»Tee, Mr. Rattenbury«, sagte Biddy, »oder würden Sie etwas Stärkeres bevorzugen?«
»Tee wäre sehr schön«, sagte Patrick, »aber darf ich vorschlagen, dass wir damit warten, bis wir unser Geschäft beendet haben?«
»Natürlich«, sagte Biddy. »Haben Sie mir Ihr Angebot mitgebracht?«
»Das Angebot meines Klienten«, korrigierte Patrick sie sanft. »Nein, es ist noch einiges erforderlich, bevor ich Ihnen ein formelles Angebot unterbreiten und einen Acre-Preis nennen kann.«
»Warum sind Sie dann hier?«, fragte Biddy ebenso sanft. »Ist dies vielleicht ein Höflichkeitsbesuch? Der Gedanke gefällt mir.«
Es war Donnerstag und früher Nachmittag. Patrick war unerwartet gekommen und hatte Glück, dass Biddy zu Hause war.
Sie hatte geplant, Maggie an diesem Nachmittag nach Tobermory zu begleiten, um dort in dem kleinen Kurzwarengeschäft im Columba’s Hof einen Ballen Winterstoff zu kaufen. Der Laden war einer der wenigen auf der Insel, in dem von Zeit zu Zeit Lieferungen von gutem Stoff auftauchten, und die Nachricht von einer jüngst eingetroffenen Lieferung hatte sich schnell verbreitet. Maggie indes war um keinen Preis bereit, einen ›Großwaschtag‹ zu opfern, und so hatte sie Becky ab halb neun an den Wannen arbeiten lassen.
An Leinen über dem Küchenhof und auf dem Rasen waren Laken und Decken wie Fahnen ausgebreitet und Becky, rotwangig, aber irgendwie alles andere als rosig, hatte eine Pause gemacht, als der Reiter über den Hügel galoppiert kam. Er war zur Vorderseite des Hauses hochgedonnert, hatte Kies in alle Richtungen geschleudert, den Hengst vor ihr gezügelt und war flink aus dem Sattel geglitten.
»Ist deine Herrin zu Hause?«
»Falls Sie meine Tante meinen, ich glaube ja.«
»Sag ihr, dass Patrick Rattenbury hier ist.« Er hatte Becky die Zügel gereicht. »Reib mein Pferd ab, ja?«
»Den Teufel werde ich«, erwiderte Becky. »Sehe ich wie ein Stallbursche aus?«
»Nein, Stallburschen haben bessere Manieren. Ist Mr. Quigley da?«
»Das bezweifle ich.«
»Dann sag in dem Fall deiner Herrin, dass ich hier bin. Ich werde mich selbst um das Pferd kümmern.«
Zu Beckys Erstaunen war ihre Tante in Sekundenschnelle auf den Beinen und draußen gewesen, war um das Haus geeilt, bis sie diesen Rattenbury auf dem Grün vor der Giebelwand fand, wo er das Pferd abgesattelt hatte und mit Händen voll Gras den Schweiß von seinen Flanken rieb.
An diesem Punkt war Becky kurz und bündig fortgeschickt worden und schmollend zu den Pfützen und Wannen in der Küche zurückgekehrt, um sich bei Maggie über die Manieren des so genannten Gentleman zu beschweren.
Maggie hatte vorsichtigerweise ihre Hände abgetrocknet, ihre Schürze gewechselt und einen Wasserkessel aufgesetzt und sich für das Klingeln der Glocke bereit gehalten. Doch die Glocke war nicht geläutet worden. Es gab von oben überhaupt kein Geräusch.
»Tatsache ist«, sagte Patrick, »dass ich hier bin, um ein kleines Geschäft auf eigene Rechnung zu machen.«
»Ach, wirklich?«, fragte Biddy.
Sie war noch nicht ganz munter. Sie hatte in der vom Sonnenlicht erfüllten Bibliothek gedöst. Ein großer Band mit botanischen Abbildungen war auf ihr Knie gesunken.
Beckys plötzliches Auftauchen hatte sie erschreckt. Sie hatte über Quigs verändertes Verhalten nachgegrübelt und in Gedanken die Möglichkeit durchgespielt, dass sie sich an ihrem Mann rächen könne, indem sie alles einfach verkaufte.
Bilder von geschwollenen grünen Blättern und derben Stämmen in Dschungelszenen in dem Buch auf ihrem Knie hatten ein vages sexuelles Verlangen in ihr ausgelöst, und Patrick Rattenbury war keine Million Meilen aus ihren Gedanken entfernt, als ihre Nichte, noch gereizter als sonst, die Tür aufgestoßen hatte mit einem »O, hier bist du also« und das Eintreffen des Maklers verkündet hatte.
»Ich glaube«, sagte Patrick, »dass Sie mehrere leerstehende Anwesen auf Fetternish haben. Ich frage mich, ob Sie vielleicht bereit wären, mir eines für einen Zeitraum von, sagen wir, sechs Monaten zu vermieten?«
»Ah!«, sagte Biddy. »O!«
»Mir wurde erzählt, die alten Stallungen seien teilweise möbliert und könnten vielleicht dazu geeignet sein, sofort bezogen zu werden.«
»Wer hat Ihnen das erzählt? Mein Mann?«
»Miss Brown, die Lehrerin.«
»Janetta?«, sagte Biddy. »Mir war gar nicht bewusst, dass Sie mit Netta Brown auf gutem Fuß stehen?«
»Ich habe gestern Abend mit ihrem Vater und ihr gegessen.«
»Ach, ja?«, sagte Biddy. »Tja, Gillies ist bekannt für seine Gastfreundschaft.«
»Was die Stallungen betrifft …«
»Haben Sie sie gesehen?«
»Noch nicht.«
»Sie sind groß, vielleicht zu groß für einen alleinstehenden Gentleman.«
»Und sein Pferd«, erinnerte Patrick sie.
Biddy, die für Humor in diesem Augenblick nicht aufnahmefähig war, runzelte die Stirn.
Sie saß in dem durchgesessenen Sessel, den sie von Quig vor einigen Monaten aus dem Keller hatte hochbringen lassen, einem Sessel, der der Lieblingssessel ihrer Mutter in deren letzten Lebensjahren gewesen war. Es war kein Stück, das in irgendeinen anderen Raum gepasst hätte, nicht einmal in die große Halle, aber seine gebrochenen Federn und das verfilzte Rosshaar waren anschmiegsam und bequem. Sie war körperlichen Annehmlichkeiten gegenüber nicht mehr gleichgültig und nahm an, dass sie in einem Jahr oder zwei ebenso träge und lustlos werden würde, wie es ihre Mutter zuletzt gewesen war.
Das Hinauseilen, um Patrick Rattenbury zu begrüßen, hatte bewirkt, dass sie ein wenig atemlos war, und sie wusste, dass ihr Gesicht hochrot war.
Sie widerstand der Versuchung, an ihrem Haar zu zupfen.
»Warum«, sagte sie schließlich, »wollen Sie auf Fetternish residieren?«
»Irgendwo muss ich ›residieren‹«, sagte Patrick.
»Hat Frances Hollander keine Liegenschaften zu vermieten?«
»Offen gestanden, nein. Die hat sie nicht.«
»Ich muss Sie fragen, Patrick: Ist dies eine List, um mich zu überreden, mein Land zu verkaufen?«
»Was Überredung anbelangt«, sagte Patrick, »so bin ich weit weniger unaufrichtig als Sie glauben. Es werden die Konditionen des Angebotes sein, die Sie überzeugen. Bargeld, Gewinn, Derartiges. Tatsache ist, dass ich irgendwo eine Unterkunft brauche, bevor die Flöhe und das schlechte Essen im Arms nur noch Haut und Knochen von mir übrig lassen.«
»Bis Sie Haut und Knochen sind, ist es noch weit hin.« Biddy wollte diese Bemerkung nicht humorvoll oder zweideutig verstanden wissen. »Nach dem, was Sie gesagt haben, nehme ich an, dass Sie beabsichtigen, einige Zeit auf Mull zu bleiben.«
»So ist es.«
»Was, jedoch, wenn ich das Angebot Ihrer Klienten ablehne? Was dann?«
»Ich werde in ihrem Auftrag ein anderes Angebot unterbreiten.«
»Und wenn ich auch das ablehne?«, legte Biddy nach.
»Es gibt andere Landbesitzer, andere Grundstücke, die für unsere Pläne geeignet sein könnten.«
»Was sind dies für Pläne?«, fragte Biddy.
»Ich dachte, ich hätte dies sehr klar ausgedrückt«, sagte Patrick. »Holzwirtschaft.«
Er saß auf einem schmalen, hochlehnigen Sessel aus bemaltem Buchenholz, der, wie Austin behauptet hatte, einst einem deutschen Prinzen gehörte. Biddy hatte sich nie damit abgegeben herauszufinden, ob dies wahr war oder nicht, aber sie bewunderte die prinzenhafte Art, in der Patrick Rattenbury auf dieser wackeligen Antiquität saß, sein Gesäß auf die Kante der zerfetzten Sitzfläche gepresst, die Knöchel gekreuzt, die Knie gespreizt. Unter dem glatten Stoff seiner Reithose konnte sie die Kontur und Kraft seiner Schenkel sehen und erlebte, da sie sich der körperlichen Behändigkeit ihres einstigen Liebhabers Iain Carbery erinnerte, ein unbestimmbares Verlangen, das Vergangenheit und Gegenwart miteinander verband.
Bisher war sie Quig treu geblieben. Aber war sie glücklich gewesen, indem sie Quig treu war? Dies war eine völlig andere Frage.
Patrick Rattenbury war kein hochmütiger junger Kampfhahn. Er war etwa in ihrem Alter und legte das Selbstvertrauen eines Mannes an den Tag, der sich sein Vergnügen genommen hatte, ohne in die Fallgrube des Ehestandes gestürzt zu sein. Was, wenn er sie nur wollte, um ein Stück von Fetternish abzutrennen und sich seine Kommission zu verdienen? Was machte das jetzt, wo die Welt um sie zerbrach und ihre eigenen süßen Tage gezählt waren? Wer würde es wissen oder sich daran stören, wenn sie zuließ, dass wieder Leidenschaft in ihrem Herzen entflammte, dieses wilde Feuer, das durch die finanziellen Sorgen sowie durch Quigs stümperhafte Vernachlässigung beinahe ausgelöscht war?
Sie war nicht zu alt, um sich wieder zu verlieben.
Sie sagte: »Wie viel von Fetternish wollen Sie?«
»Achthundert Acres im Nordosten.«
»An Fhearann Cáirdeil?«
»Ja.«
»Ich nehme an, Sie wollen mir erzählen, dass es kaum vermisst werden würde?«
»Tja, würde ich das?«
»Nein, ich glaube, das würden Sie wirklich nicht«, sagte Biddy.
Sie wusste nicht, warum sie das Gespräch wieder zurück auf Dinge gelenkt hatte, die bereits diskutiert worden waren, ihn Fakten wiederholen ließ, die sie bereits in ihrem Kopf gespeichert hatte. Sie verhielt sich verzögernd, abwartend, spielte das alte Spiel. Sie wollte nicht übereilt erscheinen, indem sie ihm seine Bitte gewährte. Der bloße Gedanke, Patrick Rattenbury in dem alten Stallgebäude wohnen zu haben, nur eine halbe Meile von ihrer Türschwelle entfernt, weckte alle möglichen kühnen Vorstellungen, jedoch zusammen mit dem Gedanken, dass sie Quig eine Lektion erteilen könne, indem sie einen ›Freund‹ hatte, mit dem sie Zeit verbrächte, um so ein Gegengewicht zu seiner Freundschaft mit dem Ludlow-Mädchen zu schaffen. Sie war immer in der Lage gewesen, ihren Eigenwillen zu rechtfertigen.
»Was noch?«, forschte Biddy.
»Noch?«
»Welche anderen Teile von Fetternish möchten Sie in die Hände bekommen?«
»Da befindet sich ein Stück Moorland hinter dem Hof von Pennypol, das für Holzwirtschaft geeignet sein könnte.«
»Am Strand?«
»Hinter dem Strand.«
»Haben Sie es schon vermessen?«
Patrick schüttelte den Kopf. »Ich übereile nichts, Mrs. Quigley.«
»Tun Sie das jetzt nicht, Mr. Rattenbury?«
»Meinen Sie, es würde die Sache vereinfachen, wenn wir wieder auf Bridget und Patrick zurückkommen?«
»Ich habe nichts dagegen einzuwenden, zu Biddy und Patrick zurückzukehren.«
Er hatte ihr den Vortritt gelassen. Er hatte das umgehend und stilvoll getan, dachte Biddy. Sie wusste, dass Patrick mit ihr flirtete, dass es keine Laune war, kein plötzlicher Anflug von Charme oder eine Fehlinterpretation. Er war so ernsthaft an ihr interessiert wie sie an ihm.
Sie spürte, dass ihre Glieder leicht und schlank wurden. Blut raste schneller durch ihre Adern, und ihr Verstand, nicht durch Alter stumpf, sondern durch die Unbeholfenheit ihres Mannes, wurde wieder scharf und berechnend.
Sie streckte eine Hand nach der Glocke auf dem Tisch aus.
»Sollen wir zuerst Tee nehmen, Patrick?«
»Nein«, sagte er, sich vom Sessel erhebend. »Nein, Biddy. Tun wir’s jetzt.«
»Sollen wir laufen«, sagte sie, »oder würden Sie’s vorziehen, zu reiten?«
»Wir laufen, denke ich«, entschied er.
»Und nehmen das Pferd ein andermal?«
»Ja.« Endlich lachte er. »Und nehmen das Pferd ein andermal.«
Es war nicht ungewöhnlich, dass Frances einen Wutanfall bekam. Normalerweise tobte sie nur in ihrem Schlafzimmer oder ging, wenn Florence oder Valerie da waren, aus dem Haus und stampfte mit den Füßen auf und schrie, bis ihr ganzer Zorn sich entladen hatte. Anschließend tauchte sie, errötet, aber ruhig wieder auf und war ganz die kleine Frohnatur wie sonst auch.
Dorothea ließ sich von der Persönlichkeit, die Frances der Welt präsentierte, nicht täuschen. Sie hatte ihre Schwiegertochter im Laufe ihres gemeinsamen Lebens beim Durchlaufen vieler verschiedener Phasen beobachtet, und neun Jahre beidseitigen Misstrauens hatten Dorotheas Einstellung gegenüber der unnatürlichen Frau, die ihren Sohn in die Ehe gelockt hatte, nicht verbessert. Sie war ehrlich genug einzugestehen, dass Frances und sie ein gemeinsames Band hatten: dass sie wie Frances ihr Herz viel zu großzügig und viel zu oft weggegeben hatte.
Sie wartete jetzt darauf, dass Frances so zerbrach, wie sie selbst zerbrochen war, wartete darauf, dass Larry die Stücke aufhob, dass alles wieder zusammenkam. Deshalb signalisierte jeder Wutanfall, jeder neue Ausbruch die Möglichkeit, dass Frances der Kapitulation ein wenig näher war, dass dieses Mal ihre Unverwüstlichkeit vielleicht nicht groß genug sein würde und dass sie entweder in Larrys Bett zurückkehren oder aber, noch besser, in eine Scheidung einwilligen würde.
Frances’ mittsommerlicher Wutanfall war ebenso unerwartet wie laut.
Als Dorothea das Geschrei des Mädchens durch das Haus hallen hörte, erfuhr sie ein plötzliches Nachlassen des Schmerzes und spürte das Verlangen, aufzustehen und nach unten zu laufen.
Sie rief nach Valerie, die auf dem Treppenabsatz herumgelungert hatte.
»Was ist denn dieses Mal mit ihr los?«
»Ich weiß es nicht, Ma’am.«
»Was schreit sie denn da?«
»Ich kann es nicht verstehen, Ma’am.«
»Hol meine Krücken. Ich werde nicht einfach dasitzen und mir durch ihren Radau das Mittagessen verderben lassen.«
»Wollen Sie nach unten gehen, Mrs. Lafferty?«
»Wohin, Himmel auch, glaubst du wohl, werde ich gehen? Natürlich gehe ich nach unten.«
»Dahin ist es ein langer Weg, Ma’am.«
»Nicht annähernd so lang wie der Weg nach oben, Mädchen. Also hol meine Krücken tout de suite.«
Frances war im Frühstückszimmer, das groß, luftig und hell war. Es war nach Dorotheas Anweisungen mit hellen Möbeln, pastellfarbenen Kissen und einem Hauch von Pariser Chic bei der Wahl von Tapeten und Teppich eingerichtet worden. Sie hatte die Tür verschlossen, bevor sie sich auf das seidengepolsterte Sofa geworfen hatte, um mit ihren Fersen zu trommeln und mit den Fäusten in die Kissen zu schlagen und dazu ein solches Geheul zu veranstalten, dass sie halber Wege bis zum Strand gehört werden konnte.
Dorothea schaffte es in fünf Minuten nach unten. In dieser Zeit hatte Frances’ Geschrei sich auf ein heftiges Schluchzen reduziert.
»Ist die Tür abgeschlossen?«
»Ja, Mrs. Lafferty.«
»Hast du den Schlüssel, den ich dir gegeben habe?«
»Ja, Ma’am.«
»Dann steh nicht rum und halte Maulaffen feil, sondern schließ auf.«
Valerie schloss die Tür auf, stieß sie auf und trat schnell beiseite, während Dorothea an ihr vorbeihinkte und das Zimmer betrat.
Überrascht, aber nicht verlegen, blickte Frances auf. Sie lag auf den Knien oder, besser, hing halb auf dem Teppich und halb auf dem Sofa in der Pose eines unglücklichen Mädchens, Teil des Repertoires jeder Schauspielerin.
Dorothea stemmte ihre Krücken fest in den Teppich und verlagerte ihr ganzes Gewicht auf die Arme. »Und was ist los mit dir?«
»Ich wünsche nicht, gestört zu werden.«
»Dann solltest du nach draußen gehen, wie du’s üblicherweise tust.«
Frances schmiegte sich an das Sofa und streckte einen Arm aus. Sie sah nicht elegant aus, aber sie wirkte verletzlich. Ihre Nase war rosa, die Lider waren geschwollen und ihr Haar klebte in einem feuchten, krausen Pony an ihrer Stirn.
»Was ist? Erzähl es Mama.«
»Ich möchte nicht darüber reden.«
»Valerie, schließ die Tür.«
Valerie schloss die Tür.
Dorothea schlag ihre Arme um die gepolsterten Krücken und hing dort gestützt. Früher war sie schneller, behänder gewesen. An diesem Tag im Frühling 1896 zum Beispiel, als sie die Hoteltreppe hinaufgerannt war, um Iain Carbery – ihre letzte, größte Liebe – so liegend wie jetzt Frances vorzufinden, halb auf, halb neben der Couch, eine Seite seines Kopfes weggerissen und der Gestank von Pulver noch im Zimmer.
»Nun komm schon, Kleines, erzähl Mama, was plagt dich?«
»Es geht dich offen gestanden nichts an.«
»Sicher geht mich das etwas an.« Wie seltsam ihr Akzent sich den Umständen entsprechend veränderte: Für Larry rein Boston, rein Chicago für Macklin. Bei Iain war sie gewöhnlich so schottisch wie Haferkekse oder Minzklopse gewesen. »Alles, was du tust, Süße, geht mich etwas an. Wenn du niedergeschlagen bist, dann ist es meine Aufgabe, herauszufinden warum.«
»Sie hat ihn mit heimgenommen.«
»Wie bitte?«
»Sie« – Frances schniefte – »sie hat ihn zum Abendessen mit heimgenommen.«
»Was«, sagte Dorothea, »tot an einer Stange?«
»Ich wüsste nicht, was daran komisch ist.«
»Und ich weiß nicht, worüber du eigentlich redest, Teufel auch.«
»Janetta. Sie hat Patrick zum Abendessen heimgenommen.«
»Allmächtiger Gott! Und deshalb diese tragische Vorstellung? Ein Kerl. Nein, warte, es geht ja gar nicht um irgendeinen alten Kerl, nicht wahr? Es ist nicht Patrick Rattenburys Unberechenbarkeit, die dich verrückt macht. Es ist sie, nicht wahr, es ist die Gouvernante.« Dorotheas Gelächter erschütterte ihren Busen. Sie schwankte und stemmte einen schmerzenden Fuß fester auf den Teppich. »Es ist die Lehrerin. Du hast dich in die verdammte Lehrerin verknallt, und sie hat dich abblitzen lassen.«
»Weißt du, wie vulgär du klingst?«
»Sicher, ich weiß, wie vulgär ich klinge«, sagte Dorothea. »Was hast du getan, dass du sie nun verschreckt hast? Du bist nicht mehr auf dem Laufenden. Fordert der Mangel an Praxis seinen Tribut?«
»Ich«, sagte Frances, »liebe sie.«
»Dummes Zeug!«
»Was weißt du schon übers Sich-Verlieben?«
»Einiges«, erwiderte Dorothea. »Allerdings nur in Männer.«
»Zumindest schießen meine Geliebten sich nicht in den Kopf.«
Dorothea war nicht gekränkt, weil selbst boshafte Bemerkungen über die Art seines Todes halfen, ihr Iain für einen Augenblick oder zwei wiederzugeben.
»Jedenfalls«, sagte sie, »hat Iain sich nicht aus Liebe umgebracht. Er hat sich umgebracht, weil er ohnehin starb. Er ist schnell gegangen, um mir Leid zu ersparen.«
»Ich werde mich jedenfalls nicht umbringen«, sagte Frances.
»Das ist aber sehr bedauerlich.«
Frances erholte sich. Sie zog die Knie an, setzte sich sehr bedächtig auf das Sofa und verschränkte die Arme.
»Wie lange willst du dort stehen, Mama?«
»So lange ich muss«, antwortete Dorothea. »Ich werde nicht umfallen.«
»Ich bin jetzt wieder in Ordnung. Ich war fassungslos, als ich es hörte.«
»Wie hast du’s gehört?«
»Durch einen Brief von Maggie Naismith.«
»Ist das alles, was sie getan hat – die Lehrerin, meine ich –, ihn nach Hause zum Abendessen eingeladen?«
»Ja, aber wir können doch wohl alle ahnen, was dahintersteckt, oder nicht?«
»Können wir?«, fragte Dorothea. »Du hast ihr Angst gemacht, nicht wahr, Frances? Du hast ihr gesagt, dass du sie liebst.«
»Nein, habe ich nicht.«
»Was war es dieses Mal? Ein Kuss, wieder so ein verdammter Kuss am falschen Platz zur falschen Zeit. Sie war dir nie bestimmt.«
»Du kennst sie nicht so wie ich. Tatsächlich kennst du sie überhaupt nicht.«
»Vielleicht nicht«, meinte Dorothea. »Darum geht es auch nicht. Es geht darum, dass du sie besser in Ruhe lässt. Sie ist die hiesige Lehrerin, Himmel noch mal. Diese Menschen werden nicht verstehen, was du ihr antust oder was du möglicherweise mit ihr tun möchtest.«
»Ich will nur ihre Freundin sein.«
»In Wirklichkeit liebst du sie gar nicht, Frances, nicht?«
»Ich glaube doch.«
»Du langweilst dich, das ist alles.«
»Natürlich langweile ich mich. Ich langweile mich sogar sehr, verdammt.«
»Du brauchst nicht hierzubleiben. Du kannst jederzeit gehen.«
»Und wohin gehen, womit?«, sagte Frances.
Dorotheas Kraft ließ nach. Der Schmerz nagte an ihren Gelenken und Schmerz schoss in ihre geschwächten Muskeln. Ihre Brust brannte. Sie würde bald wieder nach oben gehen müssen, zwei ihrer Pillen nehmen und sich hinlegen müssen. Ihr Lächeln war schief.
»Geh irgendwohin«, sagte sie. »Ich bezahle dir die Fähre zum Festland. Wie ist das?«
»So einfach wirst du mich nicht loswerden. Nein, Mama. Ich ziehe es vor, darauf zu warten, dass Larry kommt.«
»Was, wenn er nicht kommt?«
»Früher oder später taucht Larry immer auf.«
»Ob er’s tut oder nicht«, sagte Dorothea, »es ist besser, wenn du diesen Unsinn mit der Lehrerin vergisst.«
»Welchen Unsinn?«
»Du weißt, was ich meine. Ich möchte nicht, dass du mir zusammenbrichst und das bisschen Ansehen, das mir noch geblieben ist, ruinierst.«
»Macht, meinst du«, betonte Frances. »Macht, nicht Ansehen.«
»Ich will nicht, dass du meine Pläne vereitelst, Frances«, sagte Dorothea, »nicht mit einer schreckhaften Lehrerin, die offensichtlich von Patrick Rattenbury eingenommener ist als du denkst. Zudem hat sie ihm lediglich ein Abendessen gemacht. Sie ist ja schließlich nicht mit ihm ins Bett gegangen, oder?«
»Woher weiß ich, was sie getan hat oder was sie tun will?«
»Was hast du mit ihr getan?«
»Ich habe ihr ein Zeichen meiner Zuneigung gegeben.«
»Du hast ihr Angst eingejagt.«
»Es gibt nichts, wovor sie Angst haben muss. Sie liebt mich. Sie will das nur nicht zugeben.«
»Sie weiß nicht einmal, was du mit ›Liebe‹ meinst. Ich schätze, du hast ihr ein für alle Male Angst eingejagt, wie dieser Frau auf Antibes. Wie hieß sie gleich noch?«
»Claudette.«
»Genau die meine ich«, sagte Dorothea. »Du kannst von Glück sagen, dass ihr Mann nicht rausgefunden hat, was du im Sinn hattest, denn sonst hätte er dich auf der Stelle umgebracht.«
»Du verstehst von all dem überhaupt nichts, nicht wahr, Mama?«
»Ich bin hier, um Geschäfte zu erledigen. Ich will nicht, dass du meine Pläne mit deinen perversen Verführungskünsten durchkreuzt. Wenn du das tust …«
»Was dann? Willst du mich dann ohne einen Penny sitzen lassen?« Frances zog die Schultern hoch und legte die Hände auf die Ohren. »Ooo, zitter, zitter. Ich habe keinen Penny, für den Fall, dass du es noch nicht bemerkt hast, keinen verdammten roten Heller. Aber ich werde Geld haben. Wenn Larry entscheidet, dass er wieder heiraten will, dann wirst du mich nur dadurch dazu bringen, eine Scheidungsurkunde zu unterzeichnen, wenn du dafür reichlich zahlst.« Sie erhob sich vom Sofa und streckte ihre Arme über dem Kopf hoch. Kummer, Ärger und Zorn waren verschwunden. »Was würdest du sagen, wenn ich beschließe, mich in Patrick Rattenbury zu verlieben? Was würdest du sagen, wenn ich eine Affäre mit deinem Grundstücksmakler begänne?«
»Das wird nicht geschehen«, sagte Dorothea.
»Es könnte.« Frances neigte geziert den Kopf. »Das würde dich eine Lektion lehren, nicht wahr, Mama? Und auch meiner Lehrerin wäre es eine Lektion.«
»Patrick Rattenbury weiß wie du bist.«
»Er glaubt zu wissen, wie ich bin. Ich bin sicher, ich könnte seine Meinung ändern.«
»Bluff«, rief Dorothea. »Bluff, Bluff, Bluff.«
»Bist du sicher, Mama?«
»Ganz sicher«, bekräftigte Dorothea. »Was hast du denn wirklich mit ihr gemacht?«
»Ich küsste sie.«
»Und ich nehme an, sie war angewidert, so wie es jede anständige Frau sein würde.«
»O, nein.« Nun war es an Frances, zu lächeln. »Es hat ihr gefallen. Ich weiß das. Sie liebte es und davor hat sie Angst.«
Der Schmerz war fast unerträglich geworden. Sie gierte nach der Linderung, die ihr die Morphiumpillen bringen würden: vier, nicht zwei. Vier und ein langer Schlaf, ein Schlaf so tief, dass sie ihre Schwiegertochter vor Anbruch des Abends nicht wiedersehen musste. Als Frances Anstalten machte, sie zu stützen, hob sie eine Krücke vom Boden hoch und bewegte langsam ihre Hüften, drehte sich zur Tür um.
»Valerie«, rief sie. »Valerie, öffne die gottverdammte Tür.« Und dann schlurfte sie, nur von der Dienerin unterstützt, in den Korridor hinaus und schleppte sich die Treppe hoch, um wie eine Tote auf dem Bett zu liegen.
Niemand, nicht einmal ihr Vater, hätte ahnen können, wie viel Mut es Janetta kostete, zu den Stallungen von Fetternish hinauszugehen.
Sie war empört über Patricks abrupten Auszug aus dem McKinnon Arms und über die Tatsache, dass er ihr weder eine Erklärung gegeben noch sie vorgewarnt hatte.
Natürlich hatte sie kein Recht, das von ihm zu erwarten. Zwischen ihnen war nichts, keine Verpflichtung von irgendeiner Seite, und doch konnte sie nicht anders als zu meinen, er sei bestenfalls unhöflich gewesen. Er hatte mehrere Male im Schulhaus zu Abend gegessen und hatte sich dort, so schien es, wirklich heimisch gefühlt. Selbst bei seinem letzten Besuch hatte er nichts davon gesagt, dass er vom Gasthaus in die Ställe ziehen würde, nichts darüber, dass er eine Übereinkunft mit Biddy Quigley getroffen hatte.
Auch Frances hatte ihr die kalte Schulter gezeigt. Sie war durch die plötzliche Gleichgültigkeit der Frau verletzt gewesen. Kann es sein, überlegte sie, dass Frances das Interesse an mir verloren hat? Hatte sie die Natur ihrer Freundschaft völlig missverstanden? Hatte Patrick vielleicht die ganze Zeit mit Frances im Bunde gestanden und sie war einfach nur benutzt worden, um die Interessen der Hollanders zu fördern?
In der Klasse war sie bissig.
Zu Hause war sie mürrisch.
Patrick war bereits sechs Tage fort, bevor sie die Geduld verlor und, kaum dass das Abendessen vorbei war, den Hut aufsetzte, ihre Handschuhe anzog und sich zur Tür begab.
»Wohin willst du, Liebes?«, fragte Gillies.
»Ich mache einen Spaziergang.«
»Einen Spaziergang? Gut!«
»Darf ich keinen Spaziergang machen, wenn mir danach ist?«
»Natürlich. Wirst du spät zurückkommen?«
»Nein, allenfalls in einer Stunde.«
»Solltest du zufällig …«, begann Gillies, überlegte es sich dann anders, räusperte sich und hob seine Zeitung, um seinen Fauxpas zu verbergen.
Es war gegen acht, als sie ihr Ziel erreichte.
Es war ein wundervoller Sommerabend, der Himmel klar, die Sonne noch hoch, die Schatten der Ginstersträucher und eine Gruppe Buchen dicht und klar in dem flachen Tal, in dem die Ställe standen. Die Gebäude waren aus Stein und hoben sich, anders als die meisten anderen Häuser, die Biddy besaß, in den Himmel: zwei hohe Stockwerke, gekrönt von einem gemauerten Kamin. Da gab es eine Art Schmiede, Ställe, Schuppen, eine Pumpe in einem offenen Hof und wie überall auf Mull einen Haufen weggeworfener Geräte und geborstener Karren, die im Unkraut hinter einem alten Misthaufen zerfielen.
Das Haus wirkte selbst an einem hellen Juniabend öde. Es gab keine Lichter, keine Zeichen von Leben.
Janetta überlegte, ob die Information, die Becky Innis und Innis weiter an ihren Vater gegeben hatte, in Wirklichkeit falsch war und Patrick woanders Unterkunft genommen oder Mull ganz verlassen hatte.
Sie ging weiter, aufrecht und entschlossen, ihre Beklommenheit verbergend.
Auf den Kopfsteinen, die den Hof einrahmten, bemerkte sie frischen Pferdemist, im Hof selbst einen Eimer, gefüllt mit sauberem Wasser, eine Schütte Hafer, und dann fand sie in dem großen Stall links von den Wagenschuppen Patricks widerspenstigen Hengst, der friedlich für die Nacht eingestellt war. Warum er im Stall stand, wo eine umzäunte Koppel mit üppigem Gras und Butterblumen unmittelbar hinter der Anhöhe lag, vermochte sie nicht zu ergründen. In dem Stall sah sie Zusammengerechtes, ein muffiger Haufen Heu vom letzten Jahr, ein Rechen und eine Mistgabel, ein weiterer Eimer, neu und glänzend, neben der Tür des Wohnhauses. Dann – und dies überraschte sie – fünf Hemden und fünf Paar Strümpfe, die an einer Leine hingen, die zwischen zwei Holzpfosten gespannt war. Was immer Patrick Rattenbury sonst sein mochte, er war ganz eindeutig selbstständig.
Sie schaute zu dem Kamin hoch. Ein feiner Rauchfaden stieg vor dem unendlichen Himmel auf. Ihr Verdruss schwand, wurde durch Bewunderung für das Tempo ersetzt, mit dem Patrick sich in dem alten Wohnhaus der Bells einquartiert und wie schnell er begonnen hatte, sein Territorium zu markieren.
Dennoch klopfte sie nicht an die Tür, sondern wartete darauf, dass er sie fand.
Sie hörte ihn pfeifen, eine klangvolle Melodie mit allen Noten. Sie trat von der Türe weg. Sie wollte nicht, dass er glaubte, sie habe spioniert. Das Pfeifen ging weiter, wurde weder lauter noch leiser, war scheinbar unaufhörlich, wie das Rufen von Kiebitzen oder das Schreien einer Füchsin.
Sie drehte sich und drehte sich, wirbelnd auf ihren Absätzen.
Das Pfeifen legte sich.
Patrick sagte: »Sieh an, sieh an, wenn das nicht meine Lehrerin ist.«
Er war um die Ecke der Giebelwand gekommen. Sein Hemd war mit den Ärmeln um seinen Hals geknotet und er war nackt, bis zur Taille völlig nackt. Er hatte eine geflickte Reithose an, die an den Knien nicht zugeschnallt war, trug weder Stiefel noch Strümpfe und hatte einen langstieligen Hammer wie ein Gewehr über seiner Schulter. Seine Brust war dicht behaart, gekraust und feucht von Schweiß, und eine Wolke von Insekten war ihm aus der Wildnis gefolgt.
»Ich bin gekommen, um zu sehen, ob Sie etwas brauchen«, sagte Janetta. »Offensichtlich ist das nicht nötig.«
Patrick lachte. »Außer Sie haben zufällig ein Päckchen mit frischem Fisch in Ihrer Tasche, Janetta«, sagte er. »Doch selbst, wenn das nicht der Fall ist, freue ich mich, Sie zu sehen. Ich bin den ganzen Tag lang keiner Seele begegnet, nicht einmal dem geschätzten Quigley, und ein bisschen zivilisierte Gesellschaft kann ich gut brauchen. Kommen Sie herein, kommen Sie herein, während ich mich ein wenig reinige.«
»Nein, ich …«
»O, kommen Sie schon«, bat er. »Sehen Sie, was ich aus dem Haus gemacht habe.«
»Ich denke – jetzt, wo ich sehe, dass Sie – ich denke, ich sollte nach Hause gehen.«
»Netta, Janetta, wovor fürchten Sie sich? Um Himmels willen, hier ist niemand im Umkreis von fünf Meilen …«
»Zwei Meilen.«
»Also dann zwei, wenn Sie so genau sein müssen – zwei Meilen, um über uns zu tratschen.«
Er setzte den Hammer ab, lehnte den Stiel gegen die Wand. Der Hengst im Stall gab ein wildes Schnauben von sich und dann ein Wiehern.
»Zumindest freut er sich, Sie zu sehen«, sagte Janetta.
Er roch nicht unangenehm nach Moor, so wie ihre Brüder gerochen hatten, wenn sie nach einem langen Abend des Herumrennens und Jagens im Unterholz hinter An Fhearann Cáirdeil nach Hause gekommen waren. Sein Haar war feucht und lag in kleinen romanesken Fransen über seiner Stirn, an der eine Glatze begann. Sein Körper war stark behaart. Janetta war nicht bewusst gewesen, dass ein gut situierter Gentleman aus Perth so viel Körperhaar haben könne, da sie angenommen hatte, dass etwas in seiner Abstammung oder Erziehung ihn ebenso glatt und gebügelt wie seine Kleidung gemacht haben würde.
Sie fragte sich, was er über sie denken würde, wenn er sie unbekleidet sehen könnte: ganz schlank und langgliedrig und flachbrüstig. Sie bezweifelte, dass er auch nur im Mindesten beeindruckt sein würde oder von den ungezähmten Gefühlen erfüllt wäre, die brutale Helden billiger Romane veranlassten, sich unehrenhaft und skrupellos zu verhalten.
»Sind Sie nicht erfreut, mich zu sehen?«, fragte Patrick.
»Ich war mir nicht sicher, ob ich willkommen sein würde.«
»Nicht willkommen? Warum denn das nicht?«
»Sollte ich denn raten, wohin Sie gehen würden?«
»Ah!« Der Ausruf hatte nicht mehr Gewicht als ein Seufzen. »Mein Fehler, mein taktischer Irrtum. Ich wollte warten, wissen Sie.«
»Warten? Bis ich vergessen hätte, wer Sie sind?«
»Bis ich Sie einladen könnte – und natürlich auch Ihren Vater – zum Abendessen.«
»Patrick, ich glaube Ihnen nicht.« Es war ihr Ernst. »Ich glaube, dass Sie sich einfach nicht mit einem Lehrer und seiner Tochter abgeben möchten, nachdem wir für Ihre Zwecke nützlich waren.«
Er schüttelte den Kopf. »Das ist unwürdig, Janetta«, sagte er. »Ihrer überhaupt nicht würdig. Wirklich, das ist so belanglos. Nicht alle Welt tratscht so, wie es in Crove der Fall ist.«
»Was ist denn verkehrt an Crove?«
»Nichts.« Patrick löste den Knoten an seinem Hals und fuhr sich mit dem Hemd über seine Brust und den Bauch. »Sie sind nur so – tja, was? – empfindlich bei Kleinigkeiten und Andeutungen, dass Sie Dinge immer falsch verstehen. Tatsächlich unterscheiden Sie sich gar nicht so sehr von Städtern, sind aber mehr …«
»Barbarisch?«
»An gutem Benehmen ist nichts barbarisch«, sagte Patrick. »Und ich gestehe, dass mein Benehmen nicht gerade gut war. Kommen Sie herein, dann mache ich Tee und bringe Sie anschließend nach Hause.«
»Sie bringen mich …«
»Mit dem Pferd.«
»Ich werde nicht …«
»O, nun hören Sie auf, so besorgt zu sein, Janetta. Kommen Sie rein.«
Sie hätte sich widersetzen sollen, aber in ihm war eine Kraft, derer sie sich nicht erwehren konnte, und der weite, leere Himmel, unter dem sie so oft von einem Mann geträumt hatte, der ihre Hand in seine nehmen und sie wegführen würde, war nicht mehr weit und leer.
Widerstandslos erlaubte sie ihm, sie ins Haus zu führen.
Die Küche der Bells war groß und einfach möbliert, war ohne Feuchtigkeit oder Staub, aus dem ersichtlich gewesen wäre, dass sie mehrere Jahre leer gestanden hatte. Auf dem Tisch stand Geschirr, Krüge, Pfannen und ein Kessel standen im Regal, eine ganze Reihe von Utensilien, die, wie Janetta vermutete, von Biddy spendiert oder vielleicht von Quig zusammengestellt worden waren, der entgegenkommender und kompetenter war als seine Frau.
»Für mich ist es wirklich zu geräumig«, sagte Patrick. »Oben sind drei Schlafzimmer und auf der anderen Seite des Korridors ist noch ein Zimmer.«
»Es war einmal ein Haus für eine Familie«, sagte Janetta.
»Vielleicht wird es das wieder werden«, sagte Patrick.
Sie blinzelte. »Was – was meinen Sie?«
»Wenn alles gut geht und Biddy beschließt, uns Land für die Baumanpflanzung zu verkaufen, dann wird die Gesellschaft alle Anwesen benötigen, die sie bekommen kann, um ihre Arbeiter unterzubringen.« Er ließ sie los und ging zu einem Ständer, an dem ein sauberes weißes Handtuch hing. »Was glaubten Sie denn, was ich meinte?«
»Nichts. Ich mache nur Konver … Hat Sie es Ihnen billig gegeben?«
»Ich bin versucht zu sagen, für ein Butterbrot, aber das wäre nicht ganz korrekt.« Er warf das verschmutzte Hemd in einen Weidenkorb, der in der Ecke neben dem Waschbecken stand. »Natürlich muss es in mancherlei Hinsicht modernisiert werden, vor allem, was Abflussrohre und Wasserleitungen betrifft. Selbst in Dunning müssen heutzutage nur wenige hinausgehen, um Wasser zu pumpen. Und was die Sanitäranlagen betrifft …«
»Ich würde es vorziehen, nichts darüber zu hören«, sagte Janetta. »Ich erinnere mich daran, wie unangenehm es war, an einem stockdunklen Wintermorgen nach draußen eilen zu müssen.«
»Natürlich. Auf An Fhearann Cáirdeil. Jetzt sind die Cottages dort völlig verfallen. Man müsste schon großen Druck ausüben, um einen Waldarbeiter zu finden, der bereit wäre, dort einzuziehen.«
»Werden Sie sie renovieren?«
»Momentan renoviere ich noch gar nichts«, antwortete Patrick. »Um es ganz deutlich zu sagen: Das ist auch nicht meine Angelegenheit. Ich bin beauftragt, Land zu finden, es zu vermessen und zu kaufen, nicht ein bewaldetes Anwesen zu verwalten.«
»Aber Sie könnten das? Das könnten Sie doch?«
Er trocknete sich gründlich ab. Sie beobachtete, wie seine Hand sich im Halbdunkel bewegte, über die Muskeln seiner Brust strich. Er hatte einen leichten Bauch, den Ansatz eines Wanstes, doch das war das einzige Anzeichen von Alter. Sie dachte an ihren eigenen Körper, der dürr und so spröde wie ein Rohr war. Er zog ein frisches, ungebügeltes Hemd von einem Ständer vor dem Herd und streifte es über den Kopf.
»O, sicher könnte ich das. Tatsächlich habe ich das schon getan. Ich habe die Anpflanzung auf The Ards eingerichtet und ich habe ein Team von der Baumschule auf dem Besitz des Herzogs von Anstruther geholt, um die Arbeit auszuführen.«
»Kennen Sie den Herzog von Anstruther?«
»Archie? O ja. Er ist ein kleiner Schwätzer und nicht allzu helle, aber er hat ein gutes Team von Verwaltern und Beratern und so viel Land, dass es schwer für ihn sein würde, kein Geld zu verdienen. Sein Vater war vernünftig genug, vor dreißig Jahren eine Baumschule anzulegen, und Archie hat die als gut gehendes Unternehmen geerbt. Und es ›geht gut‹, das können Sie mir glauben. Er züchtet aus Sämlingen und ist der Beste im Nordosten, zumindest sind das seine Züchter, nicht Archie selbst. Er hat einen riesigen Vorrat an Sämlingen und Setzlingen aus aller Welt, Zierpflanzen ebenso wie alle Arten von Pflanzen für die Holzwirtschaft und Tausende Acre oder mehr von umgesetzten Pflanzen. Es ist ein höchst erfolgreiches Unternehmen und ungemein profitabel.«
Er knöpfte das Hemd zu und steckte es, sich von ihr abwendend, in den Bund seiner Reithose.
»Hoffen Sie, das hier auch zu tun?«
»Was? Profit zu machen? Natürlich«, sagte Patrick, »wenngleich bedauerlicherweise nicht für mich.«
»Ich meine, eine Baumschule anlegen.«
»Dafür ist Mull nicht geeignet. O, natürlich können wir Bäume sogar in der sauren Erde des oberen Moorlandes zum Wachsen bringen, weil es Pflüge gibt, die tief genug reichen, und eine Technik zur Trockenlegung, die …« Er drehte sich wieder um und hob seine Augenbrauen. »Ich bin sicher, dass Sie nicht im Mindesten an all dem interessiert sind.«
»Ich bin Lehrerin. Ich bin daran interessiert, alles zu lernen.«
»Ihr Vater möchte, dass es geschieht.«
»Ich weiß. Er fürchtet um die Zukunft der Schule.«
»Und Sie, Janetta, möchten Sie, dass es geschieht?«
»Werden Sie hierbleiben, wenn es so kommt?«
Patrick schwieg kurz, nicht gekränkt oder gar überrascht. Er war kein Knabe, kein arroganter junger Mann. Zweifellos war ihm schon früher geschmeichelt worden, häufiger vielleicht, als Janetta zu denken wagte.
Er sagte: »Ist Ihre Antwort von meiner Antwort abhängig?«
»Nein, ich möchte, dass es geschieht.«
»Wenn Bridget Quigley zur Einsicht kommt und meinen Klienten einen Teil ihres Landes verkauft, werde ich mindestens ein Jahr hier sein, wahrscheinlich länger.« Er stockte wieder. »Ich denke, Sie haben wohl keinen Einfluss auf Biddy?«
»Was bringt Sie auf die Idee?«
Er hob eine Schulter und spreizte seine Finger. »Ich hörte, dass Ihr Vater und Biddys Schwester eng befreundet sind. Das ist alles.«
»Aber Innis und Biddy sind es nicht.«
»Nicht was?«
»Eng befreundet.«
»In der Tat?«, sagte Patrick. »Das ist aber interessant.«
»Warum sollte dieser Klatsch aus Crove interessant für Sie sein?«
»Ich denke, das habe ich verdient«, sagte Patrick. »Zu Ihrer Information, es sind nicht Mrs. Tarrant oder Mrs. Quigley, die mich wirklich interessieren.«
»Wer ist es dann? Frances?«
»Pah! Frances!« Er kam über den Steinboden auf sie zu. Er war barfuß. »Frances mag hübsch sein, aber sie ist billig und kapriziös und man müsste schon ein armer Bursche sein, um auf ihren zweifelhaften Charme reinzufallen.«
Er stand vor Janetta, schaute ihr direkt in die Augen und sagte nichts.
Hypnotisiert von seinem Schweigen, fühlte sie sich jeden Gefühls außer Erwartung ledig. Er berührte sie nicht mit seinen Händen. Er beugte sich vor und küsste sie auf die Stirn.
»So«, sagte er. »Und jetzt gieße ich uns schnell eine Kanne Tee auf, ziehe ein Paar saubere Strümpfe an und bringe Sie nach Hause.«
»Wirklich?«
»Ja, wirklich«, sagte Patrick Rattenbury.
Und tat es.