf und legte es in den Korb neben der Tür, um es als Erstes am Morgen zu waschen. Noch während er sich abtrocknete, sagte er: »Ich habe darüber nachgedacht, was wir mit dem Geld tun werden.«
Innis war völlig überrumpelt. Für einen Moment hatte sie nicht die geringste Ahnung, worüber er eigentlich sprach. Wochenlang hatte sich jedes Gespräch, sofern es dazu kam, allein um Schafe gedreht, um den Fortgang beim Lammen oder darum, dass er ihr sagte, was sie zu tun hätte. Jetzt wurde ihr abrupt bewusst, was ihn wirklich beschäftigte: das Geld, der lange, reich verzierte Scheck über achthundertachtundvierzig Pfund, der zusammen mit einer Abrechnung der Anwaltskanzlei in Perth eingetroffen war.
Er sagte: »Wir werden Pennypol kaufen.«
»Was?«
Sie kniete neben dem Korb und sortierte schmutzige Kleidungsstücke. Ihr Rücken schmerzte, und ihre Augenlider brannten, weil sie Schlaf brauchte. Es war kurz vor Mitternacht, und sie war vor fünf Uhr früh aufgestanden. Sie drehte sich um und blickte zu ihm auf. Er war so dünn, dass er fast wie ein Skelett aussah.
Während er sich abtrocknete, sagte er: »Wir werden ein Angebot für Pennypol machen. Wir können es uns leisten. Es ist nicht mehr wert als drei oder vierhundert. Sie kann die Mole und das Wegerecht behalten.«
Verblüfft setzte sich Innis auf ihre Fersen.
»Es ist unmöglich, Michael. Mehr noch, du weißt, dass es unmöglich ist.«
»Warum?«
»Meine Mutter wird nicht verkaufen.«
»Was hindert sie denn daran? Ronan ist weg und kommt nicht mehr wieder. Das hast du mir selbst erzählt. McIver ist tot und begraben, weshalb also nichts einen Verkauf verhindern kann. Deine Mutter will hier nicht wieder leben. Sie ist glücklich oben in dem großen Haus, wo sie komplett versorgt wird.«
Innis atmete tief ein. »Quig hat jetzt Pennypol.«
»Ach ja, um Quig geht es?« Michael warf das Handtuch auf den Boden und stemmte seine Hände in die Hüften – eine Pose, als habe er sie geübt. »Jetzt, wo sie Brown nicht haben kann, will sie Quig haben?«
Innis öffnete den Mund, schloss ihn aber wieder.
»Quigley wird bekommen, was er will. Hast du nicht gehört? Er hat sie dazu überredet, Foss zu behalten. Irgendwann demnächst wirst du aufgefordert werden, zehn Pfund pro Jahr als Pacht für die Weiderechte zu akzeptieren, was deinem Anteil an der Insel entspricht, und sie wird wie Pennypol allmählich Teil des Königreichs deiner Schwester werden.«
»Davon weiß ich nichts.«
»Du wirst es noch hören. Sobald Robert Quigley sich in das Bett deiner Schwester geschlichen hat und er Pennypol nicht mehr braucht …«
»Was sagst du da, Michael? Dass Quig und Biddy …« Innis stand auf. Sie war jetzt tiefrot und spürte ein seltsam flatterndes Gefühl in ihrer Magengrube. »Woher kennst du Quigs Pläne?«
»Biddy hat es mir erzählt. Fragte mich, ob Schafe auf Foss gut gedeihen würden.«
»Was hast du ihr gesagt?«
»Ich sagte ihr, dass Schafe dort gut gedeihen könnten, aber dass es nicht meine Schafe sein würden. Ich sagte ihr, wenn sie eine Herde vor der Küste halten will, müsse sie sich selber einen anderen Schafhirten suchen, der sich darum kümmert.«
»Was hat das denn mit Quig zu tun?«
»Es war seine Idee. Sie hat mir das praktisch erzählt. Sie sagte mir, dass Robert Quigley sich um ihre Schafe auf Foss kümmern wird, wenn ich das nicht tue.«
»Michael, willst du damit sagen, dass wir Foss kaufen?«
»Sei nicht so verdammt blöde.«
»Ich bin nicht diejenige, die sich blöde verhält«, erklärte Innis. »Musst du wirklich Landbesitzer sein, Michael, um Biddy eine Lektion zu erteilen? Selbst wenn wir es uns leisten könnten, bringt der Kauf von Pennypol dir nicht so viel Ansehen.« Sie kam näher, die Hände erhoben, als wolle sie ihn umstoßen. »Ich werde nicht zulassen, dass das Geld meines Großvaters für irgendeine Laune vergeudet wird. Dieses Geld ist für Gavin und die Mädchen da.« Sie versuchte, sich zu beherrschen, aber sie war zu matt, zu wütend. »Bist du jetzt auf Quig eifersüchtig? Erst ist es Mr. Carbery, dann ist es Gillies, und jetzt ist es Quig. Dadurch dass wir Pennypol kaufen, kommst du nicht wieder zurück in das Bett meiner Schwester. Dafür ist nicht genügend Geld da und auf ganz Mull nicht genügend Land.«
»Ach, nein?« Michael sprach ohne Nachdruck. »Denkst du, Biddy würde nicht jeden in ihr Bett nehmen, wenn sie Lust dazu hat? Sie hätte sich mit dem verdammten Schulmeister begnügt, wenn du nicht gewesen wärst.«
»Ich?«, sagte Innis. »Was habe ich …«
»Wenn er dich nicht besprungen hätte. Selbst deine teure Schwester wird sich nicht erniedrigen, zu nehmen, was du übrig lässt.«
»Gillies? Du denkst, dass Gillies und ich …«
»Was?«, sagte Michael. »Willst du dich jetzt hinter deinem Rosenkranz verstecken? Willst du mir erzählen, dass du viel zu gut, viel zu ›heilig‹ bist, um dich von diesem Bock aus Glasgow bespringen zu lassen? Gott, man braucht ihn doch nur anzusehen, um zu wissen, dass er dich schon besprungen hat oder es bald tun wird.«
»Das würde Gillies niemals tun. Niemals.«
»Aber du würdest es, nicht wahr?«
»Ja«, schrie sie. »Ja.«
»Himmel, du bist nicht besser als deine Schwester.«
»Ich liebe ihn, Michael. Möchtest du das hören. Ich liebe ihn.«
»Warum?«
»Ich kenne den Grund nicht«, sagte Innis. »Es gibt keinen Grund.«
»Liebst du ihn mehr als deine Kinder?«
»Natürlich nicht. Es ist eine andere Art von …«
»Mehr als du mich liebst?«
Das Wort »liebst« klang aus seinem Munde geradezu gefühllos. Das Schuldgefühl und das Bedauern, das sie während seiner Fragen erfüllt hatte, verflog plötzlich.
Sie erkannte, dass Michael überhaupt keine Antwort oder auch nur Gewissheit wollte. Er hatte sie nie geliebt, hatte nie verstanden, wie sehr sie ihn geliebt hatte und dass sie irgendwie, ohne es zu wollen, seinem Einflussbereich entglitten war. Sie war immer eine gute, treue, liebende Ehefrau gewesen, aber er hatte sie so behandelt, als sei sie nicht mehr als etwas, worauf er einen Anspruch hätte.
»Ja, mehr als ich dich liebe.«
»Das dachte ich mir«, sagte Michael. »Hat er dich schon besprungen?«
»Nein.«
»Warte, bis er es tut«, sagte Michael. »Er wird seine Meinung bald ändern und sich wünschen, er hätte sich in Biddy verguckt und nicht in dich.«
»Ich werde nicht … Nein, Michael, das lasse ich mir von dir nicht verderben.«
»Was verderben?« Michael schlug sich eine Hand vor die Brust. »Da ist doch nicht mehr viel zu verderben, oder? Glaubst du, ich sei auf Gillies Brown eifersüchtig? Ha! Wenn er nur wüsste, wie leicht es ist, die Töchter des alten Ronan Campbell dazu zu bringen, sich für einen hinzulegen, würde er nicht so großspurig sein.«
»Ich lasse nicht zu, dass du ihn zum Narren machst«, sagte Innis.
»Hat er mich nicht zum Narren gemacht?«
»Nein, Michael«, sagte Innis. »Das hast du selbst gemacht.«
»Na schön, wenn du das meinst«, sagte Michael und griff nach seiner Gürtelschnalle, »vielleicht sollte ich dir eine Kostprobe von etwas geben, das dich veranlassen könnte, deine Meinung zu ändern.« Sie schaute zu, wie er die Gürtelschnalle öffnete und den Gürtel von seiner Hüfte zog. Er wickelte den dicken, abgetragenen Lederriemen um seine Faust. »Nach dem, was du heute Abend zugegeben hast, Innis, hätte ich da nicht das Recht, dich dies mal kosten zu lassen?« Sie fürchtete sich nicht wegen seiner Drohung, ihr Schmerz zuzufügen. Sie versuchte, an Gillies zu denken, an seine Zärtlichkeit, an sein Verständnis, an den Kuss, der ihr so viel bedeutet hatte. Michael legte den Gürtel zusammengerollt auf den Tisch. »Aber ich werde dir keinen Vorwand liefern, dass du zu deinem Schulmeister rennen und jammern kannst, du hättest ein Scheusal geheiratet. Außerdem kann ich Besseres mit meiner Zeit anfangen, als Frauen zu tyrannisieren.« Er grunzte amüsiert. »Siehst du, Innis, ich habe mehr von einem Gentleman, als du denkst. Oder vielleicht habe ich einfach keine Lust, Energie an eine Frau zu verschwenden, die so dumm ist wie du.«
»Ich werde ihn weiter sehen.«
»Das erwarte ich nicht anders«, sagte Michael. »Er wird bald das Interesse verlieren.«
»Was willst du?«, sagte Innis.
»Nur was mein ist«, sagte Michael.
»Und was ist das?«
»Was immer es ist, ich bekomme es für mich allein.«
»Michael, ich …«
»Geh schlafen, Innis«, sagte er abweisend. »Los, geh mir aus den Augen.«
Und das tat Innis, ohne zu zögern.
Niemand konnte recht ergründen, warum Vassie Tom Ewing auswählte, um sie nach Pennypol zu begleiten. Biddy hätte jederzeit das Gig zur Verfügung gestellt, um sie dorthin bringen zu lassen, oder sie, da ihre Mutter wieder sicher zu Fuß war, auf dem Uferweg begleitet, wenn Vassie das gewollt hätte.
Wenn jedoch Biddy oder Innis das Thema Pennypol ansprachen, hatte Vassie noch immer völlig desinteressiert gewirkt. Sie schloss dann zwar nicht mehr die Augen, fummelte jedoch an der Näh- oder Strickarbeit herum, mit der sich ihre Hände beschäftigten, und tat, als sei sie taub geworden. Bis, um genau zu sein, zu einem milden Märzvormittag, als der Pfarrer vorbeikam, um seine Gemeindeglieder auf Fetternish zu besuchen.
Vassie saß in dem Ohrensessel in der Halle, ihrem Lieblingsplatz, von dem aus sie das meiste von dem, was im Hause ihrer Tochter geschah, verfolgen konnte. Biddy war zufällig nicht zu Hause. Sie war hinüber nach Coyle gefahren, um Hector Thrale wegen einiger Reparaturen zu konsultieren, die an einem der abseits gelegenen Cottages gemacht werden mussten, und den faulen, alten Kerl zu bewegen, das zu tun, bevor die vierteljährliche Pacht fällig wurde.
Willy ließ Tom herein, wechselte ein paar freundliche Worte mit ihm und führte den Geistlichen zu Vassie, während er selbst hinunter in die Küche ging, um eine Kanne Kaffee zu machen. Wie die meisten ihrer Besucher näherte sich Tom Vassie vorsichtig. Er wusste nicht genau, wie die Krankheit sich auf sie ausgewirkt hatte oder welche Störung von geistiger Klarheit vielleicht geblieben war. Sie schauspielerte zuweilen ein wenig, wie er wusste, und fand es nicht richtig von ihr, einen Mann Gottes auf die Weise zu necken und zu verspotten, wie sie praktisch alle anderen neckte und verspottete.
In Vassies Schoß lagen Stricknadeln und zwei kleine Knäuel hellrosa Wolle. Sie schien etwas anzufertigen, das ziemlich kompliziert aussah, einem Handschuh ähnlich, doch als er fragte, was es werde, gab sie keine Antwort, sondern blickte ihn nur einen Moment finster an und sagte dann: »Ich bin überrascht über Sie, Tom Ewing.«
»Wie bitte?«
»Ich habe das von Ihnen und der Frau von Foss gehört.«
»Wie bitte?«, sagte Tom wieder, wobei er ein wenig errötete.
»Mairi Quigley ist ihr Name, falls Sie den vergessen haben sollten.«
»Was haben Sie über Mairi – Mrs. Quigley – und mich gehört?«
»Dass sie Sie besucht. Dass ihr euch hinter der Kirche trefft. Dass sie ins Pfarrhaus kommt, sobald die arme Mrs. McCorkindale nach Hause gegangen ist. Oh, ich habe alle möglichen Dinge über Sie gehört, Tom Ewing.«
»Wer hat Ihnen diese Dinge erzählt?«
»Vögel, kleine Vögel«, sagte Vassie, ohne eine Miene zu verziehen oder zu lächeln. »In der Gemeinde Crove gibt es keine Geheimnisse, und Sie wären gut beraten, sich das zu merken.«
»Hat Biddy – ich meine, wird über mich geredet?« Tom fuhr sich mit den Fingerspitzen übers Kinn. Es war kein Kratzen von Bartstoppeln zu hören, da er sich, bevor er das Pfarrhaus verlassen hatte, gründlich rasiert und sogar ein wenig von dem duftenden Puder aufgelegt hatte, den Mairi ihm gegeben hatte, um einem Ausschlag vorzubeugen. »Ich meine, hat es Klatsch gegeben, und wenn ja, was wird erzählt?«
»Ja, ein bisschen ist geklatscht worden, aber ich glaube nicht, dass Sie sich schon Sorgen wegen eines Skandals machen müssen.«
»Lieber Go… Himmel«, sagte Tom. »Ich frage mich, ob meine Presbyter das wissen.«
»Natürlich wissen die es. Sie werden sich amüsiert haben wie noch nie, als sie darüber sprachen, was Sie von einer solchen Frau wollen.«
»Einer Frau wie was?«, sagte Tom ärgerlich. »Sie sollten wissen, Vassie, dass Mairi Quigley sich immer absolut schicklich verhält.«
»Sie kleidet sich aber nicht absolut schicklich«, sagte Vassie. »Sie kleidet sich wie eine dieser spanischen Frauen, die jedes Jahr zum Markt in Salen zu kommen pflegten. Aber das war vor Ihrer Zeit hier.«
»Unsinn«, sagte Tom ein wenig blasiert. »Natürlich erinnere ich mich an das Zigeunermädchen. Sie tanzte und weissagte.«
»Sie war wohl kaum ein Mädchen«, sagte Vassie. »Sie muss mindestens vierzig gewesen sein.«
»Ich glaube«, sagte Tom, »Sie verwechseln sie mit ihrer Mutter.«
»Ich verwechsle sie mit niemandem«, sagte Vassie. »Im McKinnon wurde ein Vermögen vertrunken, wenn die Zigeunerin in Salen tanzte, denn die Hitze und der Schweiß, die sie bei den Männern hervorrief, waren etwas Schreckliches.«
»Schön«, sagte Tom, »aber mir ist weder heiß, noch schwitze ich. Und Mairi Quigley ist kein Zigeunermädchen und macht meines Wissens auch keine Weissagungen.«
»Ich kann jedoch Weissagungen machen«, sagte Vassie. »Ich sage zum Beispiel voraus, dass Sie sich, wenn Sie von hier aufbrechen, auf den Weg nach Pennypol machen und Mrs. Quigley im Cottage besuchen werden. Ich sage voraus, dass Mrs. Quigley mit dem Lavendelwasser, was Sie ihr letzten Freitagabend geschenkt haben, noch süßer als Sie riechen wird.«
»Allmächtiger!«
»Ich denke jedoch, dass es praktischer gewesen wäre, ihr ein Paar neue Schuhe zu schenken, da ihre alten durch das ständige Hin- und Hergelaufe nach Crove, um sich Ihnen an den Hals zu werfen, fast durchgelaufen sind.«
»Vassie, im Namen von allem, was heilig ist, woher wissen Sie diese Dinge?«
»Leugnen Sie das etwa?«
»Wie kann ich?«, sagte Tom. »Es war allerdings kein Lavendelwasser. Es war Eau d’Espagne, und es hat mich drei Schilling und drei Pence gekostet.«
»Es scheint, als habe Maggie nicht richtig hingehört.«
»So, das ist es also. Das ist Ihre Quelle. Maggie Naismith.«
»Gehen Sie weiter nach Pennypol?«
»Das tue ich, sobald ich meinen Kaffee getrunken habe.«
»Nehmen Sie mich mit«, sagte Vassie.
»Sind Sie – ich meine, sollten wir nicht auf Biddy warten?«
»Ich brauche Biddys Erlaubnis nicht. Ich will jetzt gehen«, sagte Vassie.
»Und wenn ich mich weigere?«
»Eau d’Espagne, in der Tat«, sagte Vassie, wobei das Augenlid ein wenig zuckte. »Ob das wohl die Presbyter interessieren würde?«
»Ich hole Ihren Mantel«, sagte Tom Ewing.
»Möchtest du die Kälber sehen?«, fragte Quig. »Sie sind draußen auf der Weide, aber ich kann sie zusammentreiben, wenn du sie besichtigen möchtest.«
»Ich habe schon mal Kälber gesehen«, sagte Vassie. »Ich muss sie nicht besichtigen.«
»Möchtest du dich auf meinen Arm stützen?«
»Warum sollte ich mich auf deinen Arm stützen?«
»Um das Gleichgewicht zu halten, wenn du müde bist.«
»Ich bin nicht müde, und ich leide auch nicht mehr unter Schwindelgefühl.«
»Freut mich, das zu hören«, sagte Quig. »Was möchtest du dann sehen?«
»Ich bin nicht gekommen, um irgendwas ›zu sehen‹«, sagte Vassie. »Ich bin gekommen, um mit dir zu sprechen. Ich denke, es wäre das Beste, wenn wir hinüber zur Mauer spazieren und deine Mutter allein lassen, damit sie den Pfarrer unterhalten kann.«
»Oh ja«, sagte Quig. »Ich möchte nicht den Anstandswauwau spielen.«
Sie entfernten sich von dem Cottage, in dem Mairi Quigley in der Tat den Pfarrer in eine Wolke von Eau d’Espagne hüllte, während sie ihm Tee und Kuchen servierte. Die Hirtenhunde waren hinausgelassen worden. Sie folgten dem jungen Mann und der alten Frau in respektvoller Distanz, doch als Vassie und Quig sich in das Gras am Fuße des langen Dammes setzten, kamen sie und legten sich schwanzwedelnd neben sie.
Für einen oder zwei Momente schaute Vassie auf die Bucht von Pennypol, ohne etwas zu sagen. Quig überlegte, welche Gedanken der alten Damen durch den Kopf gehen mochten, ob sie Erinnerungen an die stürmische Vergangenheit der Familie beschäftigten oder ob sie den Hof noch immer liebte und ihn nun wieder beanspruchen wollte. Sie schien weniger gebrechlich zu sein, als sie vor etwa einem Jahr gewesen war, da sie ihre Schärfe verloren hatte, die treibende, fast wahnsinnige Energie, durch die sie so dünn geblieben war. Sie sah jetzt entspannt aus, war zwar noch dünn, aber nicht mehr ausgemergelt. Sie war, wie er bemerkte, auf ihre Weise recht hübsch.
»Was meinst du, wird deine Mutter den Pfarrer heiraten?«
»Es würde mich nicht überraschen«, erwiderte Quigley.
»Wenn sie das tut, wird es einiges an Klatsch und Tratsch geben.«
»Das lässt sich nicht verhindern«, sagte Quig. »Meine Mutter ist Witwe. Mr. Ewing ist Junggeselle.«
»Sie ist wohl kaum das, was man sich unter einer Pfarrersfrau vorstellt.«
»Das gebe ich gerne zu«, sagte Quig. »Aber sie könnte sich ändern.«
»Oder könnte sie ihn ändern?«
»Das auch.«
»Wenn sie heiratet und im Pfarrhaus wohnen wird«, sagte Vassie, »was wirst du dann tun?«
»Was ich jetzt tue. Hierbleiben und Rinder züchten.«
»Es würde sich nicht schicken, wenn Aileen dann mit dir hier allein wäre.«
»Hmm«, murmelte Quig. »Daran hatte ich gar nicht gedacht.«
»Sie müsste woanders untergebracht werden.«
»Wer würde sie nehmen?«
»Biddy natürlich.«
»Aber nicht gerne?«
Vassie antwortete auf seine Frage nicht. Sie sagte: »Du bist immer ein guter Freund unserer Familie gewesen, Robert. Ich finde, es ist Zeit, dass du ein Teil davon wirst.«
»Ob zu Recht oder Unrecht, habe ich mich immer als Teil von ihr betrachtet«, sagte Quig. »Vielleicht auf die gleiche Weise wie Donald.«
»Er ist blutsverwandt – du bist es nicht.«
»Ist dies deine Art, mir zu sagen, dass ich Pennypol verlassen soll?«
»Oh, nein, nein. Das ist überhaupt nicht meine Absicht.« Vassie verlagerte ihr Gewicht auf eine Seite. Sie lehnte sich an ihn, während sie in ihrem Rock herumfummelte und einen Brief herausholte. Sie reichte ihn ihm. »Dies ist eine Weisung an meinen Anwalt. Ich gebe dir Pennypol. Das ganze Land, das mein Vater mir einmal gegeben hat, vom Bach bis zum Damm oberhalb der Kälberweide und Richtung Crove bis zu dem alten Schafsweg. Mir wurde gesagt, in Biddys Büro sei eine Landkarte, in der die Fläche und die Grenzen genau eingetragen sind. Die Verpachtung dauert noch zwei Jahre, aber in dieser Zeit kannst du den Pachtzins daraus haben.«
Vorsichtig sagte Quig: »Wenn du dich von Pennypol trennen willst, sollte es dann nicht an Biddy verkauft und das Geld unter den Kindern aufgeteilt werden? Oder, wenn dir das nicht gefällt, dann vermache es Donnie – oder vielleicht Gavin.«
»Was sollte Donnie mit einem Hof auf Mull tun?«, sagte Vassie. »Es wäre für einen klugen Jungen wie ihn nur eine Belastung. Er wird vielleicht dann und wann herkommen wollen, um seine Mutter, seine Tanten, Cousinen und seinen Cousin zu besuchen, aber er wird nicht gebunden sein wollen. Wir dürfen ihn nicht binden, weder an das Land noch an Biddy, nicht einmal an dich, Quig, wie sehr er dir auch gefällig sein will.«
»Wie ist es mit Innis? Sollte sie nicht Pennypol haben?«
»Ich möchte nicht, dass Michael Tarrant es in die Hände bekommt.«
»Weil er auf deinen Weiden Schafe halten würde?«, sagte Quig.
»Schafe!«, sagte Vassie verächtlich. »Das ist ein alter Streit, über den ich mich nicht mehr aufrege. Es ist gutes Land, Quig. Es sollte wirklich Teil von Fetternish werden.«
»Wenn du es mir überschreibst, Vassie, wie soll Pennypol Teil von Fetternish werden?«
»Ich möchte nicht, dass du meiner Tochter den Hof machst, ohne dass du etwas zu bieten hast«, sagte Vassie. »Pennypol kann deine Aussteuer sein.«
Sie verhandelte auf die alte Art. Es war sinnlos, zu protestieren. Er musste sie so behandeln, wie er ihren Vater behandelt hatte, nicht abwehrend, sondern aufrichtig. »Ich bezweifle, dass Pennypol da hilft. Biddy ist nicht mehr von mir überzeugt, als sie von sich selbst überzeugt ist.«
»Dann musst du sie überzeugen«, sagte Vassie.
Quig machte ein ploppendes Geräusch mit den Lippen.
Einer der Hunde verstand das falsch, schmiegte sich an seine Knie, ließ die Zunge heraushängen und schaute ihn bettelnd an. Abwesend kraulte Quig ihm die Ohren.
»Aber ich bin so viel jünger als Biddy«, sagte er.
»Das ist doch Unsinn. Fünf Jahre …«
»Sechs, glaube ich.«
»Das ist nichts, überhaupt nichts.«
»Für sie bin ich noch immer ein Junge«, sagte Quig. »Ich bezweifle, dass sie mich je als Freier in Erwägung gezogen hat.«
Vassie kicherte leise. »Sie wird dich zur Kenntnis nehmen, Quig, sobald ich ihr erzähle, dass ich dir Pennypol überschrieben habe. Das wird genügen, um sie zum Nachdenken zu bringen – und der Rest liegt bei dir.«
»Darf ich das so verstehen«, sagte Quig, »dass du vermutet hast, ich sei in Biddy verliebt?«
»Ich könnte meinen, dass es am Frühling liegt, dass sich jeder in jemanden verliebt«, sagte Vassie Campbell, »aber du und ich wissen, dass es der Herbst ist, der die Lenden in Wallung bringt. Es kann ja wohl schlecht nur eine Laune der Natur sein, nicht wahr? Wie lange bist du schon in sie verliebt?«
»Etwa seit der Zeit, als Evander und ich hierherkamen, um deine kranken Rinder zu behandeln.«
»Damals war sie ein hübsches Mädchen …«
»Jetzt ist sie hübscher«, kam es Quig unwillkürlich über die Lippen.
Wieder dieses leise Lachen. »Du bist nicht der erste Mann, der dieser Meinung ist.«
»Ich kann nicht anders«, sagte Quig. »Vielleicht hätte ich Innis geheiratet, wenn sie nicht so vernarrt in Michael Tarrant gewesen wäre.« Er zögerte. »Wenn ich so darüber nachdenke, dann war ich in Innis nie auf die Art verliebt, wie ich in Biddy verliebt bin. Ich habe das aber für mich behalten, weil ich dachte, es sei nicht recht.«
»Für sie oder für dich?«
»Für sie.«
»Ha!«, rief Vassie mit einer Spur von Verärgerung aus. »Biddy hat nie gewusst, was gut für sie ist. Sie will Kinder, aber nicht allein Kinder. Sie will auch einen Mann, einen Mann, der es mit ihr aufnehmen kann. Aber davon gibt es in diesem Teil der Welt nur sehr wenige.«
»Ich würde sie noch immer auch ohne Fetternish nehmen, weißt du«, sagte Quig. »Wenn Donnie erst einmal versorgt ist und meine Mutter …« Er zuckte entschuldigend die Schultern. »Ich bin nur wegen Biddy hier. Wäre Biddy nicht gewesen, wäre ich mit den anderen aufs Festland gegangen und hätte mir dort Arbeit gesucht. Es gibt Zeiten, da wünsche ich mir, Biddy wäre die Tochter eines Kleinbauern und keine Gutsbesitzerin.«
»Dann sag ihr das.«
»Wie kann ich denn?«
»Wenn sie hört, dass ich dir Pennypol gegeben habe, wird sie beginnen, dir Aufmerksamkeit zu schenken«, versprach Vassie. »Und dann wirst du Gelegenheit dazu haben.«
Sie hatte sich auf einen Ellenbogen gestützt, und ihr Gesicht war seinem sehr nahe.
Sie ähnelte ihrem Vater nicht, aber in ihren Augen, in der schönen Form ihrer Gesichtszüge, entdeckte Quig die irische Schöne, von der sie abstammte, und ahnte etwas von einer Eleganz, die längst verschwunden war.
»Ich sehe, du bist entschlossen, Biddy zu verheiraten«, sagte er.
»Und ein Heim für uns alle zu schaffen«, sagte Vassie. »Hast du Einwände dagegen?«
»Du weißt, dass ich keine habe«, sagte Quig.
Unterhalb von ihnen tauchten Mairi Quigley und Tom Ewing auf, nicht Arm in Arm, noch nicht, aber sie spazierten so dicht nebeneinander, dass sie bereits Mann und Frau hätten sein können.
Vassie beugte sich näher, bis ihr Mund nur Zentimeter von Quigs Ohr entfernt war.
»Ich möchte dir noch einen Rat geben, der dir vielleicht hilft, Biddy vor den Altar zu bringen«, sagte Vassie.
»Was wäre das?«
Sie flüsterte fünf oder sechs Worte, die Quig veranlassten, über ihre Unverfrorenheit große Augen zu machen.
»Glaubst du wirklich, das wird klappen?«, fragte er.
»Das weiß ich sicher«, sagte Vassie.
Biddy war von der Großzügigkeit ihrer Mutter gegenüber Robert Quigley weniger überrascht gewesen, als Vassie vermutet hatte. Mit einem Heben der Augenbraue und ein oder zwei Fragen der Legalität der Vereinbarung hatte sie Vassies Entscheidung, Pennypol wegzugeben, akzeptiert.
Tatsächlich hatte Biddy seit Wochen gewusst, dass ihre Mutter irgendetwas ausheckte, da Vassie Donnie gebeten hatte, für sie mehrere Briefe zu schreiben und zum Postamt in Crove zu bringen. Da Donnie jedoch ein ehrenwerter junger Mann war, hatte er sich geweigert, Biddy zu erzählen, was in den Briefen stand, und hatte das Versprechen, nichts zu sagen, das er seiner Großmutter gegeben hatte, nicht einmal gegenüber Quig gebrochen.
Zuerst hatte Biddy gedacht, die Briefe könnten an Ronan gerichtet sein. Aber Vassie hatte bereits erklärt – mit sehr vielen Worten –, dass sie es vorziehe, ihren Mann »in Frieden ruhen zu lassen«. Sie hatte sogar angeboten, sich an den Kosten für seine Unterbringung in Redwing zu beteiligen, da sie im Laufe der Jahre durch harte Arbeit und Sparsamkeit eine beträchtliche Summe zurückgelegt hatte. Biddy und Innis wollten davon jedoch nichts wissen, und Vassie redete nicht mehr davon.
Biddy und Innis ließ die Überschreibung von Pennypol an Quig kalt, aber Michael Tarrant war außer sich. Er war von der Idee besessen gewesen, den Hof zu besitzen, und betrachtete Vassies Geste als Akt reiner Gehässigkeit. Er ließ seinen Ärger an Innis aus. Er raste und tobte, als sei es allein ihr Werk, dass ihm Pennypol weggenommen und stattdessen dem verschlagenen Balg eines Kesselflickers übergeben wurde.
Innis war viel zu vernünftig, als zu versuchen, ihren Mann dadurch zu beschwichtigen, dass sie ihm erklärte, dass Quig Teil der Familie war und im Laufe der Jahre mehr zu ihrem Wohle beigetragen hatte als Michael Tarrant.
Außerdem hatte sie von Michaels Launen genug. Sie war bitter enttäuscht darüber, dass er annahm, sie habe eine Affäre mit Gillies Brown, auch wenn das zur Hälfte zutraf. Sie hatte ihr Eheversprechen in einer Kirche abgegeben, die keinen Spielraum ließ, und sie hatte dieses Versprechen dreizehn Jahre lang buchstabengetreu gehalten. Sie hatte Michael ihre Liebe angeboten, und ihre Liebe war zurückgewiesen worden. Es schien, als wolle er nur eine Frau, die ihm gehorchte.
Sie hatte nicht mehr das Bedürfnis, sich von Pater Gunnion versichern zu lassen, dass sie ihrer Seele keinen Schaden zugefügt hatte, weil sie in Gillies verliebt war. In Gedanken mochte sie vielleicht gesündigt haben, jedoch nicht in Taten. Dank Michael hatte sie sich endlich mit ihren Gefühlen für den Schulmeister abgefunden und eine neue Quelle der Kraft in der Beziehung gefunden, die ein für alle Mal alles ins Lot brachte. So hatte Innis, als der März sich neigte und der April begann und die Sonne schien, nicht die leiseste Ahnung, dass in der kleinen Gemeinde dunkle Kräfte am Werk waren oder dass ihr Leben noch vor Ende des Monats für immer verändert sein würde.
Es war einer dieser windigen Apriltage. Es war nicht so warm, wie der Sonnenschein einen glauben machte, und die Bucht und der breite Atlantik dahinter waren voller schaumgekrönter Wellen.
Auf den Äckern von Fetternish wurde gepflügt und gesät. Die Lämmer waren jetzt groß genug, um allein über die Hügel zu springen und sich vor ihren Müttern zu verstecken, sodass die Weiden von ängstlichem Blöken erfüllt waren. Oben auf der Heide riefen die Brachvögel. Es war Frühling, unbestreitbar Frühling. Biddys Pächter hatten bezahlt. Biddys Felder wurden bestellt. Biddys Kälber wurden auf Pennypol so wie immer aufgezogen. Biddy selbst war von jahreszeitlich bedingten Regungen erfüllt, einer alarmierenden Unruhe, die sie dazu trieb, über das Anwesen zu schreiten, als beabsichtige sie, jede Rute und Achtelmeile persönlich auszumessen.
Zuweilen nahm sie die Hunde mit, aber Thor und Odin konnten jetzt kaum noch mit ihr Schritt halten, da sie genau wie Willy Naismith und Hector Thrale mit der Geschmeidigkeit und Energie ihrer Herrin nicht konkurrieren konnten. Manchmal traf sie Mr. McCallum, wenn er Fallen für Wiesel aufstellte, oder stieß auf eine Waldschnepfe, die bereits auf Eiern saß, oder auf ein gut verstecktes Waldhuhn, das im Heidekraut steckte. Manchmal, an Wochenenden, traf sie auch die Browns auf einem Spaziergang und lud sie zu Tee und Gebäck zu sich ins große Haus ein. Sie hütete sich allerdings davor, die Familie in An Fhearann Cáirdeil aufzusuchen, da sie diesen Teil des Gutes nicht mehr als ihren Besitz betrachtete.
Generell ging Biddy allein – jedoch nicht ganz so allein, wie sie zu sein glaubte. An den Abenden und an Samstagnachmittagen wurde sie oft von ihrem Neffen begleitet. Nicht von Donnie, sondern von Gavin. Er folgte ihr in gewisser Entfernung wie ein Elf oder ein Kobold, ließ sich aber nicht blicken, egal wie oft seine Tante stehen blieb und sich stirnrunzelnd umdrehte, da sie spürte, dass sie von jemandem oder etwas verfolgt wurde.
»Dort also bist du gewesen«, sagte Michael zu seinem Sohn. »Und was hat deine Tante Baverstock heute getan? Etwas Interessantes?«
»Sie ist um die Landzunge herumgegangen und dann zurück zu dem Haus.«
»Ist sie nicht nach Pennypol hinuntergegangen?«
»Sie hat vom Damm darauf hinuntergeschaut, ist aber dann zur Küste gelaufen.«
»Hat sie jemanden getroffen?«
»Niemanden. Mr. McCallum ist oben in der Heide.«
»Und wo ist Donnie?«
»Ich denke, er ist nach An Fhearann Cáirdeil gegangen.«
»Hast du ihn dorthin gehen sehen?«
»Nein. Ich bin Tante Baverstock gefolgt, genau wie du es mir aufgetragen hast.«
»Gut. Guter Junge«, sagte Michael.
Vier Tage später, am frühen Nachmittag, lockte er sie am Zugang der Solitudes unter dem Vorsprung von Olaf’s Ridge in die Falle.
Er hatte ein Mutterschaf und ein Lamm in das dichte Unterholz getrieben, um eine plausible Ausrede zu haben, warum er dort war, und hatte den Hund an einen Baum gebunden, um ihn daran zu hindern, ihn zu verraten. Dann hatte er sich in den welken Farn gehockt und wartete. Wartete von heftigem Ärger erfüllt darauf, dass Biddy auftauchte.
Innis war mit Becky nach Crove gegangen, um Lebensmittel einzukaufen. Später würde sie mit Brown und den Kindern im Wagen zurückfahren. Barrett war zu den Ställen an der Straße nach Sorn gegangen, um ein wenig Zusatzfutter für die Handvoll Schafe zu kaufen, die nicht richtig gedeihen wollten. Quigs Verein würde auf Pennypol sein. Quig hatte keinen Grund, an der felsigen Küste umherzustreifen oder in die Schlucht zu gehen. Michael war allein und wartete auf Biddy.
Er kauerte unter einem Schlehdorngebüsch. Das Mutterschaf fraß in der Nähe, das Lamm neben sich. Der Hund lag zusammengerollt, ein Auge geöffnet, an der verkrüppelten Erle. Michael konnte nichts hören außer dem Schlagen der Wellen gegen die Felsen und dem Wind, der durch den Eingang der Schlucht fegte, und, wenn er angestrengt lauschte, dem Plätschern des Baches, der sich aus dem Eisenrohr hinter der Brücke ergoss – Geräusche, die so vertraut waren, dass er sie fast nie bemerkte.
Er war sicher, dass sie kommen würde.
Er wollte, dass sie kam. Er wusste, was er sagen würde, wenn sie kam, wusste, was er mit ihr machen würde. Er wusste das, weil sie sich wegen Innis und Donnie nicht zur Wehr setzen würde, jedenfalls nicht lange. Es würde keinerlei Auswirkungen haben.
Er sah, dass der Hund die Augen öffnete, dass seine Ohren zuckten, dass er den Kopf ein wenig hob.
»Psst, Roy«, murmelte er. »Still jetzt.«
Er verlagerte sein Gewicht nach vorn und schaute durch die Spalte zur Küste.
Sie stand auf den Lavafelsen, die zur See hin abfielen.
Sie hatte ihren Hut abgenommen. Ihr Haar leuchtete im Sonnenlicht wie Feuer. Sie trug Stiefel aus feinem Leder mit flachen Absätzen. Sie knöpfte ihre Reitjacke auf. Er konnte die hellgelbe Bluse darunter sehen, die Form ihrer Schenkel in dem langen Rock, die sie gespreizt hatte, um ihr Gleichgewicht zu halten. Hinter ihr brachen sich die Wellen, stiegen in milchig-weißem Schaum auf. Sie hatte seine Anwesenheit gespürt, seine Willenskraft, so sicher, als hätte er laut ihren Namen gerufen.
Stirnrunzelnd kam sie auf ihn zu.
»Still, Roy«, sagte er in diesem monotonen Lowland-Tonfall, der keine Spur von Ärger oder Begehren verriet. »Ruhig, Junge.«
Und dann richtete er sich träge und angeberisch auf.
Auf Innis’ Rat hatte Biddy den größten Teil des Monats jeden Kontakt mit ihrem Schwager vermieden. Notwendige Kommunikation war durch Thrale erfolgt. Sie wusste, dass das Lammen erfolgreich gewesen war. Sie erwartete nicht weniger von ihren Schäfern. Sie war jedoch nicht zu den Weiden um Pennymain gegangen, um die Herde zu inspizieren, aus Furcht, Michael zu begegnen.
Sie war sich nur zu gut bewusst, was Michael wirklich von ihr wollte und dass der Besitz von Pennypol ein Ersatz für Besitz anderer Art war, eine Maske für weniger offensichtliche Wünsche. Sie war sich der Tatsache bewusst, dass ihre Abneigung gegen den wortkargen Lowlander aus dem Wunsch rührte, die Ordnung der Dinge umzukehren und Michael Tarrant in ihr Bett zu beordern, ihn so zu verführen, wie er sie vor langer Zeit verführt hatte. Es waren keine Skrupel, die sie daran hinderten, sondern nur der gesunde Menschenverstand. Er hatte ihre Schwester geheiratet und die Kinder ihrer Schwester gezeugt, und sie konnte wahrhaftig nicht von ihm verlangen, was zu geben er kein Recht hatte.
Sie ging vorsichtig über die Felsen zu dem Schafspfad, der dem Bachbett in der Schlucht folgte.
Einmal war ihr der Gedanke gekommen, dass es vielleicht Michael sei, der ihr folgte, und die Vorstellung, von einem Mann verfolgt zu werden, der ihr erster Liebhaber gewesen war, hatte ein sonderbares, unheimliches Déjà-vu-Gefühl bei ihr ausgelöst, ein Zurückgleiten in die Zeit, als sie beide jung und wild gewesen waren. Sie hatte seitdem viele Männer gehabt, zu viele. Sie hatte sich so hart an der Grenze des Erlaubten bewegt, dass sie sich manchmal danach sehnte, von allem erlöst zu sein, befreit, gereinigt von den nagenden kleinen Quälgeistern ihrer Sexualität und wie Innis selbst Kinder zu haben und einen Mann, der nichts zu tun wünschte, worauf er kein Recht hatte.
Er trug ein kariertes Hemd. Seine Ärmel waren an den Unterarmen aufgekrempelt. Seine abgewetzte Lederweste war offen. Seine Kordbreeches wurde von einem breiten Ledergürtel gehalten. Er war schlank und hart wie Treibholz, so hager, dass selbst seine Gesichtsmuskeln unnatürlich gespannt wirkten, so, als sei die Haut entfernt, um nur Sehnen und Knochen zu zeigen.
»Was tust du hier, Michael?«
»Ich bin dem Schaf gefolgt, einem verirrten.«
»Warum ist der Hund angebunden?«
»Damit er nicht im Wege ist.«
»Hast du nicht auf mich gewartet?«, sagte Biddy.
»Ich wäre ein schöner Narr, wenn ich auf dich warten würde.«
»Ich komme oft diesen Weg.«
»Ach, ja?«, sagte er.
»Ich denke, das weißt du«, sagte Biddy. »Ich denke, dass du deshalb hier bist.«
»Warum sollte ich hier auf dich warten, wenn ich dich im Hause sehen kann?«
»Damit wir allein sind«, sagte Biddy. »Um … um ungestört zu reden.«
Sie ging näher, wagte nicht, ihm die Mischung von Furcht und Neugier zu zeigen, die in ihr schäumte. Sie könnte ihn anfahren, ihn verspotten, ihm befehlen, sich zu entfernen. Sie könnte ihn für die Lämmer loben, nach Innis fragen, sich nach Gavin und ihren Nichten erkunden. Doch nichts davon würde ihn befriedigen.
»Biddy, du bist ein Miststück«, sagte er.
»Ach, ja?«
»Du weißt, dass ich Pennypol wollte. Du hättest es für mich behalten sollen.«
»Es gehörte mir nicht.«
»Du hättest sie daran hindern können, es Quig zu geben.«
»Ich wusste nicht einmal, dass sie es Quig geben wollte«, sagte Biddy. »Aber sag mir, warum willst du Pennypol überhaupt haben? Es ist viel zu klein, um damit lebensfähig zu sein. Nicht einmal du hättest daraus etwas machen können.«
»Vielleicht ist das so«, sagte Michael, »aber ich hätte es jedenfalls probiert, das sage ich dir. Und ich wäre zumindest von dir frei gewesen.«
»Bist du deshalb immer so wütend?«, sagte Biddy. »Weil ich all die Dinge habe, die du nie haben wirst? Weil mir Fetternish in den Schoß gefallen ist und du denkst, ich hätte das nicht verdient?«
»Miststück!«, sagte er wieder. »Wer wird der Nächste sein? Wird es Quigley sein? Wird er dein nächster Playboy sein?«
»Vielleicht«, sagte Biddy. »Vielleicht wird es auch ein anderer sein.«
»Hoffst du noch immer jemanden zu finden, der es mit mir aufnehmen kann?«, sagte er. »Ich kann dir sagen, du wirst nicht mal jemanden finden, der nur halb so gut ist. Siehst du, ich weiß, was du bist, Biddy. Ich habe es bei unserer ersten Begegnung sofort gewusst.« Er streckte eine Hand aus und presste sie auf ihre Brust. »Ich werde immer als Erinnerung für das da sein, was du abgelehnt hast, an das, was du hättest haben können, wenn du nicht so verdammt stur gewesen wärst.«
Biddy schüttelte den Kopf. »Ich brauche mehr, als du mir geben kannst, Michael, sehr viel mehr.«
»Was? Mehr als das?«
Sie war zu stark, um in seine Arme zu fallen, aber sie wehrte sich nicht, als er ihr eine Hand flach auf den Rücken legte und sie an sich zog. Er drehte seine Hüften und presste sich gegen sie. Selbst durch den dicken Tweed konnte sie spüren, wie groß sein Bedürfnis nach ihr war.
Sie schloss die Augen, versuchte Ekel herbeizubeschwören. Dann, als das misslang und er sie zu streicheln begann, versuchte sie ein Bild ihrer Schwester vor Augen zu bekommen, sich Innis’ Schmerz vorzustellen, sollte sie das je erfahren. Einen Augenblick schwankte sie unentschlossen, geschwächt durch ihre Autokratie. Dann ließ sie sich gegen ihn sinken und drückte ihren Bauch gegen ihn, als ob sie dort Schutz finden könne. Als ob dieser Mann, den sie nicht einmal mochte und dem sie ganz gewiss nicht vertraute, für sie tun könnte, was alle anderen nicht geschafft hatten, die naive Unkenntnis aus ihrer Mädchenzeit wiederherstellen könnte, in der der einzige Mann, den sie je gekannt hatte, ihr Vater gewesen war, ihre düstere, charmante, heimtückische Bestie von Vater, dessen Einfluss sie nicht abschütteln konnte.
Michael sagte nichts. Er öffnete die kleinen Knöpfe ihrer Bluse, zerrte an der Seide, öffnete ihr Mieder und hob ihr Unterhemd.
Sie spürte kalte Aprilluft an ihren Brüsten. Ihre Brustwarzen wurden hart, noch bevor sein Mund sie berührte. Es war alles zugleich, keine berechnete Freude. Er saugte an ihren Brüsten, streifte mit den Zähnen ihr Fleisch, und seine Lippen und seine Zunge waren trocken. Er zerrte an ihrem Rock und den störenden Schichten ihrer Unterkleidung.
»Warte«, sagte sie. »Warte, Michael.«
Er zog ihre Hand nach unten, presste sich gegen ihre Handfläche. Sie konnte seine Nacktheit spüren und schloss ihre Hand um ihn.
»Warte, verdammt«, sagte sie.
»Du willst es? Du willst, dass ich es wieder tue, ja?«
»Ja.«
Sie löste ihre Finger widerwillig von ihm, schaute ihn an, wie er erigiert und stolz dastand, bückte sich und beugte sich, während sie an den Knöpfen und dem kleinen Gürtel herumfummelte und sich von ihrem Rock befreite.
Sie legte sich in das üppige Gras neben dem Pfad.
Sie trug noch immer die Tweedjacke, die über der Brust geöffnet war, trug noch Stiefel, Strümpfe, die bis zu den Schenkeln reichten, eine lose, seidene Anhäufung von Unterkleidung, unter der sie seine Hand spürte, die forschte und suchte.
Sie streckte ihre Arme aus und zog ihn an sich, presste seine Wange an ihr Kinn. Seine trockenen Lippen öffneten sich, nicht zum Küssen, sondern zum Saugen – während sie, weit weg, wie es schien, weit unten, einen plötzlichen Stich des Eindringens spürte und binnen Sekunden entsetzt merkte, dass er bereits ejakulierte, dass die heiße, stechende Flüssigkeit in ihr Michael Tarrants Samen war.
Unschuldige Küsse waren keineswegs das ausschließliche Recht von Menschen mittleren Alters oder der praktisch altersschwachen, als die Donnie sie sah. Natürlich wusste er nicht, was zwischen seinem Lehrer und seiner Tante Innis stattfand. Er war viel zu sehr mit dem beschäftigt, was in seinem eigenen Leben geschah, um den Angelegenheiten der Älteren viel Aufmerksamkeit zu schenken. Er mochte ein recht anständig erzogener junger Mann sein, aber er unterschied sich in nichts von seinen Gefährten, wenn es darum ging, sich mit Angelegenheiten des Herzens herumzuschlagen, und er war durch die Gefühle, die ihn durchfahren hatten, als Tricia Brown ihre Lippen auf seine gepresst hatte, gründlich durcheinandergebracht worden.
Es waren jedoch nicht so sehr diese Gefühle, die den Primus beschäftigten, sondern das allgemeine Feuer, das ihn erfüllte, wenn Tricia und er zusammen waren. Und alles, was er tun musste, um jeden anderen Gedanken aus seinem Kopf zu verdrängen, war, ein Bild von Miss Patricia Brown zu beschwören und sich mit ihr Hand in Hand ins Traumland zu begeben.
Dieses Hand-in-Hand-Gehen war keine Fantasie mehr. Tricia und er fassten sich bei jeder möglichen Gelegenheit an, eine Praxis, die jeden intellektuellen Prozess lähmte und die Notwendigkeit von Konversation völlig beseitigte. So war es schon vor Ostern gewesen, tatsächlich seit Weihnachten. Donnie konnte sich nicht erinnern, wann er nicht an Tricia Brown gedacht hatte oder, genauer, an ein Mädchen wie Tricia Brown, und sogar er neigte dazu, sich zu fragen, ob sie wirklich war oder ob er sie so erfunden hatte, wie seine dumme, herumplappernde kleine Mammy Feen erfunden hatte.
Tricia Brown war so anders als seine Mutter, wie es überhaupt möglich war. Sie war ein großes, schlankes, intelligentes Mädchen. Eine Pragmatikerin, die in ihrem Herzen noch immer Platz für Poesie hatte. Sie war ihm wirklich sehr ähnlich. Sie war entschlossen, ihm nach Edinburgh zu folgen, wo er sechs Quartale lang ein Paukstudio besuchen würde, um Latein und Griechisch zu lernen, bevor im Oktober kommenden Jahres sein Studium von Geschichte und Jura an der Universität begann.
Allein die Aussicht, dass Tricia bald ein Studium beginnen würde, hielt Melancholie aus ihrer Beziehung und tröstete darüber hinweg, dass sie bald eine Weile voneinander getrennt sein würden. Donnie war intelligent, aber nicht so intelligent. Nicht zu intelligent, um den romantischen Unfug zu ignorieren, der in Tante Biddys brandneuer Bibliothek herumgeisterte. In deren Regalen befanden sich mysteriöserweise nun auch etliche einschlägige Romane, die er wie seine Tanten unkritisch verschlang.
Im Herzen war er zufrieden. Er dachte nicht viel über seine Vergangenheit nach oder machte sich Gedanken über seine Herkunft. Er wusste, wer seine Mutter war, wer sein Vater gewesen sein sollte, und fand wie Quig, dass es wirklich keine schlechte Sache war, einen Schurken im Stammbaum zu haben. Er neigte allerdings dazu, sich in irgendeiner Verbindung mit seinem verstorbenen Onkel Donnie zu sehen, der bei einem Sturm vor Caliach Point ertrunken war, während er mutig versucht hatte, seinen Vater und Bruder zu retten. Ein tragisches Ereignis, das, wie der junge Donnie glauben wollte, seine Mammy um den Verstand und Großvater Campbell zum Trinken gebracht hatte. Nichts von dem, was seine Tanten sagten, zumindest nicht in seiner Gegenwart, trug viel dazu bei, ihn zu desillusionieren, und in den Wochen, bevor das Händchenhalten die Oberhand über die Konversation gewann, erzählte Donnie die Geschichte seines mutigen Namensvetters so bewegt wieder und wieder, als ob es eine Legende sei.
Das Einzige, worüber Tricia und er jedoch jetzt redeten, war ihre gemeinsame Zukunft, eine Zukunft, die so rosig und wohl geplant war, dass sie fast schon eingetreten zu sein schien. Als Mr. Brown in der Klasse sein Loblied sang, nickte Donnie deshalb geduldig, weil ihm war, als habe er all das schon einmal gehört.
»Es geschieht nicht allzu vielen jungen Männern, vom Senat der Universität Edinburgh vorläufig angenommen zu werden«, sagte Mr. Brown, »aber es ist eine Leistung, die jedes Kind im Reiche schaffen kann. Donald, ich bin glücklich, das zu sagen, wird seinen Platz in den Hallen des Lernens im nächsten Jahr einnehmen, unter der Voraussetzung, dass er eine gewisse Kenntnis in klassischen Sprachen erlangt hat. MacLean, was meine ich mit ›klassische Sprachen‹?«
»Griechen und Römer.«
»Sprachen, Sprachen, MacLean.«
Eine Hand schoss hoch. Ein Mädchen, Elspeth Bowie, elf Jahre alt. »Latein, Mr. Brown. Er meint die lateinische Sprache.«
»Ja, das ist richtig, Elspeth.« Mr. Brown lächelte. Elspeth Bowie war ein armes, kleines Ding. Ihr Vater war Straßenbauarbeiter mit einer Familie, die für sein Einkommen zu groß war. »Möchtest du Latein studieren, wenn du älter bist, Elspeth?«
»Nur wenn Donnie mir Unterricht gibt«, sagte das Mädchen, aber mit einer Unschuld, die vom Rest der Klasse nicht geteilt wurde, sondern die wissend brüllte, bis Gillies mit seinem hölzernen Zeigestock auf seinen Schreibtisch schlug, um Ruhe zu befehlen.
»Donald wird uns verlassen …«, fuhr er fort.
»Aaaaach!«
»… schon nächsten Monat, um sich in Edinburgh aufzuhalten und auf den Besuch der Universität vorzubereiten.«
»Ooooh!«
Eine andere Hand schoss hoch. MacLeans bester Freund, McClure.
»Ja, Archie?«, sagte Mr. Brown geduldig.
»Bekommt Donnie von einem Mann aus Rom beigebracht, wie man Latein spricht?«
Gillies Brown hüstelte und drehte den Kopf höflich beiseite. Er wusste nicht, wie er darauf antworten sollte, aber Jahre des Unterrichtens hatten ihn gelehrt, tölpelhaften Fragen auszuweichen.
»Einen Mann aus Rom«, sagte Mr. Brown, »nennt man – wie?«
»Brutus.«
»Julias Käse.«
»Markus.«
»Lukas.«
»Zweite Korinther.«
Wieder ein Schlag mit dem Zeigestock. »Elspeth, ist das deine Hand, die ich wieder in der Luft sehe?«
»Ja, Mr. Brown.«
»Weißt du die richtige Antwort?«
»Einen Italiener, Mr. Brown.«
»Gut gemacht, gut gemacht«, sagte er. »Donald?«
Er war wieder fort, weit weg, Hand in Hand mit Tricia, die, keinen Meter hinter ihm sitzend, den Schwung seines sonnengebräunten Nackens bewunderte und darüber nachdachte, was für ein Gefühl es wohl sein mochte, die feinen, blonden Haare zu berühren.
»Donald!«
Blinzeln, sehr viel Blinzeln. »Mr. Brown? Ja? Ja, Mr. Brown?«
»Hierher.«
Donnie erhob sich und ging an den Jüngeren vorbei. Er war verwirrt, aber nicht ängstlich. Tricias Vater holte ein Stück weiße Kreide aus dem Holzkasten auf dem Schreibtisch und hielt es ihm hin.
»An die Tafel, bitte. Eine Karte von Italien, bitte.«
Donald nahm die Kreide. Er hatte ein Bild von Italien in seinem Kopf, absolut sicher, aber das Bild war vorübergehend durch die Tatsache verhüllt, dass der italienische Stiefel irgendwie mit dem Bein von Tricia Brown verbunden war, und er es, so sehr er sich auch bemühte, nicht schaffte, das auf die Tafel zu zeichnen.
Er sah Mr. Brown an, dann Tricia, die ihn anlächelte und eine Augenbraue hob, als ahne sie, welch unanständiger Gedanke ihm durch den Kopf gegangen war.
»Kannst du es nicht?«, fragte Mr. Brown.
»Doch«, sagte Donald. »Doch, ich kann das.«
»Schön, worauf wartest du dann noch?«
»Möchten Sie, dass ich mit den Alpengrenzen beginne, Sir, oder mit dem Fuß von Sizilien?«
»Egal – fang einfach an.«
Donnie setzte die Kreide auf die Tafel, spreizte seine Beine und begann die kalabrische Halbinsel zu zeichnen. Der Küstenlinie folgend, zeichnete er zunächst Neapel ein und dann Rom, während die Klasse ihren Helden mit gewaltiger Bewunderung anstarrte.
Die ganze Klasse, bis auf einen.
In genau diesem Augenblick erreichte Gavins Neid auf seinen älteren Cousin seine volle Reife, und der Hass nahm Gestalt an und gab ihm die endgültige Form.
Ihm war klar, dass er Donnie töten musste.
Bald.
Sie streckte sich in ganzer Länge im Bad aus. Das Wasser reichte ihr bis zur Nase. Ihre Brüste brannten, und ihre Lenden schmerzten von ihrem heftigen Schrubben, aber sie konnte es nicht ertragen, jetzt auf ihren Körper unter der seifigen, braunen Oberfläche zu schauen, und lag verdrossen und reglos wie ein Salamander da und atmete kaum.
Sie hatte keine Freude an diesem Liebemachen gehabt, keine Erleichterung gefunden. Vergangene Unschuld und vergangene Leidenschaft waren nicht wieder hergestellt worden. Michael war entschlossen gewesen, sie auf die einzige Art zu bestrafen, die er kannte. Sie hatte ihm nachgegeben, nicht aus Bedürfnis, sondern in der irrigen Annahme, sie könne ebenso egoistisch sein wie er. Und hatte auf ihre Kosten festgestellt, dass sie es nicht konnte. Sie mochte zwar die Herrin eines schönen Hochlandgutes sein, aber sie konnte die Skrupellosigkeit, die ihre Geschlechter voneinander trennte, nicht ausgleichen.
Sie schämte sich, war tief, tief beschämt.
Sie hatte ihre Schwester betrogen, hatte sich selbst betrogen. Sie hatte ihre Stellung herabgesetzt, hatte sich einfach nur einmal zu oft erniedrigt. Für diese letzte egoistische Torheit würde sie sicherlich zahlen müssen, nicht mit barem Geld, nicht mit Gefälligkeiten, sondern mit Leiden. Wenn sie ein Kind von Michael Tarrant hatte, wie sollte sie ihrer Mutter, wie Innis erklären, wie es dazu gekommen war? Wenn Michael Tarrant sie geschwängert hatte, würde diese ganze erdrückende, abscheuliche Sache wieder beginnen, die Geheimnisse, Täuschungen und Lügen, die das Vermächtnis von Pennypol waren. Sie würde vielleicht verrückt wie ihre Schwester oder so gepeinigt werden, dass sie wie ihr Vater eingesperrt werden musste.
Sie hatte alles riskiert, um zu beweisen, dass sie einem Mann überlegen war, dem an ihr überhaupt nie etwas gelegen hatte.
Und es war nicht vorbei, noch nicht.
Wenn sie Michael Tarrants Kind trug, würde er sie nicht vergessen lassen, was er getan hatte oder was sie ihm schuldig war. Er würde sie in einen Morast von Neid und Unzufriedenheit hinunterziehen, von vergeblichen, unerfüllbaren Wünschen, die ihr Leben und das ihres Kindes für immer besudeln würden. Sie würde nie von ihm oder seiner Beschränktheit freikommen, und das eine, das sie sich mehr als alles andere gewünscht hatte – ein eigenes Kind –, würde ein Fluch und eine Last werden, bevor es überhaupt geboren war.
Außer …
Sie richtete sich plötzlich auf.
Sie war glitschig von der Seife, so glatt und glänzend wie ein Seehund, und ihr Haar fiel wie ein Mantel über ihre Schultern.
Außer …
Sie stieg aus dem Wasser, wickelte ein Badetuch um, riss die Tür auf, stapfte rasch über den Korridor und klopfte an die Tür zum Zimmer ihrer Mutter.
»Wer ist da?«
»Ich.«
»Komm herein.«
Es war jetzt dunkel draußen, fast jedenfalls, weil Wolken durch den Wind herangeweht worden waren und große Regentropfen an der Fensterscheibe klebten, von denen jeder senfkorngleich eine Reflexion des Feuers enthielt.
Vassie saß in einem Sessel neben dem Kamin. Sie trug den neuen Sommerschal, den Biddy ihr geschenkt hatte, und den neuen Kneifer, den Dr. Kirkhope ihr verschrieben hatte, um ihr Sehvermögen zu verbessern, und sah – zu Biddys Überraschung – recht mollig und gütig aus. Tatsächlich fast mütterlich.
»Biddy, du tropfst Wasser auf meinen Teppich.«
»Ich weiß. Tut mir leid.«
»Wenn du dir nicht etwas anziehst, wirst du dir den Tod holen.«
»Sofort, Mam, sofort.« Das Handtuch haltend, kniete sie sich neben ihre Mutter. »Ich möchte dich etwas fragen.«
»Etwas, das nicht warten kann, bis du anständig angezogen bist?«
»Ich bin anständig genug«, sagte Biddy. »Pass auf, was würdest du sagen, wenn ich dir erzählte, dass ich mich entschlossen habe, wieder zu heiraten?«
»Meine Meinung würde davon abhängen, wen du dir als Bräutigam ausgesucht hast.«
»Ich dachte an Robert Quigley«, sagte Biddy.
»Das ist wirklich eine gute Idee«, sagte Vassie und gab zu Biddys Ärger ein scharfes, kurzes, bellendes Gelächter von sich, das weniger freudig als triumphierend klang.
Quig dachte über die Flüssigkeit nach, die Biddy aus der großen, grünen Flasche in dem silbernen Eiseimer eingeschenkt hatte. Sie hatte Willy fortgeschickt, kaum dass er Eimer, Flasche und Gläser in den Salon gebracht hatte. Sie hatte eine Serviette um die Flasche gewickelt und den Korken selbst gezogen. Der Korken flog nicht wie eine Kugel aus einem Gewehr, und es gab auch keinen Knall, sondern nur ein schwaches Zischen.
Falls Quig enttäuscht war, ließ er sich das nicht anmerken. Er schaute zu, wie Biddy sich auf das Sofa mit der vergoldeten Rückenlehne setzte und ihren Rock zurechtrückte.
Der Rock hatte ein Keilstück, das bis zur Taille reichte. Die Ärmel ihrer Bluse sahen wie riesige Hammelkeulen aus, und lose Spitze fiel wie die Kaskade eines ornamentalen Springbrunnens über ihre Brust. Sie trug einen Hut, ein Ding aus Musselin mit Tupfen und einer kecken, kleinen Schleife, die Quig an eine Schwalbe im Nest erinnerte, nur dass sie rosa war. Ihr Haar hatte sie hochgesteckt. Ihm gefiel dieser Stil. Er betonte den natürlichen Schwung ihres Halses, und er zog natürliche Dinge vor.
Sie beobachtete ihn aufmerksam und nippte an dem Glas, das sie in der Hand hielt.
Quig schnupperte an den Bläschen und nippte ebenfalls. Natürlich wusste er, was für ein Zeug das war, wusste aber auch, was von ihm erwartet wurde. »Ist das zufällig Champagner?«
»Das ist es.«
»Feiern wir etwas?«
»Noch nicht.«
»Erzähl mir nicht, dass du jeden Nachmittag Champagner trinkst.«
Biddy runzelte ein wenig die Stirn. »Gewöhnlich ist es Sherry. Würdest du Sherry bevorzugen?«
»Nein, das ist mir recht«, sagte Quig. Er trank das Zeug, kippte es nicht wie Bier herunter, sondern nippte gleichmäßig, bis der flache Kelch leer war.
»Noch ein bisschen mehr?«, sagte Biddy.
»Warum nicht?«, sagte Quig.
»Bediene dich.«
Er ging zu dem Eiseimer, nahm die Flasche heraus, ging damit zu ihr, schenkte ein und stellte die Flasche wieder zurück.
Biddy sagte: »Du wunderst dich vielleicht, warum ich dich heute hierher eingeladen habe.«
»Ja«, sagte Quig, »ich bin ein bisschen neugierig.«
Ein Instinkt hatte ihm gesagt, dass Biddy Baverstock mehr im Sinn hatte, als mit ihm über die Messe in Salen oder den Viehmarkt in Oban zu plaudern. Seine Mutter hatte ihn gedrängt, sich fein zu machen, sich zu rasieren, sein Haar zu stutzen und seinen zweitbesten Anzug, allerdings ohne Weste, anzuziehen, damit er sich nicht zu fehl am Platze fühlte. Tatsächlich fühlte er sich überhaupt nicht fehl am Platze, da Vassie Campbell draußen in der Halle lauerte.
Er hielt sich genau an das, was Vassie ihm erzählt hatte.
Zum ersten Mal schien Biddy sprachlos zu sein. Ihre Wangen glühten wie gekochte Rote Bete. Sie setzte ihr Glas auf einem Beistelltisch ab und klopfte auf das Sofa.
»Willst du dich nicht setzen, Quig?«
»Ich denke«, sagte Quig, »ich ziehe es vor, zu stehen.«
»Warum?«
»Um meine Beine zu strecken.«
»Werden deine Beine nicht den ganzen Tag genug gestreckt?«, sagte sie gereizt.
»Biddy«, sagte er, »komm, Himmel noch mal, zur Sache.«
Sie errötete, fummelte herum, strich ihren Rock glatt und richtete den Neigungswinkel der nistenden Schwalbe. Die Röte breitete sich jetzt bis zu ihrer Kehle aus und färbte wahrscheinlich, wie Quig dachte, sogar die Haut unter den fallenden Spitzen.
Er räusperte sich. »Tut mir leid. Ich wollte nicht unhöflich sein.«
Sie fasste sich und gewann ihre Beherrschung zurück.
»Quig, was hältst du von mir? Ich meine, was hältst du wirklich von mir?«
Er war versucht, herauszuplatzen: Biddy, ich finde dich wundervoll. Er war jedoch von dem großen Evander McIver erzogen worden und hatte gelernt, wie man mit einer schwierigen Frau umzugehen hatte. Er würde sich seine Chancen nicht durch eine impulsive Handlungsweise verderben.
»Ich finde, du bist sehr fair«, sagte er.
»Fair? Was meinst du mit ›fair‹?«
»Nun ja, ehrlich und genau bei deinen Geschäften.«
»Das klingt ja, als sei ich ein Viehhändler«, beschwerte sich Biddy.
Quig schien ein wenig unvorsichtiger zu sein. »Ich mag dich, Biddy.«
»Findest du mich nicht attraktiv?«
»Ich habe die Frauen der Familie Campbell immer für attraktiver als die meisten anderen Frauen gehalten.«
»Verflucht, Quigley«, sagte Biddy.
»Und du bist zum Beispiel attraktiver als deine Schwester Aileen.«
»Verflucht.«
»Ich denke«, sagte Quig, »es ist mir irgendwie gelungen, dich zu beleidigen.«
»Natürlich ist es dir gelungen, mich zu beleidigen.«
»Wegen dem, was ich da über Aileen gesagt habe?«
»Ich hatte geglaubt, dass gerade du mir eine klare Antwort geben würdest.«
Er stellte das Glas auf dem Kaminsims ab und ging durch den Salon zum Sofa. Er spreizte Zeigefinger und Daumen, führte sie an ihr Kinn, hob ihr Gesicht und küsste sie auf die Lippen. Dann ließ er sie los, kehrte zum Kamin zurück und nahm sein Glas wieder.
»Ist das für dich klar genug?«, fragte er.
Sie saß einen Moment kerzengerade da, lehnte sich dann zurück und legte ihre Arme auf die Rückenlehne des Sofas. Sie sah zugleich fassungslos und selbstgefällig aus. »Tja-ha …« Sie stockte. »Nun ja, warum hast du mir das nicht gesagt?«
»Dir was gesagt?«
»Was du fühlst.«
»Sagen wir, ich bin kaum zu Wort gekommen.«
»Willst du damit andeuten, ich würde zu viel reden?«
»Nicht mit mir. Mit anderen Männern«, sagte Quig.
»Ah, ich verstehe«, sagte Biddy.
»Das bezweifle ich«, sagte Quig.
»Hat es dich selbstsicherer gemacht, dass du jetzt selbst Land besitzt?«
»Biddy, Biddy, Biddy«, sagte Quig. »Du verstehst überhaupt nichts.«
»Ich verstehe nur, dass du gerne mit mir schlafen würdest.«
»Mitten am Nachmittag, wo das Haus voller Dienstboten ist, die herumlaufen, und deine Mutter in der Halle sitzt und Donnie jeden Augenblick aus der Schule zurückkommen wird?«
»Donnie wird zu den Browns gegangen sein, um bei seiner Liebsten zu sein.«
»Dennoch«, sagte Quig. »Nein.«
»Bleib zum Abendessen. Dann, wenn alle anderen schlafen gegangen sind …«
»Nein.«
»Morgen?«
»Biddy, nein.«
»Ich dachte, du willst mit mir schlafen?«
»Das will ich«, sagte Quig. »Aber bevor ich das tue, möchte ich mit dir verheiratet sein.«
»Über Ehe können wir sprechen, nachdem wir …«
Er stellte sein Glas wieder ab, ging zu ihr und beugte sich über sie.
»Wir sind nicht wie Rinder oder Schafe, Biddy«, erklärte er ihr. »Wir paaren uns nicht wahllos. Ich liebe dich, und ich wäre liebend gern dein Ehemann. Aber ich bin Manns genug, zuerst eine Bindung zu erwarten. Und die muss eine Ehe sein. Auf weniger lasse ich mich nicht ein.«
Sie blinzelte ihn an und nickte ernst.
»Wer hat dich darauf gebracht?«, fragte sie. »Deine Mutter?«
»Nein«, antwortete Quig. »Deine Mutter.«
»Ich hätte es wissen müssen«, sagte Biddy mit einem Seufzen.
Das war alles an Heiratsantrag, was sie je bekommen würde. In diesem Augenblick wurde die Tür des Salons aufgerissen, und Willy Naismith stand keuchend da.
»Es tut mir leid, Sie stören zu müssen, Ma’am«, sagte er, »aber es gibt da draußen eine dringende Angelegenheit, und ich denke, dass Sie sich darum kümmern müssen.«
»Dringende Angelegenheit?«
»McCallum ist an der Tür«, sagte Willy. »Jemand hat sein Gewehr gestohlen.«
»Was erwartet er denn von mir, das ich …«
»Er vermutet, dass Ihr Neffe Gavin es genommen hat.«
»Was es geladen?«, fragte Quig.
»Ja.«
»Ich komme sofort«, sagte Biddy.
Das Gewehr hatte aufrecht an dem Zaun neben Tasche und Jacke des Wildhüters gestanden. Gavin hatte es von dem niedrigen Kamm aus entdeckt, der von der Weide zur Heide abfiel. Es war allerdings nicht sehr leicht gewesen, so nahe heranzukommen, da Mr. McCallum Augen wie ein Falke hatte. Glücklicherweise hatte Mr. McCallum Fallen in den hohen Grasbüscheln aufgestellt, die beim Zaun wuchsen, und nicht allzu gut aufgepasst. Gavin war auf dem Bauch durch das Gras gekrochen.
Tante Baverstock hatte den Zaun in Auftrag gegeben. Sein Dad war seitdem drei oder vier Wochen lang dorthin gegangen, um zu sehen, ob er ordentlich aufgestellt worden war. Die Arbeit war von Männern vom Festland verrichtet worden, die die Pfosten und den Draht mitgebracht hatten. Der Draht hinderte allerdings die Wiesel nicht daran, an die Moorhühner zu kommen. Mr. McCallum hatte ihm erzählt, dass nichts dieses Raubzeug aufhalten würde, wenn es erst einmal Hunger habe.
Er hatte in einem ausgetrockneten Graben gelegen, so nahe, dass er Mr. McCallum zu sich selbst murmeln hören konnte. Als er seinen Kopf gehoben hatte, hatte er den Wildhüter auf dem Boden knien sehen. Er zerschnitt eine Maus mit seinem Taschenmesser. Das Gewehr lehnte nur zweieinhalb oder drei Meter entfernt an dem Zaun. Es war die Schrotflinte, nicht der Zwilling. Der Verschluss war nicht herausgenommen worden, da Mr. McCallum allein gewesen war, im Umkreis von Meilen niemand zu sehen war und er sich sicher gefühlt hatte.
Gavin hatte an den Boden gepresst gewartet, ein seltsames, erregendes, unangenehmes Gefühl im Bauch, als ob er pinkeln müsste. Aber er musste nicht pinkeln, und das Gefühl war stärker geworden, als er daran dachte, was er mit Donnie tun würde und wie er ohne Donnie Tante Baverstocks Liebling werden und bei ihr in dem großen Haus wohnen würde, weg von seiner Mutter und den Schwestern. Aber er würde nicht fort in die Stadt gehen. Er würde bei Tante Baverstock bleiben und seinem Vater helfen, ihre Schafe zu hüten. Sie würde ihm ein eigenes Gewehr schenken, ein Gewehr, um damit Kaninchen zu schießen, und später, wenn er groß genug war, Rotwild.
Zehn Minuten lang hatte er in dem Graben gelegen, gelauscht, wie Mr. McCallum sich weiter bewegte, und hatte dann wieder aufgeblickt. Sein großes Gesäß in die Luft gereckt, hatte Mr. McCallum auf allen vieren dagehockt und eine der Wieselfallen gestellt.
Gavin hatte die Schrotflinte so vorsichtig vom Zaun weggenommen, wie er ein Baby hochgehoben haben würde. Er hatte sie zitternd wie ein Lämmerschwanz ins Gras gleiten lassen. Dann hatte er die Flinte unter seinen rechten Arm geklemmt und den Lauf mit seiner linken Hand erfasst. Er hatte sich gerade nur so weit aufgerichtet, dass er die Beine bewegen konnte, und war so schnell er konnte durch den Graben gelaufen. Er hatte die Hälfte des Hanges hinter sich gebracht, bevor er den Wildhüter schreien hörte.
Er hatte sich der Länge nach hingeworfen, die Schrotflinte zwischen seine Schenkel geklemmt und bewegungslos dagelegen, bis der Wildhüter aufgehört hatte zu schreien.
Er war sicher gewesen, dass der ihn nicht gesehen hatte. Nicht gesehen zu werden war ein wichtiger Teil seines Planes. Würde er nämlich gesehen werden, könnte er nicht sagen, dass er Mr. McCallums Gewehr nie angefasst hätte, aber dass er einen Mann gesehen hätte, einen Fremden, einen Kesselflicker mit Ringen in den Ohren, einen Mann mit schwarzem Bart – irgendwen – auf dem Weg nordwestlich der Straße nach Crove, und dass es dieser Fremde gewesen sein müsse, der Donnie angetan haben musste, was immer es gewesen sein mochte.
Als er die Kuppe des Kammes erreicht hatte, hatte er sich aufgerichtet und, die Waffe in beiden Händen haltend, den Diagonalweg Richtung An Fhearann Cáirdeil durch den wildesten Teil der Heide genommen. Schließlich hatte er einen guten, ruhigen Platz zwischen einem Haufen Felsen entdeckt und sich dort hingesetzt.
Er saß kurze Zeit dort, die Schrotflinte über seinen Knien, und war mit seiner kleinen, braunen Hand über deren wunderschöne Formen gefahren.
Über ihm kreisten zwei Bussarde im schmutzigblauen Aprilhimmel.
Er konnte ihr hohes Ki-ki so deutlich hören, als ob es in seinem Kopf sei.
Er war schweißnass, und seine Hände zitterten leicht, als er die Verriegelung löste und den Lauf abknickte.
Den Kolben an seine Brust gepresst, ließ er den Doppellauf sinken. Er starrte auf die runden Messingaugen der Patronen. Bis zu diesem Augenblick war er nicht einmal sicher gewesen, ob die Schrotflinte geladen war.
Mr. McCallum hatte ihm erzählt, dass ein universell verwendbares Jagdgewehr vom Kaliber zwölf so konstruiert war, dass man damit eine 2½-Zoll-Patrone mit 1¼ Unzen Schrot verschießen konnte. Die Hülsen sahen jedoch größer aus, tatsächlich sogar riesig. Er hob die Waffe, bis er das Messing mit seiner Zunge berühren konnte und das saubere, neue, scharfe Pulver und die gepresste Hülse schmecken konnte.
Er ließ den Verschluss mit einem Klicken einrasten, legte den Sicherungshebel um und stand auf. Er hielt die Flinte über seinen Kopf, richtete sie himmelwärts und stieß einen kleinen Schrei aus, sein eigenes Ki-ki.
Und dann machte er sich mit gelassener Freude auf die Jagd nach seinem Cousin.
Sie hatten Tee getrunken und dann die Butterbrote verzehrt, die Janetta für sie gemacht hatte, und dann waren Evie, Bobby und der ausgelassene kleine Pepper zum Spielen hinausgegangen, und Donnie hatte eingedenk der Pflicht gegenüber seiner Tante gesagt, dass er zu dem großen Haus zurückkehren müsse, da er vor dem Abendessen noch Aufgaben zu erledigen habe.
Tricia hatte ein trauriges Gesicht gemacht. »Darf ich dann ein Stück mit Donnie gehen, Dad?«
Gillies hatte von seiner Zeitung aufgeschaut, für einen Moment Nettas Blick bemerkt und dann mit absolut ernster Miene gesagt: »Natürlich. Wir wollen doch nicht, dass er sich verirrt, oder?«
Donnie wusste, dass der Schulmeister sich darauf verließ, dass er sich wie ein Gentleman benahm, doch alles andere, besonders das Händchenhalten, war für die Familie Brown ein Quell der Belustigung. Ihr milder Spott blieb ihm ein Rätsel, und er konnte nur vermuten, dass keiner von ihnen wusste, wie es war, so verliebt zu sein, wie er verliebt war. Mr. Brown und Janetta waren eher neckend als spöttisch, doch Bobby war ganz eindeutig verletzend. Er sprang schreiend aus dem Gebüsch oder kreischte gurgelnd, wenn er sie dabei überraschte, wie sie sich gerade umarmten, fasste sich an die Kehle und ließ sich rücklings ins Gras fallen, als sei er von der Pest heimgesucht worden.
An diesem Nachmittag jedoch waren Bobby und seine jüngere Schwester in die andere Richtung losgezogen und jagten hinter Pepper her, der seinerseits der lauwarmen Witterung eines Rehs folgte. Janetta begleitete Tricia und Donnie zur Tür und schaute ein wenig wehmütig zu, wie sie sich auf den Weg nach Fetternish machten. »Sei aber vor Einbruch der Dunkelheit zurück«, rief sie dann, winkte und ging wieder hinein.
Donnie griff nach Tricias Hand und nahm sie und verschränkte seine Finger mit ihren. Sie seufzte und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Kein Wort sagend, schlenderte das Paar in das schmutzigblaue Abendlicht auf die Reihe von Birken und Erlen zu, die die Landzunge vom Hause abschirmte. Sie waren noch keine hundert Meter gegangen, als Gavin aus dem Farn trat.
Er trug noch immer die Strickweste, die er an diesem Tag in der Schule angehabt hatte, und eine schwarze Kniehose, deren Beine in langen Strümpfen steckten. Seine Jacke hatte er allerdings ausgezogen und sich ein rotes Taschentuch um seine Stirn gewickelt und es seitlich an seinem Kopf zusammengeknotet. Er sah kleiner und unwichtiger denn je aus, wirkte durch die Schrotflinte in seinen Händen gar zwergenhaft klein.
»Was machst du hier?«, fragte Tricia. »Spionierst du uns wieder nach, Gavin?« Sie schüttelte den Kopf. »Du solltest den Leuten wirklich nicht nachspionieren, weißt du. Wenn du damit nicht aufhörst, werde ich das deiner Mam erzählen müssen.«
»Warte Tricia.« Mit einer kaum wahrnehmbaren Bewegung schob Donnie sie hinter sich. »Was hast du denn da, Gavin? Ist das Mr. McCallums Gewehr?«
»Nein, meins.«
»Oh, hat Mr. McCallum es dir gegeben?«
»Ja.«
Er trat aus dem welken Farn auf den Pfad. Seine Gliedmaßen wirkten steif, seine Bewegungen eckig. Auch seine Augen sahen seltsam aus, verdrehten sich ein wenig in seinem Kopf, etwa so, wie es die seiner – Donnies – Mutter von Zeit zu Zeit taten. In Gavins Mundwinkeln hingen kleine Flecken klebrigen, weißen Schaumes.
Donnie atmete tief ein.
Er legte eine Hand auf Tricias Rock und drückte sie weiter hinter sich. Er spürte ihre Verärgerung. Sie war zu vernünftig, um zu verstehen, was hier vorging. Er versuchte, sich größer zu machen, sie zu verdecken.
»Dann bist du also gekommen, um uns dein neues Gewehr zu zeigen, Gavin?«
»Nicht spionieren.«
»Nein, das machst du natürlich nicht«, sagte Donnie.
»Nicht spionieren. Nicht spionieren.«
Donnie streckte vorsichtig die rechte Hand aus.
»Dann lass mich doch mal schauen«, sagte er. »Donnerwetter aber auch. Das ist ja wirklich ein prächtiges Gewehr. Ich wünschte, so ein Gewehr hätte ich auch.«
»Meins«, schnappte Gavin. »Meins, meins.«
In irgendeinem fernen Winkel seines Verstandes hatte Donnie eine Erinnerung daran, dass seine Mutter dieselben Worte in genau diesem schrillen, besitzergreifenden Tonfall ausgestoßen hatte. Er versuchte nicht darüber nachzudenken, was diese Erinnerung bedeuten mochte.
Er holte wieder Luft und verlagerte sein Gewicht auf die Zehen, wankte ein wenig, als Tricia sich an ihn lehnte, und schrie: »Belüg uns nicht, Gavin Tarrant. Niemand würde ein solches Gewehr einem kleinen Jungen wie dir geben. Du hast es gestohlen. Gib es zu. Du hast es gestohlen.«
»Meins«, sagte Gavin wieder. »Meins.«
Er war höchstens zwanzig Meter entfernt. Ein erwachsener Mann hätte sofort geschossen. Selbst wenn er schlecht gezielt hätte, wären Donnie und Tricia durch die Streuung der Waffe sofort niedergestreckt worden. Aber Gavin war kein erwachsener Mann. Die Schrotflinte war schwer. Er begann, sie in Schussposition zu heben, nicht an die Hüfte, sondern an die Schulter, wobei er mit dem Daumen nach dem Sicherungshebel tastete. Für einen Sekundenbruchteil schaute er darauf, blickte beiseite.
Donnie ergriff seine Chance. Er versetzte Tricia mit der Schulter einen Stoß, streckte beide Arme so aus, als würde er einen Ball werfen, und schleuderte sie mit einer Leichtigkeit in den Farn, als ob sie aus Stroh sei. Er sprang ihr nach, packte sie bei Hüfte und Schultern und stieß sie wieder von sich weg.
Und das Gewehr ging los.
Er hörte den Lärm. Er war so betäubend, als ob die Mündung auf sein Ohr gesetzt worden sei. Sein Kopf dröhnte, und Pulvergestank drang in seine Nasenlöcher. Er spürte das Stechen von Schrotkugeln an seiner linken Wange und hörte ein anderes Geräusch, ein sonderbares Geräusch, einem schluchzenden Atmen ähnlich, als der Schuss losging.
Und dann noch ein anderes Geräusch, diesmal einen Schrei, der durch das Hallen in seinen Ohren deutlich zu hören war: »Gavin, nein, Gavin!«
Donnie ließ sich im Farn auf die Knie sinken. Er sah Tricia ausgestreckt vor sich, sie strampelte mit ihren langen Beinen. »Runter«, schrie er. »Bleib unten.« Dann drehte er sich so schnell zu Gavin, dass der kleine Blutfaden; verursacht durch eine der Schrotkugeln, von seiner Wange in den Mund rann. Er schmeckte heiß und salzig.
Der Rückstoß hatte Gavin rücklings auf den Weg geworfen. Aber er klammerte sich noch immer an die Schrotflinte, hielt sie an die Brust gepresst. Er rappelte sich auf. Er besaß, wie es schien, plötzlich eine übermenschliche Kraft, da er das Gewehr mühelos heben konnte. Er hatte nur einen Schuss abgefeuert. Er hatte einen weiteren. Er rannte mit langen Schritten den Pfad hinunter auf Donnie zu, den Gewehrkolben in den Bauch gestemmt, die kleine, braune Faust über dem Abzugsbügel, den Finger am Abzug.
Jetzt schien alles im Zeitraffer zu passieren. Zuerst dachte Donnie, der Mann müsse Mr. Brown sein. Aber er kam aus der falschen Richtung und schrie aus vollem Hals: »Nein, Gavin, um Gottes willen, nein.«
Donnie erkannte, dass es Quig war, stand auf und schrie: »Hier bin ich, Gavin, hier bin ich!«, um die Aufmerksamkeit seines Cousins auf sich zu lenken.
Gavin blieb verwirrt stehen. Die Schrotflinte senkte sich. Seine Augen verdrehten sich im Kopf, schienen in einer Art Raserei, einer Art von Verzweiflung überzulaufen. Er drehte sich in die eine, dann die andere Richtung, als Quig auf ihn zugerannt kam. Hinter Quig stürmte Tante Biddy Baverstock, deren rotes Haar flog, durch das Unterholz.
Donnie merkte, dass Tricia an ihm zerrte, an seinem Arm zog, um ihn auf den Boden zu ziehen. Er schüttelte sie ab. Er sah, dass sein Cousin sich drehte und drehte und wieder drehte und dass das Gewehr nach oben ruckte.
Donnie schrie: »Hier, Gavin. Hier bin ich!«
Er sah Quig einen Satz machen, hörte, wie das Gewehr losging.
Die Echos hoben sich dröhnend über die Wildnis, und ein Schwarm kleiner Vögel stieg tschilpend aus dem Erlenwäldchen auf. Und Quig lag mit dem Gesicht nach unten auf dem Weg, die Beine ausgestreckt, als renne er noch immer.