Sonntag war ein ganz besonderer Tag für Innis: Der Bischof von Isles kam nach Tobermory, um eine Ostermesse zu lesen, was für Mulls winzige katholische Gemeinde schmeichelhaft war und worauf Vater O’Donnell stolz sein konnte.
Der Besuch bewirkte eine gewaltige Aufregung und ein Flicken und Bügeln des Sonntagsstaates, aber es bestand ebenfalls die Sorge, dass die Beichte von niemandem dramatisch genug sein würde, um die erhabene Persönlichkeit eines Bischofs zu befriedigen, der unzweifelhaft daran gewöhnt war, für schwerere Sünden als Trunkenheit und gelegentliche Gotteslästerung Absolution zu erteilen.
Innis brach früh am Sonntagmorgen auf, und zu Fays Überraschung beschloss Rachel, sie zu begleiten.
Gillies Brown, dessen ökumenische Einstellung der Zeit deutlich voraus war, hatte versprochen, sich beim Gottesdienst zu den Damen zu gesellen. Obwohl er presbyterianisch war, hatte Gillies bei vier oder fünf Anlässen, als Vater O’Donnell durch Sturm auf Mull festgehalten worden war, im Mishnish Hotel für ein Abendessen gesorgt und Reverend Ewing dazu geholt, um dem Abend ein bisschen Halt zu geben.
Becky spottete über den ganzen Wirbel und erklärte, der Bischof sei einfach nur ein alter Bussard mit einem albernen Hut, dem eine Diözese zugeteilt worden sei, die sonst niemand haben wolle. Ihr Zynismus ärgerte Fay, die nur zu gerne von einem so heiligen Mann einen Ostersegen erteilt bekommen hätte. Sie stritt jedoch mit ihrer Schwägerin nicht. Sie misstraute Rachel und Rebeccas Freundlichkeit und wollte vermeiden, ihnen Munition zu liefern, die gegen sie verwendet werden könnte. Zudem würden die Quigleys in der Dorfkirche sein und sie hatte nicht den Wunsch zu riskieren, auf dem Rückweg von Tobermory Biddys Kindern zu begegnen.
Pennypol muss eben für einen kleinen Niemand wie mich reichen, sagte Fay sich, und spazierte mit Brot und Käse und einer kleinen braunen Papiertüte, gefüllt mit Zucker und Tee, zu den Beeten hinunter, um alleine Ostern zu feiern.
Die Mutterschafe waren auf eine Weide jenseits des Flusses getrieben worden. Von den Barretts gab es auf dem Hügel keine Spur, keine Seele war an diesem Vormittag zu sehen, nicht einmal ein Dampfer, der von Staffa herangepflügt kam, oder ein Fischkutter, der die Landspitze umschiffte. Die Sonne glitzerte auf leerem Wasser. Die Wellen brachen an einer leeren Küste.
Das Saatgut, das Mr. Quigley ihr gegeben hatte, keimte jedoch gut, und wenn sie die Kaninchen daran hindern konnte, die Triebe in etwa zwölf Wochen zu fressen, würde sie Kohlrüben, Lauch und Kartoffeln für den Markt haben.
Sie hatte sogar das Erdbeerbeet, einen nach Süden gerichteten Streifen Boden durch tiefes Graben dicht an der Trockensteinmauer, vorbereitet, um die Ableger, die sie aus Fetternish gerettet hatte, unterzubringen. Es war ein so schöner Morgen, dass sie bald jedes Zeitgefühl verlor. Die Wachsamkeit ihres Ichs ließ nach. Die kluge und vernünftige Seite ihres Wesens verflog, und Josh und Gavin, Fream und Cloudshill schienen sehr weit fort zu sein.
Sie schichtete Treibholz, machte Feuer an der Giebelwand des Cottage und kochte Wasser in dem geschwärzten Kessel, den Innis ihr gegeben hatte. Sie goss Tee auf und setzte sich ins Gras. Sie lehnte ihren Kopf gegen die Steine und spürte die Sonne auf ihrem Gesicht. Sie legte ihre Hände über ihren Bauch und versuchte sich vorzustellen, wie der Keim, den er in sie gepflanzt hatte, sich entfalten würde. »Steckrüben, Lauch, Petersilie, Kartoffeln – und Baby«, murmelte sie, und dann schloss sie, ins Sonnenlicht lächelnd, ihre Augen und schlief ein.
Quig verließ sie am Tor des Pfarrhauses. Fast die ganze Fetternish-Sippe ging mit dem Pfarrer und seiner Frau zum Mittagessen, alle außer Becky.
Quig kümmerte sich wenig um Becky. Sie schien ihm ebenso bockig und rechthaberisch zu sein wie Christina, auf die gleiche Art verändert, wie diese sich verändert hatte. Ich bin zu naiv, vermutete er, um zu verstehen, was in diese jungen Mädchen fährt, wenn sie sich erst einmal zu Frauen entwickeln. Im vergangenen halben Jahr etwa hatte er ebenfalls lernen müssen, sich an die Veränderungen in Biddy zu gewöhnen. Mutter und Tochter waren zu Weihnachten als Feindinnen auseinandergegangen, umarmten sich zu Ostern aber als Verbündete. Er wusste nicht, ob er diese unerwartete Wendung in der Beziehung bedauern oder darüber erleichtert sein sollte. Allerdings tat Robbie ihm leid, der keine andere Wahl hatte, als sich zu ducken, wenn seine Schwester und seine Mutter sich gemeinsam aufs hohe Ross setzten.
Den armen Robbie verlassend, um diesen leiden zu lassen, entschuldigte Quig sich und enteilte über die Hauptstraße.
Er fuhr rasch nach Fetternish zurück, nahm einen Happen zu essen, zog seine Arbeitskleidung an und machte sich sofort auf den Weg nach Pennypol, wo er, wie er wusste, Fay Ludlow finden und sie, zumindest eine kurze Zeit, für sich ganz alleine haben würde.
Fay öffnete die Augen. Sie wusste nicht, wie lange sie geschlafen hatte oder wie lange er sie betrachtet hatte, aber sie wusste, dass er auf ihre Beine geschaut hatte.
Sie blinzelte.
Quig bewegte sich einen Schritt nach links, sodass er zwischen ihr und der Sonne war.
»Ich habe Ihnen etwas mitgebracht«, sagte er.
»Was haben Sie mir mitgebracht?«
»Eine Butterrolle.«
»Was ist das?«
Quig steckte eine Hand in die Tasche und holte eine Teigrolle heraus, die in ein Stück Zeitungspapier eingewickelt war.
Sie beugte sich vor und musterte das weiche, fettige Gebäck, das auf der Zeitung in seinen hohlen Händen lag. Seine Handgelenke waren dünn, aber nicht knochig, seine Unterarme von dunklem Haar überwachsen. Er hatte ein freundliches Gesicht, kein runzliges wie Mr. Musson oder Mr. Naismith.
Dadurch, dass sie sich vorbeugte, erlaubte sie ihm einen Blick auf ihre Brüste.
Sie blieb in dieser Position, sah aber nicht ihn an, sondern schaute auf das Gebäck. Sie konnte die Butter sehen, die beim Backen der Form verwendet worden war, die Flöckchen von reiner Butter, mit denen das Gebäck bestrichen gewesen war.
»Nehmen Sie es«, sagte er, »wenn Sie wollen.«
Sie nahm es und biss hinein.
»Ist es gut?«, fragte er.
»Ja, es ist gut.«
Er ließ sich auf seine Fersen sinken, knüllte die Zeitungsseite zu einer Kugel zusammen und legte sie in die Glut des Feuers, das Wärme ins Sonnenlicht ergoss.
Weit draußen in der Bucht war ein Schiff zu sehen, eine Jacht mit hohen Masten und drei Segeln. Fay beobachtete, wie sie auf die Landspitze zufuhr. Ihr Bugspriet senkte sich tief in die blaue See.
Sie aß das Gebäck, nahm einen Schluck Tee und wischte ihre Hände auf dem Gras ab.
Quig war doppelt so alt wie sie oder noch älter.
Er beobachtete sie, scheinbar gedankenlos.
Er sagte: »Wie weit sind Sie, Fay?«
»Weit …«
»Wie weit ist Ihre Schwangerschaft?«
Sie verspürte einen kleinen Schreck wie einen innerlichen Tritt, so als ob der Fötus auf die Frage reagiert hätte, bevor ihr eine Antwort einfiel. Sie öffnete den Mund, wusste aber nicht, was sie sagen sollte, weder ein Leugnen noch einen Protest. Sie hatte darüber nachgedacht, wie sie reagieren würde, wenn er versuchte, sie zu küssen, und die ganze Zeit…
»Ich dachte nicht, dass man schon etwas sehen würde«, sagte sie.
»Man sieht auch nichts«, sagte Quig, »aber bald wird man’s.«
»Woher wussten Sie es?«
Er zuckte die Schultern. »Ich bin auf einer kleinen Insel namens Foss aufgewachsen, wo es viele Geburten aller Art gab. Schon als Junge konnte ich die Zeichen lesen. Ich entwickelte einen Instinkt dafür, es zu wissen, ohne es zu wissen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Sie blickte auf ihren Bauch hinab und perlendes Gelächter stieg in ihr auf. Sie war froh, dass jemand die Wahrheit kannte. Sie war erleichtert, dass es Mr. Quigley war, obwohl er es jetzt nicht wagen würde, sie zu küssen.
Sie lachte über ihre Dummheit.
»Ich denke, es wird Ende August bei uns sein«, sagte sie. »Vielleicht September.«
»Haben Sie Innis von dem Baby erzählt?«
»Ich habe es noch niemandem erzählt.«
»Ich muss diese Frage stellen«, sagte er. »Es ist doch Gavins Kind, oder?«
»Es kann von niemand anderem sein«, sagte Fay. »Ich weiß, was man in dem großen Haus über mich denkt und was Becky sagt, aber ich habe mit keinem anderem Mann als mit meinem Ehemann geschlafen.«
»Weiß Gavin, dass Sie sein Kind tragen?«
»Nein.«
»Was, wenn er es erfährt?«
»Ich kann mir nicht vorstellen, was er tun wird«, sagte sie. »Das liegt daran, weil ich nicht vorhersagen kann, was er tun wird, da ich ja weggelaufen bin. Ich hatte Angst, dass er eifersüchtig auf das Baby sein könnte und ihm das Gleiche zufügen würde wie mir.«
»Als Sie sich das Bein brachen, wer hat es da versorgt?«, fragte Quig.
»Gavin.«
»Womit?«
»Mit zerrissenen Laken und Bindedraht«, sagte Fay. »Er wollte nicht, dass ich hinausging und jedem erzählte, was passiert sei. Er richtete die Knochen wieder und schnitt die zerrissene Haut ab, goss Enzian darüber, um ein Eitern zu verhindern, und band es fest. Er weigerte sich, mich aus dem Hause gehen zu lassen, bis ich wieder aufrecht laufen konnte.«
Quig setzte sich auf seine Fersen zurück. »War das etwa die Zeit, als Sie empfingen?«
»Nein«, sagte Fay, »später im Winter.«
»Er ist ein Teufel, wissen Sie.«
»Ich weiß.«
»Sein Vater war ganz genauso.«
»Ich bin seinem Vater nie begegnet.«
»Ich frage mich, wo Michael Tarrant jetzt ist«, sagte Quig. »Ich frage mich, was er jetzt im Schilde führt. Ich finde es sonderbar, dass er und der Junge sich getrennt haben. Sie standen sich sehr nahe.«
»Vielleicht war Gavin für seinen Vater auch zu viel.«
»Ja«, sagte Quig. »Vielleicht war nicht Platz genug für die beiden da, um zur selben Zeit am selben Ort zu sein.«
»Mr. Quigley?«
»Hmmm?«
»Was, wenn ich einen Jungen habe, einen Jungen wie Gavin?«
Quig schaute mit zusammengekniffenen Augen auf die See hinaus und beobachtete, wie die Jacht mit den hohen Masten sich senkte und krängte, als der Wind sie hinter der Landspitze erfasste.
»Tja« – er kicherte verhalten – »ich denke nicht, dass wir Willy Naismith’ Rat befolgen, ihn in einem Leinwandsack hinunter zum Landungssteg bringen und ihn in den Ozean werfen werden. Wenn es ein Junge ist – oder auch ein Mädchen –, werden wir einfach abwarten müssen und sehen, was für einen Menschen Gott uns gegeben hat. Tarrant oder Campbell oder Quigley, man kann ja nie wissen, woraus ein Mensch gemacht ist oder was er aus sich machen wird.«
»Glauben Sie das wirklich?«, fragte Fay.
»Ja, das glaube ich.«
Er entzog sich nicht, als die kleine Fay Ludlow sich in seine Arme schmiegte.
Als Kind war Christina dazu ermutigt worden, die Dienstbotenquartiere zu besuchen, doch anders als ihr Bruder hatte sie keine Neigung gezeigt, den oberen Teil des Hauses zu verlassen, um die heimelige Atmosphäre der Küche aufzusuchen.
Sie hatte es vorgezogen, im Wohnzimmer zu frieren oder sich mit den Hunden – seinerzeit hatte es noch Hunde gegeben – vor dem Kamin in der großen Halle zusammenzurollen, statt mit dem Personal zu verkehren. Fünf Jahre der Erziehung im Schulhaus in Crove hatten ihren Glauben an ihre natürliche Überlegenheit nicht gemindert, obwohl sie sorgfältig darauf geachtet hatte, sich die Söhne und Töchter von Fischern und Landarbeitern nicht zu Feinden zu machen. Als sie jedoch schließlich in das Internat in Edinburgh entfloh, hatte sie keine einzige Träne vergossen und sie fühlte sich bei den Töchtern von Kaufleuten und Brauern, Ärzten, Anwälten und Kolonialbeamten sehr wohl.
Wäre es möglich gewesen zu beweisen, dass man als Snob geboren werden kann, dann wäre Christina Quigley Beweis genug dafür gewesen, und mit Beginn der außergewöhnlichen Drüseneruptionen, die ein Ende der Kinderzeit verkündeten, zeigte sie sich in der ganzen Pracht dessen, was sie immer gewesen war: Sie ging allen auf die Nerven.
Becky nahm ein Kaninchen aus, als Christina in die Küche hinuntergepoltert kam. Dienstag, der vierte Ferientag: Man hatte selbst die loyale Maggie Naismith abschätzig über ›die Dicke‹ da oben murmeln hören, und ganz privat hatte sie vor Willy ansatzweise eine Persiflage von Christinas vornehmem Getue gegeben.
Als die Tür aufgestoßen wurde und Christina in die Küche gerollt kam, war Maggie jedoch so höflich und unterwürfig wie es sich gehört.
Becky, die das Messer zum Entbeinen in der Hand hatte, verspürte einen plötzlichen Drang, sich zu übergeben.
Sie wandte ihrer Kusine den Rücken zu, während Christina sich einen Kaffee aus der Kanne einschenkte, die auf dem Herd köchelte.
Vorsichtig bog Becky den Kopf des Kaninchens gegen seine Schulter zurück und schob einen Augapfel mit ihrem kleinen Finger zurück an seinen Platz.
Christina ließ sich auf die Kante der Anrichte sinken.
»Tja«, sagte sie mit süßlichem Tonfall, »ist das nicht gemütlich? Ich liebe es ja so, daheim bei meinen Freunden zu sein. Das vermisst man auf der Schule.«
»Tatsächlich?«, fragte Becky.
»Maggie, liebe Maggie? Wie geht es dir denn jetzt?«
»Es geht mir gut, Miss Christina, danke.«
»Ich hörte, du hast eine interessante neue Freundin gefunden.«
»Wenn du Fay Ludlow meinst« – Becky drehte sich zu ihr um – »sie ist keine Freundin von mir.«
Es war nur eine Frage der Zeit gewesen, bis Christina die Gerüchte über Fay Ludlow zu Ohren kamen und natürlich gewann die Neugier die Oberhand über sie. Zweifellos, dachte Becky, haben Tom oder Marie Ewing oder vielleicht Gillies Brown, bevor er nach Glasgow aufgebrochen war, etwas gesagt, was sie nicht hätten sagen sollen.
»Fay wer?«, sagte Christina. »Ach, du meinst das Mädchen, das mein Vater aufgenommen hat. Nein, nein, nein. Welches Interesse sollte ich denn an einem Gärtnermädchen haben? Außerdem hatte ich nicht mir dir gesprochen, Rebecca. Ich sprach mit Maggie. Ich meinte deine neue Freundin, Maggie, die Herrin von The Ards.«
Becky legte das Ausbeinmesser ab und schob den glitschigen Körper beiseite. Sie lehnte sich an den Hackklotz. Sie war ebenfalls an Frances Hollander interessiert und spitzte ihre feuchten jungen Ohren, um zu hören, was Maggie Naismith vielleicht über sie zu sagen hatte.
Maggie wischte sich die Hände an der Schürze ab und zierte sich ein wenig, bevor sie antwortete. »Frances? Ja, ich glaube nicht, dass es übertrieben wäre, wenn ich sage, dass ich ihre Freundin bin. Frances ist natürlich in Amerika gewesen, und das macht den Unterschied aus.«
»Wieso macht das den Unterschied aus?«, verlangte Christina eine Erklärung.
»Sie sucht sich ihre Freunde nicht nur unter den Reichen.«
»Wie Mama, meinst du?«, sagte Christina.
Dieser Vorwurf ist falsch, dachte Becky, eine Verleumdung. Sie mochte keine Achtung vor Grundbesitzern haben, aber sie war nicht blind der Wirklichkeit gegenüber. Ihre Tante mochte auf der sozialen Leiter ein paar Sprossen aufgestiegen sein, als sie jünger gewesen war, doch in den letzten acht oder zehn Jahren – in der Hälfte von Becky’s Leben – hatte Tante Biddy sich entschieden geweigert, mögliche Geldgeber der Mittelschicht zu hofieren, in der Hoffnung, Ersatz für die Verträge zu bekommen, die verloren gegangen waren, als die Baverstock-Pauls die Fabrik in Sangster verkauft hatten.
»Ich glaube nicht, dass deine Mutter ihre Freunde so aussucht«, sagte Becky.
»Was weißt denn du schon davon?«, sagte Christina.
»Mehr als du«, erwiderte Becky. »Ich bin schließlich hier und sehe, was vorgeht.«
»Was soll das heißen? Was vorgeht?« Eine winzige Spur von Besorgnis schwang in Christinas Frage mit. »Maggie, was geht vor?«
»Nichts, Christina, nichts«, sagte Maggie hastig.
»Ach, erzähl ihr doch die Wahrheit, um Himmels willen«, sagte Becky. »Alle möglichen Dinge gehen vor, von denen du offensichtlich nichts weißt.«
»Was, zum Beispiel?«
»Hast du’s nicht gehört?«, fragte Becky ungläubig.
»Gehört? Was gehört?«
»Über Mr. Rattenbury.«
»Wer ist Mr. Rattenbury?«
»Der Mann, der den größten Teil des Landes um The Ards gekauft hat«, erklärte Becky. »Du bist nicht sehr aufmerksam, nicht wahr?« Sie hatte keine Bedenken, ihren Vorteil gegenüber ihrer Kusine weiter auszuspielen. »Ich dachte, darum fragtest du Maggie nach Mrs. Hollander. Sie ist übrigens nicht ›Lady‹ Hollander.«
»Ist denn ihr Mann kein Adliger?«, fragte Christina.
»Es gibt keinen Ehemann«, sagte Becky. »Frag Maggie, wenn du mir nicht glaubst. Hast du je einen Ehemann gesehen? Und wenn ich darüber nachdenke, hast du je die Mutter gesehen?«
»Ich – ich … Musst du nicht mit deiner Arbeit weitermachen?«, stammelte Maggie.
Christina rutschte von der Kante der Anrichte. Sie war größer als Becky, schwerer als Maggie. »Lass die Arbeit warten«, sagte sie. »Erzähl mir von deiner Freundin, Mrs. Hollander. Hat sie keinen Mann?«
»Ich habe Mr. Hollander nicht gesehen«, gab Maggie zu.
»Es gibt also einen Mr. Hollander?«, sagte Christina. »Er ist kein Adliger?«
»Natürlich ist er kein Adliger«, sagte Becky, »trotz allem, was gewisse Leute in Crove gerne glauben möchten. Er ist ein Rätsel, noch so ein verdammtes Rätsel. Wir haben in letzter Zeit hier viele davon, Christina.«
»Wirklich? Wie interessant!«
Becky empfand keine Herzlichkeit für ihre Kusine, für einen Augenblick jedoch war da ein gewisser, undefinierbarer Funke zwischen ihnen. »Ich habe gehört«, fuhr sie fort, »dass Frances Hollander ihre Mutter auf dem Dachboden gefangen hält.«
»Das«, platzte Maggie heraus, »ist nicht wahr.«
»Dann hast du sie also gesehen?«, sagte Becky.
»Nein, aber ich …«
»Wen interessiert die Mutter? Was ist mit dem Mann?«, sagte Christina. »Ist er tot, lebendig, getrennt, ein Soldat, ein Seemann, ein – ein was?«
Schweigen. Sie hatten die Klatschtante, die Frau des alten Willy Naismith sprachlos gemacht.
»Nun, Maggie, willst du’s uns nicht erzählen?«, drängte Christina.
»Ich weiß nicht, was er ist.«
»Ich dachte, Mrs. Hollander sei deine Freundin«, setzte Christina nach.
»Sie – sie ist eine Bekannte, mehr nicht.«
»Also keine intime Freundin, nicht deine Vertraute?«, sagte Christina.
»Sie ist berechtigt, zu behalten – nicht zu sprechen über … Was geht Sie das an?«
»Du weißt es nicht, nicht wahr, Maggie?«, stellte Becky fest. »Tatsächlich weißt du nichts über Frances Hollander. Aber ich würde jede Wette eingehen, dass sie alles über uns weiß.«
»Willst du nun das Kaninchen hacken«, schnappte Maggie, »oder muss ich das selbst tun?«
»Das Kaninchen wird schon nicht davonlaufen«, sagte Christina. »Du hast mir noch immer nicht erzählt – keiner von euch –, wer Mr. Rattenbury ist oder was er mit Fetternish zu tun hat.«
Die Haushälterin warf Becky einen hilflosen Blick zu.
»Ich weiß es nicht.«
»Ich aber«, sagte Becky. »Es ist glasklar, was Mr. Patrick Rattenbury will.«
»Was?«, sagte Christina.
»Ich denke, es ist vielleicht besser, wenn du deine Mama bittest, das zu erklären.«
»Bitte«, forderte Christina, »bitte, erzähl es mir.«
»Also gut. Wenn du darauf bestehst«, gab Becky nach. »Er beabsichtigt, Fetternish zu kaufen.«
»Was?!«, rief Maggie aus.
»Fetternish kaufen?«, sagte Christina. »Wie – woher weißt du das?«
Becky lächelte triumphierend. Sie hatte es der Haushälterin, die glaubte, alles zu wissen, gezeigt, und auch Christina, die wirklich überhaupt nichts wusste.
Sie langte hinter sich und ergriff das Ausbeinmesser.
»Ich hab’s im Guardian gelesen«, sagte sie.
»Ich würde es wirklich vorziehen, wenn du mit deinem Vater sprechen würdest«, sagte Biddy.
»Nein, ich möchte, dass du es mir erzählst«, sagte Christina. »Ist es wahr? Wird dieser Mann, dieser Patrick Rattenbury, Fetternish kaufen?«
»Er hat gewisse Vorstöße unternommen«, gab Biddy zu.
»Was für Vorstöße?«
»Dass er mehrere hundert Acres bei An Fhearann Cáirdeil erwerben will.«
»Du willst doch nicht – o, ich meine, du wirst doch nicht verkaufen, Mama, nicht wahr?«
Biddy saß am Piano. Der Deckel des Instruments war geschlossen. Sie trug einen verschlissenen Tweedrock und ein geflicktes Flanellhemd und Christina fand, dass sie zwischen den verblichenen vergoldeten Möbeln völlig fehl am Platze aussah.
»Wir müssen das vielleicht, Liebling. Das ist der langen Rede kurzer Sinn.«
»Fetternish verkaufen?«, rief Christina. Die Aussicht, von einem Inselgut vertrieben zu werden, das sie immer verabscheut hatte, erfüllte sie plötzlich mit Entsetzen. »Was ist – ich meine, was wird denn für uns übrigbleiben, für Robbie und mich?«
»Hör zu, ich würde es vorziehen, wenn dein Vater und Robbie hier wären.«
»Weiß Robbie, was geschieht? Ich meine, habt ihr es Robbie erzählt und es mir verschwiegen? Das ist nicht fair. Das ist einfach nicht fair.«
»Robbie weiß nicht mehr als du«, beruhigte Biddy sie. »Nichts ist geregelt. Noch nichts ist im Einzelnen diskutiert worden. Tatsächlich hat es von Mr. Rattenbury noch kein offizielles Angebot gegeben. Er hat nur mit einem Brief angedeutet …«
»Wie? Wie kann man etwas Derartiges in einem Brief ›andeuten‹?«
»Frances Hollander erwähnte es deinem Vater gegenüber.«
»O! Oho! So also ist das! Das wird alles hinter vorgehaltener Hand gemacht.«
»Bitte, Christina, schrei nicht. Die Diener werden dich hören.«
»Die Diener haben es mir erzählt, Himmel noch mal.«
Christina senkte ihre Stimme und schlich sich näher zur Pianobank. Auf der Stirn ihrer Mutter war kein Hauch von Puder und kein Tupfer Rouge auf ihren Wangen und sie sah, wie Christina fand, ziemlich alt aus. Sie spürte eine Übelkeit erregende kleine Welle von Furcht, als ihr bewusst wurde, dass ihre wunderschöne Mama bald schon Willy Naismith ähneln würde.
»Was will er mit Fetternish, dieser Mr. Rattenbury?«
»Bäume pflanzen.«
»Bäume?«
»Holz«, betonte Biddy. »Norwegische Fichten, glaube ich.«
»Kann man denn mit Bäumen Geld verdienen?« Christina wartete nicht auf eine Antwort. »Wenn man mit Bäumen Geld verdienen kann, warum pflanzen wir sie nicht selbst?«
»Wir haben kein Kapital«, antwortete Biddy. »Weißt du, was Kapital ist?«
»Himmel noch mal, Mama, natürlich weiß ich, was Kapital ist.«
»Es würde sehr viel Geld kosten, den Boden zu entwässern und einzuzäunen und eine genügend große Menge Setzlinge für eine Pflanzung zu erwerben.«
»Können wir das Kapital nicht leihen?«
»Von wem?«
Christina wusste darauf keine Antwort, obwohl sie das Dilemma ihrer Eltern verstand. Bei Gott, sie hatte auf der Schule genug über Erträge und Investitionen gehört, da einige der älteren Mädchen fast ebenso interessiert an finanziellen Dingen waren wie am Schmieden von Liebesbeziehungen. Sie wünschte sich jetzt, aufmerksamer zugehört zu haben, wenn im Schlafsaal das Gespräch auf Immobilien und Banken und Geldverleih kam. Für einen einzigen, großartigen Augenblick stellte sie sich vor, die Retterin von Fetternish zu sein, indem sie einen Bankier oder einen Börsenmakler nach Hause brachte, um alles zu retten, doch diese leuchtende kleine Blase platzte, bevor sie erst richtig Form annehmen konnte.
Biddy sagte: »Du solltest dir über diese Dinge wirklich keine Sorgen machen, Christina. Ich werde mich darum kümmern.«
»Werde ich die Schule verlassen müssen?«
»Natürlich nicht.«
Das weibliche Band, das sie fast eine Woche lang miteinander vereint hatte, lockerte sich. Mama wies sie wieder in ihre Schranken, behandelte sie wieder als Heranwachsende. Sie dachte daran, wie geschickt Becky ein Kaninchen ausgenommen und Teig für eine Pastete ausgerollt hatte und fragte sich, ob sie in den kommenden Tagen auch dazu degradiert sein würde, Dienerin oder Ehefrau zu sein.
»Warum habt ihr Robbie nicht erzählt, was passiert?«, sagte sie. »Ich meine, warum musste ich das von Becky hören?«
»Robbie wird es rechtzeitig erfahren.« Biddy legte eine Hand an ihre Stirn, als habe die Frage bei ihr Kopfschmerzen ausgelöst.«
»Du meinst, Robbie wird konsultiert werden und ich nicht?«
»Er ist der Erbe von Fetternish. Er hat ein Recht darauf, informiert zu sein. Außerdem ist er älter als du.«
»Und natürlich ist er ein Mann.«
Um Beherrschung ringend und um das Verlangen zu unterdrücken, aufzustampfen, zu schreien und Gleichheit zu verlangen, stellte Christina ihre Ellenbogen auf den Deckel des Pianos und überlegte, was sie als Nächstes sagen sollte. Tatsächlich wusste sie nicht, wem sie gleich sein wollte. Ganz sicher nicht Robbie, der schließlich erben würde, was von diesem matschigen Stück von Mull und seinem knarrenden Haus übrigblieb und damit die Last, für Mutter und Vater zu sorgen, wenn sie alt und hilflos wurden.
Sie beneidete Robbie um seine Verantwortung nicht. Aber vielleicht ist es dennoch Zeit, mit Robbie zu reden, dachte sie, um herauszufinden, ob er schon einmal über die Zukunft nachgedacht hatte oder ob sein Kopf noch immer mit dummen Lateinvokabeln und Rugby gefüllt war.
Christina sagte: »Wer ist Patrick Rattenbury eigentlich?«
»Ein Makler, glaube ich«, sagte Biddy.
»Ein Makler für wen?«
»Ich habe keine Ahnung, Liebe.«
»Weiß Dada das nicht? Becky sagt, dass ein Artikel über Fetternish in einer englischen Zeitung erschienen sei – im Guardian.«
»In dem Artikel im Guardian wurde Fetternish nicht erwähnt.«
»Du hast ihn gesehen, ihn gelesen?«
»Natürlich«, sagte Biddy. »Patrick Rattenbury ist nicht der einzige Makler, der Land aufkauft und derzeit seine Runde macht. In dem Artikel ging es ganz allgemein über Forsten als Investition für die Zukunft.«
»Hat diese Hollander-Frau wirklich einen Teil von The Ards verkauft?«
»Sie hat den größten Teil des Gutes verpachtet, glaube ich.«
»Verpachtet?«, fragte Christina. »Ah, dann musst du nicht unbedingt verkaufen?«
»Wir müssen vielleicht überhaupt nichts machen.« Biddy massierte ihre Schläfen. »Bei uns kommt noch einiges an Mieten herein, wenn auch nicht viel, und vielleicht steigen die Wollpreise wieder. Und am Ende des Jahres kann man immer fette Lämmer verkaufen.« Sie brachte ein Lächeln zustande, streckte eine Hand aus und streichelte tröstend Christinas Arm. »Es tut mir leid, dass du dich gerade jetzt damit befassen musstest, wo wir so gut miteinander auskommen.«
Christina ignorierte die Bitte ihrer Mutter um Bestätigung.
»Bist du Frances Hollander schon begegnet?«, forschte sie.
»In der Kirche, nur in der Kirche.«
»Du magst sie nicht, oder?«
»Sie ist …« Biddy zögerte. »Etwas an ihr scheint mir nicht richtig zu sein.«
»Was ist mit Mr. Rattenbury? Hast du ihn noch nicht kennengelernt?«
»Noch, nicht«, sagte Biddy. »Nein, Liebe, noch nicht.«
Quig glaubte nicht, dass er etwas Falsches tat, als er Robbie mit hinunter nach Pennypol nahm, damit er Fay Ludlow kennen lernte.
Ihm war bewusst, dass er auf Fays Annäherung nicht hätte eingehen sollen, und er hütete sich davor, mit ihr allein zu sein. Sie war keineswegs so hilflos, wie er vermutet hatte und erinnerte ihn ein bisschen an die Waisen, denen Evander McIver auf Foss Zuflucht gewährt hatte. Er konnte nicht leugnen, dass er den Augenblick von Intimität genossen hatte. Das hatte ihn in eine Zeit vor seiner Ehe mit Biddy zurückversetzt, als er Aileen auf seine Knie genommen und ihrem Gezwitscher und Geschwätz gelauscht hatte. Er war immer fürsorglich, verantwortungsbewusst und vertrauenswürdig gewesen, was, wenn er jetzt darüber nachdachte, für einen jungen Mann eine sehr schwere Last gewesen war, da er ja tugendhaft zu sein hatte.
Doch jetzt war es zu spät, um etwas zu ändern: Er hatte die kleine Fay Ludlow ohne Verlangen in seinen Armen gehalten. Er fürchtete nur, dass sie nicht begreifen würde, dass er als Gegenleistung für sein Mitgefühl nichts wollte.
Er war mehr als doppelt so alt wie sie und sogar alt genug, um ihr Vater zu sein.
Natürlich hatte sie nie einen Vater gehabt und einen Liebhaber auch nicht.
Sie hatte ihm von einem jungen Mann namens Josh erzählt. Sie vermisste Josh, sagte sie. Sie vermisste ihre kleine Bettstatt in dem Dachboden des Cottages am Ende des langen Gartens in Fream. Sie habe jetzt niemanden, sagte sie, der für sie sorge.
Er hatte sie zu lange zu dicht bei sich gehalten. Nicht nur, dass sie noch die Frau eines anderen Mannes war, sie trug auch das Kind eines anderen Mannes. Er durfte sich durch Mitgefühl nicht für die Realität blenden lassen. Und die Realität war, dass er ein verheirateter Mann war und genug eigene Probleme hatte.
»Hättest du Lust auf einen Spaziergang, Sohn?«, sagte er.
»Ich dachte, du seist noch beim Lammen«, sagte Robbie.
»Nein, das Lammen ist fast vorüber. Barrett kann sich um das kümmern, was noch zu tun ist. Wir können dort entlanggehen oder hinaus nach An Fhearann Cáirdeil.«
»Oder hinunter nach Pennypol?«, schlug Robbie vor.
»Wenn du das möchtest, ja.«
»Wird Tante Innis dort sein?«
»Wo?«
»Sich um sie kümmern.«
»Um sie …?«
»Ich habe das Mädchen gesehen, weißt du.«
»Hast du das?«, sagte Quig.
»Vom Hügel, mit Billy. Billy ist wahnsinnig in sie verknallt.«
»Ist er in der Tat«, sagte Quig. »Das macht das Alter.«
Robbie entging die Ironie nicht. Er lachte und sagte: »Billy erzählte mir, dass das englische Mädchen dich famos findet. Er ist schrecklich eifersüchtig.«
»Billy hat keinen Grund, auf irgendwen eifersüchtig zu sein. Auf mich am allerwenigsten.«
Robbie hievte sich von der abgewetzten Ledercouch in der großen Halle hoch und warf die wochenalte Ausgabe der Times beiseite.
»Es ist schon wirklich recht seltsam«, sagte er.
»Was?«
»Ein Mädchen einzustellen, weißt du, obwohl wir langsam pleitegehen.«
»Ich habe sie nicht eingestellt. Innis hat sie bei sich aufgenommen. Ich habe ihr lediglich ein paar Geräte gekauft, ein bisschen Saatgut und ein oder zwei Pflanzen. Macht ja keinen Sinn, wenn sie den ganzen Tag nichts tut.« Quig hielt stirnrunzelnd inne. »Wer hat dir erzählt, wir würden pleitegehen?«
Robbie legte eine Hand auf seinen Arm und schlug ihm zu Quigs Bestürzung leicht auf die Brust.
»Allgemein bekannt, Dad. Das ist allgemein bekannt.«
»Wir gehen nicht pleite«, sagte Quig.
»Ich glaube dir, obwohl das Tausende nicht würden«, sagte Robbie und schlug, immer noch grinsend, seinem Vater wiederholt auf die Brust. »Komm, lass uns nach Pennypol runterlaufen, damit ich selbst sehen kann, wie der Hase läuft.«
»Der Hase?«
»Eine Redensart, Dad, nur eine Redensart. Gehen wir nun oder nicht?«
»Wir gehen«, sagte Quig.
Auf Pennypol gab es wenig genug zu tun, außer Unkraut zu zupfen und darauf zu warten, dass die ersten grünen Triebe hervorkamen. Allerdings waren die Kaninchen eine Gefahr, sie würden alles Grüne verschlingen, sobald es sich zeigte. Sie hatte ihnen einen Strich durch die Rechnung gemacht, indem sie das Netz aus galvanisiertem Draht mit Krampen und Pflöcken aufgestellt hatte, das Quig bei einer Gärtnerei in der Nähe von Oban bestellt hatte. Billy hatte ihr geholfen, den kreisförmigen Zaun zu errichten, was wirklich keine große Arbeit war, da der Holzhammer leicht und Billy für sein Alter stark war und er behauptete, schon einige Zäune gesetzt zu haben.
Sie wollte die Beete in Pennypol schnellstens sichern, bevor sie mit dem Garten bei Fetternish House begann. Sie hoffte, wenn sie dort erst einmal angefangen hatte, würde Quig versucht sein zu kommen und ihr zu helfen, wann immer er eine freie Stunde hatte. Ihr gefiel die Vorstellung, mit Quig zusammenzuarbeiten. Er würde graben und sie würde hacken, und gemeinsam würden sie den alten Garten wieder zum Leben erwecken. Sie musste jedoch schnell sein, da das Baby in ihr rasch wuchs. Wenn der Herbst kam, würde Quig sich eine Weile allein um den Garten kümmern müssen.
Rachel war am gleichen Tag, an dem Mr. Brown von seinem Besuch bei seinem Sohn und den Töchtern zurückgekommen war, nach Glasgow zurückgekehrt. Gestern Abend war er zum Essen gekommen, um Innis aufzumuntern. Er hatte lange über die Familie Yeates und über Fream gesprochen und schien mehr über seine Geschichte zu wissen als Fay.
Es hatte auch ein Picknick auf dem Rasen bei Fetternish House gegeben. Alle Freunde der Quigleys waren dort gewesen. Fay war nicht eingeladen worden, hörte aber interessiert zu, als Innis Mr. Brown alles darüber erzählte, und fragte sich, wie lange es dauern würde, bis sie von der Familie akzeptiert und ob die Ankunft des Babys in dieser Richtung helfen oder ein Hindernis sein würde.
Es war ein prachtvoller, strahlender Morgen mit hohen, jagenden Wolken. Boote waren in Mengen draußen, Fischerboote und Jachten, und das blaue Wasser jenseits vom Ende der Bucht war zugleich wellig und ruhig. Ostern verging und der Frühling begann dem Sommer zu weichen.
Sie hatte Kilty an diesem Morgen zu Hause gelassen. Innis hatte ihn in die Küche gebracht, kaum dass Becky zur Arbeit gegangen war, und Fay, die später als gewöhnlich losgelaufen war, hatte nicht das Herz gehabt, ihn zu sich zu rufen. Aber sie vermisste die Gesellschaft des Spaniels und war froh, als sie sah, dass die Barretts in ihre Richtung kamen.
Dann merkte sie, dass es nicht die Barretts waren, sondern Quig und sein Sohn, dass sie ungeachtet Mrs. Quigleys Anweisungen dem Erben von Fetternish von Angesicht zu Angesicht gegenübertreten würde.
Sie kniete in den Erdbeerbeeten, drehte die abgestorben aussehenden Blätter um und suchte sie nach Mehltau ab, als die Männer auftauchten. Sie blieb, wo sie war und beobachtete, wie Quig und der junge Mann den steilen Hang von Olaf’s Hill herunterstiegen.
Der junge Mann trug ein fleckenloses weißes Hemd und eine weite Flanellhose und sah mehr städtisch aus als wie ein Landbewohner.
Fay erhob sich. Sie stützte sich mit einer Hand an der Mauer ab.
Während sie zuschaute, wie sie die alte Kälberweide mit ihrem Durcheinander von Nesseln und Disteln überquerten, ballte sich ihr Magen vor Furcht und Aufregung zusammen. Sie hatte das dringende Bedürfnis, wegzulaufen und sich zu verstecken, blieb aber tapfer stehen wo sie war.
Er näherte sich ihr grinsend.
Wieder ballte sich ihr Magen zusammen und eine plötzliche schreckliche Welle von Übelkeit weckte in ihr das Verlangen, sich zu übergeben.
Robbie Quigley streckte seine Hand aus.
»Miss Ludlow, nicht wahr?«, sagte er. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen.«
Sie spürte, wie ihre Kehle voller Panik wie zugeschnürt war.
»Fay, wollen Sie meinem Sohn nicht guten Tag sagen?«, fragte Quig.
Sie konnte nicht antworten, konnte nicht reagieren.
Sie war sprachlos über die unheimliche Ähnlichkeit, die Quigs Sohn mit ihrem Mann hatte. Sie verstand jetzt, warum Biddy diese Begegnung zu verhindern versucht hatte, denn Robbie Quigley und Gavin Tarrant sahen weniger wie Cousins als wie Zwillinge aus – und sie, die kleine Fay Ludlow, hielt den Schlüssel zu Biddy Baverstocks dunklem Geheimnis in ihrer Hand.