Als sich das 18. Jahrhundert seinem Ende zuneigte, hatte Beethoven, der nun Mitte zwanzig war und auf einer Erfolgswelle schwamm, eine erschreckende Entdeckung gemacht. Fast zwei Jahre lang behielt er dies für sich, obwohl es Änderungen in seinem Verhalten mit sich brachte, die seine Freunde verblüfft haben müssen. Das erste Mal enthüllte er dieses Geheimnis in einem Brief an einen Freund in Bonn, Franz Wegeler – zufällig ein Arzt:
Nur hat der neidische Dämon, meine schlimme Gesundheit, mir einen schlechten Stein ins Brett geworfen nämlich: mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden, […] meine Ohren, die sausen und Brausen Tag und Nacht fort; ich kann sagen, ich bringe mein Leben elend zu; seit zwei Jahren fast meide ich alle Gesellschaften, weils mir nun nicht möglich ist, den Leuten zu sagen: ich bin taub. Hätte ich irgend ein andres Fach, so gings noch eher; aber in meinem Fach ist das ein schrecklicher Zustand.
Schrecklich genug, um eine Reihe ähnlich betroffener Musiker in den Wahnsinn zu treiben: Smetana, der Vertreter einer späteren Komponistengeneration, war ein besonders berühmter Fall.
Beethoven im Alter von 28 Jahren, von Josef Kreihuber, 1865
Wie sehr Beethoven auch versucht haben mag, seine Taubheit zu kaschieren, es war nur eine Frage der Zeit, bis es jedermann auffallen würde. Ferdinand Ries, ein Schüler und enger Freund, der ein erfolgreicher Komponist werden sollte, erinnerte sich mit entsetzlicher Eindringlichkeit an den Tag, als er es erstmals bemerkte:
Er lebte viel auf dem Lande, wohin ich dann öfter kam, um eine Lection zu erhalten. Zuweilen sagte er dann, Morgens um 8 Uhr nach dem Frühstück: „Wir wollen erst ein wenig spazieren gehen.“ Wir gingen, kamen aber mehrmals erst um 3–4 Uhr zurück, nachdem wir auf irgend einem Dorfe etwas gegessen hatten. Auf einer dieser Wanderungen gab Beethoven mir den ersten auffallenden Beweis der Abnahme seines Gehörs, von der mir schon Stephan von Breuning gesprochen hatte. Ich machte ihn nämlich auf einen Hirten aufmerksam, der auf einer Flöte, aus Fliederholz geschnitten, im Walde recht artig blies. Beethoven konnte eine halbe Stunde hindurch gar nichts hören, und wurde, obschon ich ihm wiederholt versicherte, auch ich höre nichts mehr (was indeß nicht der Fall war), außerordentlich still und finster. […] während all dieser Zeit hatte Beethoven vor sich hin gesummt und gebrummt, immer auf und ab, ohne genaue Noten zu singen. Seine Antwort auf meine Frage, womit er sich beschäftigte, war: „Ein Thema für den letzten Satz der Sonate [in f-Moll, Op. 57] ist mir eingefallen.“ Als wir das Zimmer betraten, rannte Beethoven zum Klavier, ohne den Hut abzunehmen. Ich setzte mich in eine Ecke, und er vergaß mich bald ganz. Nun stürmte er für mindestens eine Stunde mit dem schönen Finale (auf dem Klavier) herum. Endlich stand er auf, war überrascht, mich noch zu sehen und sagte: „Ich kann Ihnen heute keine Stunde geben, ich muss noch mehr arbeiten.“
Beinahe als wäre es von oben vorherbestimmt, erlebte Beethoven zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen großen Aufschwung als Komponist. Im Vergleich hierzu wirken die Erfolge des vorausgegangenen Jahrzehnts wenig mehr als eine ruhmreiche Einführung. 1800 wurden die finanziellen Ängste durch eine jährliche Rentenzahlung des Fürsten Lichnowsky von ihm genommen, bei dem er damals wohnte. Im Frühling jenes Jahres gab er ein überaus erfolgreiches Konzert mit eigenen Werken, darunter eines, das brillante Septett Es-Dur, Op. 20, das, nach Beethovens Auffassung, so unverhältnismäßig berühmt wurde, dass er bedauerte, es geschrieben zu haben. Trotz des Verkaufs seiner Kompositionen und der großzügigen Lebensrente durch Fürst Lichnowsky widmete Beethoven einen Teil seiner Zeit dem Unterrichten. Ungefähr zur gleichen Zeit wurde der zehnjährige Carl Czerny für ein Vorspiel zu ihm gebracht:
Fürst Karl Lichnowsky
An einem Wintertage wanderten mein Vater […] und ich […] in die Stadt, in den sogenannten tiefen Graben – eine Straße – stiegen turmhoch bis in den 5. oder 6. Stock, wo uns ein ziemlich unsauber aussehender Bedienter beim Beethoven meldete und dann einließ. Ein sehr wüst aussehendes Zimmer, überall Papiere und Kleidungsstücke verstreut, einige Koffer, kahle Wände, kaum ein Stuhl, ausgenommen der wackelnde beim Walterschen Fortepiano, damals die besten, und in diesem Zimmer eine Gesellschaft von 6 bis 8 Personen, worunter die beiden Gebrüder Wranitzky, Süßmeyer, Schuppanzigh und einer von Beethovens Brüdern war. Beethoven selber war in eine Jacke von langhaarigem dunkelgrauen Zeuge und gleichen Beinkleidern gekleidet, so daß er mich gleich an die Abbildung des Campeschen Robinson Crusoe erinnerte, den ich damals eben las. Das pechschwarze Haar sträubte sich zottig um seinen Kopf. Der seit einigen Tagen nicht rasierte Bart schwärzte den unteren Teil seines Gesichts. Auch bemerkte ich sogleich […], daß er in beiden Ohren Baumwolle hatte, welche in eine gelbe Flüssigkeit getaucht schien. Doch war damals an ihm nicht die geringste Harthörigkeit bemerkbar. […] Seine Hände waren sehr mit Haaren bewachsen und die Finger, besonders an den Spitzen, sehr breit. Die Zufriedenheit, die er äußerte, machte mir Mut, hierauf die eben erschienene Sonate Pathétique […] vorzutragen […]. Als ich vollendet hatte, wendete sich Beethoven zu meinem Vater und sagte: „Der Knabe hat Talent, ich selber will ihn unterrichten und nehme ihn als meinen Schüler an.“
Die „Pathétique“-Sonate war in gewisser Weise das revolutionärste Werk, das Beethoven bis dahin geschrieben hatte – ausreichend, um die konservativeren der zahlreichen Wiener Klavierlehrer zu beunruhigen, die ihre Schüler davor warnten. Für viele ihrer fortgeschrittenen Schüler war dies andererseits das aufregendste Klavierstück, das je komponiert wurde. Unter ihnen befand sich Ignaz Moscheles, später ein hervorragender Komponist und einer der führenden Pianisten seiner Zeit:
Um diese Zeit hörte ich von einigen Mitschülern, in Wien sei ein junger Komponist aufgetreten, welcher das sonderbarste Zeug von der Welt schreibe, so daß es niemand weder spielen noch verstehen könne; eine barocke, mit allen Regeln in Widerspruch stehende Musik; und dieser Komponist heiße Beethoven. Als ich mich nun wieder zu der Leihbibliothek verfügte, um meine Neugierde nach dem excentrischen Genie, welches diesen Namen führte, zu befriedigen, fand ich Beethovens Sonate pathéthique. Das war im Jahre 1804. Da mein Taschengeld zur Anschaffung derselben nicht ausreichte, so schrieb ich sie heimlich ab. Die Neuheit ihres Stiles war für mich so anziehend, und ich faßte eine so enthusiastische Bewunderung zu derselben, daß ich mich selbst so weit vergaß, meinen neuen Erwerb meinem Lehrer gegenüber zu erwähnen. Dieser erinnerte mich an seine Vorschrift und warnte mich davor, excentrische Productionen zu spielen oder zu studiren, ehe ich meinen Stil auf Grund soliderer Muster ausgebildet hatte. Ohne jedoch seine Vorschrift zu berücksichtigen, legte ich Beethovens Werke der Reihe nach, wie sie erschienen, auf das Klavier und fand in denselben einen Trost und ein Vergnügen, wie es mir kein anderer Komponist gewährte.
An dieser Stelle seines Lebens gibt es eine interessante Diskrepanz zwischen Beethovens zukunftsweisenden Kompositionen und seiner Unterrichtsweise, die überraschend konservativ war. Seine Bedingung für den Unterricht Czernys war, dass der Junge C. P. E. Bachs Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen mitbringen solle, das fast zwanzig Jahre vor Beethovens Geburt veröffentlicht wurde. Beethoven hatte nur wenig Zeit für die meisten im Folgenden geschriebenen Abhandlungen und beabsichtigte viele Jahre lang, selbst eine zu verfassen. Klavierspieler können nur bedauern, dass er nie dazu kam. Ihr Ausbleiben macht die Erinnerungen seiner Schüler umso spannender. Kehren wir zu Czerny zurück:
In den ersten Lektionen beschäftigte mich Beethoven ausschließend nur mit den Skalen in allen Tonarten, zeigte mir die (damals den meisten Spielern noch unbekannte) einzig richtige Haltung der Hände, der Finger und vorzüglich den Gebrauch des Daumens, Regeln, deren Nutzen ich erst in weit späterer Zeit im vollen Umfange einsehen lernte. Hierauf ging er mit mir die zu diesem Lehrbuch gehörigen Übungsstücke durch und machte mich vorzüglich auf das Legato aufmerksam, das er selber in einer so unübertrefflichen Art in seiner Macht hatte, und das zu jener Zeit alle andern Pianisten auf dem Fortepiano für unausführbar hielten, indem damals (noch von Mozarts Zeit her) das gehackte und kurz abgestoßene Spiel Mode war. Auch hat mir in späteren Jahren Beethoven erzählt, daß er Mozart mehrmal spielen gehört und daß dieser, da zu seiner Zeit die Erfindung des Fortepiano noch in ihrer Kindheit war, sich auf den damals mehr gebräuchlichen Flügeln [Cembali] ein Spiel angewohnt hatte, welches keineswegs für die Fortepiano paßte. Auch hatte ich in der Folge die Bekanntschaft mehrerer Personen gemacht, welche bei Mozart Unterricht genommen, und fand in ihrer Spielweise diese Bemerkung bestätigt.
Das ist rätselhaft, weil es in erheblichem Widerspruch zu Mozarts eigenen Worten steht, nach dem das Klavierspiel „fortfließen“ soll „wie Oel“.
Czerny fährt fort: „Auch mit meinem Avista-Spielen war er zufrieden, als er mit das Manuskript der C-Dur-Sonate op. 53 zu spielen gab. Von dieser Zeit blieb mir Beethoven gewogen und behandelte mich freundschaftlich bis an seine letzten Tage.“ Beethovens eigenes Blattspiel war jedoch, wie Czerny berichtet, von ganz anderer Größenordnung:
Es war erstaunlich, wie schnell er Kompositionen (selbst Manuskripte und große Partituren) durchsah und wie gut er sie spielte. In dieser Hinsicht konnte ihm keiner gleichkommen. Seine Wiedergabe war immer klar, aber scharf und hart, auch die der Werke großer Meister. Er spielte Händels Oratorien und Glucks Werke wunderbar und errang damit viel Beifall, ebenso die Fugen Sebastian Bachs.
Eine andere Schülerin Beethovens dieser Zeit, die Gräfin Giulietta Guicciardi, hinterließ einen gegensätzlichen Eindruck seiner Herangehensweise, irritierenderweise in der dritten Person geschrieben, wie es damals Mode war:
Er ließ sie seine Sachen spielen, wobei er unendlich streng war, bis in den geringsten Kleinigkeiten der richtige Vortrag erreicht war; er hielt auf leichtes Spiel. Er war leicht heftig, warf die Noten hin, zerriß sie. Er nahm keine Bezahlung, obgleich er sehr arm war, [aber] Wäsche unter dem Vorwand, daß die Gräfin sie genäht. Er unterrichtete so auch die Gräfin Odescalchi, die Baronin Ertmann; man ging zu ihm oder er kam. Er spielte seine Sachen nicht gerne selbst, phantasierte nur; beim geringsten Geräusch [von seinen Zuhörern] stand er auf und ging fort.
Ein dritter Schüler aus dieser Phase war Ferdinand Ries, ein Mitemigrant aus Bonn. In seinen wertvollen Erinnerungen, die er viele Jahre später schrieb, bestätigt er, dass Beethoven keine zwei Personen auf dieselbe Weise unterrichtete. Während kein Schüler Beethovens Zorn ganz entkommen konnte, wurde Ries nie wie die Gräfin mit Wutausbrüchen überhäuft:
Wenn Beethoven mir Lection gab, war er, ich möchte sagen, gegen seine Natur, auffallend geduldig. Ich wußte dieses, sowie sein nur selten unterbrochenes freundschaftliches Benehmen gegen mich größtentheils seiner Anhänglichkeit und Liebe für meinen Vater zuzuschreiben. So ließ er mich manchmal eine Sache zehnmal, ja noch öfter, wiederholen. In den Variationen in F-dur, der Fürstin Odescalchi gewidmet (Opus 34), habe ich die letzten Adagio-Variationen siebenzehnmal fast ganz wiederholen müssen; er war mit dem Ausdrucke in der kleinen Cadenze immer noch nicht zufrieden, obschon ich glaubte, sie eben so gut zu spielen, wie er. Ich erhielt an diesem Tage beinahe zwei volle Stunden Unterricht. Wenn ich in einer Passage etwas verfehlte, oder Noten und Sprünge, die er öfter recht herausgehoben haben wollte, falsch anschlug, sagte er selten etwas; allein, wenn ich am Ausdrucke, an Crescendo’s u.s.w. oder am Character des Stückes etwas mangeln ließ, wurde er aufgebracht, weil, wie er sagte, das Erstere Zufall, das Andere Mangel an Kenntnis, an Gefühl, oder an Achtsamkeit sei. Ersteres geschah auch ihm gar häufig, sogar wenn er öffentlich spielte.
Beethovens öffentliche Darbietungen waren seinerzeit aufschlussreich, gaben aber bisher keinen Hinweis auf die Schädigung seines Hörvermögens. Anton Schindler erinnerte sich an ein bestimmtes Beispiel:
Was namentlich die Sonate pathetique unter Beethoven’s Händen wurde (obgleich er am reinen Spiel manches zu wünschen übrig liess), das musste man gehört und wieder gehört haben, um sich genau orientiren zu können, dass es dasselbe, schon bekannte Werk sei. Ueberhaupt wurde Alles und Jedes, von seiner Hand vorgetragen, zu einer neuen Schöpfung, wobei sein stets gebundenes Spiel wesentlich mitwirkte, das zu seinen besonderen Eigenheiten im Vortrage gehörte.
Von der Krise, die ihn verschlingen sollte, gab es in seinem Schaffen keinen Hinweis. Sein Gehör ausgenommen, war 1800 ein gutes Jahr für Beethoven: Er vollendete die erste Sinfonie und die sechs Quartette, Op. 18, komponierte die Klaviersonate B-Dur, Op. 22, und die Sonate für Horn und Klavier (ein sofortiger Erfolg) und begann mit dem dritten Klavierkonzert sowie der Ballettmusik Die Geschöpfe des Prometheus.
War der Ertrag an Beethovens Werken im Jahre 1800 beeindruckend, erscheint er im Vergleich mit seinen Leistungen 1801 fast gering. Er verzeichnete mit Die Geschöpfe des Prometheus seinen bis dahin größten Erfolg, er komponierte zwei seiner bedeutendsten Violinsonaten, Op. 23 und 24 (die berühmte „Frühlingssonate“), das Streichquintett C-Dur, Op. 29, und vier seiner bahnbrechenden Klaviersonaten, darunter Op. 26 mit dem Trauermarsch, Op. 28 „Pastorale“ (einige Zeit sein eigener Favorit unter den Klavierwerken), und die sogenannte „Mondscheinsonate“1. Dies stand auch in Zusammenhang mit der Tatsache, dass er verliebt war. Im Herbst schrieb er an einen Freund:
Etwas angenehmer lebe ich jetzt wieder, indem ich mich unter Menschen gemacht. Du kannst es kaum glauben, wie öde, wie traurig ich mein Leben seit zwei Jahren zugebracht: wie ein Gespenst ist mir mein schwaches Gehör überall erschienen, und ich flohe die Menschen […]. Diese Veränderung hat ein liebes, zauberisches Mädchen hervorgebracht, die mich liebt und die ich liebe. Es sind seit zwei Jahren wieder einige selige Augenblicke, und es ist das erstemal, daß ich fühle, daß Heiraten glücklich machen könnte. Leider ist sie nicht von meinem Stande, und jetzt könnte ich nun freilich nicht heiraten: ich muß mich nun noch wacker herumtummeln.
Das „liebe, zauberische Mädchen“ war keine andere als die schöne 17-jährige Gräfin Giulietta Guicciardi, die wir bereits als seine Schülerin kennengelernt haben.
Beethoven war des Öfteren verliebt, aber nahezu ausnahmslos in Frauen, die für ihn unerreichbar waren, sei es aufgrund der Klassenzugehörigkeit, des Alters oder aus dem einfachen Grund, dass sie bereits verheiratet waren. Wir haben keinen Beweis dafür, dass Giulietta ebenfalls in Beethoven verliebt war; aber mehr als zwanzig Jahre später kommt er auf das Thema zurück, noch eindringlicher als zuvor. „Ich wurde von ihr sehr geliebt“, schrieb er, „mehr als jemals ihr Ehemann (J’etois bien aime d’elle et plus que jamais son epous).“ Vielleicht – obwohl ihre Beschreibung von ihm als „sehr häßlich, aber edel, feinfühlend, gebildet … meist ärmlich gekleidet“ nicht gerade eine überzeugende Bestätigung der Behauptung ist. Auf jeden Fall war sie es, der er die „Mondscheinsonate“ widmete. Sie ist wahrscheinlich die berühmteste Sonate, die je komponiert wurde, zum Teil auch wegen der relativ leichten Spielbarkeit ihres bewegenden ersten Satzes.
Seine rasche Produktion von Meisterwerken lässt vermuten, dass Beethovens Rückkehr in die Gesellschaft, angespornt durch seine Liebe zu Giulietta und was er für ihre Liebe zu ihm hielt, wie ein belebendes Stärkungsmittel wirkte. Als Komponist hatte er eine Glückssträhne, und er jubelte:
Meine Jugend – ja, ich fühle es, sie fängt jetzt erst an. […] Meine körperliche Kraft, sie nimmt seit einiger Zeit mehr als jemals zu und so meine Geisteskräfte. Jeden Tag gelange ich mehr zu dem Ziel, was ich fühle, aber nicht beschreiben kann. […] Nur halbe Befreiung von meinem Übel, und dann, als vollendeter, reifer Mann komme ich zu euch […]. So glücklich, als es mir hienieden beschieden ist, sollt ihr mich sehen […].
1802 hielt die Glückssträhne an. Es entstanden die drei Sonaten Op. 30 für Violine und Klavier, die drei Klaviersonaten, Op. 31 (einschließlich „Der Sturm“), die „Eroica“-Variationen, Op. 35, die sechs Variationen F-Dur, Op. 34, der erste Satz Bagatellen für Klavier und die ausgelassene Sinfonie Nr. 2 D-Dur – ganz klar das Werk eines überbordenden Genies voller Lebensfreude. Nehmen wir jedoch die Zeugnisse seiner Freunde und seine eigenen Aufzeichnungen desselben Jahres, bekommen wir einen ganz anderen Eindruck.
Unter den Papieren, die nach Beethovens Tod in seinem Hause gefunden wurden, ist ein merkwürdiges Dokument, geschrieben im Oktober 1802 an seine Brüder Carl und Johann. Es ist seitdem als „Heiligenstädter Testament“ bekannt, da Beethoven zu dieser Zeit im Wiener Vorort Heiligenstadt wohnte. Der ungemein lange Brief, der im Grunde einem letzten Willen gleichkommt, ist in vielerlei Hinsicht das aufschlussreichste und beunruhigendste Schriftstück, das er je schrieb. Daher ist es hier in seiner Gänze abgedruckt. Seine Fremdartigkeit offenbart sich bereits in der Überschrift, wo Beethoven einen Leerraum statt Johanns Namen lässt. Dies kann kein Versehen sein, da er noch zweimal so verfährt:
für meine Brüder Carl und … Beethowen O ihr Menschen die ihr mich für Feindseelig störisch oder Misantropisch haltet oder erkläret, wie unrecht thut ihr mir, ihr wißt nicht die geheime ursache von dem, was euch so scheinet, mein Herz und mein Sinn waren von Kindheit an für das zarte Gefühl des Wohlwollens, selbst große Handlungen zu verrichten dazu war ich immer aufgelegt, aber bedenket nur daß seit 6 Jahren ein heilloser Zustand mich befallen, durch unvernünftige Ärzte verschlimmert, von Jahr zu Jahr in der Hofnung gebessert zu werden, betrogen, endlich zu dem überblick eines daurenden Übels (dessen Heilung vieleicht Jahre dauren oder gar unmöglich ist) gezwungen, mit einem feurigen Lebhaften Temperamente gebohren selbst empfänglich für die Zerstreuungen der Gesellschaft, muste ich früh mich absondern, einsam mein Leben zubringen, wollte ich auch zuweilen mich einmal über alles das hinaussezen, o wie hart wurde ich dur[ch] die verdoppelte traurige Erfahrung meines schlechten Gehör’s dann zurückgestoßen, und doch war’s mir noch nicht möglich den Menschen zu sagen: sprecht lauter, schreyt, denn ich bin Taub, ach wie wär es möglich daß ich die Schwäche eines Sinnes angeben sollte, der bey mir in einem Vollkommenern Grade als bey andern seyn sollte, einen Sinn denn ich einst in der grösten Vollkommenheit besaß, in einer Vollkommenheit, wie ihn wenige von meinem Fache gewiß haben noch gehabt haben – o ich kann es nicht, drum verzeiht, wenn ihr mich da zurückweichen sehen werdet, wo ich mich gerne unter euch mischte, doppelt Wehe thut mir mein unglück, indem ich dabey verkannt werden muß, für mich darf Erholung in Menschlicher Gesellschaft, feinere unterredungen, Wechselseitige Ergießungen nicht statt haben, ganz allein fast nur so viel als es die höchste Nothwendigkeit fodert, darf ich mich in Gesellschaft einlassen, wie ein Verbannter muß ich leben, nahe ich mich einer Gesellschaft, so überfällt mich eine heiße Ängstlichkeit, indem ich befürchte in Gefahr gesezt zu werden, meine[n] Zustand merken zu laßen – so war es denn auch dieses halbe Jahr, was ich auf dem Lande zubrachte, von meinem Vernünftigen Arzte aufgefodert, so viel als möglich mein Gehör zu schonen, kamm er fast meiner jezigen natürlichen Disposizion entgegen, obschon, Vom Triebe zur Gesellschaft manchmal hingerissen, ich mich dazu verleiten ließ, aber welche Demüthigung wenn jemand neben mir stund und von weitem eine Flöte hörte und ich nichts hörte, oder jemand den Hirten Singen hörte, und ich auch nichts hörte, solche Ereignisse brachten mich nahe an Verzweiflung, es fehlte wenig, und ich endigte selbst mein Leben – nur sie die Kunst, sie hielt mich zurück, ach es dünkte mir unmöglich, die Welt eher zu verlassen, bis ich das alles hervorgebracht, wozu ich mich aufgelegt fühlte, und so fristete ich dieses elende Leben – wahrhaft elend, einen so reizbaren Körper, daß eine etwas schnelle Verändrung mich aus dem Besten Zustande in den schlechtesten versezen kann – Geduld – so heist es, Sie muß ich nun zur führerin wählen, ich habe es – daurend hoffe ich, soll mein Entschluß seyn, auszuharren, bis es den unerbittlichen Parzen gefällt, den Faden zu brechen, vieleicht geht’s besser, vieleicht nicht, ich bin gefaßt – schon in meinem 28 Jahre gezwungen Philosoph zu werden, es ist nicht leicht, für den Künstler schwere[r] als für irgend jemand – Gottheit du siehst herab auf mein inneres, du kennst es, du weist, dasß menschenliebe und neigung zum Wohlthun drin Hausen, o Menschen, wenn ihr einst dieses leset, so denkt, daß ihr mir unrecht gethan, und der unglückliche, er tröste sich, einen seines gleichen zu finden, der troz allen Hindernissen der Natur, doch noch alles gethan, was in seinem Vermögen stand, um in die Reihe würdiger Künstler und Menschen aufgenommen zu werden – ihr meine Brüder Carl und, sobald ich Tod bin und Professor schmid lebt noch, so bittet ihn in meinem Namen, daß er meine Krankheit beschreibe, und dieses hier geschriebene Blatt füget ihr dieser meiner Krankengeschichte bey, damit wenigstens so viel als möglich die Welt nach meinem Tode mit mir versöhnt werde – zugleich erkläre ich euch beyde hier für die Erben des kleinen Vermögens, (wenn man es so nennen kann) von mir, theilt es redlich, und vertragt und helft euch einander, was ihr mir zuwider gethan, das wist ihr, war euch schon längst verziehen, dir Bruder Carl danke ich noch in’s besondre für deine in dieser leztern spätern Zeit mir bewiesene Anhänglichkeit, Mein Wunsch ist, daß euch ein bessers sorgenloseres Leben, als mir, werde, emphelt euren Kindern Tugend, sie nur allein kann glücklich machen, nicht Geld, ich spreche aus Erfahrung, sie war es, die mich selbst im Elende gehoben, ihr Danke ich nebst meiner Kunst, daß ich durch keinen selbstmord mein Leben endigte – lebt wohl und liebt euch; – allen Freunden danke ich, besonders fürst Lichnovski und P[r]ofessor schmidt – die Instrumente von fürst L.[ichnowsky] wünsche ich, daß sie doch mögen aufbewahrt werden bey einem von euch, doch entstehe deswegen kein Streit unter euch, sobald sie euch aber zu was nüzlicherm dienen können, so verkauft sie nur, wie froh bin ich, wenn ich auch noch unter meinem Grabe euch nüzen kann – so wär’s geschehen – mit freuden eil ich dem Tode entgegen – kömmt er früher als ich Gelegenheit gehabt habe, noch alle meine Kunst-Fähigkeiten zu entfalten, so wird er mir troz meinem Harten Schicksaal doch noch zu frühe kommen, und ich würde ihn wohl später wünschen – doch auch dann bin ich zufrieden, befreyt er mich nicht von einem endlosen Leidenden Zustande? – Komm, wann du willst, ich gehe dir muthig entgegen – lebt wohl und Vergeßt mich nicht ganz im Tode, ich habe es um euch verdient, indem ich in meinem Leben oft an euch gedacht, euch glücklich zu machen, seyd es – Ludwig van Beethowen Heiglnstadt [sic] am 6ten october 1802
Beethovens Haus in Heiligenstadt
Zwei Tage später fügt er ein Postskriptum hinzu:
für meine Brüder Carl und nach meinem Tode zu lesen und zu vollziehen –
Heiglnstadt am 10ten oktober 1802 – so nehme ich den Abschied von dir – und zwar traurig – ja dir geliebte Hofnung – die ich mit hieher nahm, wenigstens bis zu einem gewissen Punkte geheilet zu seyn – sie muß mich nun gänzlich verlassen, wie die blätter des Herbstes herabfallen, gewelkt sind, so ist – auch sie für mich dürr geworden, fast wie ich hieher kamm – gehe ich fort – selbst der Hohe Muth – der mich oft in den Schönen Sommertägen beseelte – er ist verschwunden – o Vorsehung – laß einmal einen reinen Tag der Freude mir erscheinen – so lange schon ist der wahren Freude inniger widerhall mir fremd – o wann – o Wann o Gottheit – kann ich im Tempel der Natur und der Menschen ihn wider fühlen – Nie? – nein – o es wäre zu hart
Der unmittelbare Grund für diese verzweifelten Worte war offensichtlich der Verlust seines Hörvermögens. Und obwohl niemand die Echtheit seines Leidens anzweifeln kann, sollte erwähnt werden, wenn auch nur aus historischer Genauigkeit, dass Beethovens Taubheit bis auf seine letzten wenigen Jahre nicht so vollständig war, wie die Nachwelt glaubte. Nichtsdestoweniger war es eine grausame und zutiefst erschütternde Krankheit, und es gibt Beweise, nicht nur im „Heiligenstädter Testament“, sondern in Bezeugungen seiner Freunde, dass sie ihn durchaus an den Rand des Selbstmords getrieben haben könnte. Einige behaupten, er habe es tatsächlich versucht, aber die Belege sind dünn gesät.
Was man auch über das „Heiligenstädter Testament“ denkt, Beethoven durchlebte eine Krise gewaltigen Ausmaßes.
Wenngleich die frühen Quartette für Klavier und Streichtrio reizvoll sind, waren Beethovens erste bedeutende Kammermusikwerke die drei Klaviertrios, Op. 1 (Klavier, Violine und Cello). Schon beim offiziellen Beginn seiner Komponistenkarriere zeigte er sich als Könner, der neben seinem Lehrer Haydn bestehen konnte. Abgesehen von ihrer Meisterschaft sind sie jedoch beachtenswert für ihre Befreiung des Cellos, das in Haydns Trios nur selten mehr war als die Verdopplung der linken Hand des Klavierparts. Ebenso bedeutsam ist Beethovens Übernahme der ausgedehnten viersätzigen Anlage, die normalerweise in Zusammenhang mit der klassischen Sinfonie steht – ein Modell für alle folgenden Trios bis auf eines. Das letzte der Trios aus Op. 1, in c-Moll, ist bemerkenswert, da es das gefühlvollste und dramatischste Klaviertrio ist, das bis heute komponiert wurde (Haydn fand es angeblich regelrecht beunruhigend).
Unter den späteren Trios verdienen zwei besondere Erwähnung. Op. 70 Nr. 1 D-Dur ist ein wunderbares Werk, dessen überraschender, gespenstischer langsamer Satz möglicherweise der langsamste langsame Satz überhaupt ist. Stimmung und Aufbau sind einzigartig, die Originalität atemberaubend, und seine düsteren Emotionen spuken noch lange nach dem Verklingen im Kopf herum. Nicht umsonst ist dieses Werk weithin als „Geistertrio“ bekannt. Daraus folgt nicht, dass letzte Werke auch die besten sind, aber im Falle von Beethovens letztem Klaviertrio, dem sogenannten „Erzherzog-Trio“, Op. 97, gibt es keine Zweifel. In seiner ununterbrochenen Inspiration, Meisterschaft der Form und geistigen Tiefe bleibt es unübertroffen.
Die ersten der Duosonaten Beethovens, die beiden wunderbaren Cellosonaten, Op. 5, sind gleichsam historisch wichtig wie künstlerisch bestechend. Über ihren Eigenwert hinaus sind sie die ersten Werke ihrer Art. Haydn und Mozart schrieben hervorragende Cellopartien in ihren Streichquartetten, aber keine Sonaten für das Instrument. Die einzigen (fernen) Vorläufer bedeutender Komponisten waren die drei Sonaten von Bach für Viola da gamba und Cembalo. Von Beethovens restlichen Cellosonaten war Op. 69, A-Dur, immer die beliebteste unter Cellisten und Zuhörern gleichermaßen, vor allem wegen ihres weitläufigen, heiterlyrischen Kopfsatzes. Die meisten Musiker würden jedoch zustimmen, dass die bedeutendsten die beiden letzten Sonaten sind, Op. 102. Diese sind strenger und intellektueller als Op. 69 und legen ihr Augenmerk auf enges Kontrapunktgewebe; beide erfordern außergewöhnliche Konzentration vom Hörer, vor allem die zweite, D-Dur, der etwas von derselben schroffen Welt innewohnt wie in der „Hammerklaviersonate“ für Klavier.
Die größte Gruppe der Beethoven’schen Duosonaten bilden die zehn Violinsonaten. Obwohl das Klavier Beethovens Hauptinstrument war, war er zugleich auch ein fähiger Violinist. In jeder Sonate erkundet er die Möglichkeiten der Geige auf verschiedene Wege, und jede ist eine sich entwickelnde Studie der Beziehung zwischen Violine und Klavier. Sogar wenn er der Geige scheinbar einfache Begleitfiguren zuteilt, begleiten sie nicht bloß, sondern bereichern die musikalische Harmonie. Beethoven setzt die Violine manchmal als eine Art Alternative zur linken Hand des Pianisten ein (wie im langsamen Satz der Es-Dur-Sonate, Op. 12 Nr. 3), was äußerst sensibles Zuhören beider Spieler erfordert. An anderen Stellen (z.B. in der dritten Variation der D-Dur-Sonate, Op. 12 Nr. 1) erweitert er den Charakter der Violine, indem er von ihr fordert, der Unruhe und dem perkussiven rhythmischen Profil des Klaviers gleichzukommen. Beethovens zuweilen explosiver gefühlsbetonter Realismus machte ihn zum ersten bedeutenden Komponisten, der wiederholt ein Element des Kampfes, sogar bis zur Rauheit, als Ausdrucksmittel heranzog. Es gibt bei Beethoven Momente, in denen schönes Spiel geradezu unmusikalisch sein kann. Die Violinsonaten zeigen dieselbe Art Verlauf, weg von Erwartung und Tradition wie in den Sinfonien, Quartetten und Klaviersonaten. Man kann zu Recht sagen, dass Beethoven die Violine zu einem „größeren“ Instrument machte, als man sich vorher hätte vorstellen können, am berühmtesten in der „Kreutzersonate“, Op. 47. Hier sind Drama, Virtuosität und Intellekt untrennbar miteinander verbunden und erlangen ein Niveau, das in diesem Genre niemals zuvor erreicht wurde. Wie eigentlich jedem Genre, das er berührte, verlieh er der Violinsonate eine beispiellose emotionale und dramatische Vielfalt.
Die meisten Kammermusikwerke Beethovens, die Blasinstrumente mit einbeziehen, datieren aus seinen Bonner und frühen Wiener Jahren. Diejenigen, die das Phänomen der Dauerbeschallung (in Restaurants, Fahrstühlen, Einkaufszentren usw.) beklagen, sollten sich damit trösten, dass diese Idee nicht erst gestern geboren wurde. Hintergrundmusik ist so alt wie die Musik selbst. Auf der Höhe der Barockzeit schrieben Komponisten häufig Musik, die dafür bestimmt war, dabei zu sprechen, servieren, einzuschenken – alles außer zuhören, und oftmals unter freiem Himmel aufgeführt wurde. Ein Großteil der Musik von Georg Philipp Telemann war „Tafelmusik“ benannt. Musik für ähnliche Anlässe wurde von Haydn und Mozart komponiert, die ihre Kompetenzen regelmäßig überschritten. Beethoven schuf ebensolche Werke als Hofmusiker des Kurfürsten Maximilian Franz in Bonn, dessen „Haushalt“ eine kleine Blaskapelle aus zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Hörnern und zwei Fagotten umfasste. Für ein derartiges Ensemble schrieb Beethoven 1792 sein Oktett Es-Dur, irreführenderweise markiert als Op. 103, und das Rondino Es-Dur, WoO 25 („WoO“ bedeutet Werk ohne Opuszahl). Für Musik, die im Freien gespielt werden sollte, waren Blasinstrumente mit ihrem durchdringenden Klang und ihrer Klangfarbenvielfalt gegenüber den weicheren und homogeneren Streichern zu bevorzugen. Das Oktett ist besonders darauf maßgeschneidert, es mit den Elementen und lauten Banketten aufzunehmen, in auffallendem Unterschied zu Beethovens späterer Umarbeitung des Werkes als Streichquintett. Ungestüme tutti (ganzes Ensemble) und zahlreiche fortissimo-Angaben vereinigen sich mit zarteren Sätzen und schaffen eine musikalische Unterhaltung hohen Ranges. Beethoven hält seine Spieler bei Laune, indem er sie ihr Können demonstrieren lässt, wie bei der Oboe im langsamen Satz, der Klarinette im Finale und der Hornfanfare am Schluss. Andere unterhaltsame Werke dieser Zeit umfassen das Sextett Es-Dur, Op. 71 für je zwei Klarinetten, Oboen, Hörner und Fagotte, und das sogar noch bessere Sextett Es-Dur, Op. 81b (eine weitere irreführende hohe Opuszahl) für zwei Hörner und Streichquartett.
Wie vielleicht auffällt, scheint Beethoven in seinen Zwanzigern der Tonart Es-Dur sehr zugetan gewesen zu sein, vor allem in der Kammermusik. Außer in den bereits besprochenen Werken finden wir diese Tonart in drei Klaviertrios (davon eines bestehend aus einem einzigen Satz), einem Streichtrio, einem Adagio für Klavier und Mandoline (!), einer Violinsonate, einem Duett für Viola und Cello, dem Quintett für Klavier und Blasinstrumente, Op. 16, der großartigen Klaviersonate, Op. 7, und im Septett, Op. 20. Von diesen heben sich besonders die letzten drei ab (für Erläuterungen zu Op. 7 siehe Zwischenspiel I). Das Quintett für Klavier und Blasinstrumente scheint sich direkt an Mozarts KV 452 zu orientieren, das ebenfalls in Es-Dur steht und das Mozart als sein bislang bestes Werk betrachtete. Beethovens Werk spielt nach allgemeiner Meinung nicht in dieser Klasse; aber es ist dennoch eine ausgezeichnete Komposition und eines seiner beliebtesten Kammermusikwerke. Interessanterweise arrangierte Beethoven es kurz nach der Fertigstellung als Quartett für Klavier und Streicher. Leider wird dies selten aufgeführt. Einige sind der Meinung, dass die Streichinstrumente mit ihrer Klanghomogenität weniger für die lange, dialogartige Einleitung geeignet sind als die ursprünglichen Bläser und dass das Fehlen besonders des Horns im „Jagd“-Finale ein fast vernichtendes Manko ist.
Sollte man ein Werk als Beethovens Nummer-eins-Hit der Kammermusik auswählen, müsste es das Septett Es-Dur für Violine, Viola, Cello, Kontrabass, Klarinette, Horn und Fagott sein. Seit seiner Komposition 1799 war es ein stürmischer Erfolg, erhebt aber keinen Anspruch darauf, ein tiefgründiges Werk zu sein. Es ist aber eines der schier entzückendsten Kammermusikwerke überhaupt; und es zeigt schon früh Beethovens Genie für die Kombination kontrastierender Klangfarben in einer Weise, die nicht nur natürlich scheint, sondern unvermeidlich. Man erahnt das Ausmaß seiner Bedeutung seinerzeit an der Tatsache, dass Schubert von einem vermögenden Amateur-Klarinettisten, Graf Ferdinand Troyer, beauftragt wurde, ein Werk zu schreiben, das Beethovens Septett so ähnlich wie möglich ist. Das Ergebnis war eine großartige Komposition, das Oktett F-Dur, das, obwohl die Instrumentierung ähnlich ist (außer der zusätzlichen Violine), durch und durch Schubert ist. Wie Rachmaninows Präludium cis-Moll wurde das Septett so populär, dass sein Komponist manchmal den Tag bereute, als er es schrieb. Nichtsdestoweniger bildet es den Höhepunkt seiner Kammermusikwerke mit Blasinstrumenten. Die Wegnahme einer zweiten Geige zugunsten eines Kontrabasses war ein Geniestreich, der eine feste Klangbasis für das Gewebe aus Streichern, Holz- und Blechbläsern darüber bildet. Beethoven war sich des Potenzials des Werks für Amateur-Aufführungen bewusst und vermied hier die virtuosen Instrumentalsoli, die sich in vielen der früheren Kammermusikwerke finden. Bedeutend ist zudem seine Übernahme einer lockeren, divertimentohaften Folge von sechs Sätzen.
Mit der Komposition des Septetts nimmt Beethovens offenkundige Fixierung auf die Tonart Es-Dur ein Ende, genauso sein Einsatz von Bläserensembles in Kammermusikwerken. Das ist kein Zufall. Die Wahl von Es-Dur für fast eine Handvoll seiner Werke für Blasinstrumente war strategisch. Aus Intonationsgründen, auf die hier wegen der Komplexität nicht näher eingegangen werden kann, war Es-Dur bei Weitem die beste Tonart, um alle seine verschiedenen Bläserbesetzungen zusammenzubringen, sowohl innerhalb der Instrumentenfamilie als auch in Kombination mit Streichern oder Klavier.
Ab 1800 beschränkte sich Beethovens Verwendung von Bläsern in seinen Kammermusikwerken auf ein einziges Instrument, mit einer Ausnahme (ein Adagio für drei Hörner im Jahr 1815). Zwei Werke verdienen besondere Erwähnung. Eines ist die Sonate für Horn und Klavier, Op. 17; das andere ist die wunderbare Serenade D-Dur, Op. 25 für die ungewöhnliche Kombination aus Flöte, Violine und Viola. Dieses Stück, im Grunde ein sechssätziges Divertimento, ist abwechselnd kompakt und ausgedehnt und zeigt Beethoven äußerst einfallsreich, sowohl im Aufbau als auch strukturell und instrumental. Angesichts des liebevollen und idiomatischen Flötenparts scheint es überraschend, dass er das Instrument so sparsam in seiner gesamten Musik einsetzte. Gelegentlich gönnt er hier der Flöte eine Pause und führt allein die Streicher fort, er erlaubt der Bratsche zuweilen, sich hoch über die Violine aufzuschwingen, oder er nutzt Doppelgriffe, um den flüchtigen Eindruck eines Streichquartetts zu erwecken. Wie bereits erwähnt, war Beethoven in diesem Lebensabschnitt mehr als glücklich und verwöhnte seine Spieler: Beobachten Sie hier die virtuosen Möglichkeiten eines jeden im strahlenden Finale. Die beiden Variationssätze über Volksweisen für Klavier mit Flöte oder Violine ad libitum aus 1818–19 sind im Grunde nicht für Blasinstrumente und wenig mehr als Kuriositäten. Andere sind zwei Werke, die um 1795 entstanden, für zwei Oboen und Englischhorn (ein Instrument, das er nie wieder verwendete, trotz seiner offensichtlichen Vorliebe für die Oboe in seiner Orchestermusik), ein Quintett (wieder in Es-Dur) für Oboe, drei Hörner und Fagott sowie, die merkwürdigsten von allen, vier Werke für Klavier und Mandoline. Die eindringlichsten und umfangreichsten von Beethovens instrumentalen Sonderbarkeiten sind die drei Equali für vier Posaunen, 1812 komponiert. Zwei von ihnen wurden denkwürdigerweise bei seinem Begräbnis in einem Arrangement für Stimmen aufgeführt.
1 Nicht von Beethoven selbst so genannt. Der Beiname stammt aus der Bemerkung des Dichters und Kritikers Ludwig Rellstab, der sich beim Hören des ersten Satzes an den Vierwaldstättersee im Mondlicht erinnert fühlte.