7. Eine Frau vor dem Licht

Er hatte seine Arbeit gut und gründlich getan. Er hatte fast den ganzen nördlichen Teil der Insel binnen eines Monats abgeritten, nachdem ihm der Vertrag angeboten worden war. Seine vorbereitende Erkundung hatte er zwar vor vier Jahren gemacht, doch seitdem hatte sich nichts verändert und er musste seine ursprünglichen Schätzungen nicht revidieren.

Die erste Anpflanzung von norwegischen Fichten würde nach dem Ausforsten schnell weggehen, und das würde nach acht oder zehn Jahren eine unwiderstehliche Attraktion für jeden Besitzer von brachliegendem Land sein, der noch ein bisschen Bargeld zum Ausgeben hatte. Dann brauchte er nur seine Kommissionen bei Louden, Lafferty und Spruell zu kassieren und sich niederzulassen, um den neuen Besitz zu verwalten. Das war jedoch noch Zukunftsmusik. Inzwischen beabsichtigte er, Fetternish zu bekommen, bevor der Sommer vorbei war, sodass im Herbst das Aufschütten und Trockenlegen beginnen konnte und die Setzlinge für das Einpflanzen im Frühling dorthin geschafft werden konnten. Bisher hatte er nicht mal den geringsten Anhaltspunkt dafür, wie viel Land er Bridget Quigley für seine Kunden abringen könnte oder auch nur, ob die Anpflanzung von Mischwald auf dem großen Stück Land von An Fhearann Cáirdeil realisierbar war.

Es gab zudem hektarweise brachliegendes Land dicht an der Küste, die, bepflanzt mit schützenden Wäldern von Ahorn, Eichen und Eiben, wahrscheinlich den neueren Nadelhölzern helfen und dem Niedergang des Nordviertels ein Ende bereiten würden. An Nutzbarmachung als solcher war er nicht besonders interessiert – dazu war er zu gewinnsüchtig – und er hatte in seinem Beruf erlebt, wie viele Pläne für Jagden, Moore für Moorhuhnjagd und Schafzuchtbetriebe gescheitert waren – Investitionen, gescheitert wegen Mangel an Unternehmungsgeist oder einfach an schlechtem Management. Deshalb musste alles, was Dauerhaftigkeit versprach, im Augenblick ein Fortschritt sein.

Es war nicht die falsche Nutzung von Land, die Patrick ärgerte, sondern die Vergeudung von Geld für Träume, die jedermann, der ein wenig von Geschäften verstand und auch nur ein bisschen geologisches Wissen besaß, sogleich als zum Scheitern verurteilt erkannt hätte.

Tatsächlich war Mull kein schlechter Ort, um Holz anzubauen. Der satte Boden von Carsaig Bay trug bereits Wälder und längs der Ufer von Loch Spelve gab es hübsche Streifen von Lärchen und Erlen. Kiefern standen hinter einigen Gehöften. In dem langen, kahlen Tal von Glenarray duckten sich Ebereschen gegen den Wind, und auf der rauen Halbinsel Laggan gediehen Birkensträucher.

Das Nordviertel war jedoch weniger vielversprechend. Seine ebenen grünen Terrassen waren durch Überweidung ausgelaugt, Farn war aus den Schluchten gekommen und hatte jeden Fleck von Weideland, der durch Nachlässigkeit oder Mangel an Kapital in seinen natürlichen Zustand zurückversetzt worden war, verdorben – ein Zustand, in dem manche Narren ein Zeichen der unbezähmbaren Regenerationskraft der Erde sahen, die Robert Patrick Rattenbury aber viel realistischer als unentschuldbare Vergeudung betrachtete.

Er hatte mehrere Male an die Quigleys geschrieben und als Antwort darauf Briefe erhalten, die ein vages Interesse ausdrückten und in denen seine Bitte um eine Zusammenkunft nicht abgelehnt wurde. Er war durch die Vorsicht der Quigleys oder durch das langsame Vorankommen nicht entmutigt. Er hatte vor langer Zeit gelernt, dass eine behutsame Vorgehensweise das Beste war, wenn es darum ging, Affen zu fangen.

Doch die alte Frau war weniger geduldig als er, und er war nicht im Mindesten überrascht, als sie ihn wieder zu sich kommen ließ.

Er reiste, so schnell Zug und Schiff ihn nur bringen konnten, von Perth aus an und traf, vorbereitet auf einen längeren Aufenthalt, am ersten Montag im Mai auf Mull ein.

Er zog den Sattel der Kutsche vor und hatte eines seiner eigenen Pferde in einem Mietstall in Ardenshiel am Stadtrand von Tobermory stehen, dazu auch mehrere seiner Vermessungsgeräte, die er bei der Anlage von The Ards benutzt hatte. Er vergeudete in der Stadt keine Zeit, sondern ritt sofort zu Mrs. Hollanders Haus hinaus.

Kaum eine Stunde, nachdem die Claymore ihn am Pier von Tobermory abgesetzt hatte, erreichte er seinen Bestimmungsort in einem feinen Regenschauer. Sein sich blähender schwarzer Umhang aus Öltuch war nass und seine Reithose mit Schlamm bespritzt. Den Rest seiner Habe trug er in einem riesigen wasserdichten Sack, der am Sattel befestigt war. Er beabsichtigte, sich vor dem Gespräch umzuziehen und hätte dies auch getan, hätte Mrs. Hollander ihn nicht zur Eile gedrängt.

Frances hatte auf der Eingangstreppe auf ihn gewartet. Sie war in einem Stil gekleidet, der nicht zu der rauen ländlichen Umgebung passte, aber Patrick wusste, dass sie das enganliegende Kleid aus rehbraunem Kaschmir, besetzt mit weißer Seidenborte, nicht seinetwegen angezogen hatte.

Er schwang sich aus dem Sattel und reichte die Zügel dem Dienstmädchen Florence, das neben anderen Tugenden auch gelernt hatte, wie man Pferde versorgte. Er schaute zu, wie das Mädchen das Pferd wegführte, begrüßte Frances Hollander, seinen Reisesack über die Schulter geschwungen, und folgte ihr ins Haus.

Trotz schlammbespritzter Stiefel und Ölumhang führte sie ihn direkt über die mit Teppich ausgelegte Treppe zu dem Absatz der zweiten Etage, wo sie stehen blieb und auf diese lispelnde, hauchige Art, die sie an sich hatte, flüsterte: »Ich glaube nicht, dass es ihr gut geht, Mr. Rattenbury. Ich vertraue darauf, dass Sie sie keinen Augenblick länger als notwendig aufhalten werden.«

Es lag Patrick auf der Zunge, Mrs. Hollander daran zu erinnern, dass nach ihm geschickt worden war und er nicht einfach vorbeigekommen sei in der Hoffnung, ihre Mutter anzutreffen. Doch er sagte nichts. Es war erfahrungsgemäß am besten, Frances nicht mitten bei einem ihrer Auftritte zu unterbrechen. Im Augenblick spielte sie die Rolle der pflichtbewussten Tochter, was er ein bisschen übertrieben fand angesichts der Tatsache, dass sie, Frances, nichts sehnlicher wünschte, als dass der alte Drachen so bald wie möglich ableben würde, wenn Gott bereit war, sie aufzunehmen.

Nicht zum ersten Mal überlegte er, wie Frances reagieren würde, wenn er ihren anmutigen kleinen Kopf in seine Hände nehmen und einen leidenschaftlichen Kuss auf ihre lispelnden kleinen Lippen pressen würde. Über seine Vorstellung lächelnd, knöpfte er seinen Umhang auf, nahm ihn von den Schultern und stieg schnell die drei mit Teppich belegten Stufen empor, die zur Tür von Madam Laffertys Apartment führten.

Er schaute sich um.

Frances nickte.

Er klopfte und trat ein.

Quig sagte: »Wenn ich mich nicht sehr irre, wird es eine gute Frühkartoffelernte geben. Wann werden Sie sie herausholen? Im Juni?«

»Nein«, sagte Fay. »Ich werde sie bis zur dritten oder vierten Juliwoche drinlassen. Dann kommen sie zwar mit in die Haupternte, aber ich werde sie rausholen können, bevor ich zum Bücken zu schwer werde.«

Quig unterließ eine Bemerkung dazu. Sie schien lediglich um die Mitte etwas dick zu sein, aber sie begann zu keuchen und zu schnaufen, wenn sie die Handkarre schob oder einen Spaten schwang.

Biddy war im fünften Monat ihrer Schwangerschaft sehr volumig gewesen, aber sie war so versessen darauf gewesen, ein Kind zu haben, dass sie alle Beschwerden ohne ein Wort der Klage ertragen hatte. Wie anders war das bei Christina gewesen. Alles war bei Christina schiefgegangen. Biddy hatte ganze sieben Monate lang gestöhnt, hatte Wehwehchen in allen Gliedmaßen und Organen gehabt und zu ihrem Kummer sogar Ausschlag bekommen.

Fay hatte eine makellose Haut. Selbst die blauen Flecken um ihr Auge sahen wie ein kosmetischer Schatten aus. Er konnte sich nicht vorstellen, dass Fay Zeit an einer Frisierkommode verbrachte, die mit Farbtöpfen und Puderquasten übersät war. Alles an ihr war natürlich und ungekünstelt. Er mochte sogar die Art wie sie schwitzte. Ein feiner feuchter Film, der die Wölbung ihrer Brüste zwischen dem Kragen und dem Halsansatz besprenkelte.

»Mit welchem Ertrag rechnen Sie?«, fragte er.

»Neun oder zehn Tonnen pro Acre. Was wird eine Tonne auf dem Markt bringen?«

Quig hatte sich bereits in einer alten Ausgabe der Oban Times informiert. »Nach den Preisen der letzten Saison zwölf bis vierzehn Pfund.«

»Wenn es kein Überangebot gibt, sollten wir mit unserem Viertel Acre gut hinkommen.«

Sie wischte sich die Kehle und den Brustansatz mit einem Baumwolltaschentuch ab. Sie hatte kräftige, runde Arme, die überhaupt nicht schwach waren. An Fay war nichts, was den Eindruck von Verlassenheit weckte, nichts, was Mitleid erforderlich machte. Hinter diesem Vorwand würde er sich nicht viel länger verstecken können. Sie hätte eine von Evanders Waisen sein können oder eine der jungen Geliebten des alten Mannes, die auf dem grünen Rasen von Foss einst leicht und unschuldig Babys geboren hatten.

Foss würde gut zu Fay Ludlow passen, dachte er.

Foss würde ihren Zustand vor forschenden Blicken verbergen, würde sie beide zusammen beschützen, ihn und sie.

»Unsere Saatkartoffeln«, sagte Fay, »sind in den Reihen oben am Grundstück. Das ist die Sorte Duke of York und sie können im nächsten Jahr wieder für die Haupternte genommen werden, wenn wir sie nicht als Frühkartoffeln verkaufen können. Ich werde sie in Keimkisten im Cottage lagern, wenn Ihnen das recht ist – Ihnen und Mrs. Quigley.«

»Das ist völlig in Ordnung so«, sagte Quig.

Ihr war so wichtig, dass eine Jahreszeit der anderen folgte, dass die Zukunft sich entfaltete. Was wäre geschehen, wenn er sie kennen gelernt hätte, bevor er Biddy geheiratet hatte? Es gab zu viele Unabwägbarkeiten bei dieser Überlegung, um sein wachsendes Gefühl von Bedauern wegen all der Opfer, die von ihm verlangt worden waren, zu befriedigen.

Bis zu diesem letzten halben Jahr waren ihm die fünf Jahre, die ihn von Biddy trennten, nie wichtig erschienen. Er gestand ein, dass es der Zyklus der Natur war, der seine Frau verändert hatte, aber er war einfach verletzt, wenn sie ihm die Schuld für das Elend gab, das über sie gekommen war. Wie konnte er vorgeben, alt zu sein? Er fühlte sich noch stark und hoffnungsvoll. Biddys eingebildete Gebrechen, ihre Depression, ihre Überzeugung, dass es aus und vorbei mit ihrem Leben sei, war in seinem Leben ebenfalls ein belastender Faktor geworden. Natürlich würde er für sie sorgen, sich um ihre Interessen kümmern, würde auf ihre alles andere als vernünftigen Wünsche eingehen, wenn sie das von ihm verlangte, aber er würde nicht zulassen, dass sie auch ihn hinunterzog.

»Ist er nach Hause gegangen?«, sagte Fay.

Quig brauchte einen Augenblick, um zu realisieren, dass sie das Thema gewechselt hatte.

»Was?«

»Ihr Junge, ist er wieder nach Hause gegangen?«

»Dies ist sein Zuhause«, sagte Quig. »Hier lebt er, mit – mit uns.«

»Zur Schule. Ich meine, ist er aufs Festland zurückgekehrt, auf die Schule?«

Sie verstanden unter ›Festland‹ etwas völlig Verschiedenes. Für ihn bedeutete das Wort alles, was nicht Mull war. Für Fay hingegen waren es alle Orte, die sie hinter sich gelassen hatte.

»Vor Tagen, vor Wochen«, sagte er.

Seit Ende der Ferien hatte er sich mehrere Male mit ihr getroffen. Er hatte sie sogar gebeten, zum Haus hochzukommen, wenn Biddy fort, in Tobermory gewesen war, um ihn wegen des umfriedeten Gartens zu beraten. Warum hatte sie bisher ihre Begegnung mit Robbie nicht erwähnt?

Bei Gott, Robbie hatte Fay oft genug erwähnt. Er hatte über sie auf diese verrückte, ein wenig anzügliche Art gesprochen, die Jungs an sich haben, wenn sie von einem Mädchen beeindruckt sind, von dem sie, wie sie wohl wissen, nicht beeindruckt sein sollten. Robbie hatte sogar einem seiner wöchentlichen Briefe einen Nachsatz hinzugefügt – Quig vermutete, dass der Brief nicht mehr als ein Vorwand für den Nachsatz war –, um sich nach dem ›blonden Mädchen von Fetternish‹ zu erkundigen, eine völlig unbedeutende Nachfrage, die bei Biddy aber zu einem Wutanfall geführt und Kopfschmerzen ausgelöst hatte, die sie am helllichten Tage veranlassten, ins Bett zu gehen.

»Er ist nicht wieder hierhergekommen«, sagte Fay.

»Nein, er …«

»Ich dachte, er würde vielleicht kommen, um Innis zu besuchen. Mag er Innis denn nicht?«

Quig hatte keinen Grund zu vermuten, dass Robbie irgendwelche Feindseligkeit gegenüber seinen Verwandten hegte. Er war ein junger Mann, selbstbewusst, aber nicht egoistisch, der unter seinen Tanten und Kusinen aufgewachsen war.

Anders als Christina hatte Robbie nie Angst vor Aileen gehabt. Er war ohne Angst neben sie gekrabbelt, wenn sie auf dem langen Sofa in der Halle saß, und hatte sogar seine Arme um sie gelegt und ihr dann und wann kindliche Küsse gegeben. Als sein Instinkt ihm schließlich sagte, dass Aileen ›anders‹ sei, ließ er ihr Zuwendung sanfterer Art zukommen, so wie er, Quig, es zwanzig Jahre zuvor auf Foss getan hatte.

»Stellen Sie da nicht eine seltsame Frage, Fay?«

»Ich dachte das nur, weil er nicht nach Pennypol herunterkam …«

»Im Sommer werden Sie – werden wir ihn häufiger sehen«, sagte Quig.

»Dann wird er also im Sommer zu Hause sein?«

»Ja, das wird er, er und seine Schwester und ihr Cousin Donnie und seine Familie.«

»Dann wird es ein geschäftiger Sommer für Sie in dem großen Haus werden«, sagte Fay. »Bis dahin werde ich ganz angeschwollen sein und niemand wird mich ansehen wollen.« Sie gab ein Grunzen von sich. »Weiß Robbie, wer ich bin?«

»Ich bin sicher, dass er das weiß.«

»Haben Sie ihm von mir erzählt?«

»Warum sind Sie so an Robbie interessiert?«

Quig versuchte, die Frage leichthin und neckend zu stellen, doch darin klang eine winzige Spur Schärfe mit, die er nicht verhehlen konnte. Er konnte sich nicht dazu durchringen, ihr zu erzählen, dass Biddy Robbie befohlen hatte, sich von Pennypol fern zu halten. Er hätte den Stier bei den Hörnern packen und Robbie die Situation erklären sollen, doch er hatte ein wenig Furcht, dass Robbie ihm Fay wegnehmen könne.

»An Robbie bin ich nicht interessiert.« Fay wischte ihren Hals mit dem Baumwolltaschentuch ab. »Ich meine, ich bin mehr an Ihnen interessiert.«

Sie sah ihn nicht an. Sie blickte auf die See hinaus. Seltsam, dachte er, dass jeder auf die See hinausschaut, wenn er etwas zu verbergen oder etwas zurückzuhalten versucht. Er schaute auf das abfallende Land, das zur See führte und seine Besorgnis wich.

»Warum sind Sie an mir interessiert?«, hörte er sich sagen.

»Weil wir Partner sind.«

»Partner?«

»Oder das sein werden, wenn der Herbst kommt.«

Er schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, was ich mit Ihnen machen soll.«

Fay lachte und streckte ihre Arme, als sei sie gerade aus dem Schlaf erwacht, streckte sie hinter sich und dann über ihren Kopf. »Mit mir ist nichts zu machen, Mr. Quigley«, sagte sie. »Ich schätze, dass ich auf mich aufpassen kann.«

»Ich denke, das wird wahr sein«, sagte Quig, »aber was werden Sie tun, wenn das Baby kommt? Und wenn das Baby da ist?«

»Hierbleiben«, sagte Fay. »O ja, hier auf Fetternish bleiben – bei Ihnen.«

»Meinen Sie nicht: bei Innis?«

»Ja«, sagte das Mädchen. »Bei Innis. Das wollte ich sagen.«

Ihr Haar hing wirr über ihrer Stirn. Ihre Augen hatten eine Farbe, die er noch nie zuvor gesehen hatte. Sie waren nicht grün wie Biddys oder eisblau wie Aileens, sondern es war ein eigenartiger Farbton, der ihn an Kornblumen erinnerte. Er wollte sie an sich drücken und halten, wie er es zuvor getan hatte, um den Schweiß zu riechen, der ihre Oberlippe benetzte, und um die Wärme ihres jungen Körpers zu spüren, der von neuem Leben erfüllt war.

»Ich mache wohl besser weiter«, sagte er.

»Ja, Quig«, sagte sie, »das ist wohl besser.« Und dann ergriff sie die Hacke wieder.

Sie sah weniger wie eine Königin als eine Zarin aus. Zarin aller Russen war ein Titel, der sehr gut zu ihr gepasst hätte, dachte Patrick. Sie war so wuchtig wie ein Denkmal und nahm den geschnitzten Holzsessel im Fenstererker mit alles beherrschender Arroganz ein. Er hatte nie Angst vor Frauen gehabt, aber an Mrs. Dorothea Lafferty war etwas, das seine Selbstsicherheit erschütterte. Als er eintrat und sie sah, spürte er, dass sich sein Hodensack ein wenig zusammenzog und ein schwaches Schwinden der angrenzenden Teile, als ob ihre bloße Größe und Mächtigkeit, von der ihre ganze Ausstrahlung durchsetzt war, nicht nur seine Autorität herausforderte, sondern auch seine Männlichkeit.

Zu ihrer Zeit, Jahre zuvor, musste sie prachtvoll gewesen sein. Selbst jetzt, wo sie in den Sechzigern war, ließ die mächtige Wölbung ihres Busens noch auf eine schwelende Sexualität schließen. Die Schräge ihrer Augen, die hohen, gezupften Augenbrauen, der breite, feuchte, glänzende Mund und die gewölbten Wangenknochen, die noch immer unter den Fettsäcken wahrnehmbar waren, waren keineswegs Ruinen, sondern vielmehr Erinnerungen an eine Schönheit, die in ihrer Blütezeit wohl vielen vornehmen Bankiers den Kopf verdreht hatte. Doch das ausschweifende Leben hatte seinen Zoll verlangt. Sie war jetzt riesig, ihre Gliedmaßen durch eine so schwere Gicht geschwollen, dass Seidenbrokat und gefältelter Musselin und Unmengen von Gold- und Silberschmuck dazu beitrugen, sie noch zu betonen, nicht zu verbergen.

Sie belegte den Sessel auf Regentenart. Ihre beringten Finger umfassten ihre Knie und die waren unter ihren Röcken in einer Haltung gespreizt, die, wie Patrick dachte, mehr architektonisch denn menschlich war. Ein besticktes Nackenpolster hing von der Rückenlehne des Sessels und zu ihren Füßen stand eine winzige Fußbank, auf die sie vielleicht ihre Knöchel legte, wenn der Schmerz in ihren Gelenken übermächtig wurde.

Mürrisch beobachtete sie, wie er von der Tür über den Teppich auf sie zukam.

Er war versucht, sich mit einer großen Verbeugung wie in den Stücken von Shakespeare, die er auf der Bühne des Lyzeums gesehen hatte, zu verneigen, doch Frances hatte ihn gewarnt und ihm gesagt, dass die Krankheit ihre Schwiegermutter ungewöhnlich empfindlich gegenüber allem gemacht habe, was auch nur entfernt wie Spott anmutete. Entschlossen, sich von der prächtigen Gaunerin nicht einschüchtern zu lassen oder zu zeigen, wie sehr sie ihn beeindruckte, begnügte er sich mit einer angedeuteten Verbeugung.

Der Fenstererker lag etwa fünfzehn oder zwanzig Zentimeter über dem Niveau des Fußbodens. Das Licht fiel hinter ihr durch das bleiverglaste Fenster.

»Madam«, sagte er. »Ich wünsche Ihnen einen guten Tag.«

Ihre Stimme war nicht annähernd so einnehmend wie die von Frances. Sie war leise und trocken, geprägt durch einen Akzent – oder Akzente, die auf Buren oder Amerikaner deuteten, in denen aber noch etwas von den Mietskasernen Glasgows anklang, aus denen sie vor vierzig oder fünfzig Jahren gekrochen war.

Sie sagte: »War die Fähre pünktlich?«

»Das war sie.«

»Warum kommen Sie dann mit Verspätung?«

»Ich komme nicht verspätet«, sagte Patrick.

»Sie haben mich warten lassen.«

»Madam, das habe ich nicht.«

Das Lächeln war schwerlich überhaupt ein Lächeln zu nennen, nur ein leichtes Verziehen der Lippen, aber ihre Augen verrieten ihm, dass sie seinen Widerstand schätzte. Wäre sie jünger gewesen, dann, so vermutete er, hätte sie ihn bei lebendigem Leibe verspeist.

»Hat sie Ihre Briefe noch immer nicht beantwortet?«, sagte die Frau.

»Mrs. Quigley? Nein, es hat keine weitere Korrespondenz gegeben.«

»Kein Vorschlag für ein Treffen?«

»Keiner.«

»Mit der ist verdammt schwer umzugehen.«

»Ihre Kinder sind über die Feiertage daheim gewesen«, sagte Patrick.

»Ihre Kinder! Ist sie so unvernünftig, dass ihr die Kinder wichtiger sind als die Zukunft ihrer Kinder?«

Patrick verstand nicht ganz, was sie meinte. Dennoch war es kein Geheimnis, was Dorothea Lafferty wollte: Sie wollte so viel Land wie möglich in die Hände bekommen. Sie wollte Fetternish und Mishnish und Pennypol haben und würde auch Leathan und Mingary und Calgary nehmen, sollten diese jemals zu erwerben sein. Aber dennoch konnte er nicht ergründen, warum Dorothea Lafferty, eine so weltgewandte Frau, sich in dieser abgelegenen Ecke von Mull niedergelassen hatte.

Das Pflanzen war billig. Große Landgebiete waren für weit weniger als vergleichbare Flächen in beispielsweise Inverness oder Haddington zu haben, ohne dass Gerangel wegen Erhaltung des Wildbestandes oder den Bau von Zufahrtsstraßen den Fortgang verzögerte. Es gab viele leerstehende Häuser für die Waldarbeiter von Louden, Lafferty und Spruell, und wenn mit dem Holzanbau erst einmal begonnen worden war, konnte es seitens des Besitzers keinen Widerruf mehr geben. Dennoch war Mull kein Platz für eine Frau wie Mrs. Lafferty, und es lag ihm auf der Zunge zu fragen, welcher Art von Zukunft Frances entgegensah, wenn sie in einer so unkultivierten Umgebung versteckt war – doch er war auch nicht mutig genug, um diese Frage zu stellen.

Er sagte: »Wir haben achthundert Acres, die bearbeitet werden müssen, und grob geschätzt etwa neunhundert auf der Halbinsel nordwestlich von Fetternish House.«

»Ich habe gehört, dass das Moor für Fichten geeignet sein könnte, wenn die Pflanzung groß genug wäre?«

»Ich glaube, das habe ich Ihnen erzählt«, sagte Patrick.

»Das haben Sie. Das haben Sie.«

Das schiefe Lächeln wurde zu einer Grimasse. Er beobachtete, wie sie ihre Körpermasse bewegte, umständlich jedes Knie mit beiden Händen hob, um ihre Knöchel auf den Fußschemel zu legen. Sie war kein jammernder Hypochonder, sondern ein echter Krüppel. Er fragte sich, ob sie sich nach Mull zurückgezogen hatte, um ihren Verfall vor Freunden und Liebhabern zu verbergen oder, was wahrscheinlicher war, um ein gewisses Maß an Unabhängigkeit zu bewahren. Sie grunzte und verlagerte ihr Gewicht nach vorn, stützte ihre Unterarme auf die Schenkel.

Er stand verlegen vor ihr, den Hut in der Hand, den Umhang über einem Arm. Dies war kein Höflichkeitsbesuch. Dies war rein geschäftlich und es hatte schnell erledigt zu werden.

Er sagte: »Ich denke, die einzige Möglichkeit ist, Mrs. Quigley einen Besuch abzustatten.«

»Dafür wird sie Ihnen nicht danken. Sie ist nach allem was man hört, eine Klette.«

»Eine Klette?«

»Stachelig.«

»Was, schlagen Sie vor, soll ich dann tun?«, fragte Patrick.

»Frances hat sich mit der Haushälterin der Quigleys angefreundet.«

»Gut, das ist ein Anfang.«

»Bitte, unterbrechen Sie mich nicht.«

»Entschuldigung.«

»Frances hat sich mit der Haushälterin angefreundet und hat eine recht gute Ahnung davon, was im Hause vorgeht. Ihr Mann, Quigley, ist beschäftigt worden, um einige Dinge unseres Besitzes zu regeln.«

»Beschäftigt – auf welcher Basis?«

»Pro rata«, sagte die Frau. »Es ist nichts weiter. Nur Arbeitsbeschaffung. Frances bat ihn um Hilfe, um den Wert einiger unserer alten Cottages zu schätzen.«

»Ich habe sie gesehen. Es sind Ruinen und sie sind nichts wert.«

»Ich weiß das«, sagte Mrs. Lafferty. »Er wird auch unsere Schafe mit seinen zusammentreiben, wenn die Zeit zum Verkaufen gekommen ist. Der Schäfer der Quigleys hatte bereits beim Lammen ausgeholfen und, um Ihnen die Nachfrage zu ersparen, es gab sechsundzwanzig lebend Geborene.« Sie hob eine Hand und schwenkte sie, sodass die goldenen und silbernen Ringe im blassen Sonnenlicht glitzerten und die Armbänder an ihren Handgelenken wie spanische Windglockenspiele läuteten. »Die Herde ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass wir eine Verbindung mit dem Herrn des Hauses haben – und dass er Sie seiner Frau vorstellen wird.«

»Mir scheint dies«, sagte Patrick, »unnötig unaufrichtig zu sein.«

»Wir haben es mit Bauern zu tun. Sie verstehen nur Verschlagenheit.«

Dies war falsch, wie Patrick wusste. Er hatte den größten Teil seines Berufslebens mit Highlandern Geschäfte gemacht und sie waren stets ehrlich und aufrichtig gewesen. Gewiss, sie waren darauf erpicht, gute Preise zu erzielen und bei Geschäften im Umgang mit Leuten aus dem Süden vorsichtig. Aber er fand nicht, dass das gegen sie sprach. Wieder fragte er sich, woher Mrs. Lafferty gekommen war, in welchem sonderbaren Milieu ihr Charakter und ihr Vermögen sich gebildet hatten.

»Wenn ich Quigley kennen lernen würde«, sagte Patrick, »sagen wir, wenn ich ihm zufällig begegne, meinen Sie, dass er das Zustandekommen einer Verhandlung beschleunigen würde?«

»Sicher«, sagte die Frau. »Das würde er sicher.«

»Hatten Sie das im Sinn, als Sie mich für heute hierher baten?«

Sie lehnte sich plötzlich zurück, nicht durch seinen Scharfsinn gefesselt, sondern durch eine innere Störung gequält, durch eine neue Welle von Schmerz.

Er beobachtete, dass ihre Beine zitterten, sah ihre Röcke erbeben, hörte den Absatz ihres Hausschuhs schnell und rhythmisch gegen den Fußschemel schlagen. Doch sie strahlte weiter vor dem Licht, war in ihrer Qual wuchtig und lichtundurchlässig. Da kam ihm der Gedanke, dass die einem Kotillon ähnlichen Schritte, die Vorgehensweise, die als bloße Grundstücksgeschäfte angesehen wurden, das Einzige waren, was ihr den Verstand bewahrte und dass Landerwerb, Holzanbau, ein raffsüchtiges Manövrieren, um in Familienbesitz zu gelangen, das letzte Aufbäumen einer Frau war, deren Habgier sie schließlich an den Rand des Grabes gebracht hatte.

Sie presste ihre Hände fest auf ihre zitternden Knie.

Sie sagte: »Bezahle ich Ihnen nicht genug?«

»Sie bezahlen mich sehr gut«, entgegnete Patrick. »Ich bin mir einfach nur nicht sicher, wofür Sie mich bezahlen. Sie haben meine Gutachten und Kalkulationen. The Ards ist vorbereitet, trockengelegt und eingezäunt und bepflanzt. Was möchten Sie jetzt von mir, Mrs. Lafferty?«

»Fetternish.«

»Verkommen und vernachlässigt und nicht mehr bebaubar?«

»Ich habe für Diskussionen keine Zeit. Ich möchte, dass Sie mir das Land beschaffen.«

»Das verstehe ich«, sagte er. »Es ist nie meine Absicht gewesen, Ihre Interessen zu vernachlässigen, Madam. Ich habe meine Habe mitgebracht. Seien Sie versichert, dass ich hier bin, bis die Dame von Fetternish ihr Land für Holzanbau abgibt.«

»Fichten.«

»Wo immer möglich, ja, norwegische Fichte.«

»Ein Meer von grünen Wipfeln«, sagte Mrs. Lafferty. »Ich möchte wieder ein großes wogendes Meer von grünen Wipfeln sehen, bevor ich sterbe.«

»In fünfzehn Jahren«, sagte Patrick. »Frühestens in zehn.«

»Und ich möchte gern dort wohnen.«

»Was?« Patrick war völlig überrumpelt. »Wo?«

»In diesem Schloss, in ihrem großen Haus auf der Landspitze.«

»Mir war nicht klar, dass das Haus Teil des Postens sein sollte.«

Das sonderbare Lächeln war schmerzfrei.

»Ich will alles, was Biddy Baverstock hat, alles, was sie besitzt.«

»Ich dachte, ihr Name sei Quigley?«, stutzte Patrick.

»Es ist völlig egal, verdammt, wie sie sich nennt«, zischte Madam Lafferty.

Ihre Lippen waren durch Glyzerin und karminrotes Pulver taub. Ihr Mund war verkniffen und bildete eine Linie so gerade wie eine Senkschnur über die Mitte ihres Gesichts. Sie hatte sich fast verraten, hatte sich gerade noch rechtzeitig beherrscht. Er hatte das unbestimmte Gefühl, dass es bei diesem Geschäft überhaupt nicht um Land oder Bäume oder die Schaffung einer Grundlage eines Erbes für künftige Generationen ging, sondern um die Vergangenheit, nur um die Vergangenheit, und dass er nichts weiter als ein Bauer in den letzten Zügen eines Spieles war, das vor langer Zeit begonnen hatte.

»Ich werde beginnen so schnell ich kann«, sagte er. »Ich werde tun, was Sie vorgeschlagen haben, und mich mit dem Ehemann bekannt machen und durch ihn mit der Frau. Ich kann nicht garantieren, dass Sie Ihre neunhundert Acres an diesem Wochenende haben werden, aber Sie werden sie bekommen, Madam. Sobald wir eine Übereinkunft wegen des Landes getroffen haben, können wir beginnen, darüber zu verhandeln, was darauf steht. Sind Sie sicher, dass Sie das Haus ebenfalls wollen?«

Sie stemmte sich auf säulenartigen Beinen auf. Die Anstrengung war majestätisch. Er sah, dass sie nicht groß war, nicht mehr als die durchschnittliche Größe einer Frau hatte, aber sie dominierte nicht nur den Fenstererker, sondern den ganzen Raum.

Patrick hob eine Hand und beschirmte seine Augen.

»Alles, was Biddy Baverstock besitzt oder je besessen hat, möchte ich ihr abnehmen«, sagte Madam Lafferty. »Ich möchte das alles für mich.«

»Dann sollen Sie auch alles haben«, versprach Patrick.

Die Anwesenheit von Waldarbeitern war in Crove nicht unbemerkt geblieben. Die Männer wurden in Dervaig einquartiert und Sämlinge und Ausrüstung wurden in Calgary entladen, sodass der ganze Verkehr durch das Dorf ging und Frances Hollanders Fichtenpflanzung gewissermaßen über Nacht aus dem Boden geschossen zu sein schien.

Einige der älteren Jungen waren von Zeit zu Zeit über den Fluss gefahren, um die gewaltigen Clydesdale-Pferde zu bewundern, welche die schwer beladenen Rollwagen zogen und später die schweren, scharfspitzigen Pflüge über den Hügelhang zerrten.

Die Jungen berichteten die neuesten Nachrichten Mr. Brown, der sie gegenüber Janetta erwähnte, die, da ihre Freundschaft mit der Herrin von The Ards reifte, frische Informationen aus dieser Quelle quetschte und diese wiederum ihrem Vater übermittelte. Er seinerseits gab sie an Tom Ewing weiter, der das, was er in Erfahrung gebracht hatte, mit den Informationen Mairis verglich, die dies dann Quig, ihrem Sohn, zuführte, der sie schließlich an Biddy weitergab – die erklärte, dass sie an nichts von all dem interessiert sei, was auf der anderen Seite des Loch geschähe.

Neuigkeiten drangen auch weiterhin aus Miss Fergussons Laden, als weiteres Land trockengelegt und eingezäunt und leicht gepflügt wurde.

»Was wird da gepflanzt?«

»Fichten, glaube ich.«

»Ha, die Salzluft wird das Weißholz absterben lassen, noch bevor drei Winter um sind.«

»Auch einige Lärchen, zum Schutz.«

»Das ist eine Frau, die nicht weiß, was sie tut.«

»Sie hat übrigens mehr Geld als Verstand, denke ich.«

»Ja, das denke ich auch.«

»Ist für uns dabei etwas drin?«

»Für uns überhaupt nichts.«

Als der erste Brief in Fetternish eintraf, war Biddy nicht überrascht.

Er kam nicht von Frances Hollander, sondern von einer Grundstücksmaklergesellschaft in Perth. Biddy hatte noch nie von Louden, Lafferty and Spruell gehört, und Willy ebenso wenig. Willy war jedoch hinreichend interessiert, um seine Ehefrau über die Frau auszufragen, die The Ards gekauft hatte, und als das nichts Interessanteres als belanglosen Tratsch brachte, hatte er in aller Heimlichkeit einen Brief an seinen ältesten Sohn geschrieben, der jetzt in den Fünfzigern und Chefkassierer bei der Royal Embassy Insurance Company in Edinburgh war.

Er, der Sohn, hatte zurückgeschrieben und seinen Vater informiert, dass Louden, Lafferty and Spruell erst 1905 als private Erschließungsgesellschaft eingetragen worden waren, doch dass diese bisher, soweit er feststellen konnte, außer einem einzigen Anwesen auf Mull nichts erschlossen hatte.

Willy war damit nicht zufrieden. Er wollte unbedingt mehr über die Frau wissen, die seine Ehefrau so beeindruckt hatte. Besonders, wieso Frances Hollander Verbindung mit einer funkelnagelneuen Erschließungsgesellschaft in Perth hatte.

Bevor Willy seinen Bleistiftstummel anlecken und ein weiteres Blatt Kanzleipapier entrollen konnte, erhielt Biddy ein Kommuniqué von Robert Patrick Rattenbury, das in gewisser Hinsicht erklärte, worauf Louden, Lafferty und Spruell aus waren, was, wie es schien, nichts weniger Ambitiöses war, als das ganze Nordviertel von Mull mit norwegischen Fichten zu überziehen.

Mit Aileen auf einem Teppich auf dem Rasen sitzend, schaute Willy auf die Landspitzen, die sich nach Süden erstreckten, und überlegte, ob eine alte Leere einem Ozean neuen Holzes vorzuziehen sei. Ob Holzwirtschaft Leben zurück nach Fetternish bringen würde oder nicht – womit er Menschen meinte – und wie künftige Generationen über die Landbesitzer urteilen würden, die ihre Weiden verkauft hatten, um Rohmaterial für Holzhändler, Schreiner und Papierfabrikanten zu liefern. Ob in der Geschichte, die noch geschrieben werden musste, Biddy und Quig als progressiv betrachtet werden würden oder als Zerstörer einer Lebensweise, die nur in Träumen existiert hatte.

Willy würde daran nicht teilhaben. Es mangelte ihm jetzt an Elan, um sich einzumischen, obwohl der Wille dazu so stark war wie immer.

Biddy hatte sich an einem Tag, an dem sie draußen sein sollte, in der Bibliothek verkrochen. Willy öffnete die Tür und betrat den Raum. Den finsteren Missfallensblick seiner Herrin ignorierend, zog er einen Stuhl heran und setzte sich.

»Biddy«, sagte er, »Sie müssen etwas tun.«

»Was kann ich tun? So wie es aussieht, ist sie hier, um zu bleiben.«

»Ich meine wegen der Briefe von Rattenbury.«

»O, die Briefe.«

Willy hatte so viel gelesen, dass es für ein Leben reichte, doch jetzt reichte seine Sehkraft kaum aus, um die Überschriften in The Times zu lesen. Er schaute Biddy an und wartete darauf, dass sie etwas Intelligentes sagte.

»Wo ist Aileen?«

»In der Küche, nimmt ihr Abendessen zu sich«, antwortete Willy. »Wechseln Sie nicht das Thema, Biddy. Ich weiß, dass Sie darüber nachdenken, denn sonst hätten Sie Quig nicht gebeten, ein paar Sämlinge als Proben zu holen. Wissen Sie, wie hoch das Barzahlungsangebot sein wird?«

»Nein.«

»Was verschweigen Sie?«, fragte Willy. »Denken Sie, dass das Land, das Sie weggeben, nicht Ihnen gehört? Dass Sie verpflichtet sind, es für Robbie treuhänderisch zu verwalten? Dass Fetternish irgendwie Teil von Mulls Geschichte ist und dass es als Ganzes bewahrt werden muss?« Er schüttelte den Kopf. »Das ist einfach Unsinn. Reiner Unsinn. Sie sind durch Zufall, durch Glück, so Sie mögen, in den Besitz von Fetternish gelangt. Durch Glück, gefolgt von Pech. Es gehört Ihnen ebenso rechtmäßig wie es Austin Baverstock gehörte. Er hat dieses Anwesen mit Geld gekauft, das er durch Handel verdient hat, und er hat es wie ein Spielzeug behandelt.«

»Er hat mich nicht wie ein Spielzeug behandelt.«

»Das habe ich nicht gesagt, Biddy.«

»Ich wünschte, Austin wäre nicht gestorben.«

»Wenn Mr. Austin nicht gestorben wäre, wären Sie nicht frei gewesen, um Quig zu heiraten.«

»Nein, und ich hätte all diese Sorgen nicht, die jetzt auf mir lasten.«

»Biddy, um Himmels willen, was ist denn über Sie gekommen?«, rief Willy. »Haben Sie denn Ihren ganzen Mumm verloren?«

Sie schaute ihn hitzig und unerbittlich an.

Einst hatte er befürchtet, er würde wie Ronan Campbell enden, in Wahnsinn verfallen, von der Familie verstoßen werden, aufgegeben, eingesperrt und verlassen, um allein zu sterben. Aber das würde Maggie natürlich nicht zulassen. Maggie war die Kraft im Souterrain. Maggie war auch eine geborene Insulanerin und hier groß geworden und sie wusste nicht, wie die Welt sich bewegte oder welche Veränderungen eine Frau wie Frances Hollander in die verschlafenen Gemeinden des Nordens bringen könnte oder welchen Schaden ihr Geld anrichten konnte.

Biddy zwickte ihre Augenlider mit den Fingerspitzen.

»Was wird mit uns geschehen, Willy, wenn ich verkaufe?«

»Sie müssen nicht verkaufen. Sie können ein Stück abgeben, um den Rest zu retten. Gott, Biddy, wozu wollen Sie all diesen wertlosen Boden haben? Der ist weder für Mensch noch Tier nütze. Was hoffen Sie damit zu tun? Die Steine rausholen, ihn trockenlegen, Zäune bauen, Hecken pflanzen und ihn wirtschaftlich nutzbar machen? Nicht einmal in tausend Jahren würden Sie das nötige Geld dafür auftreiben können. Und wer sollte es sonst wollen? Ein anderer Austin Baverstock, ein anderer Romantiker aus Edinburgh?«

»Wohin werden wir gehen?«

»Nirgendwohin, das sage ich Ihnen. Den besten Teil von dreihundert Acres werden Sie haben, noch mehr, wenn Sie Pennypol und Pennymain behalten. Sie werden hier in dem Haus bleiben und kaum bemerken, dass sich etwas verändert hat.«

»Ist das wahr?«

»Biddy, was ist denn in Sie gefahren? Glauben Sie, ich erzähle Lügen?«

»Heutzutage belügen mich alle – so oder so.«

»Aber nicht ich«, beharrte Willy. »Ich wüsste nicht einmal, wie ich Sie belügen sollte, selbst wenn ich es wollte. Schauen Sie«, fuhr er fort, »es gibt keine Garantie dafür, dass Robbie dieses Anwesen haben will. Er ist kein Landwirt. Sie haben für ihn eine andere Laufbahn ausgewählt. Sie haben ihn auf den Weg geschickt, um Arzt oder Anwalt zu werden oder schlimmstenfalls Lehrer wie sein Cousin. Und Christina – nun, sie ist eine junge Dame aus gutem Hause und wird zweifellos einen Gentleman heiraten und in einem vornehmen Haus in Morningside oder Corstorphine leben und unzählige Babys haben. Was ich damit sagen will ist, dass Ihre Kinder keine Bauern sind und dass Sie diese Tatsache durch das, was Sie für Fetternish empfinden, nicht verschleiern sollten. Sie haben keinen Schmutz unter den Fingernägeln wie Sie, als Sie in ihrem Alter waren.«

»Was erzählst du mir denn da, Willy?«

»Sprechen Sie wenigstens mit diesem Mann, diesem Patrick Rattenbury.«

»Wozu soll das gut sein?«

Willy riss verärgert eine Hand hoch. »Vielleicht zu gar nichts. Geben Sie ihm aber zumindest eine Gelegenheit, seine Sache vorzutragen, bevor Sie ihn abweisen. Versuchen Sie es, Frau, um Himmels willen, versuchen Sie es, andernfalls werden Sie alles verlieren.«

»Ich soll retten, was ich kann. Sagst du mir das?«

»Ja«, bestätigte Willy. »Retten, was Sie können, so lange Sie es können.«

Biddy wirkte nicht überzeugt. Sie wandte ihren Kopf ab. Im Profil sah sie wieder weich und jung aus.

Willy seufzte.

»Warum redet Quig nie so vernünftig mit mir wie du es tust, Willy?«

»Vielleicht tut er es und Sie hören ihm nur nicht zu.«

»Das ist keine Antwort.«

»Nein, ist es nicht«, gab Willy zu. »Was Quig tut, macht er so gut wie jeder andere Mann, aber er besitzt nicht die Gerissenheit der Städter.« Er gab ein kurzes amüsiertes Schnaufen von sich, Ausdruck dessen, dass er sich selbst missbilligte. »Quig wurde nicht durch die Baverstocks so ›erzogen‹ wie ich – und darüber sollten Sie verdammt froh sein, Biddy, glauben Sie mir.«

Er musterte sie eingehend, hoffte auf etwas von dem derben neckenden Humor, den sie aus Pennypol mitgebracht hatte. Es hatte Zeiten gegeben, in denen Willy sich gefragt hatte, was Ronan Campbell seinen Töchtern wirklich angetan und warum Vassie ihn voller Häme dem Irrenhaus in Redwing überstellt und auf seinem Grab einen Freudentanz aufgeführt hatte.

»Retten, was ich kann«, wiederholte Biddy.

»So lange Sie können«, bekräftigte Willy.

»Ich werde mich mit ihm treffen«, beschloss Biddy. »Ich weiß nicht, wozu das gut sein soll, aber ich werde mich mit ihm treffen.«

»Werden Sie ihn informieren oder soll ich das tun?«

»Ich werde ihm bald schreiben.«

»Nicht bald«, sagte Willy. »Heute.«

»Ich nehme an, dass er noch immer unter der Adresse in Perth erreichbar ist.«

»Nein«, sagte Willy. »Tatsache ist, Biddy, dass Rattenbury hier ist.«

»Hier?«

»Draußen im Hof. Er spricht mit Quig.«

»Quig hat ihn ohne meine Erlaubnis hierhergebracht?«

»Ja«, sagte Willy. »Hat ihn im Dogcart aus dem Hollander-Haus hergebracht.«

»O, Gott! O, Gott!«, entfuhr es Biddy.

»Was soll ich tun?«

»O, Gott! O, Gott!« Sie schloss die Augen und fuhr sich mit zitternder Hand über das Haar. »O, Gott, Willy. Was soll ich tun? Was soll ich tun?«

»Ihn reinführen lassen, denke ich«, antwortete Willy.

Und er wertete ihr heißes und verärgertes kleines Stöhnen als ein »Ja«.