KAPITEL 4

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Die unsterbliche Geliebte

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Die unsterbliche Geliebte

Zur Zeit seines „Marathon“-Konzerts 1808 war Beethoven, noch nicht ganz 40, wahrscheinlich der beliebteste und sicherlich der bekannteste Komponist der Welt. Aber kein Revolutionär wird allseits geliebt. Vielen Konservativen galt Beethoven als Monster, eine mutwillig zerstörerische Bedrohung für die edlen Traditionen von Mozart und Haydn. Ihre Anmaßung konnte atemraubend sein. Nehmen wir den berühmten Dramatiker August von Kotzebue, der in der Wiener Zeitschrift Die Freimütige schrieb:

Alle parteilosen Musikkenner und Musikfreunde waren darüber vollkommen einig, dass so etwas Unzusammenhängendes, Grelles, Verworrenes, das Ohr Empörendes schlechterdings noch nie in der Musik geschrieben worden. Die schneidendsten Modulationen folgen aufeinander in wirklich grässlicher Harmonie und einige kleinliche Ideen vollenden den unangenehmen betäubenden Eindruck.

Das „Beethovenfieber“, wie Moscheles es nannte, fegte quer über das Habsburgerreich, vor allem in der jüngeren Generation. Kein ernsthafter Komponist genoss bessere Verkäufe, kein vergleichsweise so junger Komponist tauchte so regelmäßig in Konzertprogrammen auf. Doch scheinen ihn finanzielle Sorgen und Furcht vor seiner unmittelbaren Zukunft aufgefressen zu haben. „Manchmal“, schrieb er einem Freund, „möchte ich bald toll werden über meinen unverdienten Ruhm, das Glück sucht mich und ich fürchte mich fast deswegen vor einem neuen Unglück.“ Aber es gab keines, wenigstens noch nicht.

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Fürst Lobkowitz (1772–1816), einer der großzügigen Mäzene Beethovens

1809 wurden seine finanziellen Sorgen beigelegt, als Erzherzog Rudolph zusammen mit den Fürsten Kinsky und Lobkowitz für ihn eine auskömmliche Rente aussetzten, um ihn in Wien zu halten. Beethoven war jedoch typischerweise bereit, einem geschenkten Gaul ins Maul zu schauen und zu feilschen, indem er auf einer Reihe eigener Bedingungen bestand, ohne die er das Angebot nicht annehmen würde. Letzten Endes zog er die meisten zurück, sein Stolz war zufriedengestellt, und das endgültige Dokument wurde am 1. März ausgestellt und unterzeichnet:

VERTRAG

Die täglichen Beweise welche Herr Ludwig van Beethoven von seinen ausserordentlichen Talente[n] und Genie, als Tonkünstler und Compositeur giebt, erregen den Wunsch, daß er die grösten Erwartungen übertreffe, wozu man durch die bisher gemachte Erfahrung berechtiget ist. Da es aber erwiesen ist, daß nur ein so viel [als] möglich sorgenfreyer Mensch, sich einem Fache allein widmen könne, und diese, vor allen übrigen Beschäftigungen ausschlüssliche Verwendung, allein im Stande sei, grosse, erhabene, und die Kunst veredelnde Werke zu erzeugen; so haben Unterzeichnete den Entschluß gefaßt, Herrn Ludwig van Beethoven in den Stand zu setzen, daß die nothwendigsten Bedürfnüsse ihn in keine Verlegenheit bringen und sein kraftvolles Genie dämmen sollen. Demnach verbinden sie sich ihm die bestimmte Summe von 4000f jährlich auszuzahlen und zwar:

Se. Kais. Hoheit der Erzherzog Rudolph

Fl. 1500

Der Hochgebohrne Fürst Lobkowitz

Fl. 700

Der Hochgebohrne Fürst Ferdinand von Kinsky

Fl. 1800

zusammen

Fl. 4000

welche Herr Ludwig van Beethoven in halbjährigen Raten bei jeden dieser hohen Theilnehmern nach Maasgabe des Betrags gegen Quittung erheben kann. Auch sind Unterfertigte diesen Jahrgehalt zu erfolgen erböthig bis Herr Ludwig van Beethoven durch eine Anstellung, eine der Summe gleiches Aequivalent erhalten würde. Sollte diese Anstellung unterbleiben, und Herr Ludwig van Beethoven durch einen unglücklichen Zufall, oder Alter verhindert seyn seine Kunst auszuüben, so bewilligen ihm die Herrn Theilnehmer diesen Gehalt auf Lebenslang. Dafür aber verbürgt sich Herr Ludwig van Beethoven, seinen Aufenthalt in Wien wo die hohen Fertiger dieser Urkunde [sich] befinden, oder einer andern in deren Erbländern Sr oesterreichisch kaiserlichen Majestät liegenden Stadt zu bestimmen, und diesen Aufenthalt nur auf Fristen zu verlassen, welche Geschäfte, oder der Kunst Vorschub leistende Ursachen veranlassen können, wovon aber die Herren Contribuenten verständiget, und mit selben einverstanden seyn müsten. So gegeben Wien den 1 März 1809.

(L. S.) Rudolph, Erzherzog.
(L. S.) Fürst von Lobkowitz, Herzog von Raudnitz.
(L. S.) Ferdinand Fürst Kinsky.

Bezeichnenderweise war jeder der Unterzeichner jünger als Beethoven. Mit 35 Jahren war Lobkowitz der älteste, Kinsky und Rudolph waren 27 bzw. 21 Jahre alt. Bedeutsam ist dies aufgrund Beethovens besonderer Anziehungskraft auf die Jugend. Gewiss bekam niemand einen besseren Gegenwert für sein Geld als Rudolph, der offensichtlich ein außergewöhnlicher Pianist war. Er sollte schließlich der Widmungsträger nicht nur des berühmten Erzherzog-Trios, Op. 97, sondern auch des wunderbaren Es-Dur-Klavierkonzerts sein, im englischsprachigen Raum unter dem Titel „Emperor“ bekannt (ironisch, im Hinblick auf die „Eroica“-Episode), der „Lebewohl“-Sonate („Les Adieux“), Op. 81a, der „Hammerklaviersonate“, Op. 106, und der Missa solemnis.

Beethoven gilt allgemeinhin als universellster aller Komponisten. Durch die Kraft seiner Vision und die Stärke seiner Persönlichkeit scheint seine Musik Gefühlsbereiche erschlossen zu haben, die Zuhörer auf der ganzen Welt als der gesamten Menschheit gemeinsam erkannt haben. Die Größe seiner Musik liegt jenseits aller analytischen Erklärung, aber sie kann umfassend durch das Zeugnis von Zuhörern aus allen Gesellschaftschichten über zwei Jahrhunderte belegt werden. Unter anderem ist es Musik von herausragender Intensität. Unter den vielen Dingen, die Beethovens Musik einzigartig machen, ist ihre außergewöhnliche Fähigkeit, Mut einzuflößen. Mehr als das: Sie hat viele Menschen dazu gebracht, auf höchster Ebene ein Gemeinschaftsgefühl zu erleben, das über die einfachen Annehmlichkeiten in Gesellschaft hinausgeht.

Auch muss man nichts über sein Leben und die Umstände wissen, um dies zu fühlen. Auf äußerst mysteriöse Weise fühlen wir durch sein Beispiel, dass wir uns der Wirklichkeit ohne Furcht stellen können. Das Schlüsselwort ist hier natürlich „fühlen“. Wir verlieren nicht wirklich unsere Ängste, nicht mehr als er. Furcht ist immerhin ebenso sehr Teil des Lebens wie Leiden und die Fähigkeit, Freude zu empfinden, was Beethoven beides im Überfluss hatte. Was bei Beethoven so einzigartig lebensbejahend ist, ist seine Reaktion auf Furcht und nicht sein Mangel daran. Eng damit verbunden und gleichermaßen wichtig ist seine Haltung gegenüber dem Leiden.

Nach den Maßstäben unserer modernen Industriegesellschaften mit ihrem eingebauten Materialismus waren Beethovens Ansichten eindeutig altmodisch. Heute, vielleicht vor allem im Westen, gibt es eine weitverbreitete Tendenz, Leiden als unerwünschte und unter Umständen heilbare Manifestation des Daseins zu sehen. Für Beethoven war es weder unerwünscht noch vermeidbar. Es war eine Tatsache und seine sich ändernde Einstellung ihr gegenüber, von der Kindheit bis zum Tode, bildet das zentrale Drama seines Lebens und, im weiteren Sinne, seiner Musik. In der Kindheit und späteren Hör-Krise war seine erste Reaktion, sich zurückzuziehen. Es war aber nie ein bloßes Zurückziehen davon. Es war ein Rückzug in eine Welt der Vorstellungskraft und Fantasie, in der er ungestört umherstreifen konnte und wo er über Kontrolle verfügte. In diesem Sinne war es überhaupt kein Rückzug, sondern ein Eintritt in Ressourcen und Gebiete des Geistes, die dem Rest von uns meist verschlossen bleiben. Er flüchtete in die Musik.

Was sexuelle oder romantische Liebe betrifft (oder eher deren Verhinderung oder Entziehung), stürzte er sich gewöhnlich in unermüdliche harte Arbeit. Die Reaktion auf seine beeinträchtigende Taubheit war komplizierter. Sein unmittelbarer Instinkt war, wie im Heiligenstädter Testament gezeigt, in eine Art gequälter Einsamkeit zurückzuweichen.

Wie traurig ich nun leben muss, alles, was mir lieb und teuer ist, meiden […]. Meine schönsten Jahre werden dahinfliegen, ohne alles das zu wirken, was mir mein Talent und meine Kraft geheißen hätten.

In diesem ersten Stadium finden wir etwas, was der Scham sehr ähnelt. Er offenbart seine Notlage nur zwei Freunden, beide weit entfernt von Wien, und erlegt ihnen Verschwiegenheit auf: „Die Sache meines Gehörs bitte ich Dich als ein großes Geheimnis aufzubewahren und niemand, wer es auch sei, anzuvertrauen.“ Aber Rückzug war nie wirklich seine Sache. Die erste unverkennbar positive Reaktion war, wie vielleicht vorherzusehen, Trotz. „Ich will dem Schicksal in den Rachen greifen“, erklärte er – und er tat es. In der berühmten fünften Sinfonie hört man das Fatum, um Schindlers (nicht Beethovens) Symbolik zu verwenden, drohend an die Tür pochen. Sobald es über die Schwelle tritt, erlebt es die Niederlage seines Lebens; die Sinfonie endet mit einer fantastischen, freudigen Feier des Triumphs über das Missgeschick.

Der Heldenmut von Beethovens Erwiderung ist unendlich spannend, aber das Fatum – oder die Unvermeidlichkeit des Leidens, wie man es auch immer nennen mag – ist ein zu elementarer Gegner, um mit ihm fertig zu werden, sogar durch Beethovens einst geliebte „Moral der Kraft“. Das war nicht genug, um sich dagegen aufzulehnen, so heroisch es auch war. Rebellion konnte weder die Tatsachen ändern, noch konnte sie unbegrenzt aufrechterhalten werden. Wie bei den meisten Konflikten lag die Lösung darin, sich zu arrangieren, was normalerweise Zeit erforderte und ein Maß an Widerspruch mit sich brachte. „Ich habe schon oft den schöpfer und mein daseyn verflucht“, schrieb Beethoven 1801, „Plutarch hat mich zu der Resignation geführt, […] resignation: welches elende Zufluchtsmittel, und mir bleibt es doch das einzige übrige.“ Später wurde die Resignation durch etwas weniger Passives ersetzt, etwas, das einen Willensakt verlangte, auch wenn das gewünschte Ziel immer noch eine Form des Rückzugs war. Aber nach einigen der merkwürdig unzusammenhängenden Einträge seines Tagebuchs zu urteilen, war sein Geist immer noch etwas durcheinander:

Ergebenheit, innigste Ergebenheit in dein Schicksal, nur diese kann dir die Opfer – – – zu dem Dienstgeschäft geben – o harter Kampf! – Alles anwenden, was noch zu thun ist, um das Nöthige zu der weiten Reise zu entwerfen – alles mußt du finden, was dein seligster Wunsch gewährt, so mußt du es doch abtrotzen – absolut die stete Gesinnung beobachten. […] – o Gott! gib mir Kraft, mich zu besiegen.

Was er nun verstand und was man mit überwältigender Klarheit hören kann, wenn man seine Musik studiert, ist, dass Leiden nichts Äußerliches ist, sondern ein wesentlicher Teil der menschlichen Erfahrung. Bevor er es überwinden konnte, war es für Beethoven notwendig, es zu akzeptieren, es sogar anzunehmen als Teil seiner eigenen Ganzheit. Die organische Einheit seiner großartigsten Musik – ihre psychologische und emotionale Einheit – wird von Menschen weltweit instinktiv wahrgenommen, Menschen, die nichts über Sonatensatzform oder Tonartbeziehungen oder die Geschichte des Scherzos wissen. Ihre Botschaft, ob von Beethoven beabsichtigt oder nicht, ist eine Botschaft der Hoffnung und des siegreichen Glaubens an die Macht der menschlichen Zähigkeit.

Neben seiner voranschreitenden Taubheit und seinen chronischen Unterleibsbeschwerden, die oft sehr schmerzhaft waren, hatte Beethoven weiterhin kein Glück in der Liebe. 1810, nach der Zurückweisung durch zwei Gräfinnen, mit denen er vielleicht eine Affäre hatte oder nicht, wurde sein Heiratsantrag an die junge Nichte seines Arztes abgelehnt. Therese Malfatti war gerade einmal 18 Jahre alt, und der Gedanke, mit diesem dunklen, unfeinen kleinen Mann (der in einigen Kreisen als halb verrückt galt) verheiratet zu sein, war ihr eindeutig zuwider, Genie oder nicht. Dies leuchtet ein. Wie Anton Schindler klar macht, erweckte Beethovens Äußeres zu diesem Zeitpunkt ein wenig Abneigung:

Beethoven dürfte schwerlich über 5 Fuß 4 Zoll Wiener Maass gemessen haben. Sein Körper war gedrängt, von starkem Knochenbau und kräftiger Musculatur; sein Kopf ungewöhnlich gross, mit langem, struppigem, fast ganz grauem Haare bewachsen, das nicht selten vernachlässigt um seinen Kopf hing, und ihm ein etwas verwildertes Aussehen gab, wenn noch dazu sein Bart eine übermässige Länge erreicht hatte, was sehr oft der Fall war. Seine Stirn war hoch und breit; sein braunes Auge klein, das sich beim Lachen beinahe ganz in den Kopf versteckte; dagegen trat es plötzlich in ungewöhnlicher Grösse hervor, rollte entweder blitzend herum, den Stern fast immer nach oben gewandt, oder es bewegte sich gar nicht, stier vor sich hin blickend, sobald sich irgend eine Idee seiner bemächtigte. Damit erhielt aber sein ganzes Aeussere eben so plötzlich eine auffallende Veränderung, ein sichtbar begeistertes und imponirendes Ansehen, so zwar, dass sich diese kleine Gestalt eben so riesenmässig vor einem emporhob, wie sein Geist. Diese Momente der plötzlichen Begeisterung überraschten ihn öfters in der heitersten Gesellschaft, aber auch auf der Strasse, und erregten gewöhnlich die gespannteste Aufmerksamkeit aller Vorübergehenden. […] Sein Mund war gut geformt und ebenmässig die Lippen (in jüngeren Jahren soll die Unterlippe etwas hervorgetreten seyn). Die Nase etwas breit. Sein Lächeln verbreitete über das ganze Gesicht etwas überaus Gütiges und Liebreiches, das in der Conversation mit Fremden besonders wohl that, indem es sie aufmunterte; dagegen war sein Lachen oft übermässig schallend und verzerrte das geistreiche und stark markirte Gesicht; der grosse Kopf schwoll auf, das Gesicht wurde noch breiter, und das Ganze glich nicht selten einer grinsenden Fratze.

In den Nachwehen seiner Zurückweisung durch Therese Malfatti stürzte sich Beethoven, wie gewöhnlich in solchen Situationen, in konzentrierte, harte Arbeit, und vieles der daraus entstandenen Musik spiegelt das Glühen seines schöpferischen Feuers wider. Auf der Liste der Beziehungen Beethovens mit Frauen sticht jedoch ein Name vor allen anderen hervor – oder eher das Fehlen ihres Namens. Unter den Papieren, die nach seinem Tode unter seinen Sachen gefunden wurden, befand sich ein sehr langer, dreiteiliger Brief an eine Frau, die er mit „Unsterbliche Geliebte“ anredete, ohne je ihren Namen zu nennen. Wie die mysteriöse „Dark Lady“ in Shakespeares Sonetten hat ihre Identität der Biografiegeschichte eines der größten Rätsel aufgegeben. Verschiedene Namen und viele Theorien wurden vorgebracht, von denen eine, und möglicherweise nur eine, völlig überzeugend scheint. In seiner Beethoven-Biografie von 1977 identifiziert der amerikanische Forscher Maynard Solomon sie als Antonie Brentano, die Frau eines der beständigsten und am meisten geschätzten Freunde Beethovens. Aber diesmal scheint Beethoven im entscheidenden Moment zurückzuweichen – Beethoven, dessen Sehnsucht nach einer Frau und Familie bisweilen fast eine Obsession war. Niemand, der mit Beethovens Briefen und besonders diesem Brief vertraut ist, kann an der Ehrlichkeit des Leidens und der Verwirrung zweifeln, die hier ausgedrückt ist. Der Inhalt ist schwerer nachzuvollziehen:

am 6ten Juli Morgends. – Mein Engel, mein alles, mein Ich. – nur einige Worte heute, und zwar mit Bleystift (mit deinem) – erst bis morgen ist meine Wohnung sicher bestimmt, welcher Nichtswürdiger Zeitverderb in d.g. – warum dieser tiefe Gram, wo die Nothwendigkeit spricht – Kann unsre Liebe anders bestehn als durch Aufopferungen, durch nicht alles verlangen, kannst du es ändern, daß du nicht ganz mein, ich nicht ganz dein bin – Ach Gott blick in die schöne Natur und beruhige dein Gemüth über das müßende – die Liebe fordert alles und ganz mit Recht, so ist es mir mit dir, dir mit mir – nur vergißt du so leicht, daß ich für mich und für dich leben muß, wären wir ganz vereinigt, du würdest dieses schmerzliche eben so wenig als ich empfinden – meine Reise war schrecklich ich kam erst Morgens 4 uhr gestern hier an, da es an Pferde mangelte, wählte die Post eine andre Reiseroute, aber welch schrecklicher Weg, auf der vorlezten Station warnte man mich bey nacht zu fahren, machte mich einen Wald fürchten, aber das Reizte mich nur – und ich hatte Unrecht, der Wagen muste bey dem schrecklichen Wege brechen, grundloß, bloßer Landweg, ohne 2 solche Postillione, wie ich hatte, wäre ich liegen geblieben Unterwegs. – Esterhazi hatte auf dem andern gewöhnlichen Wege hierhin dasselbe schicksaal, mit 8 Pferden, was ich mit vier. – Jedoch hatte ich zum Theil wieder vergnügen, wie immer, wenn ich was glücklich überstehe. – nun geschwind zum innern vom aüßern, wir werden unß wohl bald sehn, auch heute kann ich dir meine Bemerkungen nicht mittheilen, welche ich während dieser einigen Tage über mein Leben machte – wären unsre Herzen immer dichtan einander, ich machte wohl keine d.g. die Brust ist voll dir viel zu sagen – Ach – Es gibt Momente, wo ich finde daß die sprache noch gar nichts ist – erheitre dich – bleibe mein Treuer einziger schaz, mein alles, wie ich dir das übrige müßen die Götter schicken, was für unß seyn muß und seyn soll. – dein treuer ludwig.

Abends Montags am 6ten Juli – Du leidest du mein theuerstes Wesen – eben jezt nehme ich wahr daß die Briefe in aller Frühe aufgegeben werden müßen. Montags – Donnerstags – die einzigen Täge wo die Post von hier nach K. geht – du leidest – Ach, wo ich bin, bist auch du mit mir, mit mir und dir rede ich mache daß ich mit dir leben kann,

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Anfang von Beethovens Brief an seine „Unsterbliche Geliebte“

An dieser Stelle schaltet Beethoven um und fängt metaphysische Überlegungen an, die zeitweise fast zusammenhangslos sind und eine beträchtliche Geistesverwirrung nahelegen:

welches Leben!!!! so!!!! ohne dich – Verfolgt von der Güte der Menschen hier und da, die ich meyne – eben so wenig verdienen zu wollen, als sie zu verdienen – Demuth des Menschen gegen den Menschen – sie schmerzt mich – und wenn ich mich im Zusammenhang des Universums betrachte, was bin ich und was ist der – den man den Größten nennt – und doch – ist wieder hierin das Göttliche des Menschen – ich weine wenn ich denke daß du erst wahrscheinlich Sonnabends die erste Nachricht von mir erhältst – wie du mich auch liebst – stärker liebe ich dich doch – doch nie verberge dich vor mir – gute Nacht – als Badender muß ich schlafen gehn – Ach gott – so nah! so weit! ist es nicht ein wahres Himmels-Gebaüde unsre Liebe – aber auch so fest, wie die Veste des Himmels. –

Der dritte Teil des Briefes wurde anscheinend niedergeschrieben, sobald er nach dem Erwachen seine Augen geöffnet hatte:

guten Morgen am 7ten Juli –

schon im Bette drängen sich die Ideen zu dir meine Unsterbliche Geliebte, hier und da freudig, dann wieder traurig, vom Schicksaale abwartend, ob es unß erhört – leben kann ich entweder nur ganz mit dir oder gar nicht, ja ich habe beschlossen in der Ferne so lange herum zu irren, bis ich in deine Arme fliegen kann, und mich ganz heymathlich bey dir nennen kann, meine Seele von dir umgeben in’s Reich der Geister schicken kann – ja leider muß es seyn – du wirst dich fassen um so mehr, da du meine Treue gegen dich kennst, nie eine andre kann mein Herz besizen, nie – nie – O Gott warum sich entfernen müßen, was man so liebt, und doch ist mein Leben in V.[ienna] so wie jezt ein kümmerliches Leben – Deine Liebe macht mich zum glücklichsten und zum unglücklichsten zugleich – in meinen Jahren jezt bedürfte ich einiger Einförmigkeit Gleichheit des Lebens – kann diese bey unserm Verhältniße bestehn? – Engel, eben erfahre ich, daß die Post alle Tage abgeht – und ich muß daher schließen, damit du den B. gleich erhältst – sey ruhig, nur durch Ruhiges beschauen unsres Daseyns können wir unsern Zweck zusammen zu leben erreichen – sey ruhig – liebe mich – heute – gestern – Welche Sehnsucht mit Thränen nach dir – dir – dir – mein Leben – mein alles – leb wohl – o liebe mich fort – verken[ne] nie das treuste Herz deines Geliebten L.

ewig dein
ewig mein
ewig unß

Der Brief wurde offensichtlich nie abgeschickt, noch enthält er irgendeinen Hinweis, wohin er gerichtet war. Seine Unklarheit im Hinblick auf die Identität der Frau zeigt alle Anzeichen, absichtlich gewesen zu sein. Der einzige geografische Fingerzeig ist durch den Anfangsbuchstaben „K“ verschleiert. Es gibt keinen Verweis auf ihren Ehestand, geschweige denn Elternschaft. Aufgrund des Tonfalls des Briefes scheint es so gut wie sicher, dass sie seine Liebe erwiderte und bereit war, große Opfer zu bringen, um die Verbindung mit ihm einzugehen.

Es kann keinen Zweifel geben, dass diese Affäre Beethoven weitaus mehr Schmerz zufügte als die Ablehnung durch Therese Malfatti. Aber es gibt eine weitere Möglichkeit, nämlich dass die ganze Sache ein durchdachtes Traumgebilde ist – dass die Unsterbliche Geliebte nicht eine Frau ist, sondern die Frau; dass sie die Summe von Beethovens Hoffnungen, Sehnsüchten und Ängsten vor Frauen allgemein und der Ehe im Besonderen darstellt. Es gibt noch einen interessanten Punkt. Der Brief konnte überzeugend auf den Sommer 1812 zurückgeführt werden, aber es gibt kein musikalisches Gegenstück. In der G-Dur-Violinsonate, Op. 96, die unmittelbar danach komponiert wurde, weicht der titanenhafte Kämpfer Beethoven einer besonderen Sanftmut und Gelassenheit. Es ist, als ob diese Krise letztendlich aufgelöst wäre und ihn mit einem neuen abgeklärten und tröstenden Verständnis seiner eigenen Identität zurückgelassen hätte.

In dem nämlichen Sommer 1812 reiste Beethoven in den böhmischen Kurort Teplitz, wo er den einzig vergleichbaren Giganten deutscher Kultur, den Dichter, Dramatiker und Universalgebildeten Johann Wolfgang von Goethe traf. Beethoven bewunderte Goethes Poesie schon lange. Seine zahlreichen von Goethe inspirierten Werke hatten zwei Jahre zuvor ihren Höhepunkt in seiner Bühnenmusik für das Trauerspiel Egmont gefunden. Nicht lange nach ihrer Begegnung in Teplitz begann er die Vertonung von Goethes Meeresstille und glückliche Fahrt, die er dem Dichter widmete, und schrieb ihm in einem Brief: „die Verehrung, Liebe und Hochachtung, welche ich für den einzigen, unsterblichen Goethe von meinen Jünglingsjahren schon hatte, ist immer mir geblieben“, und das trotz eines gewissen Maßes an Ernüchterung durch den Dichter selbst. Obwohl beide für einige Zeit während ihres Aufenthalts in Teplitz einander tägliche Weggefährten waren, war jeder vom anderen enttäuscht. „Goethe“, schrieb Beethoven, „behagt die Hofluft zu sehr, mehr als es einem Dichter ziemt. Es ist nicht viel mehr über die Lächerlichkeiten der Virtuosen hier zu reden, wenn Dichter, die als die ersten Lehrer der Nation angesehen sein sollten, über diesem Schimmer alles andre vergessen können …“

Goethe seinerseits vertraute seinen Eindruck von Beethoven seinem Freund an, dem Komponisten und Lehrer Carl Friedrich Zelter:

Zusammengeraffter, energischer, inniger habe ich noch keinen Künstler gesehen. […] Sein Talent hat mich in Erstaunen gesetzt; allein er ist leider eine ganz ungebändigte Persönlichkeit, die zwar gar nicht Unrecht hat, wenn sie die Welt detestabel findet, aber sie freilich dadurch weder für sich noch für andere genußreicher macht. Sehr zu entschuldigen ist er hingegen und sehr zu bedauern, da ihn sein Gehör verläßt.

Es gab nur wenige Dinge, die Beethoven mehr verabscheute als bemitleidet zu werden. Einige mögen sagen, dass sein Selbstmitleid wenig Raum für das Mitleid anderer ließ. Es gibt zahlreiche Stellen, wo er sich selbst als „das unglücklichste Geschöpf Gottes“ und so fort beschreibt. Auch in seinem Tagebuch beschwört er den Allmächtigen häufig. „Gott helfe! Du siehst mich von der ganzen Menschheit verlassen […]. O hartes Geschick! o grausames Verhängnis! Nein, nein, mein unglücklicher Zustand endet nie!“

Der Welt im Allgemeinen und in seinen Beziehungen zu Personen, denen er bei den täglichen Angelegenheiten begegnete, konnte er ein ganz anderes Gesicht der von Goethe beschriebenen „ungebändigten Persönlichkeit“ zeigen. Unter denen, die in dem böhmischen Heilbad eine Kur machten, war Karl von Ense:

Die letzten Tage im Ausgang des Sommers lernt’ ich in Töplitz Beethoven kennen, und fand in dem als wild und ungesellig verrufenen Mann den herrlichsten Künstler von goldenem Gemüth, großartigem Geist und gutmüthiger Freundlichkeit. Was er Fürsten hartnäckig abgeschlagen hatte, gewährte er uns beim ersten Sehen, er spielte auf dem Fortepiano. Ich war bald mit ihm vertraut, und sein edler Charakter, das ununterbrochene Ausströmen eines göttlichen Hauchs, das ich in seiner übrigens sehr stillen Nähe immer mit heiliger Ehrfurcht zu empfinden glaubte, zogen mich so innig an ihn, daß ich tagelang der Unbequemlichkeit seines Umgangs, der durch sein schweres Gehör bald ermüdend wird, nicht achtete.

Anders als viele Komponisten war Beethoven durchaus bereit, über seine Kompositionsweise zu sprechen, was uns eine faszinierende Einsicht in die Vorgänge seines Geistes verschafft:

Ich trage meine Gedanken lange, oft sehr lange mit mir herum, ehe ich sie niederschreibe. Dabei bleibt mir mein Gedächtnis so treu, daß ich sicher bin, ein Thema, welches ich einmal erfaßt habe, selbst nach Jahren nicht zu vergessen. Ich verändere manches, verwerfe und versuche aufs neue so lange bis ich damit zufrieden bin; dann aber beginnt in meinem Kopfe die Verarbeitung in die Breite, in die Enge, Höhe und Tiefe, und da ich mir bewußt bin, was ich will, so verläßt mich die zu Grunde liegende Idee niemals, sie steigt, sie wächst empor, ich höre und sehe das Bild in seiner ganzen Ausdehnung, wie in Einem Gusse vor meinem Geiste stehen, und es bleibt mir nur die Arbeit des Niederschreibens, die rasch von statten geht, je nachdem ich die Zeit erübrige, weil ich zuweilen mehreres zugleich in Arbeit nehme, aber sicher bin, keines mit dem anderen zu verwirren. Sie werden mich fragen, woher ich meine Ideen nehme? Das vermag ich mit Zuverlässigkeit nicht zu sagen; sie kommen ungerufen, mittelbar, unmittelbar, ich könnte sie mit Händen greifen, in der freien Natur, im Walde, auf Spaziergängen, in der Stille der Nacht, am frühen Morgen, angeregt durch Stimmungen, die sich bei dem Dichter in Worte, bei mir in Töne umsetzen, klingen, brausen, stürmen, bis sie deutlich in Noten vor mir stehen.

Anton Schindler erwies sich als eher unzuverlässiger Chronist von Beethoven Leben und Gesprächen; aber es gibt keinen Grund, dem folgenden Bericht seiner Arbeitsgewohnheiten zu misstrauen:

Beethoven pflegte gewöhnlich Winter und Sommer mit Tagesanbruch aufzustehen, und auch sogleich an den Schreibtisch zu gehen. Von da arbeitete er bis zwei, drei Uhr, der Zeit seines Mittagstisches. In der Zwischenzeit lief er wohl ein oder zweimal ins Freie, wo er […] „spazieren[d] arbeitete“, kam nach einer halben oder vollen Stunde wieder mit neuen Ideen nach Hause, und schrieb sie nieder. Gleichwie die Biene aus den Blumen des Feldes ihren Honig sammelt, so sammelte Beethoven, im freien Felde herum laufend, seine erhabenen Ideen; und diese plötzlichen Ausflüge, wie das eben so schnelle Wiederkommen, blieben sich in jeder Jahreszeit gleich, so dass ihn weder Kälte noch Wärme, weder Regen noch Sonnenschein hinderten. Die Nachmittage waren zu regelmäßigen Spaziergängen bestimmt; zu späterer Stunde pflegte man ein bevorzugtes Bierhaus aufzusuchen, um die Tagesliteratur zur Hand zu nehmen, wenn dieses Bedürfnis nicht bereits in einem Kaffeehause befriedigt worden.

Ignaz von Seyfried erinnerte sich in blumigem Stil an eine angenehme Begebenheit des Jahres 1801:

Beethoven brachte die Sommermonate alljährlich auf dem Lande zu, wo er unter dem azurblauen Himmelszelte am liebsten und erfolgreichsten componirte. Einmal miethete er sich in dem romantischen Mödling ein, um die unterösterreichische Schweiz, den pittoresken Briel, recht nach Herzenslust geniessen zu können. Es wurde also ein vierspänniger Lastwagen mit wenig Mobilien zwar, dagegen aber mit einer ungeheuern Wucht von Musikalien befrachtet; die thurmhohe Maschine setzte sich langsam in Bewegung und der Besitzer dieser Schätze marschirte seelenvergnügt per pedes Apostolorum voraus. Kaum ausserhalb der Linien, zwischen blühenden, vom sanften Zephyr wellenförmig bewegt sich schaukelnden Kornfeldern, unter dem Jubelgesang schwirrender Lerchen, die trillernd mit Wonnegruss des lieblichen Lenzes ersehnte Ankunft feierten, erwachte schon der Geist; Ideen durchkreuzten sich, wurden ausgesponnen, geordnet, mit der Bleifeder notirt, – und rein vergessen war nunmehr auch der Wanderung Zweck und Ziel. Die Götter wissen, wo sich unser Meister in der ganzen langen Zwischenzeit herumgetrieben haben mag; genug, er langte erst mit einbrechender Dämmerung schweiss triefend, staubbedeckt, hungerig, durstig und todtmüde in seinem erwählten Tusculum an. Aber, hilf Himmel! welch’ gräuliches Spectakel wartete dort seiner! Der Fuhrmann hatte seine Schneckenfahrt sonder Gefährde vollendet; den Patron aber, dem er sich verdungen und welcher ihn auch bereits bezahlt, zwei Stunden vergebens erwartet. Unbekannt mit dessen Namen, konnte auch keine Nachfrage stattfinden; der Rossebändiger wollte wenigstens zu Hause schlafen, – er machte also kurzen Prozess, lud den gesammten Transport frei auf dem Marktplatze ab und retournirte ungesäumt. Beethoven ärgerte sich vorerst tüchtig; dann brach er in ein schallendes Gelächter aus, dingt, nach kurzer Ueberlegung, ein halbes Dutzend gaffender Strassenjungen und hatte vollauf zu thun, um bis zum die Mitternachtsstunde verkündenden Nachwächterrufe glücklicherweise bei Luna’s Silberschein die Kinder seiner Phantasie mindestens péle-méle noch unter Dach und Fach zu bringen.

Nur wenige waren schneller erzürnt als Beethoven; noch weniger bereuten den Zorn schneller als er. Dieser Kreislauf war einer seiner Charakterzüge, die am meisten zum Verzweifeln und am gewinnendsten waren. Zu seinen sprunghaften Lebzeiten befremdete er viel und verletzte noch mehr. Aber selten verlor er einen Freund.

ZWISCHENSPIEL IV

Beethoven und das Orchester

Die Sinfonien

Bittet man einen durchschnittlichen Klassikliebhaber, die fünf berühmtesten Sinfonien überhaupt zu nennen, stehen die Chancen gut, dass die Antwort vier von Beethoven enthält: die „Eroica“ (Nr. 3), die fünfte (mit dem denkwürdigen „Fatum“-Motiv), die „Pastorale“ (Nr. 6) und die „Chorsinfonie“ (Nr. 9). Nirgendwo mehr als in seinen neun Sinfonien nahm Beethoven das höfische Erbe des 18. Jahrhunderts und verwandelte es in eine flammende Feier der individuellen Freiheit und des Triumphsiegs des menschlichen Geistes. Es gibt kaum einen Winkel unserer emotionalen, geistigen und psychologischen Erfahrung, der nicht irgendwo und irgendwie seinen transzendenten Ausdruck in Beethovens Musik findet. Jede seiner Sinfonien markiert ein besonderes Stadium seiner eigenen geistigen Entwicklung.

Es ist bedeutend, dass er bis 1799, seinem 29. Lebensjahr, wartete, ehe er mit seiner ersten Sinfonie begann. Seine Jugend und das frühe Mannesalter sind durch ein mannigfaltiges Schaffen von Klaviersonaten, Konzerten, Kammermusik, Chorwerken usw. belegt, wovon viele ein ungestümes Selbstvertrauen offenbaren. Von früh an hatte er einen starken Glauben an das Schicksal, verbunden mit Ehrgeiz und Wagemut. Er wusste nur zu gut, dass, wenn er die Sinfonie anging, er mutig genug und hinreichend gut gerüstet sein musste, wollte er sich den eindrucksvollen Beispielen von Mozart und Haydn stellen. Schon mit der Anfangsgeste seiner ersten Sinfonie erklärte er sich nicht nur bereit, sondern verhöhnte offen die Erwartungen seiner Zuhörer. Er „streckt die Zunge heraus“, in Form einer einzelnen Kadenz aus zwei Akkorden – die übliche Verbindung, ein Stück zu beenden, nicht, um es einzuleiten. Er beginnt nicht nur gewissermaßen mit einem Ende, er tut es in der falschen Tonart. Drei Takte später befindet er sich immer noch im Kadenzmodus und immer noch in der „falschen“ Tonart, aber nun in einer anderen. Viele Zeitgenossen waren empört, genau wie Beethoven beabsichtigte. Zu Beginn des letzten Satzes spielt er die Töne einer absteigenden Tonleiter einen nach dem anderen, jede neue Stufe erweckt ein unterschiedliches Erwartungsmaß. Schüchtern war er nicht. Kein Komponist, nicht einmal Haydn, gewann mehr künstlerische Leistung aus der Enttäuschung von Erwartungen als Beethoven.

In der zweiten Sinfonie (1801–1802) nutzt er ähnliche Mittel, aber diesmal in ganz anderem Maßstab. Im dritten Satz nimmt er dessen Titel „Scherzo“, das italienische Wort für Witz, wörtlich und macht eine große Schau aus der obsessiven Wiederholung – doch zugegebenermaßen in keinem Verhältnis wie später in der „Pastoral-Sinfonie“. Die größte Überraschung findet sich jedoch im letzten Satz. Alles in der Sinfonie legte bisher nahe (oder hätte dem Publikum seiner Zeit nahegelegt), dass Beethoven sich nach dem Vorbild Haydns später Sinfonien richtet, indem er auf zwei umfangreiche Sätze zwei eher kurze folgen lässt. Aber gerade als wir erwarten, dass er Kurs auf das Ende nimmt, startet er eine turbulente ideenreiche Coda (wörtlich „Schwanzstück“), die schließlich ein Drittel des Satzes ausmacht.

Mit der dritten Sinfonie, der „Eroica“ (1803), kommen wir zu einem der revolutionärsten Werke in der Geschichte der Künste. Hier wird der Expansionsdrang, der im Finale der zweiten Sinfonie ersichtlich war, auf das ganze Werk ausgedehnt, das alle bis dahin geschriebenen Sinfonien an Länge übertrifft. Die physische Größe und emotionale Bandbreite der Musik sind gewaltig, ihre Anforderungen an die Musiker beispiellos. Über ihre epische Reichweite hinaus sind viele Einzelheiten von einer Komplexität und Originalität, auf die niemand vorbereitet war. Stellt die Zweite den Schwanengesang des klassischen Sinfonie-Ideals dar, das von Haydn und Mozart vervollkommnet wurde, kann man sagen, dass die Dritte ein neues Zeitalter einleitete.

Aus irgendeinem Grund haben sich die ungeradzahligen Sinfonien Beethovens immer größerer Beliebtheit erfreut als die geradzahligen, mit Ausnahme der „Pastorale“, Nr. 6. Das ist besonders schade im Fall der Nr. 4 (1806), die vielleicht am seltensten zu hören ist. Kürzer und sparsamer in der Notenzahl als die „Eroica“ zeigt sie, dass die Bedeutung von „Raum“ bei Beethoven nicht von der Länge abhängt. Die Stimmung des Werks als Ganzes ist auffallend verschieden vom vorherrschenden Heroismus der Dritten, aber ihre Intensität ist vergleichbar, ihre Lebhaftigkeit genauso unwiderstehlich, wenn auch weniger energisch. Generell fallen Beethovens Themen in zwei Kategorien. Einerseits sind es schöne, langgesponnene Melodien wie in der vierten Sinfonie, besonders ihr herrliches Adagio; andererseits gibt es kurze, Motto-ähnliche Figuren, die man kaum als Melodien überhaupt beschreiben kann.

Ein gutes Beispiel ist der Anfang der berühmten fünften Sinfonie, die 1808 vollendet wurde. „So klopft das Schicksal an die Pforte“, soll Beethoven über die ersten acht Töne gesagt haben. Ta-ta-ta-taaa – Pause – Ta-ta-ta-taaa: Dies ist ein Thema, ja; aber keine Melodie. Aber aus solchen Eicheln erwachsen Beethovens Eichen oft. Ein großer Teil des ersten Satzes ist direkt aus dieser charakteristisch knappen Idee abgeleitet, und ihr Rhythmus spielt später in Scherzo und Finale eine wichtige Rolle. Er geistert auch in einer Reihe anderer Werke Beethovens herum – manchmal in einer ähnlich „schicksalhaften“ Form, wie im ersten Satz der „Appassionata“-Sonate; aber oft mit ganz anderer Wirkung, wie im ersten Satz des lyrischen vierten Klavierkonzerts. Für spannende Aufregung und Abenteuer in der Musik gebührt der fünften Sinfonie die Siegespalme. Millionen von Zuhörern haben über zwei Jahrhunderte herausgefunden, dass man kein wie auch immer geartetes musikalisches „Wissen“ benötigt, um in diesem Werk den Triumph des Willens über Ungemach zu erkennen. Wenngleich es mit allen Zeichen der Tragödie beginnt, ist es eines der am meisten überwältigend lebensbejahenden Werke überhaupt; der unheimliche, gerissene, schattenhafte Übergang vom Scherzo ins Finale mit seinem Schwebezustand zwischen Leben und Tod gehört zu den originellsten Abschnitten der Musik. Erst im siegestrunkenen Finale entfesselt Beethoven seine vollen Orchesterkräfte, inklusive Posaunen und Piccolo. Er begann das Werk mit einem üblichen klassischen Orchester, wie es auch von Mozart und Haydn verwendet wurde, und schließt es mit einer triumphalen Hymne auf den neuen Geist der Romantik, der das 19. Jahrhundert dominieren sollte.

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Anfangstakte von Beethovens fünfter Sinfonie, Originalhandschrift

Die fünfte Sinfonie sowie die sechste, die sogenannte „Pastorale“ (1808), sind so verschieden wie nur irgend möglich; doch wurden sie in rascher Folge nacheinander komponiert und hatten ihre Uraufführung im selben Konzert. Wo die Fünfte die dynamischste und dichtestgedrängte Sinfonie überhaupt war, war die Sechste die ausladendste und entspannteste. In vieler Hinsicht war sie auch die unkonventionellste. Als einzige unter Beethovens Sinfonien hat sie fünf Sätze, von denen die letzten drei in einem durchgespielt werden. Es ist „Programmmusik“ und doch auch wieder nicht (in beiden Fällen laut dem Komponisten), genauso wie sie „(Ton-)Malerei“ ist und nicht ist (auch hier dem Komponisten zufolge). Der Titel „Pastorale“ stammt von Beethoven selbst, wie auch der Untertitel „Erinnerungen an das Landleben“. Aber er schränkt dies ein mit dem Zusatz „Mehr Ausdruck der Empfindung als Malerey“. Jeder der Sätze trägt eine Überschrift:

1tes Stück. Angenehme Empfindungen, welche bei der Ankunft auf dem Lande im Menschen erwachen.

2tes Stück. Scene am Bach.

3tes Stück. Lustiges Beysammenseyn der Landleute; fällt ein

4tes Stück. Donner und Sturm; in welches einfällt

5tes Stück. Wohlthätige mit Dank an die Gottheit verbundene Gefühle nach dem Sturm

Als zweitlängste Sinfonie nach der „Eroica“ war dies die gemächlichste Sinfonie, die je geschrieben wurde, die für ihre Wirkung oft auf wagemutig-begeisterte Wiederholung zurückgreift. Eine Passage im ersten Satz behält zum Beispiel dieselbe unveränderte Harmonie für mehr als ein Dutzend Takte bei.

Außer der Musik selbst ist das Berühmteste an der siebten Sinfonie (1811–12) Wagners Charakterisierung als „Apotheose des Tanzes“. Sicherlich basiert keine Sinfonie bisher (inklusive der Fünften) mehr auf Rhythmus als diese, in der jeder Satz seine größte Einheit aus der besessenen Wiederholung und der Entwicklung bestimmter elementarer Rhythmusmodelle zieht. Wie die Achte ist dies eine Sinfonie ohne echten langsamen Satz: Anstelle des erwarteten Adagio oder Andante schrieb Beethoven ein spukhaftes, marschähnliches a-Moll-Allegretto, das in frühen Aufführungen oft als Zugabe gespielt werden musste. Der einzige langsame Abschnitt ist die beeindruckend großzügige Einleitung zum ersten Satz, die charakteristischerweise viele Samen sät, die im eigentlichen Satz zum Tragen kommen.

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Lebendmaske Beethovens, die 1812 angefertigt wurde, als er an seiner siebten Sinfonie arbeitete. Gussform von Franz Klein

Die achte Sinfonie (1812) ist kompakter und hat ansteckende gute Laune im Überfluss. Ihre Hauptbedeutung in historischer Hinsicht liegt in ihrem Aufbau, sowohl in der Anordnung ihrer Sätze als auch innerhalb der Sätze selbst. Wie in der Siebten gibt es keinen wirklich langsamen Satz. Stattdessen wird ein komisches, Scherzo-ähnliches Allegretto von einem gemütlichen, höfischen Menuett gefolgt, dass nostalgisch zurück auf das 18. Jahrhundert blickt. Die Komödie ist explosiver, anarchischer im Finale, dessen Coda – sogar nach Beethovens Maßstäben enorm – praktisch eine zweite Durchführung und eine zweite Reprise enthält.

Nach der Achten gab Beethoven das Genre der Sinfonie für gut zehn Jahre auf. Als er 1822–24 zu ihr zurückkehrte, geschah dies mit einem Werk, das noch kolossaler in seiner Größe und revolutionärer im Vorgehen als die „Eroica“ war. Die neunte Sinfonie hätte sich auch ohne ihr bahnbrechendes Chorfinale (eine Vertonung der Ode an die Freude von Schiller) einen wichtigen Platz in der Geschichte gesichert. Doch während vieles in ihr radikal neu ist, ist sie im klassischen sinfonischen Ideal verwurzelt. Beethoven verwendet nach wie vor die Sonatensatzform als Hauptmittel der dramatischen Bewegung; er bezieht noch immer ein Scherzo ein (selbst in vollständiger Sonatensatzform); und er setzt noch immer den Gegensatz und letztendlichen Ausgleich verschiedener Tonarten als bedeutendes Struktur- und Ausdrucksmittel ein. Aber all dies tut er auf einer solch riesigen Hörleinwand und mit dermaßen ehrfurchtgebietender und intellektueller Kraft, dass man das Gefühl hat, man lausche der Erschaffung des Universums. Unter den zahlreichen einzigartigen Merkmalen der Sinfonie (von denen das offensichtlichste die Verwendung von Solisten und Chor ist) steht die Tatsache, dass das gewaltige Finale nicht nur auf dem Gerüst der Sonatensatzform steht, sondern auch auf dem einer ganzen klassischen viersätzigen Sinfonie. Vielleicht mehr als jedes andere Werk öffnete die Neunte die Schleusen der Romantik und wurde zum Gegenstand fast einer Manie mit so starken einzelnen Vertretern wie Wagner und Berlioz.

Die Konzerte

Beethovens sieben reife Konzert-Beispiele bilden das Herz des Konzertrepertoires, wie wir es heute kennen: die fünf Klavierkonzerte, das D-Dur-Violinkonzert und das Tripelkonzert für Klavier, Violine und Cello. Die ersten zwei der Klavierkonzerte wurden während Beethovens frühen Wiener Jahren komponiert, aber in umgekehrter Reihenfolge ihrer Komposition veröffentlicht. Nr. 1 C-Dur, Op. 15 (1795 geschrieben und möglicherweise 1800 überarbeitet) datiert nach Nr. 2 B-Dur, Op. 19, das vor 1793 begonnen wurde (vielleicht schon 1788), im Winter 1794–95 vollendet und 1798 überarbeitet. Beide Werke zeigen Beethoven in mozartischer Stimmung; und beide offenbaren sein Talent für langgesponnene, höchst ausdrucksstarke Melodien und seinen unbändigen Sinn für Humor, der von vornehmem Esprit bis zu gewollt plumpem „Schmäh“ reicht. Mozart mag ihr stilistischer Pate sein, aber die Persönlichkeit dahinter ist zweifellos Beethoven. Beide sind Vehikel für Virtuosität von beträchtlich größerer technischer Schwierigkeit als die meisten Konzerte Mozarts; und die einzigartige lange Kadenz im ersten Satz des C-Dur-Konzerts, erst um 1809 komponiert, vermittelt uns eine Ahnung von Beethovens legendenumwobenen Improvisationen.

Obwohl nicht ohne mozartische Relationen, ist das dritte Klavierkonzert c-Moll, Op. 37, 1800 begonnen, aber erst 1803 fertiggestellt, erheblich düsterer und entschieden mehr Beethoven, mit seinem „Schicksal-gefärbten“ Eröffnungsthema, seinen ungewöhnlichen Tonartbeziehungen und seiner ununterbrochenen Intensität. Der erste Satz ist im Ganzen dramatischer, und die Solopartie zieht vollen Vorteil aus dem unlängst erweiterten Tonraum des Klaviers. Der äußerst langsame mittlere Largo-Satz steht in der entfernten, hellen Tonart E-Dur, und ihm wohnt ein neues und einzigartiges beethovensches Reich verfeinerter Gefühle inne.

Im vierten Klavierkonzert G-Dur, Op. 58 (1804–06), machte Beethoven Geschichte, indem er mit einer Phrase beginnt, die der Solist unbegleitet spielt, bevor das Orchester zu hören ist (obwohl Mozart in seinem Es-Dur-Konzert KV 271 dem sehr nahe gekommen war). Die Antwort des Orchesters in einer gänzlich anderen Tonart ist nicht nur überraschend, sondern einer der magischsten Momente der klassischen Musik. Das ganze Werk hat eine Weite und Gelassenheit, die es für viele zum schönsten Konzert überhaupt machen. Die einzigen wesentlichen Wolken in dieser himmlischen Landschaft treten im langsamen Satz auf: ein dramatischer Dialog zwischen dem finsteren, schicksalsbeladenen Orchester und dem unbegleiteten Klavier – beruhigend, lyrisch und unendlich weise. In den anderen Sätzen, wie in Mozarts Konzerten, verstärkt die Verflechtung von Solist und Orchester – weit entfernt vom gladiatorischen, manipulierten Kampf des üblichen romantischen Konzerts – die allgemeine sinfonische Atmosphäre als Ganzes.

Dasselbe gilt für das fünfte Klavierkonzert Es-Dur, Op. 73 aus dem Jahre 1809, im englischsprachigen Raum als „Emperor“ bekannt, obwohl der Solist hier ebenso erhaben-heroisch wie auch die wirkende Kraft andächtiger Poesie ist. Nach einem einzelnen Waffenruf durch das Orchester kehrt Beethoven die Tradition um und beginnt mit einer ausgedehnten und virtuosen Klavier-Kadenz, bevor er das edle Hauptthema im Orchester aussendet. In Erhabenheit, Zartheit, Magie und Spannung bleibt das Werk unübertroffen; obwohl es klingt, als sei es für den Solisten das schwierigste aller Klavierkonzerte Beethovens, ist es eigentlich das am wenigsten diffizile.

Sonderbarerweise dauerte es fast 40 Jahre, bis Beethovens überragendes Violinkonzert, Op. 61, uneingeschränkte Anerkennung vom Publikum erfuhr. Das Hauptproblem scheint die beispiellose Länge des ersten Satzes gewesen zu sein. Ein anderer Umstand mag gewesen sein, dass, obwohl es keinesfalls leicht zu spielen ist, Beethoven nie in leerer Bravourschau schwelgt. In dieser Beziehung mag sich das Publikum, das mit einem Virtuositätsmedium aufwuchs, das mit Paganini (dem „Teufelsgeiger“) immer beliebter wurde, durchaus übers Ohr gehauen gefühlt haben. Kein bedeutendes Werk von Beethoven ist in seinem heiteren Selbstvertrauen und lyrischen Impuls so strahlend.

Relativ vernachlässigt unter Beethovens Konzerten ist das Konzert für Klavier, Violine, Cello und Orchester, Op. 56 (das „Tripelkonzert“), komponiert 1804–07. Es ist eine Art Übergangswerk und Beethovens einziger Versuch mit mehreren Solisten. Indem er sie sowohl als Trio wie auch als Individuen behandelt, gibt er nicht dem Klavier, wie zu erwarten, den Vorrang, sondern dem Cello, und komponiert vornehmlich in seinem gewandteren höheren Register. Als großes, manchmal ausuferndes Werk ist es vielleicht das uneinheitlichste der Konzerte, aber seine Verdienste übertreffen seine Nachteile erheblich.