Der Ball war vorbei, so viel war nach der Hinrichtung sicher. Niemand wagte es, sich zu bewegen, während Lucifer das Schwert wieder in der Scheide verstaute, die auf einmal um seine Hüfte hing.
Angst schwängerte die Luft wie ein viel zu starkes Parfüm. Der Höllenfürst hatte genau erreicht, was er wollte. Amicia war sich sicher, dass niemals wieder jemand an ihm zweifeln würde.
Lilith war die Erste, die sprach. »Ich gehe ins Bett.« Ohne auf jemanden zu achten, schritt sie aus dem Saal und ließ Amicia etwas überrascht zurück.
»Sie weiß, wie man einen großen Auftritt hinlegt.« Lucifer trat neben sie und reichte ihr den Arm. »Ich begleite dich nach oben.«
Hunderte Fragen brannten Amicia auf der Zunge, zum Teil war sie genauso verwirrt wie die Dämonen. Trotzdem ergriff sie Lucifers Arm und ließ sich aus dem Saal geleiten.
Keiner von beiden sprach ein Wort, bis sie im oberen Stockwerk angekommen waren. Amicia tat ihr Bestes, die eben gesehene Szene zu vergessen. Auch wenn sie eigentlich nichts für diese Dämonen empfunden hatte, war es doch ein bedrückender Gedanke, dass sie nun für immer ausgelöscht waren.
Sie bemerkte gar nicht, wohin sie gingen, bis sie auf einmal in Lucifers Zimmer standen. Sofort ließ sie seinen Arm los und fuhr sich mit den Händen durch die Haare.
Mit verschlossener Miene zog Lucifer seine Jacke aus und löste seine Krawatte. Äußerlich schien er völlig ruhig zu sein, doch unter der Oberfläche brodelte es. »Nun frag endlich.«
»Dieses Schwert, das habe ich schon einmal gesehen. Bei Michaela«, wisperte sie atemlos.
»Du hast ein gutes Auge. Die beiden Schwerter sind Zwillinge, genauso wie Michaela und ich.«
Diese Information warf Amicia völlig aus der Bahn. Ihr war bewusst, dass der Höllenfürst und der Erzengel etwa zur selben Zeit erschaffen worden waren, doch Zwillinge? »Wieso besitzt du das Schwert noch? Immerhin ist es ein Engelsschwert.«
»Genau für einen solchen Zweck.« Endlich wandte er sich wieder zu ihr um. »Nur damit kann ich die Dämonen bestrafen und aus dieser Welt tilgen, wenn sie sich gegen mich stellen.«
»Du hast die himmlischen Truppen geführt und gegen die Dämonen gekämpft und doch bist du nun ihr Herr.« Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
»Wie heißt es so schön, Gottes Wege sind unergründlich. Zeit für einen Drink.«
Wortlos nickte Amicia. Sie fühlte sich leer und ausgelaugt. Der Zweifel war wieder da, diesmal lauter und nicht nur am Rande ihres Verstandes. Mit einem geflüsterten »Danke« nahm sie den Drink entgegen und nippte leicht daran.
»Du hast zusammengezuckt, als ich Michaela erwähnt habe«, murmelte er sanft.
»Leider habe ich keine guten Erinnerungen mehr an sie. Michaela selbst hat mich damals aus dem Himmel geworfen.«
»Wir beide haben mehr gemeinsam, als man denken kann. Darin ist sie erstaunlich gut, auch wenn sie immer so tut, als würde es ihr schwerfallen.«
Trocken lachte Amicia auf. »Ich werde ihr Gesicht niemals vergessen.« Wie würde es erst werden, wenn sie dem Erzengel wieder gegenüberstand und vielleicht mit ihr zusammenarbeiten musste?
»Wieso bist du damals gefallen?«, fragte Lucifer sanft und strich ihr behutsam über die Wange. »Du scheinst mir einfach kein Wesen zu sein, das die Regeln so stark bricht, dass du dafür bestraft werden musst.«
»Manchmal wünschte ich, dass ich die Regeln auf grausame Art und Weise gebrochen … etwas wirklich Abscheuliches getan hätte. Doch leider war dem nicht so.« Sie blickte ihm direkt in die Augen. »Ich habe lediglich das Leben eines einzigen Mannes verschont.«
Sie erinnerte sich schmerzvoll daran.
Dies war nicht ihr erster Auftrag auf der Erde, doch der erste, den sie allein unternehmen durfte. Voller Aufregung trat Amicia durch die goldene Pforte und begab sich hinunter.
Das Ziel war ein einfacher Bauer, der noch an diesem Tag sterben würde. Ihre Aufgabe war es sicherzugehen, dass dies auch passierte, und danach seine Seele in den Himmel zu begleiten. Amicia wusste nicht, weshalb er sterben musste, und es war ihr auch egal. Alles, was zählte, war ihr Auftrag und das Vertrauen, welches Michaela in sie setzte.
Es war ein strahlend schöner Sommertag. Die Vögel zwitscherten in den Bäumen, Schmetterlinge tanzten durch die Luft und die Felder blühten. Der Natur merkte man nicht an, welcher Schrecken sich gerade durch das Land verbreitete.
Am Rand der Stadt stapelten sich die Leichen, für die es noch keine Gräber gab. Ihre Körper waren von der Pest schwer geschädigt und der durchdringende Gestank des Todes lag in der Luft.
Amicia ignorierte diesen Anblick. Ihr Auftrag hatte nichts mit der Pest zu tun, das wusste sie. Auch wenn sie den Tod in ihrem Nacken spürte, eilte sie durch die Straßen, ohne dabei von einem Menschen bemerkt zu werden.
Es dauerte nicht lange, dann hatte sie ihr Ziel gefunden. Der mittelalte Mann trat gerade aus einem Haus, seine Kleidung war verdreckt, er stank und hatte kaum noch Zähne im Mund, und doch strahlte er eine gewisse Zufriedenheit aus.
Sofort heftete Amicia sich an seine Fersen und folgte ihm ungesehen durch die kleine Stadt. Sein Weg führte ihn durch eines der großen Tore auf eine halb verlassene Landstraße. Nur wenige Menschen waren unterwegs, obwohl sie doch gerade jetzt auf den Feldern sein sollten.
Amicia interessierte das Ganze kaum. All ihre Aufmerksamkeit lag auf dem Mann, der leise vor sich hin pfiff. Sein Weg führte ihn zu einer kleinen Hütte, am nahe liegenden Waldrand.
Als er das Tor hinter sich schloss, flog die Tür der Hütte auf und eine ganze Schar schreiender und lachender Kinder eilte auf den Mann zu. Manche von ihnen konnten noch nicht zehn Sommer erlebt haben, andere waren viel älter. Sie alle umringten ihren Vater und erzählten ihm aufgeregt von ihrem Tag.
Unsicher blieb Amicia außerhalb des kleinen Zauns stehen. Sie traute sich einfach nicht den Hof zu betreten. Obwohl niemand sie bemerken würde, kam sie sich vor wie ein Eindringling, der nicht in diese schöne Welt gehörte.
Doch ihr Auftrag trieb sie weiter. Im Inneren der Hütte war es warm und eng. Es gab nur einen einzigen Raum, der als Küche, Schlafzimmer und Wohnstube diente. Eine hochschwangere Frau empfing den Mann mit einem liebevollen Kuss auf die Lippen, während die Kinder sich wieder an ihre Arbeit machten.
Amicia suchte sich einen Platz in der Nähe der Tür und fing an zu beobachten.
Als am Abend die Sonne unterging, hatte sie einen Entschluss gefasst. Dieser Mann durfte nicht sterben. Die Liebe, die er und seine Familie teilten, war so rein und wahr, dass es einfach nicht sein durfte.
Man hatte ihr nicht mitgeteilt, wie er sterben würde. Nur dass es in den nächsten vierundzwanzig Stunden passieren sollte.
Die Nacht selbst war ruhig, außer dass ein kleines Mädchen einen Albtraum hatte.
Amicia kniete sich neben es und legte ihm die Hand auf die Stirn. Dieses Kind hatte einen guten Traum verdient und eine ruhige Nacht.
Noch bevor am nächsten Tag die Sonne aufging, war die Familie auf den Beinen. Einige der Kinder halfen der Mutter dabei, das Frühstück vorzubereiten, während der Rest dem Vater auf dem Hof zur Hand ging. Sie alle hatten ihre klaren Aufgaben, denen sie zusammen nachgingen.
Bei dem Anblick zog sich etwas in Amicia zusammen. Auch im Himmel arbeitete sie eng mit ihren Mitstreitern zusammen, doch es war anders. Hier lagen Liebe und Zuneigung in der Luft, nicht bloßes Pflichtbewusstsein.
Der Vormittag schritt voran und der Vater belud seinen Karren, um erneut in die Stadt zu fahren. Einige der Kinder fragten laut, ob sie mitdürften, doch der Vater verbot es. Sie alle mussten der Mutter helfen.
Mit jeder Minute, die verstrich, wurde Amicia nervöser. Ihre Zeit lief langsam ab und noch immer hatte der Vater sich nicht in Gefahr begeben. Sie war sich fast sicher, dass sein Tod keinen natürlichen Ursprung hatte, denn ansonsten hätte man sie nicht hierhergeschickt.
Der Mann besaß keinen Esel und so musste er seinen Karren selbst ziehen. Langsam schlenderte Amicia neben ihm her, dabei fuhr sie mit den Fingern über die am Straßenrand wachsenden Mohnblumen.
In der Ferne konnte man eine andere Straße erkennen, auf der eine Gruppe Männer unterwegs war. Der Vater konnte sie kaum sehen, doch Amicia brauchte nur einen Blick, um zu erkennen, was das für Typen waren. Diebe und Verbrecher, die auf der Suche nach ihrem nächsten Opfer waren.
Ihr Herz zog sich zusammen. So würde es also geschehen. Auf offener Straße von Dieben getötet, weil diese das Geld und die Lebensmittel auf seinem Wagen wollten. Doch das würde Amicia nicht zulassen.
Sie konnte sich dem Vater nicht zeigen. Dann würden ihre Vorgesetzten sofort wissen, dass sie etwas getan hatte. Also musste sie ihn auf andere Art aufhalten.
Auf der Erde war sie nicht sichtbar und hatte auch keinen Körper. Sie war nicht mehr als ein Schatten, der zwar sehen und hören, aber nicht sprechen oder fühlen konnte. Wenn sie wirklich mit der Umwelt in Kontakt treten wollte, dann würde dies all ihre Energie brauchen. Danach musste sie sich eine ruhige Stelle suchen, um wieder zu Kräften zu kommen.
Doch das war Amicia egal, sie musste den Vater retten. Vor ihm lag noch ein langes, glückliches Leben mit seiner Familie, wenn sie nur das Richtige tat. Mit all ihrer Macht konzentrierte sie sich auf das sowieso schon wackelige Holzrad.
Es dauerte einige Zeit und die Räuber kamen immer näher, doch endlich brach es und der Karren krachte mit einem lauten Knall auf den Boden. Fluchend fuhr der Vater herum und betrachtete das Chaos vor sich.
Die Welt schien auf einmal ganz weit weg. Sosehr sie sich auch bemühte, sie konnte nichts mehr hören. Sie war nicht länger Teil dieser Welt, nicht mehr als ein sanfter Windhauch. Mit letzter Kraft schleppte sie sich neben die Straße und brach zwischen den Mohnblumen zusammen. Als Letztes bekam sie mit, wie der Vater sich umdrehte und zurück zu seinem Haus ging, weit weg von den Räubern.
Sie hatte Lucifer an ihren Erinnerungen teilhaben lassen, und Tränen brannten in Amicias Augen. Sie musste einen Moment mit ihrer Geschichte aufhören. Die Erinnerungen waren immer noch so klar in ihrem Kopf, als wäre es erst ein paar Stunden her und nicht mehrere Jahrhunderte.
Bisher hatte Lucifer ihr nur schweigend zugehört, in seinem Gesicht hatte sich keine einzelne Regung gezeigt. »Deshalb haben sie dich fallen lassen, weil du ein Leben gerettet hast?«
Mit geschlossenen Augen schüttelte sie den Kopf. »Ich habe kein Leben gerettet, ich habe vierzehn Menschen zum Tode verurteilt.«
Fragend hob Lucifer die Augenbraue.
»Es hat lange gedauert, mehrere Tage, vielleicht sogar Wochen – ich weiß es nicht mehr –, bis ich meine Kräfte soweit wieder zusammenhatte, um wieder in den Himmel aufzusteigen«, flüsterte sie leise. »Doch zuvor wollte ich noch einmal nach der Familie sehen und meine gute Tat selbst miterleben. Am späten Nachmittag kam ich auf den Hof, ich erinnere mich noch ganz genau an die warme Sonne auf meiner Haut und die unnatürliche Stille, die über allem lag.«
Sie schluckte schwer. Die Bilder hatten sich in ihren Verstand gebrannt, klar wie eine Fotografie. »Der Vater war an jenem Tag zu seiner Familie zurückgekehrt, sein Leben hatte er nicht an die Räuber verloren. Doch er hatte seinen Wagen repariert, war in die Stadt gegangen und hatte seiner Familie ein grauenvolles Geschenk mitgebracht, das sie alle das Leben kostete.«
»Die Pest«, wisperte Lucifer.
»Innerhalb weniger Tage hatten sie sich alle angesteckt. Als ich zurück zum Hof kam, waren die Eltern und die meisten der Kinder bereits tot. Eines der Mädchen hatte sich nach draußen geschleppt, vielleicht hatte sie Hilfe holen wollen. Sie musste sich in den Sonnenschein gelegt haben, um ihren letzten Atemzug zu tun.«
Bei dieser Erinnerung zog sich alles in ihr zusammen. Damals war sie neben dem armen Mädchen, das kaum sieben Jahre alt gewesen war, auf die Knie gegangen. Vor Entsetzen völlig hilflos hatte Amicia auf sie hinabgeblickt – in die leeren, toten Augen.
Erschrocken zuckte sie zusammen, als Lucifer ihr die Hände um das Gesicht legte und sie zwang ihn anzusehen. »Das tut mir unendlich leid, Amicia. Aber das war nicht deine Schuld. Diese Familie hätte schon lange vorher erkrankt sein können.«
Traurig schüttelte sie den Kopf und schmiegte sich in seine Berührung. »Das habe ich am Anfang auch gedacht. Ich bin in den Himmel zurückgekehrt, voller Angst, was nun mit mir geschehen würde. Man hat bereits auf mich gewartet. Sowohl Michaela als auch Gabriel. Sie wussten, was ich getan hatte. Wäre der Vater von den Räubern getötet worden, dann hätte die ganze Familie überlebt. Er muss sich erst später, nach dem Unfall mit dem Wagen angesteckt haben.«
Heiße Tränen liefen über ihre kalte Haut. Sosehr Amicia es auch wollte, sie konnte diese nicht zurückhalten. Dieser Moment, in dem sie erfahren hatte, dass sie Schuld am Tod dieser Menschen trug, zerriss ihr immer noch das Herz.
Behutsam strich Lucifer ihr die Tränen von den Wangen. Sein Gesicht war verschlossen und dunkel, doch in seinen Augen brannte ein tiefes Feuer.
»Schau mich bitte nicht so an!« Schon bereute Amicia es, sich ihm so geöffnet zu haben. Sie wollte den Ausdruck der Verachtung nicht auch in ihm finden, den ihr schon so viele andere geschenkt hatten.
Mit einem Ruck löste sie sich von ihm und trat einen Schritt nach hinten. Eine Gänsehaut hatte sich auf ihrem ganzen Körper ausgebreitet, sie fühlte sich müde und ausgelaugt.
»Wie schaue ich dich an?«, fragte Lucifer lauernd. »So, als wärst du eine riesige Enttäuschung? Ein schlechter Mensch? Eine Peinlichkeit, die man loswerden muss? Ich kenne diesen Blick nur zu gut. Mir haben sie ihn auch zugeworfen, als ich damals meine Meinung gesagt hatte.« Mit großen Schritten kam er auf sie zu und umfasste erneut ihr Gesicht. »Genau diesen Blick hatte ich damals verdient, aber du nicht. Was du getan hast, war kein Verbrechen, es war ein Zeichen deines guten Herzens. Was sie getan haben, ist enttäuschend.«
Seine Worte überraschten sie und brannten sich in ihren Verstand ein. »Ich wollte niemals etwas Falsches tun«, murmelte sie mehr zu sich selbst. »Ich war ein guter Soldat des Himmels.«
»Du warst mehr als das«, murmelte er sanft. »Ein guter Soldat führt Befehle aus, ohne sie zu hinterfragen. Wie eine dumme Drohne, kaum in der Lage, einen klaren Gedanken zu fassen. Du warst besser, hast ihr grausames Spiel durchschaut und dich gegen sie gestellt.«
»Aber ich wollte es nicht.« Ihre Stimme brach. »Alles, was ich wollte, war ein Teil des Himmels zu sein und dort alles richtig zu machen. Meine Entscheidung war falsch, sie hat Leben gekostet.«
»Ich habe schon von Engeln gehört, wegen denen Hunderte gestorben sind. Deren Versagen das Antlitz der Erde für immer verändert hat, doch keiner von ihnen wurde aus dem Himmel verbannt. Du hast keinen Fehler begangen, sondern sie.«
Seine Worte waren wie Balsam für ihre Seele und bestätigten den Hass, den sie schon immer gefühlt hatte. Vielleicht hatte Amicia damals einen schlimmen Fehler begangen, aber für sie war ihre Bestrafung immer übertrieben gewesen.
»Danke.« Sie streckte die Hände aus und legte sie auf Lucifers Brust. »Aber ich will das Vergangene in der Vergangenheit lassen. Jetzt noch darüber nachzudenken, bringt mir nichts.« Vor allem, da sie schon bald in den Himmel zurückkehren würde.
»Dann lass mich auch noch einmal Danke sagen.« Mit dem Daumen strich er über ihre Unterlippe und sofort durchzuckte ein Blitz ihren Körper. »Heute Abend hast du mir wieder ganz klar bewiesen, dass ich dir vertrauen kann.«
Schnell verdrängte Amicia ihr schlechtes Gewissen und alles andere und konzentrierte sich ganz auf seine Berührungen. »Auch ohne meine Hilfe hast du dein Reich heute Nacht zurückerobert. Niemand wird sich mehr mit dir anlegen.«
»Zumindest für ein paar Jahrhunderte. Dämonen neigen dazu, ihre Lektion niemals zu erlernen.« Immer noch strich sein Daumen sanft über ihre Haut und ließ sie erbeben.
»Wie wird es jetzt weitergehen?«, fragte sie atemlos und mit heftig pochendem Herzen.
»Alles geht wieder seinen gewohnten Weg. Nur darf ich mich erneut auf die Suche nach ein paar entflohenen Seelen machen.«
»Falls du dabei Hilfe brauchst, sag mir Bescheid.«
»Vielleicht komme ich darauf zurück. Aber jetzt würde ich sehr gern etwas anderes tun.« Besitzergreifend legten sich seine großen Hände um ihr Gesicht.
»Ach ja?«, fragte Amicia mit trockener Kehle. Sie drängte sich näher an ihn heran, bis sich ihr Körper an seinen drückte. »Wonach steht dir denn der Sinn?«
»Weniger reden«, knurrte er. Mit einem Ruck zog er sie zu sich heran und küsste sie endlich. Das sanfte Kribbeln in ihrem Körper wurde zu einer Feuersbrunst, die sie komplett verschluckte.
Es brannte jeden klaren Gedanken, jede Erinnerung, jeden Zweifel aus ihrem Kopf und ließ sie nur mit dem Verlangen zurück, welches sie nun schon so lange unterdrückt hatte. Dies war ihre letzte Nacht außerhalb des Himmels, danach würde ihr Leben neu beginnen, also hielt sie nichts mehr zurück.
Nervös fuhren ihre Finger über seinen Körper und lösten die Knöpfe seines Hemdes. Endlich spürte sie seine heiße, glatte Haut unter ihren Fingerspitzen und sie stöhnte leise auf.
Ohne groß darauf zu achten, ob sie den Stoff zerriss, zerrte Amicia ihm das Hemd über die Schulter. Für einen Moment musste Lucifer die Hände von ihrem Gesicht lösen, doch sofort kehrten sie zu ihrem Körper zurück.
Seine rechte Hand vergrub sich in ihrem Haar, während seine linke behutsam an ihrer Seite hinunterwanderte und eine Gänsehaut hinterließ. Sie wollte sich nicht von ihm lösen, doch sie konnte dem Anblick seines nackten Oberkörpers nicht widerstehen.
Atemlos trat sie einen Schritt nach hinten und betrachtete den Höllenfürsten. Die Erzählungen über ihn stimmten, er war ein körperlich perfektes Wesen, doch was sie viel mehr faszinierte und erregte, war das, was darunterlag.
Etwas zögerlich streckte sie die Hand aus und legte sie behutsam auf die Feder, die sich direkt über seinem Herzen befand. Schweigend und mit brennendem Blick beobachtete Lucifer sie dabei.
Langsam schritt sie um ihn herum, bis sie direkt hinter ihm stand. Ihr Herz pochte heftig in der Brust, als sie mit den Händen über seine breiten Muskeln fuhr, bis sie an den wulstigen Narben angekommen war. Ein winziger Fehler in seiner ganzen Perfektion.
Sie schlang die Arme um ihn, ihre Hände strichen über seine Bauchmuskeln, während sie die Narben mit ihren Lippen entlangfuhr. Ein Schauer durchlief seinen Körper, ein leises Stöhnen entfuhr ihm.
Blindlings fummelte sie an der Schnalle seines Gürtels herum, bis sie endlich seine Hose öffnen konnte. Immer noch schmiegte sie ihr Gesicht an seinen starken Rücken, während ihre Finger unter seinen Hosenbund schlüpften.
Gerade als sie sich weiter vortasten wollte, umschloss Lucifer ihr Handgelenk mit festem Griff. Mit einem Ruck zog er ihren Arm hoch und wirbelte zu ihr herum. Atemlos blickte sie zu ihm auf und wartete, wie es nun weitergehen würde.
Sein brennender Blick bohrte sich in ihren. Wo er ihr Handgelenk umschlossen hielt, kribbelte ihre Haut. Einige Augenblicke schaute sie atemlos zu ihm hoch.
Ein schelmisches Grinsen umspielte seine Lippen, als er mit einer einzigen Bewegung seine Hose auszog und nun nackt vor ihr stand. Der letzte klare Gedanke wich aus ihrem Kopf und sie wimmerte leise auf.
Mit geschmeidigen Bewegungen kam er auf sie zu und schob Amicia rückwärts bis zum Bett. Erschrocken keuchte sie auf, als sie die Matratze in ihren Kniekehlen spürte und sich etwas unelegant darauf fallen ließ.
Für einen Moment thronte Lucifer über ihr und blickte mit lustverschleiertem Blick auf sie herab. Dann ging er vor ihr auf die Knie und stützte beide Hände neben ihr ab, sein Gesicht war jetzt genau auf der Höhe mit ihrem.
Etwas zögerlich beugte sie sich vor und hauchte ihm einen Kuss auf die Lippen. Immer noch loderte das Feuer in ihrem Inneren, doch war es jetzt ein sanftes Knistern, das sie antrieb.
Erneut begaben sich ihre Hände auf Wanderschaft und Lucifer spiegelte ihre Berührungen. Ihre Finger wanderten seine Arme hoch und über die Brust, strichen behutsam an seiner Seite entlang. Sie nahm sich Zeit, seinen Körper zu erkunden, während er genau das Gleiche tat.
Amicia bemerkte kaum, wie er den Reißverschluss ihres Kleides mit geschickten Fingern öffnete und ihr sanft die Träger von den Schultern schob. Darunter trug sie keinen BH und die kühle Luft traf auf ihre heiße Haut.
Seine Lippen lösten sich von ihrem Mund und wanderten über ihren Kiefer ihren Hals hinunter. Stöhnend ließ sie sich nach hinten sinken und spürte die weichen Laken auf ihrer nackten Haut.
Mit bedächtigen Bewegungen zog Lucifer den Stoff ihres Kleides weiter nach unten, während er mit der anderen Hand die Messerscheide an ihrem Oberschenkel löste. Seine sanften Berührungen machten sie unruhig, nichts wünschte sie sich mehr, als seine Hände überall auf sich zu spüren.
Seine Küsse wanderten weiter über ihre Schulter und Brüste bis zu ihrem nackten Bauch. Sofort zogen sich dort ihre Muskeln zusammen und sie drängte sich ihm entgegen. Leise lachte Lucifer, ein tiefer Ton, der ihr durch Mark und Bein ging.
In einer Bewegung zog er ihr das Kleid und die Unterwäsche aus. Ihre Schuhe standen immer noch im Ballsaal, endlich war sie völlig nackt und nichts trennte sie mehr voneinander.
Doch während Amicia bereits der Verzweiflung nah war, so stark hatte ihre Lust sie im Griff, ließ Lucifer sich weiterhin Zeit. Bedächtig strich er mit den Fingerspitzen über ihre nackte Haut, malte ungleichmäßige Symbole auf ihren Bauch und ihre Brüste.
»Lässt du dir immer so viel Zeit?«, fragte Amicia frustriert zwischen einem lauten Stöhnen.
Seine Antwort bestand aus einem rauen Lachen, während er weiterhin die Muster zeichnete. Nichts schien ihn aus der Ruhe zu bringen, nicht ihr unruhiges Herumgezappel und auch nicht ihre schwachen Versuche, ihn zu einem erneuten Kuss zu sich hinunterzuziehen.
»Du bist so ungeduldig«, brummte er leise und drückte sie zurück in die Kissen. »Wir beide haben alle Zeit der Welt.«
»Das ist mir egal«, brummte sie und setzte sich auf. »Ich verbrenne hier langsam und du hilfst da nicht sonderlich.«
Sein Blick verschleierte sich noch mehr und endlich schien der Damm gebrochen zu sein. Mit einem tiefen Knurren stürzte er sich auf sie und küsste sie hungrig. Ihre Hände wanderten über seinen Körper, kratzen über seinen Rücken und krallten sich in seine Schultern.
Nur am Rande bekam sie mit, dass er sie weiter aufs Bett schob, bis sie vollständig auf den weichen Decken zu liegen kam. Die Feder um seinen Hals strich hauchzart über ihre Haut, als er ihre Arme über ihrem Kopf hinunterdrückte.
Atemlos und voller Erwartung blickte sie zu ihm auf. Ihre Hände öffneten und schlossen sich immer wieder, als er sich langsam auf sie hinabsenkte.
Ein lautes Stöhnen entfuhr ihr, als seine Härte ihren Oberschenkel streifte. Sie wölbte den Rücken und drängte sich ihm entgegen.
Lucifer verschloss ihren Mund mit einem Kuss, als er sich endlich in ihr versenkte. Sie nahm nichts weiter war als seinen Körper über ihrem. Es dauerte einen Moment, bis sie sich an seine Größe gewöhnt hatte, dann bewegte Amicia sich ruhelos unter ihm.
Endlich ließ er ihre Handgelenke los und sie schlang die Arme um seinen Hals, während er sich bedächtig in ihr bewegte. Ihr ganzer Körper stand unter Strom, sie konnte kaum mit den Gefühlen umgehen, die sie wie eine Welle überschwemmten.
Ihre Fingernägel kratzten über seine Haut. Sie klammerte sich an ihn, während das Feuer durch ihre Adern raste.
Sie war nicht länger in der Lage, überhaupt zu denken. Amicia konnte nur noch fühlen. Seine Haut auf ihrer, seine sanften Küsse, der feste Druck in ihrem Inneren.
Nach Halt suchend krallte sie sich in seinen Rücken. Die Welt geriet aus den Fugen, als ihre Seele in tausend kleine Stücke zersprang.
Schwer atmend und mit geschlossenen Augen lag sie da, während die Glückseligkeit durch ihre Adern rauschte.
Lucifer stöhnte leise in ihr Ohr. Ihren Namen und Komplimente, die Amicia noch nie von jemandem gehört hatte. Sein Körper versteifte sich über ihrem, ein lautes Knurren entfuhr ihm, dann erstarrte er und blickte anbetungsvoll auf sie hinab.
Amicia konnte ihren Körper nicht mehr spüren. Jeder Muskel war entspannt und in ihrem Kopf herrschte eine beruhigende Stille. Lucifer hauchte ihr Küsse auf die Wangen und die Stirn.
Irgendwann rollte er von ihr hinunter und zog sie an seine Brust. Mit geschlossenen Augen lag Amicia da, unter ihrer Wange konnte sie sein Herz gleichmäßig klopfen hören. Es kam ihr vor, als würde sie auf Wolken schweben.
Für einen Moment war ihr alles egal, der Morgenstern, ihre Vergangenheit, die Menschen, Himmel und Hölle und alles, was dazwischenlag. Jetzt zählten nur noch das Hier und Jetzt. Nur noch Lucifers Berührungen und seine sanften Küsse.