Es war kurz vor Anbruch der Nacht und die Sonne, verdeckt von einer schnell ziehenden Wolke, sank bereits dem Horizont zu, als Fay Ludlow über den Rücken von Olaf’s Hill kam und zum ersten Mal auf Pennypol hinabschaute. Sie war so erleichtert, an ihrem Ziel angelangt zu sein, dass ihr zum Weinen zumute war. Aber sie hatte im Grunde aufgehört zu weinen, da die Ehe sie gelehrt hatte, dass Selbstmitleid nichts brachte. Wäre ihr Mann bei ihr gewesen, hätte sie eher ihre Lippen zusammengepresst und ihre Fingernägel in die Handflächen gegraben, als ihm die Befriedigung zu geben, Tränen in ihren Augen zu sehen. Aber ihr Mann war nicht bei ihr. Er war vierhundert Meilen entfernt in Derbyshire, und jetzt, wo sie endlich an der wilden Westküste dieser abgelegenen schottischen Insel angekommen war, war sie sicher, dass sie sich außerhalb seiner Reichweite befand.
Alles an Schottland war neu und anders. Bis gestern hatte sie nie das Meer gesehen, war noch nie mit einem Zug gereist, bis auf das eine Mal, als der alte Mr. Musson an Rippenfellentzündung erkrankt war und sie nach Buxton geschickt worden war, um Josh beim Verkauf des Obstes zu helfen. Buxton war nicht weiter als zwanzig Meilen von Fream entfernt, aber damals war ihr der Weg sehr weit vorgekommen. Sie erinnerte sich noch, wie sie ihre Pennys, fest in ihr Taschentuch eingewickelt, umklammert gehalten und geglaubt hatte, dass jeder Mann auf dem Marktplatz ein Dieb sei. Aber jetzt war sie sehr weit von Fream entfernt und der Wind von der See schien frischer zu sein als die Brisen, die das triste Hochland von Derbyshire beharkten, jemals gewesen waren.
Sie kniete sich neben die Felsen, die das Ende des Bergrückens bildeten, und blickte auf das baufällige Bauernhaus hinab. Eine hohe Trockensteinmauer schlängelte sich in eine Bodenfalte des Moores, ein Strom verstreuten Farnkrauts zeichnete Muster auf dem Sand und eine kleine steinerne Mole lief zu einer Ecke der Bucht. Ein umgekehrtes Boot, nicht größer als ein Ginsterstrauch, lag dicht dabei.
Die Schafe, die zwischen den Grasbüscheln umherstreiften, waren nicht die rundlichen weißgesichtigen Exmoors, aus denen Sir Johnny Yeates’s Herde bestand, oder die langhaarigen französischen Merinos, die Colonel Liversedge auf den Weiden von Fream züchtete, sondern robuste kleine Blackface-Hügelschafe. Die Rinder, die oberhalb der Flutlinie weideten, waren dunkel und mager verglichen mit den schlanken Milchkühen von Fream und Cloudshill. Und als sie hochschaute, kreiste ein heiser kreischender Schwarm von Seevögeln über dem Kamm und verschwand mit dem Wind, als wolle er ihre Ankunft den Leuten des Nordviertels mitteilen. Pennypol, Pennymain, Crove und Fetternish: Nur die Namen waren ihr bekannt. In Wirklichkeit wusste sie wenig oder nichts über diese große, abweisende Insel oder die Menschen, die hier lebten.
So hatte sie zum Beispiel in dem Salon der Grenadier bei der Überfahrt von Oban eine alte Frau in einer Sprache angesprochen, die Fay nie zuvor gehört hatte.
»Es tut mir leid«, hatte Fay höflich gesagt, »ich verstehe nicht.«
»Dann werden Sie wohl kein Gälisch sprechen, nicht wahr?«, hatte die alte Frau mit schleppender, singender Stimme gefragt. »Ach, das ist aber wirklich schade. Wo wollen Sie denn hin, wenn Sie kein Gälisch können, das Ihnen hilft?«
Es war Fay herausgerutscht, bevor sie sich zurückhalten konnte. »Nach Fetternish.«
»Nach Fetternish, ja? Nun, da werden Sie wohl gut ohne Gälisch auskommen, denke ich. Wollen Sie zu dem großen Haus?«
»Ja«, hatte Fay geantwortet. »Kennen Sie es?«
»Ja, jeder kennt Fetternish House. Sind Sie auch einer von diesen Verwandten von Biddy Baverstock, die kommen, um dort zu arbeiten? Gibt es denn in England keine Arbeit, dass Sie den ganzen weiten Weg nach Mull kommen müssen, um welche zu finden?«
»Ich habe gehört, dass Mull ein friedlicher Ort ist und sehr groß.«
»Groß genug ist er schon, denke ich.« In dem Lächeln der alten Frau war mehr als nur ein Anflug von Gehässigkeit gewesen. »Wenn Sie jedoch Frieden suchen, dann werden Sie davon in Biddy Baverstocks Haus nicht viel finden.«
Nervös davon, ausgefragt zu werden, zudem noch von einer Fremden, hatte sich Fay aus dem Salon zurückgezogen, um zu beobachten, wie das Festland hinter dem Kielwasser des Dampfers verschwand, und die Karte zu studieren, die sie im frühen Morgenlicht auf dem Bahnhof in Glasgow erworben hatte. Die Landkarte war ihr Rettungsanker gewesen. Sie hatte ihr endlich die Landschaften vor Augen geführt, durch die sie gereist war, und ihr Augenmerk auf den einzigen Ort in der Welt gelenkt, in dem sie vielleicht nicht nur Verbündete, sondern auch Freunde finden würde.
Sie kniete auf der Anhöhe oberhalb von Pennypol Bay. Die Karte steckte in einer Tasche des großen Segeltuchsacks, den sie von dem Haken hinter der Tür des Cottage auf Cloudshill Edge gestohlen hatte. Abgesehen von ein wenig Geld war es das Einzige, was sie von ihm genommen hatte, das ihr nicht gehörte.
Er roch noch immer nach Schafsdreck und Schwarzpulver und den Schuppen der Forelle, die ihr Mann in dem Stück des Fream gefangen hatte, in dem Bedienstete von Cloudshill nicht fischen durften, aber zweifellos würde alles nach ihm stinken, bis die salzigen Winde von Mull die schlimmen Erinnerungen fortgeweht hatten.
Sie merkte nicht, dass sie weinte. Sie war wirklich überglücklich, auf diesem öden Hang oberhalb des mit Rasen gedeckten Cottage zu hocken und die Wellen an den Strand und über die kleinen Inseln schlagen zu sehen und die Landzungen, die sich, so weit das Auge reichte, bis zum Horizont erstreckten. Die Tatsache, dass ihre Zuflucht kärglich und verlassen war, zählte nicht. Alles, was zählte war, dass sie ihren Mann endlich abgeschüttelt hatte und dass er nie auf die Idee kommen würde, hier nach ihr zu suchen.
Ihren Sack ergreifend, wischte sie sich die Augen am Ärmel ab und hinkte hügelabwärts auf den baufälligen Hof zu.
Es war ein Tag wie jeder andere, nur dass auf Mull für diejenigen, die dort im Nordviertel lebten, keine zwei Tage jemals gleich waren. Von den Terrassen von Fetternish House konnten leicht zu beeindruckende Fremde auf die Schattierungen des Ozeans und seine sich verändernden Farbtöne schauen und daraus schließen, wie das Wetter für den Rest des Tages sein würde. Hatten sie zufällig Recht, würden sie sich, was Dinge, die das Land betraf, für wissend halten und irrigerweise glauben, die Kenntnis von Wind und Wetter und Gezeiten genüge, um ein Insulaner zu sein.
Was denen, die Fetternish für nur eine Woche oder zwei besuchten, jedoch verborgen blieb, waren die kaum merklichen Veränderungen, die in der Erde selbst stattfanden, die kleinen Wunder und Katastrophen, die unter den Felsen oder zwischen den Wurzeln des ganzen Organismus von Moor und Hügel und Küste stattfanden. Sie sahen nicht die bröckelnden Basaltschichten längs der Gezeitenlinie oder die faulenden Kadaver alter Eichen, die Robert Quigley aus den Torfmooren zog oder die Kaninchenscharen, die die süßen, grünen Weiden zerstörten, oder die Wühlmäuse, welche die Wurzeln der frisch gepflanzten Bäume abnagten, hinunterzerrten in das Königreich von Käfern und Läusen und Maden und Engerlingen und Milben.
Aber, bei Gott, man konnte einen Mann von Mull an der äußersten Spitze von Caliach Point absetzen und er würde in einer halben Stunde zu Hause sein und einem erzählen, wie die Makrelen schwärmten und welches Schaf Husten hatte oder welche Kuh vor dem Morgen kalben würde, denn wenn es eines gab, was die Insulaner verstanden, dann war es, wie man den geheimnisvollen Äußerungen der Natur zu lauschen und sie zu deuten hatte.
Deswegen war es für George Barrett keine Überraschung, als Billy, sein dritter Sohn, sich aus der Heide neben dem kränklichen Schaf aufrichtete und sagte: »Ich rieche etwas.«
Barrett – jeder nannte ihn Barrett – wedelte die Wolke schwarzer Fliegen, die um seinen Kopf hing, beiseite und sog die feuchte Morgenluft ein. Unter seinen großen Händen zappelte und strampelte das auf dem Rücken liegende Schaf. Er hielt es fast mühelos fest und dachte: Es ist ein sicheres Zeichen, dass ich alt werde, wenn der Junge etwas riechen kann, was ich nicht riechen kann.
»Was ist es, Sohn?«, sagte er.
»Rauch.«
Barrett musterte den Himmel, schnüffelte und spuckte aus. Er konnte nichts Ungewöhnliches riechen, nur das nasse Vlies des Schafes und den Gestank von Eiter aus dem faulenden Huf. Verließen ihn seine Sinne im reifen Alter von achtunddreißig? Vielleicht hatte er zu früh geheiratet. Muriel, seine Frau, war mit Donald Campbell verlobt gewesen, einem von Vassies Sippe aus Pennypol, aber Donald war bei einem Sturm vor Arkle ertrunken, und sie hatte stattdessen Barrett genommen. Soweit er es beurteilen konnte, hatte sie es bisher nicht bedauert. In achtzehn Jahren hatte sie ihm zehn gesunde Kinder geschenkt und keines zu früh geboren oder es danach durch Krankheit verloren. Jetzt aber war der Wollmarkt zusammengebrochen, es gab wenig zu tun und es schien, als ob die goldenen Jahre für Herrn und Knecht gleichermaßen vorbei seien. Billys ältere Brüder waren bereits nach Glasgow gegangen, um dort zu arbeiten, und Billy würde als Nächster gehen.
Barrett sog wieder die Luft ein.
»Mach weiter, Sohn«, sagte er. »Du kannst nichts aus einer halben Meile Entfernung riechen, nicht einmal, wenn der Wind dir dabei hilft.«
»Ich kann, Dad, ich kann. Es ist der Gestank von einem alten Herd.«
»Was für einem alten Herd? Es gibt hier keine alten Herde.«
»Es gibt einen auf Pennypol. Von dort muss es kommen.«
Das Schaf, das es leid war, auf den Boden gedrückt zu werden, trat heftig, furzte und stieß ein lautes Bäääh aus, um die Schäfer daran zu erinnern, dass seine Geduld keineswegs unerschöpflich war.
Barrett seufzte und machte sich daran, den vereiterten Huf am Vorderfuß des Schafes mit seinem Klappmesser zu beschneiden. Er arbeitete schnell, aber vorsichtig, da eine Verletzung des darunterliegenden empfindlichen Gewebes das Schaf völlig verkrüppeln würde. Er hielt das Tier mit seinem Knie fest und langte hinter sich. Billy drückte ihm eine entkorkte Whiskyflasche in die Hand. Die Flasche enthielt eine Lösung aus Formalin und Kupfersulfat, gemischt nach einem Rezept, das Barrett von seinem Vater überliefert worden war, der lange, bevor Austin Baverstocks Witwe das Gut geerbt hatte, Schafhirte auf Fetternish gewesen war. Über das Schaf gebeugt, goss er eine beträchtliche Menge der Lösung in die Höhlung des Hufes und drückte ihn. Das Schaf blökte vor Schmerz.
»So, es kommt also Rauch aus Pennypol?«, sagte Barrett. »Tja, wenn’s dir nichts ausmacht, könntest du dich ja mal in die Richtung begeben und mir sagen, wer dort im Herd ein Feuer gemacht hat, da sich dort nie jemand lange aufhält.«
»Warum nicht, Dad?«
»Weil dieser Ort unter einem schlechten Vorzeichen steht.«
»Dann kann das die Frau nicht wissen.«
»Frau? Welche Frau?«
Unschuldig sagte Billy: »Die Frau, die ihr Frühstück in einem schwarzen Topf auf dem Feuer in dem alten Herd kocht.«
Barrett hatte bereits erraten, was hier vor sich ging, wollte aber dem Jungen den Spaß nicht verderben. »Selbst in meiner Blütezeit«, sagte er, »konnte ich den Duft einer Frau aus einer Entfernung von mehr als einer Viertelmeile nicht wahrnehmen. Kannst du mir sagen, was diese Frau zum Frühstück hat, du und deine lange Nase?«
»Porridge.« Billy grinste. »Entschuldige, aber das ist nur eine Vermutung, da ich nicht gesehen habe, dass sie den Topf mit Hafermehl füllte, nur mit Wasser.«
»Du hast sie also gesehen, ja? Und was hast du auf Pennypol gemacht?«
»Habe nach dem alten Schaf gesucht, das ich übrigens nicht gefunden habe.«
»Das war auch nicht möglich, weil es nicht verloren gegangen war«, sagte Barrett. »Da hat sich also eine Frau in Pennypol eingenistet?«
»Ja«, antwortete der Junge. »Eine Frau, die ich nie zuvor gesehen habe.«
»Alt oder jung?«
»Älter als ich – aber nicht viel.«
»Hast du mit ihr gesprochen?«
»Nein, ich habe sie vom Hügel aus bemerkt, als sie Wasser holte. Ich weiß, dass sie ein Feuer angemacht hatte, weil es stark rauchte, so stark, dass ich dachte, sie hätte das Dach in Brand gesetzt.«
»Nicht mal ein Blitz könnte dieses verrottete alte Dach in Brand setzen«, sagte Barrett. »Dennoch denke ich, dass wir Mr. Quigley informieren sollten.«
»Vielleicht ist sie nur eine Kesselflickerin auf der Durchreise.«
»Für Kesselflicker ist es zu früh im Jahr.«
»Vielleicht sind die Zeiten für Kesselflicker auch schwer«, gab Billy zu bedenken.
»Die Zeiten sind für viele Leute schwer, aber Kesselflicker gehören nicht dazu«, erwiderte Barrett. »Wir sollten die Sache besser melden.«
»Wenn du magst, könnte ich ja rübergehen und sehen, was die Frau jetzt macht.«
»O, dann ist sie also hübsch, ja?«, fragte Barrett.
Billy errötete. »Dad!«
Barrett lachte und stand auf. Er hob das Schaf hoch und drehte es um.
Als er das tat, erhob sich ein Collie wie eine Fahne von schwarzweißem Rauch aus dem Farn. Seine lange rosa Zunge hing heraus und seine gelben Augen glühten und schauten aufmerksam.
»Willst du’s einsperren, Dad? Das Schaf, meine ich.«
»Nein, wir werden’s uns heute Nachmittag noch mal anschauen, um zu sehen, ob das mit dem Huf besser geworden ist. Bring es jetzt runter zu der Weide am Tor.«
»Dann soll ich nicht rüber nach Pennypol gehen?«
»Um diese schöne Frau anzugaffen?«, sagte Barrett. »Nein, ich werde selbst gehen.«
Der Junge runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Das Scherzen war ihm vergangen.
»Sie ist nicht schön. Ich denke …« Billy zögerte. »Ich denke, sie ist vielleicht verletzt worden.«
»Verletzt? Was, in Gottes Namen, meinst du mit ›verletzt‹?«
Billy konnte sich nicht durchringen, das zu erklären. Er schüttelte den Kopf. »Geh und sieh selbst, Dad«, sagte er, und dann pfiff er dem Hund, nahm das hinkende Schaf und führte es vorsichtig zum Tor.
Innis Tarrant hatte an diesem Morgen mehr Zeit als gewöhnlich mit Beten verbracht. An manchen Morgen kniete sie nur eine oder zwei Minuten vor der gebenedeiten Maria, dann wieder verweilte sie lange, um ihr Dank für all den Segen zu sagen, der ihr zuteil geworden war. Ganz zum Schluss, abends vor dem Schlafengehen jedoch, waren ihre Gebete konzentrierter, und sie kniete unter dem silbernen Kruzifix, das Gillies ihr geschenkt hatte, und sie betete für ihre Schwester Biddy, für ihre Tochter Rachel in Glasgow, für ihre Tochter Rebecca, die launisch und störrisch war und viel zu viel moderne Ideen hatte, und natürlich für Gillies Brown, der seit vielen, vielen Jahren ihr Herzensfreund war.
Dann und wann legte sie auch ein Wort für ihren Mann und ihren Sohn ein und hoffte, sie würden Glück finden, wo immer sie auch gerade sein mochten. Und an diesem Morgen, als der Märzwind um das aus Steinen errichtete Cottage tobte, hatte sie auch ein Gebet für die Seele ihrer Mutter und die Seele ihres Vaters gesprochen, die lange schon verschieden waren, denn trotz Vater O’Donnells gegenteiliger Versicherungen hatte sie den Verdacht, dass weder Vassie noch Ronan Campbell im Hause des Herrn gänzlich Frieden finden würden.
In sicherem Abstand von dem verderblichen Einfluss von Kruzifixen und bemalten Statuen schlug Becky Tarrant fetttriefendes Fleisch in die Bratpfanne und knallte diese auf den Herd, um so ihre Missbilligung über Mams Gebete zum Ausdruck zu bringen, die nach ihrer Ansicht fast ebenso heidnisch waren wie Tante Aileens Umgang mit Elfen und Feen. Rebecca war schlank, nicht so auffallend wie ihre Tante Biddy, sondern hatte weit mehr von dem aufbrausenden Wesen ihrer Großmutter. Sie war eine unermüdliche Arbeiterin, ging all ihre Aufgaben mit Entschlossenheit an und erledigte Routinearbeiten wie das Füttern der Hühner, Entzünden von Feuern und die Zubereitung des Frühstücks überaus schnell.
»Bist du noch immer nicht fertig mit deinem Geleier, Mam?«, rief Becky.
Sie hatte um acht Uhr im großen Haus zu sein, und Maggie Naismith, die Haushälterin, tolerierte keine Verspätung. Es war jetzt kurz nach sieben.
Die Küche war in graues Tageslicht getaucht, doch die Kohlen im Herd und das Flackern der Flamme in dem eisernen Herd verbreiteten ein wenig Stimmung. Becky hatte schon fast eine Stunde herumgefuhrwerkt. Die Hühner waren gefüttert und die Eier eingesammelt. Der Hund – ein lebhafter Spanielwelpe, der sich zu Beckys Bestürzung weigerte, sich bevormunden zu lassen – hatte eine Schüssel voll Haferbrei und Hammelfleischreste unter die Nase geschoben bekommen, und das Letzte, was auf Beckys Dienstplan stand, war dafür zu sorgen, dass ihre Mutter eine angemessene Menge an Essen zu sich nahm, bevor sie, Becky, sich auf den eine halbe Meile langen Fußweg nach Fetternish House machte. Früher einmal hatte es ein halbes Dutzend Bedienstete im Haus gegeben, doch in den letzten Jahren war das Baverstock-Quigley Vermögen sehr geschrumpft und Becky wusste sehr wohl, dass Tante Biddy und Quig jetzt äußerst knapp bei Kasse waren. Beckys Schwester und ihre Kusinen waren aufs Festland gegangen, um ihre Ausbildung zu beenden. Hätte sie sich lange genug beklagt, wären zweifelsfrei von irgendwo Mittel aufgetaucht, damit auch sie ein College besuchen konnte. Becky hatte jedoch beschlossen, auf Mull zu bleiben, um sich um ihre Mutter zu kümmern.
»Ich tue jetzt dein Porridge auf, Mam.« Sie schlug mit der Schöpfkelle gegen den Rand des Topfes. »Ich schlage die Eier in die Pfanne. Du solltest dich lieber von Unserer Lieben Frau verabschieden, wenn du dein Frühstück heiß essen möchtest.«
Unbeeindruckt von der Herumkommandiererei ihrer Tochter kam Innis aus dem hinteren Schlafzimmer. Becky war ihrer Großmutter so ähnlich, dass Innis sich gelegentlich fragte, ob der Geist der alten Frau womöglich Zuflucht in dem Mädchen gefunden hatte. Becky sah sogar ein wenig wie Vassie aus, jedoch ohne die tief eingegrabenen Furchen, die Härte und eine schlimme Ehe bei ihr, der Mutter von Innis, hinterlassen hatten.
»Willst du, dass ich zu spät komme?«, schnappte Becky. »Willst du, dass Maggie Naismith zum dritten Mal in diesem Monat mit mir schimpft?« Sie schöpfte Porridge in eine Schüssel und stellte die Schüssel auf den Tisch, den sie wegen der morgendlichen Kühle näher ans Feuer gerückt hatte. »Wenn du dich jetzt bitte zurechtmachen und setzen würdest.«
Um ihre Tochter aufzumuntern, schaute Innis in den Spiegel, der an der Schlafzimmertür hing, und tat, als richte sie ihr Haar, das sie seit einigen Jahren kurz trug in einem Stil, der für eine Frau vom Lande völlig ausreichte.
»Ich weiß nicht, was du eigentlich beim Beten machst, dass du so unordentlich aussiehst«, fuhr Becky fort. »Zwei Eier?«
»Eins genügt mir, danke.«
Becky schlug ein frisches Ei auf und ließ es geschickt in die Pfanne gleiten.
»Wenn du mich fragst, dann kann nicht mal ein Vogel von dem leben, was du isst.«
»Tja, Becky«, sagte Innis, »so ist das nun einmal mit alten Leuten.«
»Bist du vielleicht sarkastisch?«
»Nimm es wie du willst, mein Schatz.«
Becky sah sich um. »Ho! Ich weiß wirklich nicht, warum ich mir das von dir gefallen lasse.«
»Da bin ich mir auch nicht sicher«, sagte Innis.
Becky schlug ein drittes Ei auf, deponierte die Schale in einem Holzeimer, in dem Speisereste aufbewahrt wurden, zog dann, nachdem sie ihre Hände an der Schürze abgewischt hatte, einen Stuhl hervor und setzte sich an den Tisch. In wenigen Sekunden war ihre Porridgeschüssel leer. Sie kehrte zum Herd zurück und hatte gerade den Fischheber gehoben, um das Ei im Fett zu wenden, als ein Geräusch draußen sie veranlasste, sich zur Tür zu wenden.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Es wird der Hund sein, denke ich«, antwortete Innis. »Hast du ihn rausgelassen?«
»Natürlich habe ich ihn rausgelassen.« Becky nahm das Ei aus der Pfanne, legte es auf einen Teller und stellte den Teller auf den Herddeckel. »Wenn es Kilty ist, dann macht er aber reichlich Radau. Eines von Barretts Schafen muss wohl wieder im Garten sein.«
Innis schüttelte den Kopf. »Um diese Jahreszeit sind alle Schafe auf der Weide im Südwesten.« Das wütende Kläffen des Spaniels weckte ein vages Gefühl von Ängstlichkeit, Überbleibsel der Furcht, die sie seit Jahren verfolgt hatte. »Geh und sieh nach, wer da ist.«
Becky zog die Tür auf und ließ einen Windwirbel herein, dem sofort ein kläffender Spaniel folgte. Innis starrte auf die Gestalt im Türrahmen und seufzte innerlich, als sie George Barrett erkannte.
»Das Tier ist lebhafter als ihm gut tut«, sagte Barrett. »Ist höchste Zeit, dass ihr ihm ein bisschen Gehorsam beibringt.«
»Bist du deshalb um diese frühe Zeit hergekommen«, sagte Becky, »um uns zu erzählen, dass unser Hund eine Ausbildung braucht?«
»Was ist, George?«, fragte Innis. »Was führt dich so früh hierher?«
»Auf Pennypol hat jemand kampiert. Billy hat sie entdeckt.«
»Kesselflicker, es werden einfach die Kesselflicker sein«, sagte Becky.
»Die Kesselflicker sind es nicht«, widersprach Barrett.
»Wer ist es dann?«, wollte Innis wissen.
»Ein Mädchen.«
Der Wind fegte in die Küche und spielte mit dem dünnen Teppich vor dem Herd. Innis war von einer ungewöhnlichen Vorahnung erfüllt, denn nie hatte sie, ob nun katholisch oder nicht, ihren Glauben an das Zweite Gesicht ganz abschütteln können, und Aileen hatte jetzt seit Wochen immer wieder von Fremden, die aus dem Hügel auftauchen würden, gemurmelt und geschwatzt. Es war jedoch einfach Teil von Aileens Verrücktheit und niemand hatte dem Gerede der Frau große Beachtung geschenkt.
»Was – was für ein Mädchen?«, fragte Innis.
»So wie sie aussieht, ein Krüppel«, antwortete Barrett.
»Ob Krüppel oder nicht«, sagte Becky, »du hättest sie abschieben sollen.«
»Es ist nicht meine Aufgabe, sie abzuschieben«, erwiderte Barrett.
»Erzähl mir nicht, du seist zu schüchtern, Unbefugte zu verjagen«, sagte Becky. »Was macht sie überhaupt auf Pennypol? Da gibt’s doch nichts, was irgendwen interessieren könnte.«
»So wie es aussieht«, sagte Barrett, »quartiert sie sich dort ein.«
»Quartiert sich ein? Ohne Miete zu bezahlen?«, schnappte Becky. »Nun ja, dem wird Tante Biddy aber bald ein Ende setzen, nicht wahr, Mam?«
»Ja, Liebes«, antwortete Innis vorsichtig, »ich erwarte, dass sie das wahrscheinlich tun wird.«
Zwei Baumwollunterhosen, Strümpfe, zwei einfache Blusen, ein geflickter Flanellunterrock und drei Wollwesten waren zusammen mit einem alten Rock und Arbeitsbluse in dem Lammsack verstaut gewesen. Sie war in ihrem Sonntagsstaat gereist, hatte aber den modischen Hut, den sie auf dem Pfarrfest gekauft hatte, zugunsten einer robusten Strohhaube weggeworfen. Und sie hatte ihre guten Schuhe zurückgelassen. In den Stiefeln, die Josh nach ihrem Unfall ausgefüttert hatte, konnte sie viel besser laufen. Ihre Papiere lagen gefaltet in der Bibel, die Mrs. Musson ihr an ihrem zehnten Geburtstag geschenkt hatte, obwohl es nicht exakt der Tag war, an dem sie geboren war, sondern der Jahrestag des Tages, an dem ihre Mutter gestorben war und sie, noch ein Kind, in die Obhut des Gutes gekommen war. Sie hatte nie erfahren, wer ihr Vater war. Sie vermutete, dass es ein Reisender gewesen sein musste.
Die Mussons hatten keine eigenen Kinder gehabt. Sie hatten sich gut um sie gekümmert und waren streng, aber nicht hart zu ihr gewesen. Sie hatten ihr sogar erlaubt, die Schule in Cloudshill zu besuchen, bis sie stark genug war, eine Handkarre zu fahren und mit einer Hacke umzugehen und in den Gärten arbeiten konnte, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sie hatte auf einer Pritsche auf dem Dachboden des Cottage der Mussons geschlafen, was besser war als das Kabuff in dem Gewächshaus, das der arme Josh hatte bauen müssen, als er aus dem Armenhaus in Medlington geholt wurde. Sie dachte an Josh, als sie die kleinen Beutel mit Saatgut auspackte, die er ihr gegeben hatte, bevor sie Fream verlassen hatte. Es waren Geschenke, Glücksbringer, für einen richtigen Gärtner von wenig praktischem Wert. Aber er hatte ihr gesagt, dass sie nach Luft verlangten, und obwohl sie vermutete, dass der größte Teil des Saatgutes robuster war, als Josh glaubte, deponierte sie die Beutel auf einem schiefen Regal an der Rückwand des Cottages, um sie atmen zu lassen.
Sie hatte einen Topf mitgebracht, einen, den ihr Mann niemals vermissen würde, und eine Dose mit Tee und Zucker. Das war ganz gut, denn in dem Cottage war nichts, keine einzige angeschlagene Tasse oder eine leere Flasche, in der sie Wasser aus dem Flüsschen hätte holen können, ganz zu schweigen von einem Kessel, um es zu kochen. Das Bauernhaus in Pennypol war in jederlei Hinsicht in einem bedrückenden Zustand. Die Wände waren mit Vogelkot verschmiert, der Boden mit Viehdung verkrustet. Der Herd war nichts weiter als ein Kreis von Steinen unter einem klaffenden Loch im Dach.
Sie hatte Stroh und Treibholz aufgeschichtet und hielt eine Streichholzflamme in das Anmachholz, bis endlich Rauch durch das Loch im Dach aufzusteigen begann. Sie war dann in den feinen Nieselregen hinausgegangen und dem Weg zum Flüsschen gefolgt. Sie hatte den Topf mit eisigem braunen Wasser gefüllt und ihn vorsichtig zum Cottage zurückgetragen und zum Kochen aufs Feuer gesetzt, was das Wasser auch schließlich tat. Danach hatte sie sich auf den Boden gesetzt, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, ihr schmerzendes Bein ausgestreckt und den Topf mit beiden Händen ergriffen, um sie zu wärmen, und Tee getrunken und den Rest des Kornbrotes gegessen, das sie von zu Hause mitgebracht hatte. Nach oben blickend, hatte sie den Himmel durch das Loch im Dach gesehen und ein Glitzern von Sternen zwischen den Wolken, genau denselben Sternen, die auf Fream und die Kalksteinfelsen über Cloudshill herunterblickten.
In diesem Moment hatte sie ganz sicher gewusst, dass sie das Richtige getan hatte, als sie von Gavin Tarrant fortgelaufen war, nicht um sich selbst vor Bestrafung zu retten, sondern um den Fötus in sich zu beschützen, diesen kleinen schwellenden Keim, der, wenn ihre Schätzung stimmte, bereits drei Monate alt war.
Es war fast drei Jahre her, seit Innis zuletzt Pennypol besucht hatte. Das Cottage, in dem sie geboren und aufgewachsen war, barg keine erfreulichen Erinnerungen. Tatsächlich hatte ihre Kindheit durch die Brutalität ihres betrunkenen Vaters derartige Narben hinterlassen, dass sie überrascht war, dass Biddy, Aileen und sie überhaupt überlebt hatten.
Sie kam über den langen Weg um die Rückseite von Olaf’s Hill herunter. Obwohl sie gut in Form und gesund war – Becky hätte hinzugefügt ›für ihr Alter‹– war Innis nicht mehr ganz so flink wie einst und zog ausgetretene Wege den Pfaden durch die Heide und steilen Abkürzungen vor. Als sie den Rand des Moores passierte, sah sie die kleinen Schären und die Bucht und das alte Cottage nacheinander ins Blickfeld kommen, so wie sie es immer getan hatten. Jedoch wucherte Unkraut in den Gemüsebeeten ihrer Mutter und die winzigen kleinen Felder, auf denen einst Hafer und Gerste gediehen, waren von den wuchernden Gewächsen verschlungen worden, die, sollten sie nicht unter Kontrolle gebracht werden, schließlich nicht nur Pennypol, sondern auch Pennymain und Fetternish in einem Meer von Farn ertränken würden.
Die Mauer jedoch war noch intakt. Der massive Trockensteindamm, den ihre Schwestern, ihre Mutter und sie errichtet hatten, um die Schafe der Baverstocks von den Weidegründen von Pennypol fern zu halten, war ein Monument von solcher Kunst, Geschick und sinnloser Entschlossenheit, dass ein halbes Leben von Äquinoktialstürmen ihn kaum beschädigt hatten. Das Mädchen hielt sich im Schatten der Mauer auf. Sie bewegte sich vorwärts, das Kinn auf die Brust gesenkt, und kam mit einer Senkbewegung von linker Schulter und einer Drehung der rechten Hüfte voran, was sie jedoch jeweils nur zwanzig oder fünfundzwanzig Zentimeter vorwärts brachte.
Sie sah so hässlich und wehrlos aus, dass Innis jetzt verstand, warum Barrett dringende Arbeiten mit der Herde vorgegeben hatte und in einem Tempo über dem Kamm verschwunden war, der einem Galopp nahe gekommen war. Becky wäre nicht so gnädig gewesen. Becky war bei der bloßen Idee, dass ein Fremder den Besitz betreten hatte, wütend geworden und teilte, wie Innis vermutete, die Neuigkeiten in genau diesem Augenblick Biddy und Quig mit und drängte sie, entschlossen zur Tat zu schreiten.
Als Innis das Ende der Mauer erreichte, schaute das Mädchen auf und winkte ihr zu. Und Innis sah, dass sie keineswegs deformiert war, sondern sich gebückt hatte, um etwas in die dünne Erdschicht einzugraben und dass die krabbelnde Bewegung nicht mehr als ein leichtes Humpeln war.
»Was machst du da?«, rief Innis.
»Ich säe ein paar Saatkörner aus«, erwiderte das Mädchen. »Lupinen. Ich glaube, hier sind auch ein paar afrikanische Ringelblumen dabei, aber ich bezweifle, dass sie den kalten Boden mögen.«
»Warum pflanzt du hier Blumen?«
Das Mädchen hob einen Leinenbeutel hoch, der nicht größer als ein Tabaksbeutel war.
»Josh, mein Freund, hat etwas Saatgut in mein Gepäck getan. Ich weiß nicht, warum, aber er ist davon überzeugt, dass Blumen so weit im Norden nicht wachsen. Sind Sie Mrs. Baverstock?«
»Es gibt keine Mrs. Baverstock«, sagte Innis.
»O, nein!« Sie war schlank gebaut und hatte gerstenblondes Haar, das nur eine Spur dunkler als das von Aileen war. Ein Auge war durch eine starke Schwellung fast geschlossen, die bewirkte, dass sie blinzelte. »O, Gott! Ist Mrs. Baverstock tot?«
»Natürlich ist sie nicht tot«, sagte Innis. »Mrs. Baverstock hat wieder geheiratet und ist Mrs. Quigley geworden, obwohl manche Leute sie noch immer mit Baverstock anreden.«
»Stört das Mr. Quigley nicht?«
Es war genau die Art von verrückter, schwieriger Frage, die Becky gestellt haben könnte.
»Es ist unwichtig, was Mr. Quigley stört oder nicht«, sagte Innis. »Außerdem geht es dich nichts an. Warum verstreust du Blumensamen, wenn du nicht hier sein wirst, um sie aufblühen zu sehen?«
Das Mädchen klemmte den Spaten unter den Arm. Es war ein schwarzer, herzförmiger Torfstecher mit einem gebrochenen Stiel, den Innis, wie sie sich dunkel erinnerte, in ferner Vergangenheit benutzt hatte. Doch das eiserne Blatt war noch intakt und es war dem Mädchen gelungen, damit eine flache Rinne von etwa fünf oder sieben Zentimetern Tiefe auszuheben. Innis wusste wenig von Blumenanbau. Die Einfassung von Pennymain war von Mitte Mai bis Ende September ein Meer von Farbe, doch das war Michaels Werk gewesen, und seitdem er das Haus verlassen hatte, begnügte sie sich damit, es von Jahreszeit zu Jahreszeit in Ordnung zu halten.
Das Mädchen zuckte die Schultern. »Selbst wenn ich nicht hier bin, um sie zu sehen, werden sie irgendwem eine hübsche Überraschung bereiten. Bei den afrikanischen Ringelblumen bin ich mir nicht sicher.« Sie steckte das Blatt des Torfstechers in den Boden und sah Innis direkt an. »Wenn Sie nicht Mrs. Baverstock sind – ich meine Mrs. Quigley –, wer sind Sie dann?«
»Ich bin Mrs. Tarrant«, informierte Innis sie. »Bridget Baverstocks Schwester.«
»Ah!«, sagte das Mädchen. »Das hätte ich mir denken müssen.«
»Es ist völlig egal, wer ich bin«, sagte Innis. »Ich möchte wissen, wer du bist und was du auf unserem Anwesen machst?«
»Mein Name ist ebenfalls Tarrant, obwohl ich es vorziehe, mit Fay Ludlow angeredet zu werden, wenn Sie nichts dagegen haben.«
Innis zog ihren Schal fester um die Schultern. »Warum sollte ich etwas dagegen haben? Und warum sagst du, dein Name sei Tarrant?«
Tarrant war ihr Name, der Name ihrer Töchter, der Familienname, der Name, den sie vor dem Altar in der Kapelle von Glenarray an dem Tag angenommen hatte, als sie Michael vor all diesen Jahren geheiratet hatte. Sie hatte in der Regel keine Probleme mit Namen und keine Schwierigkeiten, sich zu merken, wo die Campbells und Baverstocks und Quigleys waren, die sich nicht mehr hier befanden. So konnte sie zum Beispiel die Namen der Kinder ihres Bruders Neil aufsagen und erzählen, welche Fächer ihr Neffe Donnie an der High School in Glasgow lehrte und wie viele Kinder er und seine Frau Tricia hatten und was ihre Namen waren, obwohl dies weniger überraschend war, da Donnie und Tricia Fetternish jeden Sommer besuchten. Sie konnte einem sogar erzählen – und das war eine Gabe, die sogar ihre Schwester erstaunte –, was aus einigen jener ›Cousins‹ geworden war, die weder sie noch Biddy als richtige leibliche Verwandte bezeichnen konnten, da ihr Großvater, der alte Evander McIver, bei der Führung des Zuchtbuches der Bullen von Foss gewissenhafter gewesen war als beim Registrieren seiner eigenen Paarungsergebnisse.
Sie wusste jedoch nicht, was aus ihrem Mann und ihrem Sohn geworden war, und ihr erster Gedanke war, dass das Mädchen mit dem blonden Haar und dem verletzten Auge Michaels jüngste Eroberung oder gar sein uneheliches Kind sein könnte, und dass er es geschickt hatte, um den Weg für seine Rückkehr zu ebnen.
»Sagtest du nicht, dein Name sei Tarrant?«, fragte Innis.
»Jetzt, wo ich hier bin, werde ich mich Ludlow nennen.«
»Ja, ja, du kannst dich nennen, wie du willst«, sagte Innis ungeduldig, »aber wer bist du und woher weißt du, wer ich bin?«
»Er hat mir von Ihnen erzählt.«
»Er?«
Innis wartete auf eine Antwort und ihr Herz schlug schneller in ihrer Brust.
»Mein Mann.«
»Michael?«
»Nein«, sagte das Mädchen. »Gavin.«
»Du meinst meinen Gavin?«
»Ja, Mrs. Tarrant.« Das Mädchen nickte. »Gavin, Ihren Sohn.«
»O, Gott, nein!«, sagte Biddy gereizt. »Sie müssen uns nicht für dumm verkaufen, Miss Ludlow. Wenn Sie glauben, Sie könnten hier hereinspazieren und behaupten, die Frau meines Neffen zu sein, ohne auch nur den geringsten Beweis dafür zu haben, dann irren Sie sich aber gewaltig.«
»Biddy …«, murmelte Robert Quigley.
»Ich werde diese Angelegenheit regeln, Robert, wenn du gestattest«, sagte Biddy.
Quig machte die kleine Verbeugung, die er im Lauf der Jahre perfektioniert hatte, weniger um Gehorsam anzudeuten, als vielmehr zu verstehen zu geben, dass die Dame des Hauses berechtigt sei, in jeder Hinsicht das erste Wort zu haben. Später würde er sie beiseite nehmen, mit ihr in aller Ruhe ein paar Worte wechseln und auf ihren gesunden Menschenverstand bauen, um sicherzustellen, dass die richtigen Entscheidungen getroffen wurden. Kompromiss, nicht Kapitulation hatten in ihrer Beziehung immer eine Schlüsselrolle gespielt.
Das Alter hatte an Robert Quigley kaum Spuren hinterlassen. Sein Haar war ein wenig lichter geworden und um seinen Mund zeigte sich eine gewisse Strenge, die nicht zu sehen gewesen war, als er noch auf Foss das Faktotum von Evander McIver gewesen war, doch er war noch immer schlank und gewandt, und wenn er sich Sorgen um Biddy und die Kinder machte und das schlechtere Geschäft, so ließ er sich das äußerlich nicht anmerken. Biddy hingegen hatte sich seit ihrer zweiten Ehe beträchtlich verändert. Sie war noch immer so eindrucksvoll, dass auf der Princes Street die Köpfe nach ihr gedreht wurden bei den seltenen Gelegenheiten, wenn das Geschäft sie nach Edinburgh rief. Doch Mutterschaft und Reife hatten ihren Dünkel gemildert und sie tat so, als kümmere sie nicht mehr, was Männer von ihr hielten. Sie war drall geworden, aber nicht dick. Eingezwängt in ein Korsett, wenn sie formelle Kleidung oder Abendkleidung trug, wurde ihre Figur gekrönt von einer Kaskade kastanienroter Locken, bei denen nur gelegentlich ein wenig Henna zur Anwendung kam, wodurch sie jünger aussah als eine Frau, die fast die fünfzig erreicht hatte.
Bündel von Briefen, die sie an Anwälte geschrieben und von ihnen erhalten hatte, hatten ein Element fortwährender Wiederholung in Biddys Konversationsstil gebracht. »Die erste Frage, die mir einfällt«, fuhr sie fort, »ist die, warum Sie beschlossen haben, nach Mull zu kommen, um Gavin zu entkommen. Schließlich ist – oder war – dies sein Zuhause. Wir sind – oder waren – seine Familie. Denken Sie, wir nehmen Sie hier auf, nur weil Sie behaupten, seine Frau zu sein?«
Sie stand an dem Fenster des Salons, die Daumen in den Bund ihres Rockes gehakt und musterte das Mädchen mit der Strenge eines Advokaten, der einen kapitalen Fall erörtert. Assistiert wurde Biddy von dem alten Willy Naismith, der hager und runzlig, aber beängstigend aufmerksam war, und aus einem Sessel nahe dem Kamin die Situation mit dem gleichen Scharfsinn verfolgte, für den er einst berühmt gewesen war.
Sollte das Mädchen durch den großen, schäbigen Salon mit seiner Aussicht auf die See eingeschüchtert sein, so ließ es sich das nicht anmerken. In dem Augenblick als Biddy eine Pause machte, um Atem zu holen, sagte sie: »Wenn Sie mich fragen, ob ich mit Gavin Tarrant legal verheiratet bin, dann sehen Sie hier, mein Ehering.« Sie griff in eine Tasche ihres Rocks und holte einen billigen emaillierten Ring heraus, den sie auf ihre Handfläche legte.
»Das Einzige, was ich sehe«, sagte Biddy, »ist ein wertloses Schmuckstück, das man auf jedem Jahrmarkt im Land kaufen kann. Ein Ring beweist gar nichts.«
»Es sei denn«, warf Willy Naismith ein, »er trägt eine Inschrift.«
Das Mädchen wandte sich stirnrunzelnd zu ihm. »Eine Inschrift?«
»Ja, Mädchen«, sagte Willy. »Etwas innen Geschriebenes, eine Verbindung seines Namens mit deinem.«
»Nein, Sir. Da gibt es nichts Geschriebenes. Gavin hätte so etwas nicht bezahlt.«
»Wo haben Sie ihn gekauft?«, fragte Biddy.
»Ich habe ihn nicht gekauft. Gavin hat ihn gekauft.«
»Wo hat er ihn dann gekauft?«
»In Buxton.«
»Habt ihr dort geheiratet?«
»Ja.«
»In der Kirche?«
»Vor dem Standesbeamten im Rathaus.«
»Musste Gavin Sie heiraten?«
»Nein, er …« Fay zögerte.
Biddy verschränkte ihre Arme vor dem Busen. »Was? Hatte er einen anderen Grund, Sie zu heiraten, von dem Sie uns nichts erzählt haben?«
»Er sagte, er liebe mich«, antwortete Fay. »Aber er liebte mich nicht. Er wollte mich aus anderen Gründen.«
»Welchen anderen Gründen?«, sagte Biddy.
»Sir Johnny – Sir John Yates – wollte Gavin nur zum Schäfer machen oder ihm das Cottage auf Cloudshill verpachten, wenn er verheiratet war. Gavin wollte die Stellung sehr und nahm mich nur deshalb zur Frau, weil ich gelegen kam.«
Das geschwollene Auge hatte zu laufen begonnen. Sie wischte es mit einem Ärmel ab und schüttelte ungeduldig den Kopf, als sei sie von den geprellten Tränenkanälen und dem lädierten Fleisch im Stich gelassen worden. Man hatte ihr keinen Stuhl angeboten und sie stand gebeugt da, wiegte sich ein wenig auf einem Absatz und betupfte ihr Auge mit dem Ärmel.
Innis schaute beiseite. Quig ebenfalls.
Willy sagte: »Wann hat er angefangen, dich zu schlagen?«
Sie seufzte, nicht überrascht darüber, dass man das so schnell bemerkt hatte. »In dieser Nacht.«
»In Ihrer Hochzeitsnacht?«, fragte Biddy. »Er hat Sie in eurer Hochzeitsnacht geschlagen?«
Fay zögerte. Dann sagte sie: »Sie sehen, warum ich fortgehen musste.«
»Wann fand die Heirat statt?«, hakte Quig nach. »Wie lange ist das her?«
»Im letzten Herbst zwei Jahre.«
Biddy starrte Innis an, die weiter aus dem Fenster schaute. Abgesehen von dem Knarren, das der Absatz des Mädchens auf dem Boden verursachte, gab es kein Geräusch im Salon. Was, überlegte Biddy, mag meine Schwester in diesem Augenblick fühlen? Was für ein Schuldgefühl hatte dieses Mitleid erregende Geschöpf in ihr geweckt? Fühlte sich Innis verantwortlich für das, was ihr Sohn getan hatte und was ihr Sohn geworden war? Oder war Gavin Tarrant ganz einfach der Erbe all dessen, was schlecht im Blut der Campbells war? Am liebsten hätte Biddy geschrien: »Geh weg. Geh weg, Mädchen, und lass uns in Frieden«, doch Gavin war nicht ihr Sohn und es stand ihr nicht zu, seine Frau, die ihm fortgelaufen war, abzuweisen.
Willy beugte sich vor, die Fäuste um die Beuge seines Spazierstocks gelegt. Er lächelte das Mädchen an und zeigte braune Zähne. »Sag mir, Mädchen, wo bist du geboren?«
»In Fream, auf dem Gut von Sir John Yates.«
»Wo sind deine Eltern?«
»Meine Mutter starb, als ich klein war.«
»Und dein Vater?«
»Ich habe ihn nicht gekannt, Sir. Ich glaube, er war ein Reisender.«
»Du brauchst nicht ›Sir‹ zu mir zu sagen«, sagte Willy. »Ich bin in diesem Haus nichts Besonderes. Tatsache ist, dass ich in vielerlei Hinsicht genauso angefangen habe wie du, als Waise. Wurdest du auf dem Gut zu einer Familie gegeben?«
»Ja, Sir«, sagte Fay.
»War man freundlich zu dir?«
»Ja, schon. Sie ließen mich zur Schule gehen.«
»Gut«, sagte Willy. »Das ist gut. Was dann? Arbeit in der Küche?«
»In den Gärten.«
Willy nickte. »Aber nach deiner Heirat mit Gavin Tarrant hast du doch nicht mehr in den Gärten gearbeitet, oder?«
»Nein. Ich musste mit ihm in einem Cottage im Edge leben.«
»Was ist das Edge?«, fragte Biddy.
»Das ist auf dem Peak, wo die Schafe sind.«
»Aber auf dem Edge gab es keine Gärten, um die du dich hättest kümmern können«, warf Willy ein.
»Nein, Sir. Nichts, was diesen Namen verdient hätte.«
»Haben dir die Gärten gefehlt?«
»Das war so«, gab Fay zu. »Im Hochland war es trostlos. Ich sah niemand, außer den Frauen der Schafhirten, und die auch nicht oft. Gavin mochte keine Gesellschaft.«
»Sind Sie deshalb weggelaufen?«, fragte Biddy.
Fay schüttelte den Kopf. »Ich bin weggelaufen, weil er mich schlecht behandelte.«
»Wie sieht dein Mann aus?«, wollte Willy wissen. »Er ist groß und blond, nicht wahr?«
»O, nein! Er ist nicht sehr groß, hat aber breite Schultern und eine breite Brust. Sein Haar ist schwarz und er trägt es in einem kleinen Zopf.«
»Findest du, dass Gavin seinem Vater ähnelt?«, fragte Willy.
»Das weiß ich nicht, Sir. Ich bin seinem Vater nie begegnet.«
»Vielleicht ist er tot? Gavins Vater, meine ich.«
»Nein, er ist nicht tot, Sir. Es gab Briefe von ihm, wenn auch nicht viele«, sagte Fay. »Gavin wollte sie mich nicht lesen lassen. Er bewahrte sie in dem Kasten versteckt auf, in dem er all seine Papiere aufbewahrte.«
»Bist du sicher«, sagte Innis, »dass diese Briefe von Michael waren – von Gavins Vater und nicht, sagen wir mal, von einem Freund?«
»Gavin hat keine Freunde.«
»Und du«, sagte Willy, »hast du keine Freunde?«
»Ich hatte Freunde, Sir«, antwortete Fay. »Ich hatte Freunde, als ich in den Gärten lebte. Josh war mein Freund.«
»Ah!«, sagte Biddy. »Aha! Jetzt kommt die Wahrheit heraus. War Josh Ihr Liebhaber?«
»O, nein. Ich hatte nie einen Liebhaber«, sagte Fay. »Josh war einfach – einfach ein Freund.«
Innis sagte: »Ist Josh die Person, die dir das Saatgut gegeben hat?«
»Ja.«
»Sollen wir das so verstehen, dass Josh weiß, dass Sie nach Mull gekommen sind?«, sagte Biddy.
»Ich habe Josh von meinen Absichten erzählt, ja«, bestätigte Fay. »Er hat sogar neues Leder auf meine Stiefel gesetzt, weil er sagte, in Schottland gäbe es nur steinige Straßen.«
»Wer weiß sonst noch, dass du hier bist?«, sagte Innis.
»Ich hab’s niemand außer Josh erzählt. Ich habe es nicht einmal Mr. Musson erzählt. Ich beschloss zu tun, was getan werden musste, und als Gavin ging, um die Schafe zusammenzutreiben, packte ich meine Tasche, ging zum Bahnhof und kaufte eine Fahrkarte.«
»Vom Geld Ihres Mannes«, sagte Biddy.
»Ich hatte etwas Geld gespart, eigenes Geld«, entgegnete Fay. »Sieben Schilling, das war alles, was ich von Gavin genommen habe. Sieben Schilling aus seinem Kasten.«
»Ist das die Wahrheit?«, fragte Biddy.
»Ja, Mrs. Bav – Mrs. Quigley, das ist die Wahrheit.«
»Willy«, sagte Biddy, »was sagst du dazu?«
»Nun ja, die Geschichte klingt glaubwürdig. Sie wäre nicht die erste junge Frau, die überredet wird, eine Ehe einzugehen.«
»Ich bin nicht dazu überredet worden, Gavin zu heiraten, Sir. Das habe ich freiwillig getan.«
»Sei es wie es ist. Aber du hast deinen Mann verlassen und Mrs. Quigley ist berechtigt zu fragen, warum du hier Zuflucht suchst«, stellte Willy klar. »Tatsächlich bin ich selbst ein bisschen neugierig zu hören, warum du dir ausgerechnet Fetternish ausgesucht hast.«
»Mull ist der letzte Ort, an dem Gavin nach mir suchen wird«, sagte Fay. »Er wird niemals hierherkommen, um nach mir zu suchen. Niemals.«
»Warum das?«, fragte Willy.
»Ich weiß es nicht, Sir. Ich denke, dass hier etwas passiert ist«, sagte Fay. »Etwas, worüber er nie gesprochen hat. Er hat mir ein wenig von der Insel erzählt und von dem Cottage, wo er geboren wurde, und wie grün und schön alles war. Er erzählte mir, dass er und sein Vater versucht hätten, ein Stück Land zu erwerben, um es selbst zu bewirtschaften, das ihnen das aber verweigert worden sei.«
»Was hat er über mich gesagt?«, fragte Biddy. »Über uns.«
»Nur wenig«, antwortete Fay. »Aber wenn er sich betrunken hatte, gab er manchmal Sachen von sich, und ich erinnere mich, dass er Ihre Namen erwähnte.«
»Trinken!«, rief Biddy aus. »Das ist es! Gott, er ist in jeder Hinsicht wie Dada.« Sie hob voller Verzweiflung eine Hand. »Werden wir diesen alten Teufel denn niemals los? Ist es nicht genug, dass wir unter ihm zu leiden hatten, als er noch lebte? Und jetzt, wo er tot ist, sollen wir mit seinem Enkel alles wieder durchmachen?«
»Beruhige dich, Biddy«, riet Quig.
»Mich beruhigen? Wie kann ich mich beruhigen, wenn wir über Gavin Tarrant sprechen, der dich, falls ich dich daran erinnern muss, zu ermorden versuchte, als er praktisch noch ein Kind war, und soweit wir wissen, könnte er planen, zurückzukommen, um das auch zu Ende zu führen.« Sie wandte sich an Fay. »Ja, das wussten Sie nicht, nicht wahr, Mädchen? Darum hat Ihr Mann Mull verlassen und darum wagt er nicht, zurückzukehren. Er hat diesen Mann hier, Robert Quigley, niedergeschossen. Hat ein Gewehr auf ihn gerichtet und den Abzug betätigt. Darum wollen wir Gavin nicht hier haben – und seine Frau auch nicht.«
»Darf ich das so verstehen, Biddy«, sagte Willy, »dass Sie dem Mädchen glauben?«
»Ja, ich glaube ihr«, sagte Biddy. »Aber ich will sie einfach nicht in meinem Hause haben.«
»Ich werde sie aufnehmen«, sagte Innis. »Ich werde mich um sie kümmern.«
»Gewissensbisse?«, brauste Biddy auf. »Himmel noch mal, Innis, Gewissen wird noch mal dein Tod sein. Was, wenn sie eine Spur für Gavin hinterlassen hat? Was, wenn er hier auftaucht, um uns alle in unseren Betten zu ermorden?«
»Du vergisst, Liebes«, sagte Quig ruhig, »dass ich nicht Gavins ursprüngliches Ziel war.«
»Ich habe nichts vergessen«, erklärte Biddy. »Ich erinnere mich an diesen Tag, als sei es erst gestern gewesen.«
Zeit, Alter, Krankheit und die Beschäftigung damit, ein nicht profitables Anwesen zusammenzuhalten, hatten die Erinnerungen an diese schreckliche Periode in ihrem Leben nicht ausgelöscht, da das Erbe der Campbells ebenso wechselvoll war wie die ganze traurige Geschichte der Insel.
»Ich werde sie nicht abweisen, Biddy«, sagte Innis mit Nachdruck.
»Du hoffst noch immer, dass er zurückkommen wird, nicht wahr? Sechzehn Jahre, sechzehn Jahre und du kannst ihn noch immer nicht aufgeben«, sagte Biddy. »Hoffst du, dass er endlich all diese Briefe beantworten wird, die du in die Vergessenheit geschickt hast, oder dass er Gavin folgen wird, wenn Gavin seiner Frau folgt? Willst du sie deshalb in deinem Hause haben? Damit Gavin zu dir kommen muss, um sie zurückzuholen?«
»Gavin wird keinen Fuß auf Mull setzen«, sagte Fay. »Er hasst Sie, Sie alle.«
»Warum sollte er uns hassen?« Biddy schüttelte den Kopf. »Was haben wir ihm denn je angetan?«
»Was wir nicht getan haben, war, ihn bei seiner Geburt zu ertränken«, sagte Willy. »Ich denke, das war vielleicht unser erster Fehler.«
»Es scheint, als seist du hier nicht willkommen, Fay«, meinte Innis. »Du kannst bei mir auf Pennymain bleiben, bis du Arbeit findest und einen Platz, wo du wohnen kannst.«
»Für Sie gibt es auf Mull keinen Platz«, raunzte Biddy, »und für niemand Arbeit.«
»Ja, aber es gibt Boden«, sagte Fay prompt.
»Wenn Sie Land meinen, ja, es gibt Land«, sagte Biddy. »Aber es ist mein Land und ich werde keinen Acre davon weggeben, weder Ihnen noch sonst jemand, den Gavin Tarrant schicken könnte, um mich zu beschwatzen.«
»Gavin hat mich nicht geschickt«, beharrte Fay. »Ich will nur ein Stück Boden für einen Garten. Ich würde ihn sogar urbar machen und vom Gras befreien, falls es nötig ist. Ich dachte, dass man vielleicht bei dem alten Cottage Beete anlegen kann.«
»Auf Pennypol wächst nichts.« Biddy zögerte. »Aber wenn Sie darauf bestehen, hier zu bleiben, wird mein Mann eine Arbeit finden, um Sie zu beschäftigen. Aber ich warne Sie, wir können es uns nicht leisten, Ihnen regelmäßig Arbeit anzubieten.«
»Gelegentliche Arbeit wäre mir recht«, sagte Fay bescheiden. »Danke, Mrs. Baverstock.«
»Quigley«, sagte Biddy. »Mein Name ist Quigley. Und von jetzt an, junge Dame, ist Ihr Name Ludlow. Sie werden Fay Ludlow sein, keine Verwandte von mir. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
»Glasklar, Mrs. Quigley«, sagte Fay und ließ sich mit einem dankbaren Kopfnicken von Innis aus dem Salon führen.