Die Briefe aus Hermanns Sack wurden beim großen Haus an Becky ausgehändigt. Da Willy tot war und Quig gedankenverloren war, war niemand da, der sie beachtete, und sie las die Schreiben ungestört. Danach verrichtete sie ihre Aufgaben in einer kleinen Hülle von Schweigen, das Maggie irrigerweise für schlechte Laune hielt, und machte sich, die Briefe in den Bund ihres Rocks gesteckt, auf den Weg nach Pennymain, bevor Biddy Maggie verkündete, dass sie, Biddy, sich gleich morgen früh nach Edinburgh begeben würde.
Quig war auf Pennymain, als Becky dort eintraf. Er war mit Barrett drüben auf The Ards gewesen, um fette Lämmer auszusortieren, die nach Dalmally auf den Markt gebracht werden sollten, und war auf dem Heimweg vorbeigekommen, um einen Happen zu essen und mit Miss Vanessa Tarrant zu spielen. Sie war ein stilles, lächelndes kleines Ding, das sehr viel schlief und nicht erst lange überredet werden musste, um zu trinken. Agnes MacNiven hatte sie für absolut gesund befunden, sie mit einer Waage, die geeigneter für die Küche als fürs Kinderzimmer war, regelmäßig gewogen, um sich zu vergewissern, dass sie zunahm, was sie glücklicherweise auch tat.
Das Cottage duftete jetzt nach Baby. Es war ein weicher, süßlicher Geruch von Handtüchern, Puder und Badewasser, aber Becky hegte keinen Groll mehr gegen den kleinen Eindringling. Da Fay mit ihrer Tochter beschäftigt war, schien sie nicht besonders darauf zu brennen, zu den Beeten von Pennypol zurückzukehren und hatte es Quig überlassen, die Reste der Ernte wegzuschaffen, den Boden umzugraben und die Erdbeerausläufer für den nächsten Sommer auszupflanzen.
Erst nachdem Quig schließlich nach Fetternish aufgebrochen und Fay ins hintere Schlafzimmer gegangen war, um ihr Baby zu stillen, teilte Becky ihrer Mutter die Neuigkeiten mit.
»Ich hatte das erwartet«, sagte Innis. »Ich wusste, dass du nicht glücklich gewesen bist, seit Fay gekommen ist.«
»Es ist nicht wegen Fay oder dem Baby«, sagte Becky. »Ich kann nicht ewig hier bleiben, Mam. Ich muss hinausgehen, um herauszufinden, wie das Leben wirklich ist. Ich habe das vor, seit Rachel gegangen ist.«
»Tja, du wirst in Glasgow nicht einsam sein, Liebes«, sagte Innis. »Du hast dort mehr Verwandte, als du jetzt hier hast. Ich denke, dass Rachel alles für dich vorbereitet hat und dass sie dich mit ihrer Erfahrung leiten wird.«
»Ich werde bei Donnie bleiben, bis ich den Test zur Ausbildung als Krankenschwester bestanden habe, und dann werde ich mit Rachel in das Schwesternheim des Hospitals ziehen. Ich habe heute meine schriftliche Zusage vom Direktorium bekommen.« Innis nickte. »Ich werde ein wenig Geld brauchen, Mam«, fuhr Becky fort. »Ich habe ein bisschen gespart, aber nicht genug.«
»Ich werde dafür sorgen, dass du hast, was du brauchst«, sagte Innis. »Du wirst Kleidung kaufen müssen und musst Donnie Geld für die Miete geben. Er wird es vielleicht nicht annehmen, aber du musst es ihm nichtsdestoweniger anbieten.«
»Unabhängigkeit«, sagte Becky. »Ich verstehe.«
Ihre Mutter hatte kaum einen Blick auf den Brief der Sekretärin des Direktoriums des Victoria Informary geworfen, den Becky auf den Tisch gelegt hatte. Mein Zuhause zu verlassen ist ein wichtiges Ereignis in meinem Leben, dachte Becky, aber für meine Mutter ist die Ankunft einer Enkeltochter wichtiger. Innis hatte bereits so viele Menschen ans Festland verloren, dass einer mehr auch keinen Unterschied machte.
»Was für eine Art Test wirst du denn machen müssen?«, fragte Innis.
»Rachel erzählte mir, dass ich nur meine Kenntnisse in Lesen und Schreiben beweisen muss und zeigen muss, dass ich Bruchrechnung beherrsche.«
»Das kannst du ja alles dank Gillies. Hast du’s Biddy schon erzählt?«
»Ich werde es ihr gleich morgen früh erzählen.« Becky stand auf. »Ich denke, du hast das Gerücht schon gehört, dass Tante Biddy einen Teil von Fetternish verkaufen will?«
Innis nickte. »Das habe ich.«
»Hat Tante Biddy es dir selbst erzählt?«, fragte Becky.
»Sie hat niemand von ihren wirklichen Plänen erzählt, nicht einmal Quig.«
»Warum nicht?«
»Vielleicht befürchtet sie, er könne versuchen, sie daran zu hindern.«
»Wie könnte er das?«, sagte Becky. »Ich meine, niemand hat Tante Biddy bisher daran hindern können, genau das zu tun, was sie will, oder?«
Innis antwortete darauf nicht. Plötzlich waren Tränen in ihren Augen und sie hob ihre Hände und ergriff Beckys Hand.
Becky hatte ihre Mutter selten weinen sehen. Sie fand das irgendwie ein bisschen erniedrigend. Tränen schienen dem Glauben ihrer Mutter zu widersprechen, dass alle Prüfungen und aller Kummer des Lebens und auch alle Freuden und alles Glück von Gott kam. Vielleicht war es die Veränderung, die düstere Unausweichlichkeit von Veränderung, die Mam nicht akzeptieren konnte.
Becky spürte, dass Tränen auch ihre Augen befeuchteten, aber sie spürte auch die erste intensive egoistische Woge von Erregung. Bald, sehr bald würde sie nicht mehr Hühner füttern, Frühstück machen, Kaninchen häuten oder Zwiebeln schälen. Sie würde nicht länger gezwungen sein, Maggie Naismith’ endlosem Geschwätz über Dinge zuzuhören, die so zusammenhanglos waren, dass sie für die Wirklichkeit keine Bedeutung hatten. Aber sie weinte im Bewusstsein der Tatsache, dass sie sich bereits verändert hatte. Dass sie, als sie sich unter die Lampe hinten im Zimmer gesetzt und den ersten Brief an ihren Bruder geschrieben hatte, nicht ihrer Familie treu gewesen war, sondern ihrer Generation, und dass das Blut der Campbells endlich dünn wurde.
Sobald sie von Bord der Claymore und zum Bahnhof gehen würde, würde sie nicht mehr sie selbst sein, würde Dinge über sich entdecken, von deren Existenz sie nie etwas geahnt hatte, Schwächen und Stärken, die verborgen gewesen waren, solange sie auf Mull war.
Sie umarmte ihre Mutter, freute sich an den Tränen ihrer Mutter und an dem neu geschmiedeten Band von Gefühlen, das nicht ganz echt oder stabil war, das sie aber, wie vor ihr Rachel, bald als Ersatz für Liebe nehmen würde.
Als das Baby erwachte, erwachte Becky ebenfalls. Sie hatte geträumt, ging hinaus aus dem warmen, nach Schlaf riechenden, nach Baby riechenden Bett in das Zimmer, das sie mit Fay teilte, lauschte halb dem hungrigen Schreien der kleinen Vanessa und nach dem, wie das Mädchen neben ihr sich rührte. Jetzt wach, lauschte sie versöhnt Fays Flüstern und dem Sauggeräusch des Babys. In dem Fastdunkel des Raumes, in dem sie seit ihrer Kindheit geschlafen hatte, war sie unfähig, das zarte, rosahäutige kleine Geschöpf, das da in der Korbwiege unter einem reinweißen Schal lag, mit dem winzigen gefräßigen Biest in Zusammenhang zu bringen, das an Fays Brust saugte, mit Schreien und Jammern danach verlangte, eine Zitze im Mund zu haben und Milch in seinem Bauch, gleich welche Tag- oder Nachtstunde es war. Es ist Instinkt, sagte Becky sich, ein egoistischer Instinkt zu überleben und dem Stillen von Appetit.
Sie wartete, bis Vanessa gesättigt war und Fay begonnen hatte, den mit Teppich ausgelegten Streifen auf und ab zu gehen, und dem Kind einen Klaps zu geben und zu verhätscheln, bevor sie sich aufrichtete.
»Fay?«, zischte Becky. »Fay?«
»Habe ich dich geweckt? Entschuldige. Ich werde sie in die Küche bringen.«
»Warte«, sagte Becky. »Ich muss dir etwas erzählen. Ich gehe nach Glasgow, um mich zur Krankenschwester ausbilden zu lassen.«
»O!« Es gelang Fay, ihre Überraschung flüsternd zu artikulieren. »Tatsächlich? Wann?«
»Ich reise Samstag in einer Woche ab.«
»Das tut mir leid.«
»Weshalb tut es dir leid?«
Es war in den frühen Morgenstunden kühl im Schlafzimmer. Steinmauern, die die Wärme von Sommernächten hielten, kühlten im Herbstregen ab, und wenn die Temperatur in der Stunde vor der Dämmerung sank, kroch uralte Feuchtigkeit aus ihnen wie das verstohlene Versickern von Schwaden an der Küste.
»Es tut mir leid«, sagte Fay, »wenn ich dich vertrieben habe.«
»Du?«, sagte Becky. »Du hast mich nicht fortgetrieben. Ich wäre früher oder später gegangen. Du hast es mir nur leichter gemacht.«
Das Mädchen war nahe beim Bett. Becky konnte ihre Gestalt in einem schwachen Lichtschein aus der Küche wahrnehmen. Der weiße Schal schien mitten in der Luft zu schweben, als ob die kleine Vanessa wie eine Möwe in einer Luftströmung hing.
Becky sagte: »Du wirst dich um sie kümmern, nicht wahr?«
»Vanessa, natürlich, ich …«
»Meine Mutter, meine ich.«
»Sie kümmert sich um mich«, sagte Fay.
»Antworte mir. Wirst du dich um sie kümmern?«
»Dazu hat sie Gillies Brown.«
»Gillies Brown ist nur ihr Freund. Er mag ein guter Freund sein, ein alter Freund«, sagte Becky, »aber er kann für sie nicht mehr als das sein. Du weißt sehr gut, was ich meine, Fay. Warum gibst du mir keine klare Antwort?«
»Ich werde auf sie aufpassen, keine Angst.«
»Ist es dir ernst?«
»Ich schwöre es«, sagte Fay. »Ich werde auf sie aufpassen.«
»Und bei ihr bleiben?«
Ein Lachen, schwach und nicht überzeugend, kam von der Gestalt neben dem Bett.
Becky war versucht, ihr Handgelenk zu ergreifen, doch die Anwesenheit des Babys verbot Grobheit, und ihr kleiner Streit wurde in Gegenwart des Kindes lautlos, fast verstohlen geführt.
Zuerst war sie begeistert gewesen, ihre Nichte in den Armen zu halten und auf das winzige, neue Leben zu reagieren, aber allmählich war sie sich des Paradoxons bewusst geworden, dass Vanessa Tarrant die Tochter ihres Bruders war, die Tochter eines Mannes, der in ihrer Fantasie so formlos war wie ein Baumstumpf oder ein Fels.
»Ja, ja, Becky«, antwortete Fay Ludlow. »Ich werde bei ihr bleiben.«
»Das bist du ihr schuldig.«
»Bin ich das?«, sagte Fay darauf, aber bevor Becky ihr weitere Fragen stellen konnte, fügte sie vielsagend hinzu: »Natürlich bin ich das«, und ging hinaus in die Küche, um ihr Baby wieder zum Schlafen zu bringen.
Es war früh gewesen, erst kurz nach neun, als Quig aus Pennymain zurückgekehrt war. Er hatte seinen Kopf in die Bibliothek gesteckt und erwartet, Biddy in dem uralten Sessel, ein aufgeschlagenes Buch im Schoß, sitzen zu sehen. Doch die Bibliothek war in Dunkelheit getaucht und das Wohnzimmer ebenfalls. Das Haus wirkte wie ein riesiges Mausoleum, leer und hallend, und Quig war von einem plötzlichen Anfall von Schuld erfüllt wegen dem, was er zu tun gedachte.
Er hatte sich nach oben geschlichen, einen Blick ins Schlafzimmer geworfen, wo Biddy im Bett lag, die Lampe ausgedreht. Er war weiter über den Korridor gegangen, um nach Aileen zu schauen, die auf dem Rücken lag, die Arme in die Seite gestemmt und wie ein Pferd schnarchend. Er hatte die Decke über sie gezogen, die Kerze ausgeblasen und war wieder nach unten gegangen, hinunter in die Küche, die blitzblank geputzt war – und leer. Er hatte es nicht übers Herz bringen können, Maggie zu wecken, und sich auf das Sofa in der Halle gesetzt, um ein Abendessen bestehend aus Käse und Biscuits zu sich zu nehmen, das er mit Whisky und Soda herunterspülte.
Er hatte sich gefragt, was er eigentlich hier machte und warum Biddy ihn fast das ganze letzte halbe Jahr schnitt und ihn aus ihrem Leben gestrichen hatte.
Er brauchte nicht lange warten, um das herauszufinden.
Sie war gegen halb sieben zum Frühstück im Esszimmer.
Sie war mit ihrem besten Tweedreisekostüm bekleidet und trug einen breitkrempigen Hut mit einer Gänsefußfeder.
Zwei Koffer und eine Hutschachtel standen draußen in der Halle.
Maggie war mürrisch, da sie nach Crove geschickt worden war, um den Einspänner zu holen.
»Was ist das?«, sagte Quig. »Was geht hier vor, Biddy?«
»Ich fahre nach Edinburgh.«
»Für wie lange?«
»Drei oder vier Tage, vielleicht eine ganze Woche.«
»Warum hast du mir das nicht gestern gesagt?«, fragte Quig.
»Was für einen Unterschied hätte das gemacht?«
Er war versucht, ihr die Antwort zu geben, auf die sie wartete, wollte sagen, »Keinen, verdammt«, aber die Gewohnheit rettete ihn. Er antwortete nachgiebig: »Ich hätte die Kutsche selbst geholt, um Maggie den Weg zu ersparen.«
Biddy schnitt Toast in rechteckige Stücke und stippte den Rest ihrer pochierten Eier auf.
Die Uhr unter der Treppe schlug die halbe Stunde.
Es war, wie Quig bemerkte, eine unglaubliche frühe Zeit dafür, dass seine Frau schon auf den Beinen war.
Er sagte: »Was gedenkst du in Edinburgh zu tun, Liebste?«
»Ich werde mit Christina zum Nachmittagstee ausgehen. Ich glaube, die Schule erlaubt das dann und wann, und schließlich ist es ja nicht so, als besuchte ich sie sehr oft.«
»Überhaupt nicht.« Quig setzte sich an den Tisch. »Weiß Christina, dass du in Edinburgh sein wirst?«
»Ich werde ihr eine Nachricht aus dem Hotel schicken, sobald ich dort bin.«
»Wo wirst du unterkommen?«
»Ich werde es im Wellington versuchen, wie üblich.«
Quig nickte. Es war Jahre her, seit Biddy zum letzten Mal im Wellington gewohnt hatte, einem der teuersten Hotels der Stadt. Er sagte nichts darüber, dass Sparsamkeit notwendig sei. Er war zu bestürzt, um Kritik zu üben, ganz zu schweigen davon, zu widersprechen. Er wusste sehr gut, warum sie nach Edinburgh ging, nicht, um Christina zu besuchen, sondern um sich mit ihren Anwälten zu treffen. Er war verletzt, weil sie ihn nicht konsultiert hatte. Der Schmerz verstärkte seinen Entschluss, nicht zu versuchen, zu überreden oder umzustimmen und weiblicher Autokratie nachzugeben.
Er schaute zu, wie sie ihre dritte Scheibe von gebuttertem Toast verzehrte und eine zweite Tasse Tee schluckte. Ihr Appetit schien von den Rechnungen des Quartals nicht beeinträchtigt zu sein.
»Am Dienstag werde ich mit Barrett nach Dalmally gehen«, sagte er.
»Wie viele Lämmer werden wir verkaufen?«
»Sechzig.«
»Wirst du die der Hollander-Frau auch verkaufen?«
»Ja«, sagte Quig.
»Wie viel?«
»Etwa ein Dutzend.«
»Wird sie einen guten Preis erzielen?«, sagte Biddy.
»Das bezweifle ich. Ich bezweifle, dass irgendjemand in diesem Jahr einen guten Preis erzielen wird.«
Biddy wischte ihre Hände an einer Serviette ab und warf sie auf ihren Teller.
Jede Geste war schnell und energisch. Er hatte sie seit vielen, vielen Monaten nicht so angeregt gesehen. Er empfand kein Gefühl von Erleichterung oder Dankbarkeit darüber, dass sie sich aus ihrer düsteren Stimmung gelöst hatte. Sie hatte sich auf seine Kosten wiederhergestellt und hatte nur durch Patrick Rattenbury Selbstvertrauen gewonnen und das Angebot, das der Agent für Fetternish oder einen Teil davon gemacht hatte oder machen würde.
Sie hatte ihn benutzt und Quig sah das jetzt und wollte nichts damit zu tun haben.
Er sagte: »Welchen Preis hoffst du für Fetternish zu bekommen?«
Biddy sagte: »O, ich dachte nicht, dass ich das vor dir würde verbergen können.«
»Warum hättest du das tun sollen?«
»Du wärst nur in Wut geraten.«
»Ich werde nie wütend, Biddy. Das weißt du.«
»Dann wärst du eben eingeschnappt gewesen oder hättest sogar noch mehr Zeit auf Pennymain verbracht mit deiner …«
»Das hat nichts mit Fay oder ihrer Tochter zu tun.«
»Vanessa! Ha! Siehst du nicht, wie gerissen sie ist? Sich bei der Familie lieb Kind machen mit diesem Namen. Vassie …«
»Vanessa«, sagte Quig schärfer, als er beabsichtigt hatte. »Sie wird Vanessa heißen, nicht Vassie.«
»Sie wird genannt werden, wie immer Fay Ludlow sie zu nennen beschließt. Und du wirst einwilligen. Sie hat dich um ihren kleinen Finger gewickelt, Quig, aber du bist zu dumm, um das …«
»Ich bin nicht zu dumm, um zu bemerken, dass du mir ausweichst«, fiel Quig ihr ins Wort. »Wie viel hat Rattenbury dir für das Land bei An Fhearann Cáirdeil angeboten?«
Sie schwieg, betupfte ihre Lippen sorgfältig mit der Serviette und warf sie dann wieder auf ihren Teller. Es war keine schlechte Laune, die sie leitete, dessen war er sicher. Sie war wild von Hochgefühl, von einer aggressiven Art von Arroganz, die er unerträglich fand.
»Zwölftausend Pfund«, sagte Biddy.
»Du meinst sicher zwölfhundert?«
»Ich meine zwölftausend, Liebster. Zwölftausend Pfund. Stell dir das einmal vor.«
»Für den ganzen Besitz, das Haus eingeschlossen?«
»Das Haus ist unverkäuflich«, erklärte Biddy. »Das Angebot ist für achthundertachtzig Acres auf der Landzunge, vier baufällige Cottages und die Stallungen.«
»Es ist kaum die Hälfte wert«, sagte Quig.
»Das hängt davon ab, wer kauft«, sagte Biddy. »Jedenfalls werde ich es innerhalb einer Woche los sein.«
»Ich darf das so verstehen, dass du angenommen hast?«
»Natürlich werde ich das Angebot annehmen. Ich werde Mr. Sneddon das Kleingedruckte im Vertrag prüfen und einige der unklaren Punkte in den Dokumenten verdeutlichen lassen.«
»Zwölftausend Pfund.« Quig war wider Willen beeindruckt. »Das wird alles für uns in Ordnung bringen – aber was wird uns bleiben, Biddy?«
»Mehr als genug für meine Bedürfnisse.«
»Und wenn wir das nicht haben, wirst du dann mehr Land verkaufen?«
»Vielleicht. Kann sein.«
»Bis nichts mehr übrig ist.«
»Pennymain wird übrigbleiben. Das habe ich gefordert. Pennymain und das Haus. Robert, du gehst jetzt viel zu weit voraus. Ich habe nichts verkauft, was wertvoll ist, nur unnützes Land auf der Landzunge.«
»Wenn es unnützes Land ist, warum ist Rattenbury dann ermächtigt worden, so viel dafür zu bieten?«
»Es ist erforderlich. Es wird benötigt.«
»Zum Aufforsten?«
»Mit Baumbepflanzung lässt sich weit mehr machen, als du und ich wissen. Es ist eine Sache der Zukunft, eine Investition«, sagte Biddy. »Frag Frances Hollander, wenn du mir nicht glauben willst.«
»Es ist die Hollander-Frau, die An Fhearann Cáirdeil gekauft hat, nicht wahr?«
»Sie ist Mitbesitzerin der Gesellschaft, glaube ich.«
Er war es leid, dieses Spiel, das Biddy spielte. Es war nicht so, dass er zu unkultiviert oder provinziell gewesen wäre, um die hervorstechenden Vorteile des Landverkaufs zu begreifen oder dass er gänzlich etwas dagegen gehabt hätte, dass ruhender Boden auf neue Weise genutzt wurde. Er war jedoch nur im übertragenen Sinne progressiv. In seinem Herzen sehnte er sich nach der Einfachheit der alten Tage, in denen ein Mann nur sein Land bewirtschaften und sein Vieh hüten musste und Geld in Münzen und Banknoten zählte und nicht in Besitzurkunden und komplizierten Übertragungsurkunden.
»Biddy, mein Gott, warum hast du mir denn nicht erzählt, was du vorhattest?«
»Weil es dich nichts angeht.«
»Mich nichts angeht? Ich habe mein halbes Leben in diesen Besitz investiert. Ist das nicht genug, damit es mich etwas angeht?«
»Zwischen uns gibt es keine Vereinbarung.«
»Ich habe nie daran gedacht, um eine zu bitten oder geglaubt, dass eine nötig sei. Ich habe dich geheiratet, Biddy, weil ich dich liebte und weil du mich brauchtest – das dachte ich jedenfalls.«
»Dich brauchte?«, sagte Biddy. »Wozu?«
»Um – nun, um Fetternish für dich zu führen.«
»Ich habe dir alles gegeben, Robert. Du hast nichts in unsere Ehe eingebracht und seitdem bist du in jeder Hinsicht von mir abhängig gewesen.«
»Gütiger Gott, Biddy!« Seine Geduld und Ergebenheit waren erschöpft und er war kurz vorm Explodieren. »Machst du mir Vorwürfe für den Verfall der Marktpreise und den Verlust der Verträge mit Baverstock-Paul? Ich habe mein Bestes für dich und für dieses Gut gegeben. Ja, und für die Ehe, die du so dringend wolltest.«
»Glaubst du das?« Sie lachte, hustete. »Ich brauchte dich nur, um mein Kind zu zeugen – meine Kinder. Für alles andere hätte ich jemand einstellen können, um das zu tun, was du getan hast, und der hätte wahrscheinlich bessere Arbeit geleistet.« Sie erhob sich vom Tisch und richtete die Neigung ihres Hutes. »Aber all dies übersteigt ja deine Fähigkeiten, nicht wahr, Quig? Ich meine, du hast doch keine Ahnung, was ich tun musste, um Fetternish aus dem Dilemma zu retten, in das du …«
»Ich denke, ich weiß«, sagte Quig. »Ich weiß mehr, als du dir vielleicht vorstellst.«
Das ließ sie stocken. Ihr Selbstvertrauen geriet für einen Moment ins Wanken.
Sie erstarrte, eine Hand am Hut und die andere auf ihre Brust gelegt, als sei sie davor, einen Treueid zu schwören. Von Anspannung erfüllt, wartete sie darauf, dass er ihr Patrick zum Vorwurf machen würde, um seine eigenen kapriziösen Affären zu rechtfertigen, seine Schwäche für Versagerinnen, und erklären, dass er von ihrem Ehebruch wisse und dass sie mit Patrick Rattenbury unter einer Decke stecke und beabsichtige, das so zu lassen.
Quig atmete durch seine Nase ein.
»Robbie ist mein Sohn«, sagte er. »Ich bin mir bewusst, Biddy, dass du deine Zweifel hast, aber er ist mein Sohn, nicht der Michael Tarrants. Alles, was du vielleicht jetzt sagen wirst, wird keine Überraschung für mich sein und ebenso wenig wird es in mir Zweifel wecken.«
Sie presste sich seitlich an den Stuhl und ihr Herz raste. Die Erregung, die sie aufrechtgehalten hatte, wandelte sich zu einer Übelkeit, die ihre Wangen brennen ließ und Schweiß auf ihre Stirn trieb.
»Wer – wer hat dir das erzählt? War es Michael?«
Quig gab ein verächtliches Geräusch von sich und schüttelte den Kopf. »Das brauchte mir niemand zu erzählen, Biddy. Ich habe seit dem Tag unserer Hochzeit gewusst, dass es andere gab, viele andere, darunter Michael Tarrant. Mir war es damals egal und mir ist es jetzt egal. Der Junge ist mein. Robbie ist mein Fleisch und Blut. Er hat so viel mehr von mir in sich, als er von dir hat. Ich kann zählen, Biddy. Ich kann sehr gut addieren, subtrahieren und multiplizieren. Denkst du vielleicht, ich wüsste nicht, wie man die Zyklen der Natur berechnet?«
»Ich – ich weiß nicht, was … warum hast du bis jetzt nichts gesagt?«
»Weil ich wusste, dass du Angst hattest, es mir zu erzählen.«
»Es ist alles deine Schuld, weißt du«, sagte Biddy. »Du hättest mir sehr viel Kummer und Sorge ersparen können, wenn du …«
»Er ist mein Sohn, Biddy, nicht wahr?«
Sie hatte die Vernunft, den Anstand, nicht zu zögern.
»Ja, natürlich ist er das.«
Quig riss seinen Kopf hoch. Es war eine steife, plötzliche Bewegung. Er erhob sich. Er machte keinen Versuch, sie zu berühren, sie zu trösten oder sich für die Art zu entschuldigen, wie er ihre Schwäche bloßgestellt hatte. Wenn sie je verletzlich gewesen war, jetzt war sie nicht verletzlich. Das sah er allzu deutlich.
»Wird Rattenbury bei dir in Edinburgh sein?«
»Patrick? Nein, warum?«
»Ich dachte nur so, mehr nicht«, sagte Quig. »Ich dachte, dass seine Unterschrift für die Gültigkeit der Übertragung notwendig sei.«
»So geschieht das ja nicht gerade.«
Er seufzte, hob eine Hand über den Kopf und senkte sie wieder. Schlug damit, als wolle er das Signal für den Start eines Rennens geben.
»Zum Teufel damit, wie das gemacht wird, Biddy. Zum Teufel mit dir und mit Fetternish. Was mich betrifft, so kannst du alles verkaufen. Ich habe genug von all dieser Falschheit, von all deinen Stimmungen und deinen Begierden und deinen Ausflüchten. So ist das mit Frauen in deinem Alter nicht. Du wolltest mich doch glauben machen, dass du machtlos bist, um dir selbst zu helfen, und dass die Natur die Oberhand über dich gewonnen hat und dir Streiche spielt, nicht wahr? Nein, Biddy! Es bist allein du, du und deine verdammte Arroganz, die dich glauben lässt, dass alle hier sind, um für dich da zu sein.«
»Ich habe Geld verdient, Robert. Ich habe zwölftausend Pfund verdient und uns von den Schulden befreit. Ich habe Fetternish nicht durch meine Faulheit in den Boden gewirtschaftet.«
»Gott!« Endlich schrie er. »Gott! Tu, was du willst, Biddy, mach du deine eigenen Gesetze von Loyalität und Anstand – aber lass einen anderen leiden …«
»Leiden?«
Er stieß einen dröhnenden Seufzer aus, den letzten.
Sie hatte ihre Hand vom Hut genommen und die Arme verschränkt. Ja, dachte Quig, das war es: die Pose, das Bild einer unbeugsamen Frau, einer Frau, die nicht erobert werden konnte, die sich gegen alle Unbilden erheben und triumphieren würde. Reine Heuchelei, pure Einbildung: Biddy war, was sie immer gewesen war, absolut egoistisch, absolut darauf ausgerichtet, zu bekommen, was sie wollte. Und er war töricht genug gewesen, darauf reinzufallen.
Für einen flüchtigen Augenblick lag ihm auf der Zunge ihr zu sagen, was er von ihr hielt und was er zu tun beabsichtigte. Aber er hatte sich im Lauf der Jahre seiner Ehe etwas Verbindliches angeeignet, einige unselige weibliche Schliche. Er lockerte sich, entspannte sich, bis Wut und Heftigkeit aus ihm schwanden.
»Sag Christina, ich habe nach ihr gefragt«, sagte er. »O, und dir eine gute Reise, Biddy, und komm gesund zurück.«
»Bist du sarkastisch?«
»Ich meine das völlig ernst«, sagte Quig und ging, pflichtbewusst bis zum bitteren Ende, hinaus in die Halle, um ihr Gepäck zur Kutsche zu tragen.
Sein Takt war unwiderstehlich. Er versuchte keine Versöhnung von Angesicht zu Angesicht. Zunächst schickte er einen Brief, den Janetta zunächst kühl las, dann mit Erleichterung. Er hatte sie sitzengelassen, hatte sich schlecht benommen, gestand Patrick, aber das habe er nicht absichtlich getan. Er hatte nicht verhindern können, dass er aufgehalten wurde, weil das Pferd plötzlich gelahmt hatte und er sich genötigt sah, einen Tierarzt aus Ardmore kommen zu lassen, der nach ihm sah. Das Lahmen war nur vorübergehend gewesen, eine Zerrung, nicht mehr, und der Tierarzt war verhalten fluchtend nach Ardmore zurückgeritten, doch wegen seiner Mühen um drei Guineas reicher. Dann, fuhr Patrick fort, hatte er einen Besuch von Biddy Quigley bekommen, den, ohne die Dame zu beleidigen, zu beenden sich angesichts der Umstände und der Natur ihrer Beziehung als schwierig erwies. Er hatte nachgegeben, nicht zum ersten Mal übrigens, und seine Loyalität gegenüber seinem Auftraggeber vor alles andere gestellt. Mit einem Wort, schrieb er, hatte er törichterweise Pflicht vor Liebe gesetzt.
Das Wort sprang ihr förmlich entgegen: Liebe!
Alles, was vorausgegangen war, alles was kommen würde, ging an Netta Brown vorbei. Sie war herumgewirbelt, hinuntergezogen und in diesem Wort verloren – Liebe – wie Trümmer in einem Strudel: Kein Mann hatte ihr je zuvor erklärt, sie zu lieben, weder auf dem Papier noch mündlich, kein Mann, außer ihrem Vater, und Väter zählten nicht.
Sie presste den Brief im Schutz der Küchentür an ihren Busen und hörte die leisen summenden Geräusche, die aus ihrer Kehle drangen, als hätten sie überhaupt nichts mit ihr zu tun.
»Netta? Alles in Ordnung mit dir?«
»Es ging mir nie besser, Daddy. Nie besser.«
Sie antwortete sofort, versiegelte den Brief und schickte ihn nicht mit der Post, sondern direkt mit einem von Angus Bells Lehrlingen hinaus zu den Stallungen von Fetternish.
Auf demselben Wege erhielt sie eine kleine Dankesnotiz für ihr Verzeihen und Verständnis.
Zwei Tage später schrieb Netta vor Hoffnung brennend wieder und lud Patrick zum Diner ins Schulhaus um halb sieben am Mittwoch ein.
Wie es schien, konnte Mr. Rattenbury nicht so lange warten.
Er kehrte mit dem Stallburschen in Angus Bells Gig zurück, ging den Weg hoch und über den Hof und erstieg ungesehen, da es Abend war, die Treppe, klopfte oben an der Treppe an die Tür, und als Netta die öffnete, hielt er ihr einen Brief hin und sagte: »Eine spezielle Lieferung, Miss Brown, eine sehr spezielle Lieferung in der Tat.«
Gillies starrte im Salon für einen Augenblick an die Wand, sprang dann auf, ergriff seine Jacke und seinen Hut, eilte breit lächelnd durch den winzigen Korridor und sagte mit lauter Stimme: »Muss jetzt los, Netta. Eben weg zum Essen mit den Ewings.« Und vor Patrick richtete er sich, Überraschung heuchelnd, auf. »Also, wenn das nicht unser fahrender Ritter ist, der da aus dem Dunkel kommt. Wollen Sie nicht hereinkommen, Sir, oder haben Sie wichtigere Geschäfte auf der anderen Seite des Flusses zu erledigen?«
»Überhaupt keine Geschäfte, Mr. Brown, und ganz gewiss nichts, was auch nur annähernd so wichtig wäre, wie mit Janetta Frieden zu schließen.« Patrick stützte eine Hand gegen den Türpfosten. »Zufällig hatte ich gehofft, auch mit Ihnen ein Wort wechseln zu können.«
»Über den Unterricht mit dem Lineal?«
»Unterricht mit dem Lineal?«, sagte Patrick. »Ach, das! Nein, nein, über eine Angelegenheit, die weitaus elementarer ist, als das bloße Messen von Raum und Entfernung.«
»Ich frage mich, was elementarer als das sein könnte?«, sagte Gillies.
»Darf ich hineinkommen?«, sagte Patrick. »Ich werde Sie nicht lange aufhalten, Mr. Brown.«
»Gillies.«
»Gillies, ich frage um Ihre Erlaubnis, um die Hand Ihrer Tochter zu bitten.«
»Ihre was?«, sagte Gillies.
Er warf einen raschen Blick zu Netta, die nicht ohnmächtig geworden war, jedenfalls nicht ganz, aber eine knochige Schulter gegen den Türpfosten gelehnt hatte und aussah, wie er fand, als sei sie soeben vom Sensenmann besucht worden und nicht von einem potentiellen Bräutigam.
»Hand«, sagte Patrick, »zur Heirat.«
»Aber es hat da kein – ich meine, kein Werben gegeben. Sie kennen einander ja kaum. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Tochter die Richtige für Sie ist, Mr. …«
»Patrick.«
»Also Patrick. Hören Sie, kommen Sie lieber rein.«
»Ja«, sagte Janetta. »Komm herein. Bitte, tritt ein.«
»Ja, kommen Sie auf eine Minute rein, bitte«, sagte Gillies.
»Nein«, sagte Janetta. »Ja, du kannst meine Hand haben. Ich werde dich heiraten, Patrick.«
»Moment, Moment, Moment mal, Netta«, hörte Gillies sich sagen, weitaus strenger als er beabsichtigt hatte. »Du kennst diesen Mann aus Adam – also, kaum. Er ist vielleicht ungeeignet. Treiben Sie mit meiner Tochter vielleicht ein doppeltes Spiel, Sir?«
»Es wäre mir eine Ehre, Ihre Tochter zu heiraten«, sagte Patrick, »wenn Janetta einverstanden ist und wenn Sie meinen, Ihre Vorbehalte ablegen zu können. Was nun die Eile betrifft, mit der ich zu dieser Entscheidung gelangt bin, nun, so darf ich Ihnen erzählen, dass dies in gewissem Maße auf Mrs. Quigley zurückzuführen ist.«
»Auf Biddy? Was hat sie …?«, begann Janetta.
Aber ihr Vater nahm seinen Hut wieder ab und deutete mit gekrümmtem Daumen auf Patrick, um so zu verstehen zu geben, dass ihre Unterhaltung wohl besser im Wohnzimmer bei geschlossenen Türen geführt werden solle.
»Sie muss erstaunt gewesen sein«, sagte Frances. »Mussten Sie sie vom Teppich hochheben, um ihre Antwort zu bekommen?«
»Tatsächlich hat sie das sehr gut aufgenommen«, sagte Patrick. »Sie war einverstanden, ohne über eine lange Verlobungszeit zu streiten.«
»Wie lange? Zehn Jahre?«, sagte Frances.
»Bis ich die Stallungen renoviert und in einen bewohnbaren Zustand gebracht habe.«
»Bewohnbaren Zustand? Augenblick mal, Sie haben doch sicher nicht die Absicht, es zu einer Hochzeit kommen zu lassen?«, sagte Frances. »Ich meine, Ihre Verlobung mit Netta Brown bekannt zu geben und sich eine Weile daran zu halten, wird für Mama völlig genug sein.«
»Ah, aber ich tue das nicht für Ihre Mama«, sagte Patrick.
»Sie meinen, Sie meinen wirklich, dass Sie das tun wollen?«
»Wahrscheinlich. Fast ganz sicher.«
»Gott im Himmel!«, rief Frances. »Warten Sie, bis Mama das hört.«
»Wenn Sie denken, ich würde eine sanftmütige Seele wie Janetta Brown täuschen, nur weil Ihre Schwiegermutter das vorgeschlagen hat, dann beurteilen Sie mich wirklich falsch.«
»Ach, nun hören Sie aber auf! Sie können doch unmöglich in Netta Brown verliebt sein?«
»Warum nicht? Sie waren’s doch auch!«
»Darum geht es nicht. Das ist nicht das Thema«, sagte Frances, ein wenig errötend. »Sie haben Ihr Pensum an Damen gehabt, Patrick. Sie könnten eine Herzogstochter mit einem Fingerschnippen bekommen. Warum sich für eine unansehnliche Lehrerin in einer schmutzigen kleinen Stadt wie Crove niederlassen?«
»Janetta ist nicht unansehnlich«, sagte Patrick.
»O, gütiger Gott! Dann lieben Sie sie also?«
»Nein, das nicht – noch nicht. Andererseits, Frances, habe ich genug an habgierigen Frauen gehabt, und wenn ich mich zu einem Leben auf Mull verpflichte, dann wird Netta Brown unter den Umständen eine exzellente Frau für mich sein.«
»Sie sind ja plötzlich ein Romantiker geworden. Patrick, ich bin erstaunt.«
»Ich bin immer ein Romantiker gewesen.«
»Aber nicht romantisch genug, um ihre Verlobung bekannt zu geben, bevor Biddy Baverstock Quigley ihre Unterschrift auf die gepunktete Linie gesetzt hat?«
»Nicht, nicht ganz so romantisch.«
»Haben Sie Janetta von Biddy erzählt?«, sagte Frances.
»Von …«
»Dass Fetternish verkauft werden soll?«
»Ja«, sagte Patrick wachsam. »Ich habe ihr auch erzählt, dass Biddy Quigley gefährlich sei und mit Vorsicht behandelt werden muss. Und, wissen Sie, Janetta hat mir beigepflichtet!«
»Was ist mit ihrem Papa?«
»Er will seine Tochter aus dem Haus haben.«
»Wer kann ihm das zum Vorwurf machen?« Frances neigte ihren Kopf und hauchte einen kleinen Kuss in Richtung Fenster. »Ich hätte sie auch übernommen, wissen Sie.«
»O ja, ich weiß«, sagte Patrick. »Aber Sie haben sie erschreckt, Sie und was Sie sind.«
»Was bin ich, Patrick? Was, denken Sie, bin ich?«
»Ich mag keine Schubladen«, sagte Patrick. »Zudem ziehe ich es vor, auf Ihrer Seite zu sein, auch wenn Sie nicht diejenige sind, die über das Geld bestimmt.«
»Bis Larry kommt, um mich zu holen?«
»Was meinen Sie – wird er je kommen?«
»Eines Tages«, sagte Frances. »Eines Tages, wenn man am wenigsten mit ihm rechnet.«
»Oder wenn Madam Lafferty stirbt?«
»Seien Sie vorsichtig«, sagte Frances. »Mama hat nicht die Absicht zu sterben.«
»Macht sie eigentlich gerade ihr Nickerchen?«
»Das tut sie.«
»In dem Fall überlasse ich es Ihnen, ihr die frohe Kunde zu überbringen.«
»Dass mit Biddy Baverstock alles geregelt ist?«, sagte Frances. »Hi-hi-hi!«
Zwiebeln waren im alten Cottage aufgehängt und in einer trockenen Ecke die letzten Karotten in Sand eingelagert worden. Quig war mit dem Umgraben fertig. Die dunkle Erde in den oberen Streifen Land war für den Winterregen bereit.
Fay hatte selbst das Erdbeerbeet versorgt, hatte die staubigen Blätter abgepflückt und die Erde um die Ausläufer, die Quig gepflanzt hatte, gewendet. In der Korbwiege, an der Quig zwei Ledergriffe befestigt hatte, lag Vanessa wach. Sie konnte jetzt sehen. Das wässrige Blau ihrer Augen war scharf und sie hatte begonnen, nicht nur auf Berührung zu reagieren, sondern auch auf Stimmen und bekannte Gesichter.
Was Vanessa sah und wie sie das deutete, waren Rätsel, die Fay und Robert Quigley längst schon verloren gegangen waren. Sie hatten vergessen, dass eine unschuldige Neuschaffung der Welt das Recht jedes Kindes ist.
Quig spazierte mit ihr zur See und unter dem Schatten des Hügels entlang. Er hielt sie an seine Brust gedrückt, und seine braune Hand hielt ihren Kopf. Während sie in Quigleys Armen wippte oder auf dem Rücken im Korb lag, starrte sie und starrte, lächelnd oder stirnrunzelnd, und stieß dann und wann einen wimmernden Schrei aus, als habe sie die Unwichtigkeit der weiten Landschaft gesehen, in die sie der Zufall versetzt hatte.
Sie spazierten Seite an Seite, Fay und Quig, die Wiege zwischen sich.
Es hatte geregnet und die See war als Folge des Windes, der Wolken mitbrachte, die die Küste säumten, von kleinen Wellen zerrissen. Unmittelbar am Ufer weideten die letzten von Biddys Rindern und die Wellen jagten auf den Strand, und das Geräusch, das sie machten war wie das von tausend kleinen Flaggen, die in der Brise flatterten.
»Quig«, sagte Fay, »der Garten ist nicht profitabel gewesen, nicht wahr?«
»O, wir haben Gewinn erzielt«, antwortete Quig.
»Du erzählst mir nicht die Wahrheit. Ich weiß, wie eine große Ernte aussieht, und Pennypol hat nicht genug Ertrag gebracht. Selbst die Kartoffeln …«
»Es war genug.« Quig schaute auf das Baby, das durch das Wiegen schläfrig große Augen hatte und zufrieden war. »Oder etwa nicht, Vanessa?«
»Wäre für uns genug da gewesen?«, sagte Fay.
»Für uns?«
»Um uns zu ernähren, nur dich und mich und sie, sonst niemand. Hätten wir genug aus dem Boden bekommen, um uns für, sagen wir, einen Winter zu ernähren?«
»Mit Mehl, Fisch, Eiern und frischer Milch würde das, was du aus Pennypol herausgeholt hast, jede Pächterfamilie am Leben erhalten und satt gemacht haben«, sagte Quig. »Als ich mit Evander auf Foss lebte, waren Dutzende von uns da und wir waren nie hungrig, nicht einmal, wenn Stürme uns wochenlang von der großen Insel abschnitten. Es war eine Sache guter Haushaltsführung, wie Evander behauptete. Er und meine Mutter waren übertrieben umsichtig. Es gab immer genügend Hafermehl und die Schuppen waren immer voller Kartoffeln.«
»Möchtest du diese Tage zurückhaben?«
»Ich würde schon«, sagte Quig. »Sie waren schwer, aber sie waren befriedigend, und zwar auf eine Weise, die ich seitdem nicht mehr erlebt habe.«
Fay ging weiter, setzte einen Fuß vor den anderen, stemmte sich gegen das Gewicht des Korbes. Schließlich sagte sie: »Warum ist er noch nicht zu mir gekommen?«
»Du meinst Gavin?«
»Ja. Gavin. Seit Mr. Tarrant abgereist ist, sind neun Wochen vergangen und – nichts. Ich bin es müde, auf ihn zu warten.«
»Möchtest du, dass er deinetwegen kommt?«
»Ich möchte, dass er kommt, damit ich die Angst vor ihm loswerden kann.«
Quig sagte: »Vielleicht hat er eine andere Frau gefunden.«
»Das ist nicht Gavins Art.«
»Tja, vielleicht hat Michael Tarrant nichts zu Gavin gesagt oder – obwohl ich bezweifle, dass das der Fall ist – er hat ihn überredet, dich in Frieden zu lassen.«
»Frieden«, sagte Fay. »Ja.« Sie blieb stehen, sodass Quig auch stehen bleiben musste. »Wirst du mich nach Foss bringen?«
»Es ist bald Zeit für die Herbststürme«, sagte Quig, »und ich muss bald nach Dalmally, um Schafe zu verkaufen. Wenn es danach schön ist, werde ich wieder das Boot leihen und wir werden Vanessa mit uns hinübernehmen, um zu sehen, was sie davon hält.«
»Und nicht zurückkommen?«, sagte Fay.
»Ich – ich kann dich dort nicht ganz allein lassen.«
»Ich weiß.«
»Fay, ich habe eine Frau.«
»Du liebst sie nicht«, stellte das Mädchen fest.
»Nichtsdestoweniger ist sie meine Frau.«
»Dann werden wir etwas vorgeben«, sagte Fay, »wir werden so tun, als sei deine Frau fortgegangen oder dass du nicht ihr Mann bist. Und ich frage dich, was wir brauchen werden, um auf Foss einen Hof einzurichten. Was würden wir brauchen, wenn wir uns dort niederlassen, nur du und ich und das Baby? Wir würden ein Boot brauchen, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Quig unbehaglich. »Wir würden ein Boot brauchen und ein Pferd und einen Pflug, ein paar von den robusten Hennen, die Innis hat, und dazu einen Hahn.«
»Und eine Kuh für Milch.«
»Bullenkälber«, sagte Quig. Er schluckte. »Ja, Bullenkälber.«
»Zum Züchten und Verkaufen«, sagte Fay. »Und ich brauchte einen Garten, um den ich mich kümmere.«
»Hafer und ein kleines Gerstenfeld für Winterfutter«, sagte Quig. »Und natürlich ein Haus, um darin zu wohnen und – o, ich weiß nicht, wie es jetzt sein würde, bei all den Dingen, die wir brauchten.«
»Wie viel?«
»An Geld? Ungefähr zweihundert Pfund würden gerade reichen.«
»Gavin würde mich auf Foss nie finden«, sagte Fay.
»Du suchst also einen sicheren Hafen?«, fragte Quig. »Es gibt für dich keinen Grund, bis zum Rand des Himmels fortzurennen, nur um ihm auszuweichen. Er ist noch nicht gekommen. Es kann sein, dass er niemals kommt.«
»Es geht nicht um Gavin«, sagte Fay. »Es geht um dich, Quig.«
»Um mich?« Er blickte auf das Kind, als ob seine Unschuld ihn daran erinnerte, dass seine Moral keineswegs so schlicht sei. »Würdest du mich Biddy stehlen wollen, Fay?«
»Ich würde alles tun, um dich für mich zu haben«, sagte Fay.
»Es – es wäre nicht richtig.«
»Wer sollte denn sagen, was richtig ist?«, erklärte Fay. »Ich würde mit dir überall hingehen, Quig. Ich würde mit dir zurückgehen, wenn du das möchtest.« Sie hob ihre freie Hand, zupfte an ihrem blonden Haar und strich es aus der Stirn. »Es war einmal ein schönes Haus, das Haus auf Foss – das hast du mir selbst erzählt –, und du warst dort glücklich. Das Haus könnte doch repariert werden, oder? Du könntest den Boden neu verlegen und das Dach wieder verschalen und wir könnten zuerst in einer trockenen Ecke neben dem Feuer schlafen.«
»Auf Foss gibt es kein Brennmaterial. Der Torf ist zum Stechen zu flach.«
»Was hat dein Vater als Brennmaterial genommen?«
»Er hat Holz und eine Ladung Kohle rübergebracht.«
»Nun?«
»Fay, Fay«, sagte Quig. »Es ist doch nicht mehr als ein Traum von mir. Es ist nichts, an das wir auch nur denken sollten.«
»Du belügst mich wieder, Quig. Du hast seit Wochen an nichts anderes gedacht.«
Er schüttelte den Kopf und grinste schief. »Und was habe ich nun davon? Haben erwachsene Männer kein Recht, dann und wann mal ein bisschen zu träumen?«
»Ich würde dich lieben«, sagte Fay. »Das wäre doch kein Traum, oder?«
»Nein«, sagte Quig. »Nein, das wäre kein Traum.«
»Wird sie dir nicht deinen Anteil geben?«
»Biddy? Das bezweifle ich.«
»Was wird sie geben, um dich zu halten?«
»Sie wird mich nur halten, wenn sie denkt, sie brauche mich noch.«
»Und deine Kinder?«
»Sie …« Er konnte sich nicht überwinden, es zu sagen, nicht sofort. »Meine Kinder, ihnen liegt an mir«, sagte Quig, »denke ich.«
»Aber brauchen sie dich?«
Er lauschte dem Sirren der Wellen auf dem Sand, die durch Wind und Strömung durcheinander liefen, richtete seinen Blick zum Horizont, zu der Stelle, wo die letzte der kleinen Inseln ihren Bug in die Unendlichkeit richtete. Er hatte mit der Form der Inselhügel gelebt, mit Landspitzen, die sich gegen einen Flecken Himmel abzeichneten, mit etwas Unverändertem und etwas Unveränderlichem und hatte nicht gewusst, was ihn hielt oder warum er in den Hundstagen seiner Jugend überhaupt Veränderung gesucht hatte, Einfachheit und Geschick und Mut für Biddy Baverstocks Bett und die Türme von Fetternish House geopfert hatte. Er hatte Ehrgeiz mit Fortschritt verwechselt und Fortschritt mit Erfüllung.
Bald würde sich das Wesen des Nordviertels ebenfalls ändern, neu geformt werden durch hohe, schnell wachsende norwegische Fichten, Lärchen, Birken, Eschen und Ulmen und zapfentragende Kiefern, durch hohe Einzäunungen, Schienenstränge, Brücken, durch das Schlagen und Stottern schwerer Maschinen und die Anwesenheit von Menschen, denen das Inselleben fremd war.«
»Nein, Fay«, sagte er. »Robbie und Christina brauchen mich jetzt nicht.«
»Wirst du dann gehen, wirst du mich mitnehmen?«
»Ja!« Quig keuchte leise.
»Willst du das, Quig?«
»Ja«, sagte er. »O, Gott! Ja, das will ich.«
An einem stürmischen Nachmittag kehrte Biddy schließlich aus Edinburgh zurück. Es hatte über eine Woche lang keine Nachricht gegeben und Patrick erhielt die frohe Kunde nicht per Brief, sondern durch eine telegrafische Nachricht, die Hermann zu unchristlich früher Stunde per Fahrrad hinaus zu den Stallungen gebracht hatte.
Patrick hatte, bekleidet mit einem gestreiften Nachthemd, die Nachricht an der Küchentür in Empfang genommen, dem Hund einen Biscuit gegeben und Hermann Sixpence, bevor er sich ins Haus zurückgezogen hatte, um zu lesen, was Biddy zu sagen hatte.
Ihre Nachricht war kurz und bündig: »VERTRAG ABGESCHLOSSEN. BIDDY.«
Patrick ging wieder zu Bett.
Um neun Uhr jedoch war er angekleidet und hatte gesattelt. Er ritt zum Schulhaus, um Janetta zu informieren, bevor er weiter zu The Ards ritt, um Madam Lafferty die Neuigkeiten zu überbringen.
Madam Lafferty war verständlicherweise freudig erregt. Sie schickte Patrick nach Tobermory, um ein Telegramm an ihre Anwälte in Perth zu senden, und gab ihnen Anweisung, mit Biddys Rechtsanwälten in Edinburgh Kontakt aufzunehmen und zu bestätigen, dass ihre Ausgangsbasis von achthundertundachtzig Acres auf Fetternish endlich rechtlich abgesichert war. Die Antwort von Louden, Lafferty and Spruell’s kam an diesem Abend per Draht und Hermann und sein Hund hatten vor Anbruch der Nacht wieder einen weiten Weg zurückzulegen.
»Nun, Mama, bist du zufrieden?« Frances und Dorothea nippten beim Lampenschein oben im Apartment Champagner. Oder willst du noch mehr?«
»Ich will noch mehr«, sagte Dorothea. »Eine ganze Menge mehr.«
»Ihren Kopf auf einem Tablett?«, erkundigte sich Frances.
»Ein anderer Teil von ihr wäre ebenso gut«, sagte Dorothea und lachte, in ihr Champagnerglas blasend, über ihre Vulgarität.
Zwei Tage später kehrte Biddy nach Mull zurück.
Es war eine stürmische Überfahrt gewesen, doch sie war seefest und hatte auf der Grenadier ein kräftiges zweites Frühstück zu sich genommen, während die Handvoll verspäteter Touristen über den Reling hingen und versuchten, sich nicht zu übergeben. Ein Wechsel über zwölftausend Pfund war natürlich ein schönes Mittelchen gegen Seekrankheit und gegen die meisten der Krankheiten, die sie in diesem letzten Jahr heimgesucht hatten.
Als das Gig aus Tobermory sie vor der Eingangstür von Fetternish House absetzte, war Biddy wieder ganz die herrische Alte. Sie hatte erst den Gedanken gehabt, direkt zu den Stallungen zu fahren und zu verlangen, dass Patrick ihr half, ihr Glück zu feiern, nicht mit Wein, sondern im Bett. Stattdessen beschloss sie, mit ihrem Mann vorlieb zu nehmen. Er wartete am Ende der Auffahrt, und als das Gig an ihm vorbeirollte, folgte er ihm und erreichte rechtzeitig die Haustür, um zu helfen, Biddys Gepäck abzuladen, mehr Gepäck als das, mit dem sie abgereist war.
»Hast du eingekauft, Liebe?«, sagte Quig.
»Ich habe in Edinburgh ein oder zwei Sachen gekauft, ja.«
»Ich werde sie nach oben auf dein Zimmer bringen.«
Biddy warf ihm einen abschätzenden Blick zu. Sie hatte an Patrick gedacht, an das, was Patrick mit ihr tun würde, und das Begehren auf ihren Mann übertragen.
»Was meinst du damit?«
»Ich meine«, sagte Quig, »soll ich dein Gepäck nach oben tragen?«
»Das wird Becky tun.«
»Becky hat uns verlassen.«
»Was meinst du damit?«, sagte Biddy wieder.
»Becky hat ihre Stellung bei uns aufgegeben.«
»Wie kann sie das?«, sagte Biddy finster blickend. »Wo will sie denn sonst Arbeit finden?«
Quig sagte: »Sie ist am Samstag abgereist, um sich in Glasgow zur Krankenschwester ausbilden zu lassen.«
»Eine Krankenschwester! Eine Krankenschwester! Gott helfe ihren Patienten.« Die Information hatte Biddys Gedankengang und ihr nervöses Verlangen, ihre Lust mit Patrick zu teilen, gestört. »Warum hast du sie gehen lassen?«
»Wie könnte ich sie aufhalten?« Quig hob zwei Hutschachteln auf, klemmte sie unter den linken Arm und hatte sich gerade gebückt, um eine neue Reisetasche aus Ziegenleder zu ergreifen, als ihm ein Gedanke zu kommen schien. Er setzte die Schachteln auf den Tisch und stützte sich leicht auf sie. »Hast du’s geschafft, Christina auf deiner Reise zu sehen?«
»Das habe ich. Wir haben gestern Nachmittag bei Jenner’s Tee getrunken.«
»Geht es ihr gut?«
»Ja.«
»Hat sie nach mir gefragt?«
»Ja. Ich glaube, das hat sie.«
»Und Robbie? Hast du dich mit Robbie getroffen?«
»Nein, offensichtlich war er in der Schule beschäftigt.«
Sie zog ihren Mantel aus, warf ihn auf das Sofa und legte ihren Hut und die Handschuhe auf den Tisch. Sie warf einen Blick auf die Post, die Quig gesammelt hatte, und hoffte, einen ungestempelten Brief von Patrick zu finden. Natürlich war keiner da. Es war töricht von ihr anzunehmen, dass es anders war. Patrick würde in den Stallungen sein, gierig darauf warten, dass sie kam. Sie würde ihn noch ein wenig länger warten lassen, so lange wie es dauerte, sich umzuziehen und Tee zu trinken – und Quig aus dem Weg zu kriegen.
»Ich denke«, sagte sie, »ich werde einen Ersatz finden müssen.«
»Einen Ersatz?«
»Für Becky. Vielleicht möchte deine Freundin aus Pennymain die Lücke füllen.«
»Fay ist Gärtnerin, kein Küchenmädchen.«
»Auf dem neuen Fetternish wird es keinen großen Bedarf an Gärtnern geben, fürchte ich«, sagte Biddy. »Innis könnte sich um das Kind kümmern, während das Mädchen hier arbeitet. Maggie würde sie schnell einarbeiten und dann würde sie etwas Nützliches tun, statt auf Pennypol herumzukratzen. Außerdem könnte ich sie im Auge behalten, wenn sie hier arbeitet. Ich bin sicher, dass sie die Chance nutzen würde, in meinem Haus zu arbeiten, Quig, wenn du es ihr nett beibringst.«
»Ich denke, Fay hat andere Pläne«, sagte Quig.
»Ach, verlässt sie uns auch? Kehrt sie endlich heim zu ihrem Ehemann?« Quig kaute an seiner Unterlippe. Hutschachteln und Gepäck lagen vernachlässigt da. Biddy fuhr fort: »Ich dachte, du wärst unten auf Pennymain bei deiner kleinen Freundin und ihrem Baby. Ich meine, du musst nicht denken, du müsstest den Abend mit mir verbringen. Ich kann sehr gut alleine zurechtkommen, wenn du bessere Dinge zu tun hast.«
»Biddy, ist es unterschrieben, besiegelt und verkündet?«
»Ja, das ist es. Ich habe den Wechsel hier.« Sie ließ ihr Täschchen an dem kleinen Riemen vor ihm hin und her schwingen. »Kannst du es nicht riechen?«
»Du hast also ein großes Stück von Fetternish verkauft, ohne dich mit mir auch nur ein einziges Mal zu beraten?«
»Es gehört nicht dir, es gehört mir«, erinnerte Biddy ihn.
»Und der Gewinn gehört auch dir?«
»Mit dem Gewinn werden unsere Schulden bezahlt und der Rest geht in das Gut.«
»Was davon übrig ist«, sagte Quig.
»Übrigens«, sagte Biddy, »woher wusstest du, dass ich heute kommen würde?«
»Patrick erzählte es mir.«
»Patrick? Hast du mit Patrick gesprochen?«
»Er hat mit mir gesprochen«, sagte Quig.
Biddy konnte nicht anders. Sie wirbelte herum, um ihn anzusehen. »Und worüber, wenn ich fragen darf, hatte er mit dir zu reden?«
»Über Schafe, Biddy, nur über Schafe.«
Bevor sie weiter forschen konnte, was das Treffen zwischen ihrem Mann und ihrem Liebhaber zu bedeuten hatte, zog das Geräusch von Rädern auf der kiesbestreuten Auffahrt sie ans Fenster.
Sie schaute nach draußen, zuerst eifrig, dann bestürzt, und erstarrte.
»Allmächtiger Gott! Es ist diese Frau.«
Quig fragte nicht, welche Frau. Es schien, als habe er gewusst, dass Frances Hollander und ihre Schwiegermutter in einem kritischen Augenblick eintreffen würden, fast so, als habe er es geplant.
Er nahm die Hutschachteln auf und trug sie nach oben.
»Quig. Quig. Was soll ich tun?«, rief Biddy verzweifelt.
»Sie hereinlassen, denke ich«, antwortete Quig und verschwand auf der Galerie.
In dem amerikanischen Buggy saßen vier Frauen und zwischen die Deichseln waren zwei Pferde, nicht eines, gespannt. Frances hielt die Zügel. Die beiden Dienerinnen saßen zu jeweils einer Seite von Madam Lafferty, um sie vor den Erschütterungen der Fahrt zu schützen. Madam Lafferty war mit einem schwarzen Pelzhut und einem Nerzmuff eingepackt wie für eine Schlittenfahrt und hatte solche Mengen von Steppdecken und Decken um sich, dass sie nicht nur groß, sondern elefantenhaft wirkte.
Nachdem der Buggy zum Stehen gekommen war, wurde sie behutsam ausgepackt, und man half ihr über die breitstufige Leiter, die eigens zu diesem Zweck mitgebracht worden war, heraus. Sie benutzte die Dienerinnen als Stützen, hatte die Arme um ihre Schultern gelegt, und für einen oder zwei Augenblicke schien es, als hätten ihre Gliedmaßen völlig versagt und sie sei wider Willen in das Lager ihrer Feindin geschleppt worden.
Dann gewann sie plötzlich ihre Kraft zurück. Sie befreite sich mit einer Schüttelbewegung von den Dienerinnen, winkte nach ihren Stöcken, stützte sich dann balancierend auf diese, aber starr wie ein Fels, starrte zum Turm hinauf und zu den Ziergiebeln und dann lächelnd zu der halb geöffneten Tür.
»Ich bin gerade erst heimgekehrt«, rief Biddy hinaus. »Ich bin nicht in der Lage, Gäste zu empfangen.«
»Gäste?«, rief Frances zurück. »Denken Sie, meine Mama sei ein Gast? Ihr gehört mehr von Fetternish als Ihnen, Biddy, fast alles beinahe.«
»Öffnen Sie die Tür«, forderte Dorothea. »Ich werde nicht fortgehen, bevor ich gesehen habe, was es zu sehen gibt.«
»Da gibt es nichts zu sehen«, erwiderte Biddy. »Nichts, was Sie etwas angeht.«
Die Frau schob sich vorwärts, überwand die flache Stufe ohne Hilfe, stieß einen Stock gegen die Tür, als Biddy vor ihr zurückwich, und stieß dann, ihr Gewicht dagegenstemmend, die Tür weit auf und trat in die Halle.
Die Dienerinnen folgten ihr ein wenig, fielen dann zurück, und Biddy verlor sie aus den Augen, als Frances in die Halle gelaufen kam, umherstolzierte und säuselte: »O, also ich muss sagen, Mama, es ist einfach großartig, nicht wahr? Es ist prachtvoll. Hast du je ein Haus gesehen, das so feudal im traditionellen Stil ist?« Sie breitete ihre Arme aus und drehte sich unter der Galerie. »Wir könnten in diesem Raum prachtvolle Bälle geben. Larry wird es gefallen, denkst du nicht?«
Benommen und schmallippig sagte Biddy: »Brauchen Sie etwas zum Sitzen?«
Dorothea lachte: »Ich falle schon nicht auf Ihren Teppich, Schätzchen. O, nein. Ich bin aus eigener Kraft hier reingekommen und ich werde ebenso wieder rauskommen.«
»Warum – was – ich meine, warum sind Sie hier?«
»Wir sind gekommen, um Sie zu Hause zu begrüßen«, sagte Frances.
»Das hat Patrick Ihnen erzählt, nicht wahr?«, sagte Biddy.
»Irgendjemand hat es uns erzählt«, sagte Frances. »Kann mich nicht erinnern, wer es war. Vielleicht war es Quig.«
Biddy riss ihren Mantel weg, als die junge Frau sich auf das alte Sofa warf und probeweise darauf herumhüpfte. Ihre Lebendigkeit stand in starkem Gegensatz zu Dorotheas Schweigsamkeit. Sie war so still und reglos, dass es schien, als lausche sie dem leisen, süßen Geflüster der Stimme ihres Geliebten, das noch in der Luft schwebte, und hatte ihren Kopf so weit zurückgebogen, dass der schwarze Pelzhut hinter ihr wie die Mündung einer Kanone hervorragte. Dann drehte sie den Kopf, reckte ihn auf dem großen, bebenden Giebel ihres Halses und bedeutete Valerie, der Dienerin, die galvanisierte Urne hereinzubringen.
»O, Gott!«, stöhnte Biddy. »O, Gott! Es ist Carbery.«
»Die Essenz von Iain«, sagte Frances, verhaltend kichernd. »Endlich daheim.«
Es war zu viel für Biddy. Sie schwenkte eine Hand und rief wütend: »Das ist genug, absolut genug. Schaffen Sie dieses – dieses Ding hier raus. Und Sie, Dorothea, Sie, Frances, verlassen Sie mein Haus. Hören Sie, verlassen Sie sofort mein Haus!«
»Sie ist nicht sehr gastfreundlich, oder, Schätzchen?«, sagte Dorothea zu ihrer Schwiegertochter.
»Oder sehr dankbar«, sagte Frances, die wieder auf den Beinen war und umherschlich. »Ich denke, ich werde mich oben mal umschauen. In Ordnung, Mama?«
»Nein!«, schrie Biddy. »Nein, das werden Sie nicht.«
Valerie hatte Stellung an der Seite ihrer Herrin bezogen und hielt die Urne hoch, als sei ein Fenster darin, aus dem der Geist hinausschauen und ruhig atmen könne, jetzt, wo er – oder es – an den Ort von so viel Glück und Leid zurückgekehrt war.
Eine Farce, dachte Biddy, eine ekelhafte und verderbte Farce – die Iain zweifellos absolut gebilligt hätte. Was sie ärgerte war die Erkenntnis, dass die Frau mit dem ungeschlachten Körper und ihre kapriziöse Schwiegertochter so viel mehr über Iain wussten als sie je gewusst hatte, dass ihre Rache, die vulgär war und der es an Würde mangelte, so passend und angemessen war. Sie war stark versucht, der Dienerin die Urne zu entreißen und sie in den leeren Kamin zu schleudern, den Deckel zu öffnen und Iains staubige Überreste in der Halle zu verstreuen, sodass Maggie sie mit Kehrblech und Besen auffegen und mit dem Rest des Abfalls wegwerfen könnte. Irgendein letztes Element von Beherrschung hindert sie jedoch daran.
Sie riss sich zusammen, machte drei oder vier Schritte vorwärts und baute sich unmittelbar vor der alten Frau auf.
»Auf An Fhearann Cáirdeil oder in irgendeinem der Cottages, die ich Ihnen verkauft habe, können Sie tun, was Sie wollen«, sagte sie. »Sie können die Wege befahren und haben Zugang zu den Straßen und das kann ich nicht verhindern, aber ich kann verhindern, dass Sie mein Haus betreten, das mein Eigentum ist und bleiben wird, mein Privatbesitz.«
»Ich glaube, sie will, dass wir gehen, Mama«, sagte Frances. »Hast du genug gesehen?«
»Ich habe genug gesehen«, sagte Dorothea, »für den Augenblick.«
»Sie werden mein Haus nie wieder ohne Einladung betreten«, sagte Biddy.
Frances verbeugte sich. »Wenn das Ihr Wunsch ist, dann sei es so.«
Die alte Frau verneigte sich ebenfalls. Oder zumindest schien es so. Sie beugte sich vor, sodass ihre Nase nicht mehr als zwölf Zentimeter von Biddys entfernt war. Ihre Augen glitzerten von einer Bösartigkeit, die an Wahnsinn grenzte, und darin sah Biddy für einen winzigen Moment nur die sexuelle Natur von Dorotheas Charakter, den Reiz äußerster Skrupellosigkeit, blass jetzt und schwindend, aber noch immer sichtbar, noch immer erschreckend.
»Vielleicht werden Sie uns zu einem Abendessen mit Patrick einladen«, sagte Madam Lafferty.
»Mit Patrick«, sagte Frances, »und seiner Frau.«
»Seiner …«
»O, haben Sie das nicht gehört?«, sagte Frances. »O, Mama, sie hat es nicht gehört.«
»Gehört? Was gehört?«
»Patrick ist verlobt«, sagte Frances. »Unser Makler hat eine Frau erwählt.«
»Eine Frau? W – w – wen? Doch nicht Sie, Frances?«
»Gott, nein.«
»Die Lehrerin.« Dorothea lächelte und all ihre Kinne bebten. »Miss Janetta Brown. Sie beabsichtigen, glaube ich, im Frühling zu heiraten.«
Biddy wich zentimeterweise zurück, einen Zentimeter nach dem anderen. Zuerst mit den Schultern, dann mit der Taille, zog sich zurück aus der Nähe der widerlich riechenden alten Frau, die solche gemeinen und aus den Fingern gesaugten Lügen ohne Skrupel erzählte. Sie wusste, dass es eine Lüge war, ein Märchen, erfunden, um sie zu verletzten, um die Schraube noch mehr anzuziehen. Sie würde nicht darauf hereinfallen, würde nicht reagieren, würde sich nicht erlauben zu glauben, dass Patrick die flachbrüstige Janetta Brown ihr vorzog. Netta, die in ihrem Cottage gewohnt hatte, ihre Kinder unterrichtet hatte und, wenngleich keine Freundin, so doch zumindest fast so lange wie sie sich erinnern konnte, eine geschätzte Bekannte war.
»Ho!«, ächzte Biddy. »Ho!«, als der Schmerz plötzlich einsetzte.
Er zerrte an den Wurzeln ihres Haaransatzes und grub sich in die Tiefen ihres Schädels. Er breitete sich rasch über ihren Kopf aus in die Ohren und in die Adern, die Blut in ihr Gehirn pumpten. Sie fühlte sich nicht einer Ohnmacht nahe, sondern entflammt, entflammt bis an den Rand des Verbrennens. »Ho!«, stöhnte sie wieder und schrie dann, die Hände an den Kopf reißend, laut auf, und schrie und schrie und schrie, während Dorothea und ihre Begleitung sich nach draußen begaben und lachend in den Buggy stiegen.
In den Schatten der Galerie verborgen, blickte Quig auf seine Frau in ihrer Qual hinunter – und tat absolut überhaupt nichts.
»Geht es ihr jetzt besser, Robert?«, sagte Mairi Ewing. »Ich hörte, dass du den alten Dr. Kirkhope rufen musstest und dass er über ihren Zustand nicht glücklich war.«
»Sie ist nicht krank, Mutter«, sagte Quig.
»Hat Dr. Kirkhope dir das erzählt?«
»Er hat uns nichts erzählt, was wir nicht bereits gewusst haben.«
Mairi schlug ihre Beine unter dem voluminösen Rock, den sie trug, wenn sie zu Hause Gäste bewirtete, übereinander. Sie hatte jedoch nicht die Absicht gehabt, an diesem Nachmittag irgendwen zu bewirten, da das ganze Nordviertel von Herbstregen gepeitscht wurde, und bald nachdem Tom hinausgegangen war, hatte sie sich mit einem Glas Brandy und einem der kleinen Zigarillos, die Tom ihr als Geburtstagsgeschenk gekauft hatte, in den Salon gesetzt. Sie hatte den farbigen Rock und die Brokatbluse angezogen und drei oder vier Armreifen aus dem Schmuckkästchen übergestreift, weil sie sich durch das Feinmachen, selbst in der Abgeschiedenheit des Pfarrhauses, wieder jugendlich und verteufelt unkonventionell fühlte.
Tom hatte sich auf den Weg gemacht, um ein kränkelndes Gemeindemitglied auf einem Hof südlich von Crove zu besuchen und gesagt, er wolle weiter nach Dervaig fahren, um dort eine Fleischbestellung abzuholen, damit sie etwas übers Wochenende hätten. Sie mochte es nicht, wenn Tom bei diesem Wetter draußen war. Sie fürchtete das Nahen des Winters, eine Furcht, die keineswegs ungewöhnlich in dem Kesselflicker-Zigeuner-Clan war, aus dem sie geholt worden war, um Schlossherrin von Foss zu werden. Sie hatte das Bett mit Evander MacIver geteilt. Daran zweifelte Quig nicht. Seine Mutter war eine heißblütige Frau, so schön und drall wie jede andere Frau, der er je begegnet war, und ihm kam der Gedanke, dass sie sich eigens für ihn feingemacht haben könnte. Nur dass sie nicht gewusst hatte, dass er an diesem Nachmittag vorbeikommen würde. Umgekehrt dachte Mairi, dass Quigs langer schwarzer Mantel aus Öltuch und der regennasse braune Filzhut keine Maskerade waren, sondern sichtbare Erinnerungen daran, dass er schneller als sie alterte und dass er, obwohl er noch keine fünfzig war, begonnen hatte, sich die jämmerliche Schäbigkeit eines armen Kerls anzueignen, für den die Ehe jeglichen Sinn und das Herz verloren hatte.
Sie führte ihn in den Salon, gab ihm Brandy und würde ihm Tee und warmes Gebäck gemacht haben, wenn er es gewünscht hätte.
Aber er war aus einem bestimmten Grund hier und würde bald darauf zu sprechen kommen, da er das Glück hatte, sie alleine anzutreffen.
»Ich finde nicht, dass du Biddy zu sehr bedauern solltest«, sagte Quig. »Sie leidet in dieser Hinsicht nicht mehr als andere Frauen.« Mairi beschloss, nicht zu widersprechen, und ihr Sohn fuhr fort: »Ich möchte nicht so weit gehen zu sagen, ihr Alter sei eine Entschuldigung, aber es ist nicht dieser Faktor, der sie verändert hat.«
»Sie verändert?«
»Es ist der Makler, der Grundstücksmakler, Patrick Rattenbury.«
»Sie glaubte, er liebe sie«, stellte Mairi fest. »Das zumindest habe ich von Tom gehört. Glaubst du, Sohn, dass sie An Fhearann Cáirdeil ihm zu Gefallen verkauft hat?«
»Das kann ich nicht mit Bestimmtheit sagen.«
»Ja, aber es wäre keineswegs abwegig, dass Biddy so etwas tut.«
»Du hast dich nie für Biddy erwärmen können, nicht wahr, Mam?«
»Ganz ehrlich, nein, ich kann nicht sagen, dass ich das hätte«, gab Mairi zu. »Sie war so viele Jahre von Tom abhängig – er hat sie einst geliebt, weißt du – und dann hat sie sich einfach von ihm getrennt, Stück um Stück, so wie sie sich jetzt von dir trennt.«
»Ich sorge mich um die Kinder.«
»Sie sind alt genug, um sich nicht zu viel Sorgen zu machen.«
»Ich habe sie nicht so gemacht – so gleichgültig«, sagte Quig.
»Aber so sind heutzutage viele Menschen, ganz besonders Menschen wie Biddy.«
Quig trank Brandy aus seinem Glas. Die Flüssigkeit schimmerte in dem Licht des kleinen Kohlenfeuers und der Raum, wiewohl karg eingerichtet, wirkte behaglich und einladend. Es war, wie er wusste, eine dürftige Existenz, da das Gehalt eines Geistlichen klein war. Aber dennoch schlugen Tom und Mairi Ewing sich irgendwie durch und schafften es, das Beste für ihr leibliches Wohl daraus zu machen. Seine Mutter hatte ihr Ehegelöbnis gegenüber dem Geistlichen ganz sicher gehalten, hatte ihn geliebt, war von ihm geliebt worden, hatte ihn durch viele Jahre der Ehe unterstützt. Im Pfarrhaus war Freundlichkeit, Verzeihen, ein gemeinsames Teilen, etwas, das Biddy und er niemals für sich hatten erreichen können.
Quig lehnte sich in dem Schaukelstuhl mit den Holzlehnen zurück. Sein Kragen war feucht und seine Füße waren nass, da es ein langer Weg von Fetternish hierher gewesen war, und die Meilen zogen sich bei so scheußlichem Wetter endlos. Er fühlte sich auch innerlich durchnässt und der Brandy half nur ein wenig.
»Warum wollte sie nicht, dass Tom sie besucht?«, fragte Mairi.
»Sie sagte, er wolle nur, dass sie bete.«
»Ich denke, dass es zurzeit für Biddy wichtigere Dinge als Beten gibt, an denen sie festhalten sollte.«
»Etwa mich?«, sagte Quig.
»Hat sie dich wirklich losgelassen?«, fragte Mairi sanft.
»Ich habe mich gelöst«, antwortete Quig.
»Machst du mir Vorwürfe?«
»Dir Vorwürfe machen, Mam? Weshalb?«
»Weil ich dich vor all diesen Jahren in Biddys Arme gedrängt habe.«
»Nein, nein, Mam. Ich wollte sie.« Quig stellte das Glas zwischen seinen Füßen auf den Teppich. »Ich will sie noch immer, sofern du das glauben kannst.«
»Ich glaube es.«
»Aber …«
»Ist es das Ludlow-Mädchen?«, wollte Mairi wissen.
»Ja, sie ist es.«
»Hast du … Nein, das wäre ja wohl nicht möglich gewesen?«
»Das ist es überhaupt nicht«, sagte Quig. »Es sind viele Dinge, aber das nun wirklich nicht. Ich liebe sie. Ich habe das Gefühl, als sei ihr Kind mehr meines als das von Gavin Tarrant, und dass in Fay noch etwas von dieser alten Verheißung steckt, eine Möglichkeit der Erfüllung.«
»Du hast eine eigenartige Weise, Dinge zu betrachten, Robert.«
»Weißt du, was ich meine?«
»O ja. Es war damals mit Evander genauso wie mit dir. Du bist mehr wie er als jedes andere Kind, das er gezeugt hat, aber er hätte mich niemals um Erlaubnis gefragt, das zu tun, was er für richtig hielt.«
»Tue ich das«, sagte Quig, »dich um Erlaubnis fragen?«
»Liebe über Profit zu setzen, ja?«
Quig stieß einen kläglichen Seufzer aus. »Tja, Mutter, man hat dir nie etwas vormachen können. Das ist es kurz und bündig: Liebe über Profit. Biddy braucht mich nicht. Sie hätte Rattenbury zum Vergnügen genommen, nicht aus Liebe, wohlgemerkt, nur zum Vergnügen. Sie glaubt, er sei ›gut‹ genug für sie. Das ist etwas, das ich nie gewesen bin.«
»Du machst zu viel daraus, Robert.«
»Oder nicht genug?«, sagte Quig. »Glaub nicht, Biddy sei einfach. Je älter sie wird, Mam, desto komplizierter wird sie. Die nackte Tatsache ist, dass sie Land verkauft hat, ohne mich zu fragen, ohne es mir auch nur zu erzählen. Sie hat es für diesen Mann Rattenbury getan, nicht um uns von Schulden zu befreien. O, sie glaubt, ich sei einfach ein dummer Mann und zu unsensibel, um zu begreifen, was vorgeht, aber Biddy ist dumm, da sie nicht erkannte, dass ich sie um ihrer selbst willen liebte, nicht wegen dem, in das sie sich gehüllt hatte.«
»Nimm es, Robert«, sagte Mairi. »Nimm es, so lange es angeboten wird. Morgen wird es zu spät für alles sein, außer für Bedauern. Geh mit dem Mädchen, wenn sie dich haben will. Wir alle sind nur Bündel von egoistischen Wünschen, aber es sind die Wünsche, die wir teilen, die eine Frau und einen Mann zu erträglichen Gefährten machen. Eheschwüre und Ringe und standesamtliche Bücher haben damit nicht mehr zu tun als Kerzen, die für Gott entzündet werden.«
»Das habe ich von dir nicht erwartet, Mam.«
»Denkst du, ich glaube nicht an Gott?«
»Tom tut das. Das weiß ich.«
»Ich bin nicht scheinheilig, Robert. Ich weiß, dass es einen Gott im Himmel gibt, dass Er sich um mich kümmert, wenn ich Ihn brauche, und dass eines Tages Er es sein wird und nur Er, dem ich Rechenschaft zu geben habe, nicht Tom oder Evander McIver oder dem Gemeinderat.«
»Willst du mir sagen, es sei keine Sünde zu tun, was ich tun will?«
»Ich sagte dir genau dies.«
»Was, wenn es nur eine Unbesonnenheit ist, ein Impuls, der mit dem Älterwerden zu tun hat?«
»Und wenn es so wäre?«, sagte Mairi. »Aber das ist es nicht, Sohn, nicht wahr?«
Quig überlegte, schüttelte dann den Kopf. »Nein, das ist es nicht.«
»Liebt dieses Mädchen, Fay, dich genug, um mit dir zu gehen? Es ist keine Kleinigkeit mit einem Mann davonzulaufen, der doppelt so alt ist wie man selbst und dem man nicht nur seine Zukunft anvertraut, sondern auch die Zukunft seines Kindes.«
»Sie werden mit mir kommen, Vanessa und sie.«
»Und wohin willst du gehen, Robert? Nach Glasgow?«
»Nein«, sagte er. »Nach Foss.«
Daraufhin schwieg sie, hielt das Zigarillo zwischen den Fingern, wie ein Mann es halten würde, die Knie unter dem weiten, auffallenden Rock gespreizt. Sie starrte ihn fast eine halbe Minute lang ausdruckslos an und dann lachte sie.
»Also weißt du«, sagte sie kopfschüttelnd, »Zeit zum Tanzen wird da aber nicht bleiben, wenn dies das Leben ist, das du für dich gewählt hast. Foss! Bei Gott, Sohn, es wird ein Jahr oder gar zwei schwere Plackerei sein, um Foss wieder bewohnbar zu machen.«
»Schwere Plackerei auf rauer Weide«, bestätigte Quig.
»Ich beneide dich nicht.« Mairi machte eine Pause, neigte ihren Kopf und fügte dann hinzu: »O doch, das tue ich. Ich beneide dich, Quig. Und ich beneide sie ebenso, weil sie dich haben wird, dich bei sich haben wird, der sich um sie kümmert, wenn die Stürme über die See fegen und die Nächte kalt sind und das Vieh kein Futter hat. Sie wird wissen, wie es ist, jeden Tag des Lebens auf Messers Schneide zu leben, aber alles wird schön und gut sein, weil sie einen Mann haben wird, der sie liebt, und einen Mann, den sie lieben kann.«
»Was wird Tom dazu sagen?«, fragte Quig.
»Er wird maulen und murren und tun, als missbillige er das.«
»Aber er wird es nicht missbilligen, oder?«
»Er nicht. Er wird dich insgeheim segnen und dich zweifellos auch beneiden.«
»Mehr«, sagte Quig und erhob sich wieder, »wollte ich nicht wissen.«
»Wann wirst du das Mädchen nehmen und gehen?«
»Sobald ich kann«, sagte Quig, »bevor der Winter kommt.«
»Sie wird dich bekämpfen – Biddy, meine ich.«
»Darauf bin ich vorbereitet«, sagte Quig.
»Sie wird dir nichts geben.«
»Auch darauf bin ich vorbereitet.«
»Und Geld, um anzufangen?«, fragte Mairi.
»Ich weiß, woher ich Geld bekomme.«
»Auf ehrliche Weise, hoffe ich?«
»Ja, Mam. Auf für mich völlig ehrliche Weise.«
»Also noch einmal, um zu sehen, ob ich Sie recht verstehe«, sagte Dorothea. »Sie bieten mir einen Pachtvertrag über dreißig Jahre für hundertundvierzig Acres vom Fuße des Olaf’s Hill bis zu dem Flüsschen südlich des Cottage von Pennypol an. Wird das die Wasserrechte einschließen?«
»Ja.«
»Und das Uferland, die Mole und die Gebäude?«
»Ich werde Zugangsrechte zur Mole behalten«, sagte Quig. »Aber mit dem Rest können Sie tun, was Sie wollen. Weitere Bäume pflanzen, denke ich.«
»Gibt es am Ufer keine Rinder und Schafe im Moor?«
»Die gibt es«, sagte Quig. »Die sind bei diesem Geschäft nicht eingeschlossen.«
»Dem Himmel sei Dank dafür«, sagte Frances. »Ich habe von Schafen allmählich wirklich genug.«
»Ich nehme an, dass das Vieh Ihrer Frau gehört?«, sagte Dorothea.
»So ist es«, sagte Quig. »Die Tiere werden hinter Zäune ins Moor geschafft oder verkauft werden. Das ist allerdings eine Entscheidung, die ich nicht zu treffen habe.«
Dorothea beugte sich in dem hochlehnigen Sessel vor. Der Himmel hinter ihr war von einer dichten grauen Wolkendecke überzogen und das Fenster von strömendem Regen übergossen. Quig konnte sie jedoch deutlich sehen, klar gegen das gedämpfte Licht, und sie wirkte weniger substanziell, als er sie in Erinnerung hatte, weniger riesig.
Sie hatte Weintrauben gegessen, als er in ihr Zimmer nach oben geführt worden war, und auf ihnen gekaut, während er seinen Vorschlag machte, und sie spuckte noch sehr lange nachdem das Fruchtfleisch bereits verschluckt war, Kerne in ihre Handfläche und schloss ihre dicken, geschwollenen Finger darum, als könne sie es nicht ertragen, sich von ihnen zu trennen. Frances blieb anwesend, doch Valerie, die Dienerin, war aus dem Zimmer geschickt worden, sobald klargeworden war, dass Geschäfte getätigt werden sollten.
»Haben Sie ein Dokument, das beweist, dass Sie der Besitzer von Pennypol sind?«
»Das habe ich«, sagte Quig. »Ich habe es hier in meiner Tasche.«
Die alte Frau runzelte die Stirn. »Hat Biddy Sie geschickt, um mit mir zu verhandeln? Ist das irgendein Trick?«
»Es ist kein Trick, Mrs. Lafferty, das versichere ich Ihnen«, sagte Quig. »Ich bin der einzige Besitzer des Landes von Pennypol. Es ist mir von Evander McIver vermacht worden, der mein Adoptivvater war, und alles, was meine Frau Ihnen irgendwie an Gegenteiligem einzureden versucht haben mag, sollten Sie ignorieren.«
»Dann hat Patrick seine Aufgabe aber nicht sehr gründlich erledigt, Mama, oder?«
»Patrick ist da kein Vorwurf zu machen. Biddy Baverstock ist zum Vorwurf zu machen, dass sie nicht von Anfang an klargemacht hat, dass … Nun, egal. Ich werde meine Anwälte prüfen lassen, ob Ihr Besitzdokument rechtsgültig ist, Quigley, und mich dann mit Patrick Rattenbury über Ihren Vorschlag beraten.«
»Nein«, sagte Quig, »ich muss Ihre Entscheidung jetzt haben.«
Die Frau lehnte sich zurück, streckte einen mächtigen Arm über ihren Busen und rieb ihr Ohr mit zusammengepressten Fingern. Sie hatte keinen Zweifel daran, dass er die Wahrheit sagte, das merkte Quig, aber sie sah sich doch genötigt, seine Ehrlichkeit infrage zu stellen.
Schließlich sagte sie: »Sie verlangen eine Menge.«
»Ich verlange gar nicht so viel«, sagte Quig. »Achtundzwanzig Shilling per Acre ist ein angemessener Preis, bedenkt man, was Sie für die Landzunge bezahlt haben. Ich will gar nicht das Cottage oder die Mole mitrechnen oder die Tatsache, dass Sie die Wasserrechte haben werden, die beste Weide und so ungefähr das einzige Stück Land auf Fetternish, das für eine Bebauung geeignet ist.«
»Sieben Shilling pro Jahr wäre angemessen«, sagte Dorothea.
»Ich möchte das Geld für die Pacht auf einmal, in einer Summe, und eine geringe jährliche Zahlung von, sagen wir, fünf Pfund, fällig am Quartalsende eines jede Frühjahrs.«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie mit Grundstücksgeschäften vertraut sind, Quigley«, staunte Dorothea. »Es wäre vielleicht für uns alle besser gewesen, wenn Ihre Frau Sie die Verhandlungen von Anfang an hätte führen lassen.«
»Zumindest wäre er nicht in Rattenburys Bett gekrochen«, sagte Frances, »und hätte keinen Nervenzusammenbruch bekommen, als Patrick beschloss, eine andere zu heiraten.«
Quig reagierte nicht. Er verdrängte Frances’ Bemerkung und konzentrierte sich auf seine eigenen Sorgen. Er war wie gefühllos und gar nicht wie er selbst. Er stand steif, fast wie ein Wächter, vor dem Podium im Fenstererker und schaute zu Madam Lafferty auf. Er hörte die jüngere Frau lachen. Es war ein sprödes Geräusch, wie ein Salzlöffel, der gegen Glas schlägt.
»Das reicht«, erklärte Madam Lafferty ihrer Schwiegertochter und sagte dann, fast entschuldigend: »Ich bin nicht so naiv wie ich aussehe, Mr. Quigley, auch wenn sie mich in mancherlei Hinsicht einwickelt, wie ich zugebe. Was möchten Sie nun wirklich von mir?«
»Einhundertundneunzig Pfund, in bar.«
»Wozu?«
»Um ein kleines Boot zu kaufen, ein Pferd, landwirtschaftliches Gerät und Vieh.«
»Guter Gott, Mama!«, kreischte Frances. »Er verlässt sie.«
»Ist das wahr?«
»Ich werde als Bauer auf die Insel Foss gehen«, erklärte Quig. »Falls Sie nicht wissen, wo Foss liegt, schlage ich vor, Sie schauen nach Westen in Richtung der Treshnish-Inseln, dann haben Sie die Grundrichtung. Es liegt zu tief, um von der Küste von Mull aus sichtbar zu sein, außer von einem Punkt bei Calgary.«
»Von dort kommen Sie, nicht wahr?«, sagte Dorothea.
»So ist es«, sagte Quig. »Ich werde Ihnen eine Woche geben, um die Rechtskräftigkeit meiner Behauptung, der Besitzer zu sein, prüfen zu lassen, Mrs. Lafferty, aber nicht länger als eine Woche. Wenn Sie bereit sind, mir zu vertrauen, dann möchte ich eine Antwort von Ihnen jetzt, sofort.«
»Und das Geld auch, nehme ich an.«
»Sicher Ende kommender Woche.«
»Mit zweihundert Pfund kommen Sie nicht weit.«
»Für mich ist es weit genug«, sagte Quig.
»Gehört Ihnen Foss auch?«
»Nein, Innis Tarrant und ihr Bruder Neil sind die Besitzer. Foss ist zu klein und liegt zu weit vor der Küste, um die Weiden im Winter zu verpachten. Ich werde eine Vereinbarung mit Innis und Neil treffen, bevor ich Rinder dort hinüberbringe.«
»Und Innis Tarrant wird Ihnen nichts berechnen?«, sagte Frances. »Ah, aber Sie sind ja wirklich schlau wie ein Fuchs, Quigley. Sie kommen mit knapper Not ungeschoren davon. Wen nehmen Sie mit, hmm? Dieses kleine Mädchen aus dem Süden? Das Baby und alles? Es ist ein faires Geschäft, wenn Sie mich fragen, besonders, wenn meine Mama mit Ihrer Frau fertig ist.«
»Ich will mit Ihrer Rache nichts zu tun haben«, sagte Quig. »Das ist nichts, woran irgendein anständiger Mann teilhaben wollte. Ich bewundere Sie nicht, Mrs. Lafferty, und ich verstehe Sie nicht einmal, aber ich glaube, dass die Aufforstung für diese Gemeinde gut sein wird, gleich, ob meine Frau das denkt oder nicht. Für mich jedoch wird es nicht gut sein.«
»Weil Sie Viehzüchter sind, Quig?«, sagte Frances.
»Ich weiß nicht mehr, was ich bin«, sagte Quig.
»Sie betrügen sie«, sagte Frances. »Sie verlassen Ihre Frau wegen einer jüngeren Frau, und an dieser Tatsache gibt es nichts zu beschönigen. Ich hatte Sie für jemand gehalten, der bis zum bitteren Ende treu sein würde, für einen hingebungsvollen, loyalen Ehemann. Es zeigt eben, dass selbst die besten Männer fehlerhaft sind, nicht wahr, Mama?«
Die alte Frau hatte einen Arm auf die Lehne des Sessels gelegt und hielt den anderen noch immer über ihre Brust. Sie wirkte jetzt ernst, traurig, nicht selbstgefällig. Quig fragte sich, ob sie vielleicht so etwas wie ein Gewissen entdeckt haben mochte, und ob er darüber stolpern würde. Er blickte in die trüben, schläfrigen Augen der alten Frau, die nicht mehr funkelten, nicht mehr raffgierig schauten, und er wunderte sich über das gemeinsame Band, das Frauen hatten, alle Frauen, Feindinnen und Rivalinnen, Schwestern und Freundinnen gleichermaßen: Männern zu misstrauen und sie zu verurteilen. Er hatte Biddy gegeben, was sie seiner Meinung nach gewollt hatte, und sie hatte ihm das zum Vorwurf gemacht. Er übergab dieser Mrs. Lafferty alles, was sie wollte, und doch gab sie ihm die Schuld an der Tatsache, dass sie sein Angebot annehmen würde, dass ihre erklärte Feindin das Opfer des Egoismus eines Mannes geworden war.
Er dachte an Fay, an die kleine Vanessa, an den winzigen grünen Zufluchtsort da draußen am Rande des Atlantiks, an das zerstörte Haus, in dem er aufgewachsen war, und an den Mann, der ihn großgezogen hatte – und alle Zweifel schwanden.
»Was ist nun, Mrs. Lafferty? Bekomme ich, was ich haben möchte?«
»Ja, Mr. Quigley«, antwortete die alte Frau. »O ja, Sie bekommen es.«
Sie wartete fast eine ganze Woche auf ihn, wartete darauf, dass er sie besuchte, sich entschuldigte oder sogar, dass er alles zurücknehmen, ihr erzählen würde, dass alles ein schrecklicher Fehler sei und dass er nicht die Absicht habe, Janetta Brown zu heiraten. Natürlich wusste sie, dass er nichts zurücknehmen würde. Viel zu viele Leute waren in diese Sache eingeweiht. Ja, tatsächlich war das ganze Dorf gespannt und in Miss Fergussons Laden auf der Hauptstraße herrschte ein Betrieb wie schon lange nicht mehr. Maggie war keineswegs Biddys Leid gegenüber so mitfühlend, wie Biddy es von ihr erwartet hatte. Nicht zum ersten Mal vermisste sie Willys weisen Rat. Er hätte sie natürlich dafür getadelt, dass sie sich zum Narren gemacht hatte, aber er hätte ihr auch gesagt, sie solle sich den Rest ihrer Würde erhalten und nicht länger hinter Patrick Rattenbury herjagen.
Sie ging hinauf zu dem Windmessgerät im Moor in der Hoffnung, er würde dort sein und Daten ablesen. Doch das Gerät war fort. Die Kuppe des Felsens, auf dem es gestanden hatte, war so leer, wie sie tausend Jahre lang gewesen war. Sie folgte einem der alten Schafspfade zu dem Kamm über den Stallungen und sah, als sie hinunterschaute, Rauch aus dem Schornstein steigen und im starken Wind davonwehen. Er wohnte noch immer in dem Haus, das ihr nicht mehr gehörte. Sie hielt nach dem schwarzen Hengst Ausschau, sah ihn aber nicht und überlegte, ob Patrick vielleicht fortgeritten sei, um seine künftige Braut in Crove zu besuchen.
Sie kniete sich in die welkende Heide und wartete eine Stunde oder länger, bis der Kopfschmerz – eine andere Art von Kopfschmerz – begann, dann kroch sie zurück, stand auf und ging durch den fallenden Regen zurück nach Hause.
Der einzige Mann, der ihr jetzt helfen konnte, war ihr Ehemann, doch sie hatte ihn weggestoßen. Sie war versucht, ihn wieder an sich zu ziehen, wusste aber, dass es zu spät war. Nachts lag sie starr neben ihm, erfüllt von dem Bedürfnis, von ihm gehalten zu werden, wieder umsorgt und umzärtelt zu sein, aber sie war zu hochmütig und zu stur, um einen Olivenzweig anzubieten, ihm ein Zeichen zu geben, dass sie bereit war, ihm seine Eskapade mit dem Ludlow-Mädchen zu verzeihen.
Erst als die Forstarbeiter einzuziehen begannen, siegte schließlich Ängstlichkeit über Arroganz. Sie erfuhr nichts von ihrer Ankunft – was, wie es schien, auch nicht nötig war –, aber das Tempo, mit der sie auf An Fhearann Cáirdeil mit den Messungen und dem Graben begannen, war beunruhigend.
»Da sind Männer im McKinnon Arms, fremde Männer«, sagte Maggie.
»Was für fremde Männer?«
»Landvermesser.«
»Wer hat dir das erzählt?«
»Hermann.«
»Woher weiß er, dass es Landvermesser sind?«
»Weil er gesehen hat, wie sie vermessen haben«, sagte Maggie.
An diesem Abend brach Biddy im Bett das Schweigen gerade lange genug, um ihrem Mann eine Frage zu stellen. »Hast du etwas darüber gehört, dass Landvermesser den Grund auf der Landzunge vermessen?«
»Nein«, sagte Quig ausdruckslos.
»Hast du sie nicht gesehen?«
»Ich habe nichts gesehen«, sagte Quig.
»So bald schon«, sagte Biddy. »So bald schon. Ich dachte, es würde Frühling werden, bevor etwas passieren würde.« Und Quig wandte sich von ihr ab, drehte sich auf seine rechte Schulter und bot ihr zum Ansprechen nicht mehr als seinen Rücken.
Am folgenden Morgen, bald nachdem Quig gegangen war, ging Biddy hinunter zu den Stallungen. Patrick war nicht allein. Vier oder fünf Männer frühstückten in der Küche und Patrick überwachte auf dem Hof das Entladen eines Wagens, der von drei Pferden gezogen wurde und hoch mit Holzpfählen beladen war. Er machte auf seine Art klar, dass er überhaupt nicht erfreut darüber war, sie zu sehen. Er reichte einem jungen, mondgesichtigen Burschen die Frachtgutliste und ging stirnrunzelnd zu Biddy.
Sie sagte: »Du hast, wie ich sehe, nicht viel Zeit vergeudet.«
»Wir standen alle in den Startlöchern und waren bereit«, sagte Patrick. »Wir mussten nur noch warten, bis der Vertrag unterzeichnet war.«
»Ich dachte, du wärst vielleicht nach Perthshire zurückgekehrt.«
»Wirklich? Warum sollte ich das tun?«
»Um deine künftige Braut deinen Eltern vorzustellen.«
»Für die Vorstellung ist noch Weihnachten Zeit genug.«
Biddy warf durch die offene Küchentür einen Blick auf die Männer. Sie lachten. Lachten sie vielleicht über sie? Der Wagen und die drei Clydesdale-Pferde ließen das Haus klein wirken. Holzpfosten, roh zwar, aber gleichmäßig geschnitten, waren wie eine Abstützung an den Giebel gestapelt. Vier Männer, alles Fremde, waren mit dem Entladen beschäftigt.
Sie würde nicht wieder hierher kommen. Sie hatte kein Recht, hier zu sein, war nicht willkommen. Männer, Fremde, hatten Fetternish übernommen. Sie fühlte sich durch ihr Eindringen bedroht, es war das erste Zuziehen des Laffertyknotens.
Sie sagte: »Warum heiratest du Janetta Brown?«
»Weil ich von ihr angezogen bin.«
»Angezogen?«
»Ich mag Janetta sehr, Biddy, ich werde dich nicht …«
»Du liebst sie doch nicht, oder? Du liebst sie nicht, wie du mich liebtest?«
»Ich hatte gehofft, du würdest keine Szene machen.«
»Ich frage mich, was für eine Szene Netta Brown machen würde, wenn sie wüsste, was du mit mir gemacht hast.«
»Ich habe mit dir nichts gemacht«, sagte Patrick.
»Es bedeutete nichts, meinst du? Ich war – was? – ein wenig Zerstreuung? Gerade passend und willig? Gott, musst du dir ins Fäustchen gelacht haben, Patrick, als ich dir nachgab.«
»Ich brauche eine Frau, Biddy, keine Geliebte.«
»Ich bin die Geliebte keines Mannes.«
»O, dessen bin ich mir wohl bewusst.«
»Warum, warum brauchst du eine Frau?«
»Um mich vor Frauen wie dir zu schützen, Biddy.«
»Netta Brown wird dir nicht geben, was du willst.«
»Janetta wird mir alles geben, was ich brauche, mehr vielleicht, als ich verdiene.«
»Sie – sie ist eine Langweilerin, eine Bäuerin. Sie ist nicht einmal von der Insel.«
»Ah!«, sagte Patrick. »Und ich dachte, sie sei perfekt.«
»Gott, du bist ein herzloses Schwein.«
»Bin ich das?«, sagte Patrick. »Ja, vermutlich bin ich das.«
»Wenn du von mir Hilfe und Kooperation erwartest …« Sie deutete erregt auf den Wagen. »Wenn du vielleicht glaubst, ich würde …«
»Ich brauche deine Hilfe nicht, Biddy, und deine Kooperation ebenso wenig. Ich habe alles im Griff. Vielen Dank.«
»Tja, aber eines ist wohl sicher«, sagte Biddy. »Wenn ihr, du und diese ekelhafte alte Frau, eure gierigen Augen auf Pennypol richtet, dann irrt ihr euch. Ihr werdet kein Acre Land mehr in die Finger bekommen, nicht einen einzigen Acre meines Landes. Das verspreche ich dir.«
»Wirklich?«, fragte Patrick Rattenbury.
Und lächelte.
Zwei Tage darauf, spätabends, verkündete Quig die Neuigkeiten.
»Ich gehe, Biddy.«
»Ja.« Biddy legte ihre Gabel nieder. »Du wirst auf den Markt in Dalmally gehen, um wieder ein paar Lämmer zu verkaufen.«
»Barrett wird dieses Mal alleine verkaufen«, sagte Quig.
»Aber, wohin willst du denn ziehen?« Sie blickte auf ihren Teller und schob ihn fort. Sie stieß ein unsicheres Lachen aus. »Erzähl mir nicht, du würdest in Pennymain einziehen? Sicher, das könnte, bedenkt man, wie viel Zeit du dort …«
»Nicht Pennymain.« Quig schob seinen Teller ebenfalls fort. »Foss. Ich werde versuchen, Foss wieder zu bewirtschaften.«
Biddy sagte: »Ich werde dich nicht gehen lassen. Das werde ich nicht erlauben.«
»Ich nehme Fay mit mir. Fay und das Baby.«
»Ach, das wirst du wirklich?« Biddy lachte wieder und um zu demonstrieren, wie wenig sie das kümmerte, zog sie ihren Teller zu sich und spießte ein Stück Fleisch auf. Den Kopf schüttelnd, steckte sie den Brocken Lamm in den Mund. »O, nein, das wirst du nicht.«
»Das werde ich, du weißt es. Ich werde Foss bewirtschaften.«
»Womit denn? Um irgendwo Landwirtschaft zu betreiben, brauchst du Startkapital, Quig, und ich werde dich ganz gewiss nicht mit Geld versorgen, damit du fortgehen und eine schöne Zeit mit deiner Schlampe verbringen kannst.«
»Es wird für keinen von uns eine schöne Zeit werden«, sagte Quig, »aber da du so verrückt warst, Fetternish einfach hinter meinem Rücken zu verkaufen …«
»Ich habe Fetternish nicht verkauft, nicht alles.«
»Das Beste davon«, sagte Quig. »Der Rest wird sehr bald folgen.«
»O, nein, nein, nein. Der Rest wird nicht folgen.« Biddy kaute und schluckte und dachte über das letzte Stück Fleisch auf dem Teller nach. »Meinst du das ernst mit dem Fortgehen, Quig? Ich kann nicht glauben, dass du mich im Stich lassen würdest.«
»Ich lasse dich nicht im Stich, Biddy«, sagte er. »Du hast zwölftausend Pfund und ein schönes großes Haus und ein Stück Land – wenngleich nicht viel –, und damit bist du beschäftigt. Du hast auch Freunde in der Forstwirtschaft, und so wie ich dich kenne, wirst du bald weitere Freundschaften schließen. Das ist nichts für mich, Liebste. Ich gehe.«
»Begehrst du sie so sehr?«
»Ja«, sagte Quig. »Das tue ich.«
Sie stand so schwerfällig auf, dass der Tisch unter der Wucht erzitterte. Sie stützte sich auf den Tisch, hatte die Hände zwischen den Tellern gespreizt.
»Wie kannst du es wagen, Robert?«, schnappte sie. »Wie kannst du es wagen, verdammt, hier einfach zu sitzen, als könntest du kein Wässerchen trüben, und mir erzählen, unsere Ehe sei vorbei? Nach all dem, was ich für dich getan habe, nach all dem, was ich dir gegeben habe, hast du die Frechheit wegzulaufen zu einem gottverdammten … Foss! O ja, ich verstehe. Du räumst das Feld, das ist es. Du rennst weg, rennst weg nach … Keinen Penny: Das sagte ich und das meinte ich. Keinen roten Heller, Quig. Wenn du auf Foss Landwirtschaft betreiben willst, dann wirst du verhungern müssen.«
»Ich habe Pennypol verkauft.«
»Was?«
»Ich habe es Mrs. Lafferty nicht wie einen Köder vor die Nase gehalten. Ich habe es verkauft, Biddy. Ich brauche dein Geld nicht, um mir etwas aufzubauen.«
»Pennypol gehörte dir nicht. Du durftest es nicht verkaufen.«
»Aber ja doch«, sagte Quig. »Denk einmal nach, Liebste, dann wirst du dich erinnern, wie ich es bekam, als der alte Mann starb und es Vassie, deiner Mutter, übertrug. Ich verstehe jetzt, dass Vassie es mir überließ, weil sie wollte, dass ich etwas habe, das ich mein Eigen nennen kann.«
»Das ist Unsinn«, schrie Biddy. »Unsinn!«
»Ich werde Innis und Neil eine kleine Pacht für Foss bezahlen«, sagte Quig. »Der Rest wird ins Vieh gehen. Der Boden ist fruchtbar und das Haus kann repariert werden.«
»Innis wird dich das Baby nicht mitnehmen lassen.«
»Innis hat uns gedrängt, zu gehen.«
»O! O! Jetzt verstehe ich. Ihr alle seid gegen mich, nicht wahr? Ihr alle habt euch hinter meinem Rücken gegen mich verschworen, um mich zu ruinieren.«
»Niemand will dich ruinieren, Biddy. Was immer dir widerfahren ist, hast du dir selbst eingebrockt. Innis bedauert nur, dass …«
»Dieses Miststück, diese Kuh von Schwester. Sie wird mir nie verzeihen, was mit Michael passiert ist«, tobte Biddy. »Jetzt wird sie glücklich sein, denke ich, entzückt, dass sie meine Ehe genauso ruiniert hat wie sie ihre eigene ruiniert hat.«
»Was ist mit Michael passiert?«
»Das geht dich nichts … Es ist – verdammt – das ist Schnee von gestern.« Dann veränderte sich ihre Stimme, senkte sich und schmolz zu einem Ton zusammen, der so kläglich war, dass es schien, als sei es überhaupt nicht ihr Stimme, sondern die eines affektierten kleinen Mädchens. »O, bitte, Quig. Bitte, Robert. Tu mir das doch nicht an. Nicht jetzt. Ich brauche dich. Ich brauche dich doch noch. Ich habe Lügen erzählt, ja, und ich habe dich getäuscht, ja, und ich würde alles dafür geben, wenn ich es nicht getan hätte. Aber das ist Vergangenheit und allein die Zukunft zählt und ich werde – schau mal, ich werde dir das Geld geben. Ja, pass auf, ich meine, ich werde mit dir teilen. Wir werden die Weide wieder mit Schafen oder Rindern besetzen, womit du willst. Aber bitte, tu mir das nicht an.«
»Es ist kein Weideland mehr übrig, nicht genug«, sagte Quig. »Selbst wenn es nicht so wäre, Biddy, dann wäre die Viehzucht nichts mehr für mich. Ich war für dich zwanzig Jahre hier, ja, und ich habe dich zwanzig Jahre lang geliebt, aber …«
»Und du liebst mich noch. Und du liebst mich noch.«
»Aber ich habe mein eigenes Leben, das, was davon übriggeblieben bist, und du hast deins, und das muss genug für uns beide sein.«
»O Gott! Zuerst Willy, dann Patrick …«
»O-ho!« Quig murmelte verhalten. »An Patrick müssen wir ja auch denken, obwohl ich fürchte, dass du ihn ebenfalls verloren hast.«
»Was hat sie dir für Pennypol gegeben?«
»Genug für mich, um anzufangen.«
»Du und dein Flittchen, deine englische Schlampe. Ich wusste es von dem Moment an, als sie mir unter die Augen kam, dass sie nichts als Ärger machen würde. Aber gut, wenn du sie haben musst, dann werde ich sie dir lassen. Ich werde dir sogar erlauben, sie hierher zu bringen, sodass sie hier wohnen kann, Quig, aber, bitte, verlass mich jetzt nicht.«
»Ich gehe.«
»Was ist mit den Kindern?«
»Du wirst dich um sie kümmern, wie du es in der Vergangenheit meistens getan hast.«
»Sie werden dich hassen. Sie werden dich für das hassen, was du mir antust.«
»Das bezweifle ich«, sagte Quig.
Er hatte Geduld gezeigt und die Art von Ehrlichkeit, die sie zuvor nicht bei ihm zur Kenntnis genommen hatte. Sie hatte ihn für formbar gehalten, wobei er die ganze Zeit schlau gewesen war. Sie hatte ihn für sanftmütig gehalten, wobei er kühn gewesen war, hatte geglaubt, er würde sie unterwürfig lieben, egal wie sie ihn behandelte, und dass seine Buße dafür, dass er arm geboren war, sei, sie zu lieben und anzubeten und ihr bis zum Tage ihres Todes zu dienen.
Aber sie hatte sich geirrt.
Er erhob sich, wischte seine Lippen an der Serviette ab, faltete sie und legte sie sehr exakt neben seinen leeren Teller.
»Das ist alles, Biddy. Ich werde nicht bleiben.«
»Quig?«
»Ich werde Morgen nach Foss hinüberfahren, wenn das Wetter hält.«
»Quig?«
»Dort ist sehr viel zu tun.«
»Quig? O, Quig?«
»Maggie wird sich um dich kümmern, Biddy, und – und das ist alles, was ich zu sagen habe.«
Er ging aus dem Esszimmer und hinaus aus dem Haus, während Biddy, auf dem Tisch liegend, seinen Namen immer wieder rief und rief, als würde die bloße Wiederholung all die bösen Erinnerungen wie ein Zauberspruch auswischen und ihn veranlassen, zu ihr zurückgerannt zu kommen, so wie er es zuvor immer getan hatte.