Mehrmals blinzelte Amicia, während sie die eben gehörten Worte verarbeitete. Stille hatte sich über das ganze Studio gesenkt. Nur für wenige Sekunden, dann machten alle weiter wie gehabt.
Wortlos fing Antonia an aufzuräumen und ihre Sachen wegzupacken. Was auch immer mit Lucifer war, es schien sie nicht weiter zu interessieren.
Mit einem nachdenklichen Ausdruck in den Augen nippte Lilith an ihrem Kaffee und starrte ins Nichts. Zur gern hätte Amicia gewusst, was in ihrem Kopf vorging, doch sie traute sich nicht zu fragen.
Von irgendwoher hatte Jakob ein Tablet geholt und tippte darauf nun herum. »Hôtel Le Royal Monceau – Raffles Paris, heute Abend um halb acht. Alle werden anwesend sein.«
Müde massierte Lilith sich den Nasenrücken. »Wieso immer in meiner Stadt. Nur einmal will ich auf den letzten Drücker nach Rio reisen müssen.«
»Daran lässt sich nun nichts mehr ändern.« Entschuldigend zuckte Jakob mit den Schultern. »Ich versuche noch mehr herauszubekommen, aber ich kann nichts versprechen.«
Beinahe genervt winkte Lilith ab und scheuchte ihren Assistenten davon. Einen Moment stand sie fast regungslos da und blickte erneut ins Nichts, dann wandte sie sich Amicia zu.
»Ich mag dein neues Aussehen, jetzt passt du deutlich besser zu uns. Was jetzt anscheinend auch vonnöten ist.« Kraftlos ließ sie sich auf den Stuhl fallen. »Lucifer hat all seine Generäle zu einem Treffen zusammengerufen. Also dürfen wir heute Abend antanzen und erfahren erst dann, worum es geht. Jakob und du, ihr werdet mich begleiten und nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.«
Knapp nickte Amicia. »Natürlich.«
Erneut blickte Lilith zur Seite und die Gefallene hätte beinahe schwören können, dass sie Angst bei ihrer neuen Chefin erkannte. Doch wovor nur? Vor dem Höllenfürsten oder einem seiner Leute?
»Ursprünglich wollte ich den heutigen Tag etwas entspannter angehen und dich etwas besser kennenlernen, aber es kommt leider niemals so, wie man denkt. Dort hinten findest du neue Kleider für dich. Zieh dich um und dann komm nach unten!«, wies Lilith sie an und ging dann ohne ein weiteres Wort hinaus.
Noch einen Moment blieb Amicia sitzen. Stille umfing sie, nur das leise Rauschen der Bäume hinter dem Haus war zu hören. Irgendwie schaffte sie es nicht, erneut in den Spiegel zu schauen. Sie wollte der Fremden, die darin wohnte, nicht noch einmal in die Augen sehen.
Mit steifen Gliedern erhob sie sich endlich und ging zu dem Kleiderständer, auf den Lilith gedeutet hatte. An jedem anderen Tag hätte sie sich die Auswahl vielleicht etwas länger angesehen und die einzelnen Stücke wertgeschätzt, doch jetzt wollte sie sich nur, so schnell sie konnte, umziehen.
Ihre Jeans wich einer eng geschnittenen Hose aus schwarzem Stoff, ihr einfaches Shirt einer weißen, jedoch sehr edlen Bluse und ihr alter Blaser einer schicken nagelneuen Lederjacke. Nur ihre Stiefel würde sie behalten.
Nachdem sie mehrmals tief durchgeatmet hatte, trat sie vor einen der Ganzkörperspiegel, die neben den Kleiderständern standen. Erneut blickte ihr die Fremde mit den anderen Haaren und den schicken Kleidern entgegen. Zögerlich hob Amicia die rechte Hand und erwartete beinahe, dass ihr Spiegelbild es ihr nicht nachmachen würde.
Unsicher winkte sie sich selbst zu und ließ den Arm dann wieder fallen. Sie musste sich wohl damit abfinden, dass dies nun ihr Äußeres war. Schlimm war es nicht, aber anders.
Amicia konnte sich nicht länger mit ihrem neuen Ich auseinandersetzen, stattdessen eilte sie die Treppe nach unten und blickte sich unsicher um. Lilith hätte ruhig spezifischer mit ihren Anweisungen sein können.
Das Hausmädchen eilte mit einem Tablett an ihr vorbei und kurz entschlossen folgte sie dieser in ein großes Arbeitszimmer. Hinter einem Schreibtisch aus Glas saß Lilith, den Kopf über einen Laptop gebeugt. In der Ecke neben der Tür wuselte Jakob hinter seinem eigenen kleineren Tisch herum.
Anerkennend nickte Lilith. »So weit, so gut. Jetzt trennt dich nur noch eine winzige Unterschrift von deiner Stelle bei mir.« Über den Tisch schob sie Amicia einen Arbeitsvertrag entgegen.
Ohne auch nur kurz drüberzulesen, setzte die Gefallene ihre geschwungene Unterschrift darunter. Sorgen um die Folgen musste sie sich nicht machen. Entweder würde sie in drei Monaten wieder im Himmel sein oder nicht mehr existieren. Wie auch immer es kam, Vertragsbruch interessierte sie dann nicht.
Einen Augenblick lang blickte Lilith auf den Vertrag, dann zog sie ihn langsam zu sich zurück. »Dann ist alles erledigt und deinem Einsatz heute Abend steht nichts mehr im Weg. Wir fahren hier um 19 Uhr los, bis dahin hast du frei. Falls dich jemand zurück in dein Motel bringen soll, sag Bescheid.«
»Danke für das Angebot, aber ich werde einfach etwas spazieren gehen.« Schnell lächelte sie Lilith und Jakob an, dann verließ sie mit festen Schritten das Haus.
Einen Moment blieb sie auf dem Bürgersteig stehen und blickte nach links und rechts, dabei gerieten ihre Haarspitzen in ihr Blickfeld. Unsicher fuhr sie mit den Fingern hindurch. Daran musste sie sich erst noch gewöhnen.
Dann schlenderte sie rechts die Straße hinunter und suchte nach einem Weg in den Park hinein. Gerade sehnte sie sich nach Natur und nach der Ruhe, die der Park mit sich brachte.
Sie folgte einem der Hauptwege zum Pavillon Royal. Es war ein wunderschöner, sonniger Tag und viele Menschen nutzten diesen, um nach draußen zu gehen.
Mit gesenktem Kopf spazierte Amicia über die Wege, ohne genauer darauf zu achten, wo sie sich befand. In ihrem Kopf fuhren die Gedanken Karussell und landeten immer wieder bei demselben Wesen. Lucifer, dem Höllenfürsten.
Sie war nicht darauf vorbereitet, ihm jetzt schon entgegenzutreten. Der Plan, den sie sich so präzise ausgemalt hatte, war nun völlig wertlos. Sie hatte keine Zeit mehr, Lilith von sich zu überzeugen und ihr Vertrauen zu gewinnen.
Anstatt einige Wochen zu haben, um an Informationen zu kommen, blieben ihr nun nur noch wenige Stunden. Und diese konnte sie nicht einmal gut nutzen, da ihr sicher niemand etwas erzählen würde. Also blieb ihr nichts anderes übrig, als einsam durch die Gegend zu streunen und sich in ihren Gedanken zu verrennen.
Dank derer hatte sie gar nicht bemerkt, wie weit sie schon gelaufen war. Ihre Schritte hatten sie in einen ruhigen Teil des Parks geführt, weit weg von den Veranstaltungsorten und Museen, dafür in die Nähe des Wassers.
Eine einsame Parkbank, halb versteckt hinter einigen Bäumen, lockte sie. Sanftes Sonnenlicht fiel ihr aufs Gesicht und sie konnte den Teich vor sich überblicken. Tief atmete sie ein und aus und schloss die Augen.
Während ihrer unendlichen langen Existenz hatte Amicia gelernt die Welt auszublenden. Andere würden es wohl meditieren nennen, doch für Amicia war es das Nichts, welches sie für einige Zeit vergessen ließ.
Alles, was jetzt zählte, war ihre Atmung. Nichts weiter als ein und aus. Irgendwann konnte sie die Geräusche um sich herum nicht mehr wahrnehmen, da war nur noch ihr eigener Herzschlag. Die Welt war verschwunden.
Doch mit dem weißen Rauschen in ihrem Kopf kamen auch die Erinnerungen. Auf leisen Sohlen schlichen sie sich an, bis Amicia sie nicht länger verdrängen konnte.
Sie blinzelte. Zum ersten Mal seit einer gefühlten Ewigkeit konnte sie eines ihrer Körperteile bewegen. Ihre Augen schmerzten von dem Licht und den Staubkörnern, die hineingeraten waren. Aber Amicia konnte sie schließen.
Nach und nach erlangte sie auch die Kraft in ihren Gliedmaßen zurück, sie bewegte die Finger und zog die Beine an. Irgendwie, mit einer Kraft, von der sie nicht wusste, woher sie kam, richtete sie sich auf und blickte sich um.
Eine Straße, wenn man es denn so bezeichnen konnte. Ein matschiger, dreckiger Pfad, der gewunden durch einen Wald zu einem unbekannten Ziel führte. Um sie herum sangen die Vögel, so, als wäre es ein ganz normaler Tag.
Niemand war zu sehen, aber lange würde es nicht so bleiben. Sie war allein, unbewaffnet, schwach und ein leichtes Ziel in einer Welt, die nicht freundlich zu Frauen war. Von ihrer göttlichen Überlegenheit war nichts mehr übrig, nun war sie nicht viel mehr wert als eine der Straßenratten, die in den Städten wohnten.
Schmerzen durchzuckten ihren Körper, fest biss sie die Zähne zusammen und verdrängte sie. Nach mehreren Fehlversuchen stand sie endlich halbwegs sicher auf zwei Beinen und blickte sich um. Dieser Weg musste in eine Stadt führen oder wenigstens in eine Siedlung.
Sie war gebrochen … gefallen. Nichts weiter als Abfall. Aber noch war Amicia nicht bereit aufzugeben. Tief in ihr drin war sie sich sicher, dass es sich um einen Fehler handelte. Der Himmel würde nach ihr suchen kommen und bis dahin musste sie am Leben bleiben.
Irgendwie.
Stolpernd wandte sie sich nach rechts. Sie musste nur ein wenig durchhalten, dann würde sie wieder nach Hause kommen.
Fest biss Amicia sich auf die Unterlippe, um die nahenden Tränen zurückzuhalten. Sie hatte lange gewartet, hatte durchgehalten. Und vom Höllenfürsten würde sie sich nicht aufhalten lassen.
Langsam fing es um sie herum an zu dämmern. Der Tag war beinahe vorbei und die ersten Schatten des Mondes zeigten sich bereits. Ihre Haut hatte sich mit der Hitze der Sonne aufgeladen und glühte jetzt.
Die Hände in den Jackentaschen vergraben schlenderte sie auf den Weg zurück in die Richtung des Hauses. Noch hatte sie etwas Zeit, aber Amicia hasste es, unpünktlich zu sein. Um halb sieben klopfte sie an Liliths Tür.
Ein geschäftig wirkender Jakob öffnete ihr. Am Ohr hatte er ein kleines Headset, in das er aufgeregt hineinsprach. »Das ist uns völlig egal. Entweder unterschreibt sie den Vertrag, so, wie er ist, oder sie lässt es.« Weiterredend entfernte er sich von der Tür und verschwand in den Tiefen des Hauses.
Unsicher blickte Amicia sich um. Niemand achtete weiter auf sie, keinen schien es zu interessieren, dass sie wieder da war. Es war immer noch mehr als eine halbe Stunde, bevor sie losmussten.
Ein wenig kam sie sich wie ein Eindringling vor, als sie durch das Haus streunte und nach einer ruhigen Ecke suchte, in der sie warten konnte. Dabei kam sie per Zufall an der großen Küche vorbei und schnappte sich eine der süßen Leckereien, die auf der Anrichte standen.
***
Pünktlich um sieben Uhr kam Lilith die Treppe herunter. Ihr einfaches schwarzes Kleid schaffte es, sie sowohl extrem feminin als auch sehr gefährlich aussehen zu lassen. Mit einem tödlichen Feuer in den Augen ging sie direkt auf die Haustür zu.
Amicia beeilte sich zu ihr aufzuschließen und verließ zusammen mit Jakob wieder das Haus. Auf der Straße wartete bereits der Wagen auf sie. Er nahm vorn neben dem Fahrer Platz, während Amicia zu Lilith auf die Rückbank kletterte.
Die ersten Minuten der Fahrt vergingen schweigend. Die Gefallene blickte aus dem Fenster und beobachtete die Stadt dabei, wie sie langsam von Hunderten Lichtern erhellt wurde.
»In diesem Hotel wirst du auf einige nicht so nette Gestalten treffen«, sprach Lilith auf einmal wie aus dem Nichts. »Was auch immer passiert, du wirst kein Wort sagen und nur dann einschreiten, wenn du denkst, dass mein Leben in Gefahr ist. Selbst dann wirst du nicht zum Angriff übergehen.«
Knapp nickte Amicia. »Gibt es ansonsten noch etwas, worauf ich achten soll?«
»Was auch immer du heute hörst, nichts davon darf jemals diesen Raum verlassen. Unter anderen Umständen hätte ich dich heute niemals mitgenommen, aber gerade jetzt ist es besser, extravorsichtig zu sein.«
»Ich werde alles geben«, versprach die Gefallene ernst.
Noch fünf Minuten fuhren sie weiter, bevor der Wagen vor dem hell erleuchteten Hotel hielt. Ein in Rot gekleideter Page öffnete ihnen die Tür und half Lilith beim Aussteigen, während Amicia allein aus dem Auto sprang.
Kurz blickte sie an dem schicken Hotel hoch, in dem sie sich sicher niemals ein Zimmer hätte leisten können.
Menschen in edlen Kleidern bevölkerten die elegante, aber doch sehr moderne Lobby, durch die sie nun hinter Lilith her schritt. Ohne weiter auf ihre Umgebung zu achten, gingen sie direkt zu den Aufzügen und fuhren in den vorletzten Stock. Die leise Musik sollte sicher beruhigend wirken, doch Amicia machte sie einfach nur hibbelig.
Endlich öffneten sich die Türen mit einem leisen »Pling« und sie betraten ein verlassenes Stockwerk. Ein langer Gang führte zu verschiedenen Konferenzräumen in unterschiedlichen Größen.
Hörbar stieß Lilith die Luft aus, straffte die Schultern und trat aus dem Aufzug. Wie auf dem Fuß folgten Amicia und Jakob ihr durch den Gang bis zum hintersten Konferenzraum.
Das Zimmer wurde von einem einzigen großen Tisch dominiert, um den dreizehn Stühle herumstanden, von denen sieben bereits besetzt waren. Nur kurz ließ Amicia ihren Blick über alle schweifen, doch sie erkannte keines der Gesichter. Lediglich eine Sache war ihr klar, dies waren sehr hochrangige Dämonen. Ihre Art, sich zu bewegen, der hochnäsige Blick und die selbstgefällige Art konnte einfach nichts anderes bedeuten.
Ihre Ankunft wurde kaum bemerkt, einige von ihnen unterhielten sich leise, während andere auf ihren Handys herumtippten. Mit festem Gang schritt Lilith an ihnen vorbei und setzte sich auf den freien Stuhl rechts vom Kopf des Tisches.
Gerade als die Gefallene ihr folgen wollte, hielt Jakob sie am Arm zurück. »Leider darf ich nicht mit reinkommen«, murmelte er. »Halte die Augen offen und berichte mir alles, was wichtig sein könnte.«
»Ich achte auf alles«, versprach Amicia ernst und drückte kurz seine Hand. Mit einem letzten besorgten Blick zu der ersten Frau verschwand er in einem anderen Raum.
Amicias Magen ballte sich nervös zusammen, als sie auch endlich eintrat und sich noch einmal genau umschaute. Immer noch achtete keine der Personen an dem Tisch auf sie, dafür aber die anderen Leibwächter, die aufgereiht an den Wänden standen.
Ein Dutzend aufmerksamer Augen folgte jeder ihrer Bewegungen, als sie hinter Lilith Stellung bezog. Auch wenn der Drang groß war, wich sie jedem der Blicke aus und schaute an eine Stelle an der Wand ihr gegenüber. Stück für Stück fiel die Aufmerksamkeit wieder von ihr ab, aber Amicia blieb angespannt.
Immer mehr Dämonen trafen ein, bis alle zwölf Plätze besetzt waren. Das also waren Lucifers Generäle, die mächtigsten Dämonen, die existierten. Eine Handvoll Fremder, die vom Aussehen her so unterschiedlich waren, dass man niemals auf die Idee gekommen wäre, dass sie einander kannten. Von den feinsten Designerkleidern zu einem Outfit, das direkt von einem Obdachlosen stammen konnte, war alles vertreten.
Nur noch ein Platz war frei … am Kopf des Tisches. Mit jeder Minute, die verging, schlug Amicias Herz schneller. Nun würde sie der Schreckensgestalt des Himmels zum ersten Mal begegnen.
Als sich die Türen des Konferenzraumes öffneten, hielten alle im Raum gleichzeitig den Atem an. Die Luft schien vor Anspannung zu sirren, als der Höllenfürst persönlich eintrat.
In ihrem Leben hatte Amicia schon einige Geschichten über ihn gehört, Legenden, Erzählungen, warnende Beispiele, aber nichts hätte sie auf Lucifer vorbereiten können.
Kalte blaue Augen wanderten durch den Raum, nach und nach blickte er jeden seiner Generäle an, bevor er langsam auf seinen Stuhl zuging. Der schwarze Anzug zeigte deutlich seine breiten Schultern und die schmalen Hüften. Wie ein König schritt er durch den Raum und strahlte eine solche Dominanz aus, dass Amicia kurz den Blick senken musste.
Als sie sich endlich wieder im Griff hatte, saß Lucifer bereits auf seinem Stuhl und überblickte die Generäle. »Willkommen.« Er hatte eine angenehme raue Stimme, die ihr eine Gänsehaut bescherte.
Untergeben senkten die Dämonen den Kopf, einige der Leibwächter taten es ihnen gleich. Für einen Moment herrschte Stille im Raum, sie alle warteten, was der Höllenfürst nun vorhatte.
»Schön, dass ihr es alle hergeschafft habt.« Seine Lippen verzogen sich zu einem beinahe freundlichen Lächeln. »Unsere letzte Zusammenkunft ist nun schon einige Zeit her und ich dachte, dass wir uns mal alle auf den neusten Stand bringen sollten.«
Zustimmendes Gemurmel setzte ein. Die Stimmung lockerte sich etwas, sogar die Spannung in Lilith Schultern nahm ab. Etwas lockerer legte sie die Hände auf den Tisch und beobachtete Lucifer.
Auch Amicia konnte den Blick nicht lange vom Goldenen Prinzen abwenden. Locker zurückgelehnt saß er in dem Sessel und ließ seinen Blick immer wieder durch den Raum gleiten. Dabei schien es so, als würde er durch die Anwesenden hindurchschauen – bis direkt in ihre nicht vorhandenen Seelen.
An den Gesprächen, die nun stattfanden, hatte sie keinerlei Interesse. Amicia war nicht hier, um mehr über die Dämonen und ihre Hierarchien zu lernen, stattdessen nutzte sie die Zeit, um Lucifer genauer zu beobachten.
Die Finger vor den Lippen verschränkt konzentrierte er sich stets auf den Dämon, der gerade sprach. Nicht ein einziges Mal wandten sich seine Augen von seinem Ziel ab, er hörte ganz genau zu. Hin und wieder nickte er oder schüttelte den Kopf, sprach aber selbst erst, nachdem der andere geendet hatte.
Sein hypnotisierender Mund war beinahe die ganze Zeit zu einem kleinen Lächeln verzogen. Voller Selbstvertrauen führte er das Meeting. Jede seiner Bewegungen, jeder Atemzug war genau gesetzt, sodass die Aufmerksamkeit immer auf ihm lag. Niemand wagte es auch nur zu niesen, wenn er sprach und jeder seiner Anweisungen wurde sofort Folge geleistet.
»Es freut mich, dass es im Süden so gut läuft. Aber unter deiner Führung hatte ich auch nichts anderes erwartet«, schnurrte er und zwinkerte der hübschen brünetten Dämonin zu, die gerade ihren Bericht beendete.
Ihre karamellfarbene Haut verfärbte sich leicht rot und sie warf die lange Haarmähne über die Schulter. »Für euch würde ich alles tun, mein Fürst.«
Leider konnte Amicia Liliths Gesicht nicht sehen, aber sie war sich ziemlich sicher, dass die erste Frau gerade die Augen verdrehte. Beinahe tat die Gefallene es ihr gleich. Dieses Anbiedern war doch sehr geschmacklos und Lucifer ging nicht weiter darauf ein.
Nach einem letzten Blick zu der Dämonin wandte der Höllenfürst sich dem Mann daneben zu. »Bei unserem letzten Gespräch konntest du nichts Gutes vorweisen, Esto, ich hoffe, diesmal enttäuschst du mich nicht.« Auch wenn seine Stimme sanft und freundlich war, die unterschwellige Drohung bemerkte jeder im Raum.
Dem General standen die Schweißperlen auf der Stirn. Bisher hatte Amicia nicht einmal gewusst, dass Dämonen schwitzen konnten. Mehrmals schluckte Esto fest, dann setzte er mit zittriger Stimme zum Sprechen an.
»Unsere Zahlen haben sich in den letzten Monaten durchaus verbessert, nur leider sind wir noch nicht auf der Höhe mit den anderen.« Ängstlich zuckte sein Blick zu Lucifer.
Langsam erhob dieser sich und ging um den Tisch herum, bis er hinter dem nun zitternden Esto stand. Seine großen Hände mit den langen Fingern legten sich auf die Schultern des Dämons und drückten zu.
»Das ist natürlich erfreulich, mein Guter. Eine Verbesserung ist schon mal der richtige Weg. Ich bin mir sicher, dass du die anderen überholt haben wirst, wenn wir uns das nächste Mal sehen, nicht wahr?« Lucifer drückte fester zu und eine düstere Schwingung erfüllte den Raum.
Sogar Amicias Kehle verengte sich bei dem Anblick. Auch wenn Lucifer immer noch freundlich lächelte, war ein dunkles Funkeln in seine Augen getreten. Nach einigen Augenblicken ließ er von dem armen Esto ab und ging zurück zu seinem Platz.
»Ich erwarte viel von euch, manchmal sogar Unmögliches. Im Gegenzug gewähre ich euch und euren Untergebenen ein freies Leben, in dem ihr auf der Erde wandeln könnt. Das Einzige, was ich dafür von euch will, ist Loyalität.«
Für einen Moment rührte sich niemand im Raum, dann neigten alle nach und nach den Kopf. Zufrieden nickte Lucifer. »Dann seid ihr für heute entlassen. Aber ihr werdet in nächster Zeit noch einmal von mir hören.«
Etwa die Hälfte ergriff sofort die Flucht. Sie verließen zusammen mit ihren Leuten das Stockwerk. Amicia blieb an Ort und Stelle stehen, da Lilith sich auch noch nicht rührte.
Auch Lucifer blieb an seinem Platz sitzen und beobachtete seine Untergebenen dabei, wie sie aufgeregt in der Gegend herumwuselten. Mit mildem Interesse in den Augen schaute er zu der brünetten Dämonin, die nun mit wiegenden Hüften auf ihn zukam.
Das enge sonnenblumengelbe Kleid betonte ihren drahtigen Körper, der kurze Rock rutschte beinahe zu hoch, als sie auf dem frei gewordenen Stuhl neben ihm Platz nahm. Ihre Finger wanderten langsam über den Tisch auf seine Hände zu, während sie sprach.
»Ich möchte mich noch einmal für dein Vertrauen in mich und meine Arbeit bedanken. Das ist eine so große Ehre. Vielleicht würdest du mir eine noch größere Ehre erweisen und mich und meine Fabriken demnächst besuchen kommen.«
Im letzten Moment zog Lucifer seine Hand weg und legte sie stattdessen über seinen Mund. Von ihrem Blickwinkel aus konnte Amicia das schmale, höhnische Grinsen sehen, welches er dadurch verbergen wollte. »Das wird sich sicher einrichten lassen. Danke, Brunna.«
Mit einem zufriedenen und verführerischen Lächeln verzog sich die Dämonin endlich.
Erleichtert ließ Lilith den Kopf kreisen. »Kriegst du keine Kopfschmerzen von ihrem Gelaber?«
»Du kennst mich doch, ich stehe auf etwas Schmerz«, gab Lucifer trocken zurück. »Außerdem ist Brunna ein sehr kleines Übel, wenn ich sie mit so manch anderem vergleiche.«
Nachdenklich nickte Lilith und erhob sich. »Trotzdem würde ich mich nicht mit ihr abgeben.«
»Warte noch einen Moment, ich muss allein mit dir sprechen.« Kurz streifte Lucifers Blick Amicia. »Unter vier Augen.«
»Warte draußen auf mich«, wies die erste Frau Amicia an.
Sofort verließ diese den Raum und schloss die Tür hinter sich. Im Flur war inzwischen einiges los, ein paar der Generäle waren zurückgeblieben und unterhielten sich, darunter auch Esto und Brunna.
So nah, wie sie konnte, blieb die Gefallene an der Tür und versuchte zu lauschen. Doch außer ein leises Gemurmel konnte sie nichts wahrnehmen. Frustriert kaute sie auf ihrem Daumennagel herum und beobachtete die fremden Dämonen.
Wenn sie nicht genau gewusst hätte, dass es sich bei ihnen um Höllenwesen handelte, hätte man sie alle für normale Menschen halten können. Sehr unterschiedliche Menschen, die sich zufällig zusammengefunden hatten.
Einige von ihnen trugen teure Businesskleider wie Lilith, manche Partykleider wie diese Brunna, andere wieder einfache Straßenklamotten. Trotz ihrer äußeren Unterschiede und der unterschwelligen Anspannung, die immer noch in der Luft lag, gingen sie wie alte Freunde miteinander um.
»Ist sie noch da drin?« Jakob tauchte wie aus dem Nichts auf und stellte sich neben Amicia.
»Lucifer wollte noch einmal allein mit ihr sprechen, unter vier Augen«, informierte sie ihn knapp. »Leider habe ich nichts Besonderes herausgefunden, irgendwie habe ich mich nicht konzentrieren können.«
Schnell winkte er ab. »Kein Ding. Bei meinem ersten Treffen mit ihm war ich auch so von ihm abgelenkt, dass ich rein gar nichts mitbekommen habe. Manchmal zieht Lilith mich damit immer noch auf.«
In diesem Moment ging die Tür hinter ihnen auf und die beiden traten in den Flur. Sofort stoben die übrigen Generäle wie Kanonenkugeln davon und schon bald waren sie allein.
»Also kommst du morgen Abend nicht?«, fragte Lucifer und führte damit anscheinend ihr Gespräch weiter.
»Nimm es mir nicht übel, aber ich kann mir echt Besseres vorstellen, als meinen Abend mit einem Haufen partywütiger Menschen auf einem Boot zu verbringen. Das kannst du ruhig allein machen.« Müde schüttelte Lilith den Kopf.
»Wie du willst, es hätte ein lustiger Abend werden können.«
»Du und ich haben mitunter eine sehr unterschiedliche Definition von lustig.«
Lachend warf Lucifer den Kopf in den Nacken. »Da hast du mal wieder recht. Lass uns die Tage zusammen essen gehen, dann können wir uns unterhalten.«
»Du bleibst also länger, gut zu wissen.« Lilith richtete ihr Kleid. »Ruf mich an, wenn du Zeit hast.« Ohne auf ihre beiden Angestellten zu achten, schritt sie zu den Aufzügen.
Mit gesenktem Kopf folgte Amicia ihr, nur kurz blickte sie über ihre Schulter zurück. Gerade winkte Lucifer einen der Generäle zurück in den Raum, der sich in ein anderes Zimmer geflüchtet hatte.
Bevor er die Zimmertür wieder schloss, blickte er für einen Moment in Amicias Richtung und ihre Blicke kreuzten sich. Auf einmal schien die Zeit langsamer zu laufen, der kurze Wimpernschlag fühlte sich wie eine ganze Ewigkeit an. Sein Blick schien direkt bis zu ihrer Seele zu gelangen und eine Gänsehaut breitete sich auf ihrem ganzen Körper aus.
Dann drehte er sich um und der Zauber war gebrochen.
Im Aufzug legte Lilith den Kopf in den Nacken und stöhnte laut. »Nach jedem dieser Meetings habe ich Verspannungen, die tagelang nicht weggehen.«
»Hab dir bereits eine Massage für morgen gebucht«, erklärte Jakob abwesend, der bereits wieder auf seinem Handy herumtippte. »Ich schaufle dir in den nächsten Tagen ein paar Termine frei, dann kannst du in Ruhe essen gehen.«
Amicia blendete das Gespräch zwischen den beiden aus und ließ die letzte Stunde Revue passieren. Das ganze Meeting hatte kaum sechzig Minuten gedauert und doch hatte es sich viel länger angefühlt.
Immer noch schlug ihr Herz viel zu schnell. Lucifers eindringliche blaue Augen hatten sich in ihren Verstand eingebrannt. Der Höllenfürst war alles, was sie jemals gedacht hatte, und doch so viel mehr.
Er war charmant, gut aussehend, witzig und wortgewandt. Aber auch skrupellos, eiskalt und bereit über Leichen zu gehen. Zum selben Teil Engel wie Dämon.
Und Amicia konnte ihn nicht ausstehen.