Draußen war es kälter, als ich erwartet hatte. Ich zitterte, obwohl Laleh warm an meinem Rücken lag. Ich hatte ein lang-ärmeliges T-Shirt und lange Hosen an – Mom sagte, das sei die beste Kleidung, wenn man durch den Zoll ging –, und ich wünschte, ich hätte einen Kapuzenpulli, aber die waren alle in meinem Koffer.
Teheran roch nicht sehr viel anders als Portland. Ich glaube, ich hatte irgendwie erwartet, dass alles nach Reis riechen würde. (Der Fairness halber muss man sagen, dass es in den meisten persischen Haushalten, selbst den Bruchstückhaften wie unserem, zumindest immer ein bisschen nach Basmatireis riecht.) Aber Teherans Luft war gewöhnliche Stadtluft, mit etwas mehr Smog und etwas weniger von Portlands regennassem, erdigen Geruch.
Ein Aufschrei durchtrennte die Nacht wie der schrille Schrei eines Nazgûl, und fast hätte ich Laleh fallen gelassen. »Heyyyyyyyy!«
Mamu – meine echte Großmutter aus Fleisch und Blut – schrie und stürmte auf uns zu. Sie rannte beinahe in Mom hinein, packte ihr Gesicht, küsste sie auf beide Wangen, linksrechts-links, und schloss sie dann in eine Umarmung ein, die kräftig genug war, um die äußere Hülle eines Raumschiffes zu verbeulen.
Mom lachte und umarmte ihre Mutter das erste Mal seit siebzehn Jahren.
So glücklich wie in diesem Moment hatte ich sie noch nie gesehen.
Dâyi Jamshid hatte Mamu nach Teheran gefahren, und wir alle drängten uns für die Fahrt nach Yazd in seinen silbernen Geländewagen. Mom saß vorn mit ihm, sie sprachen Farsi und teilten sich eine Tüte Tokhme, geröstete Wassermelonenkerne, den Lieblingssnack aller Echten Perser weltweit. Dad saß hinten mit Laleh, die über seinem Schoß ausgebreitet lag – sie war schließlich doch zusammengeklappt, allerdings nicht, bevor sie sich von Mamu und Dâyi Jamshid zusammendrücken lassen hatte.
Ich teilte mir die Mittelsitze mit Mamu.
Fariba Bahrami war eine kleine Frau – ich hatte sie bisher nur von den Schultern aufwärts gesehen –, aber als sie ihre Arme um mich schlang, war es, als ob sie fünfzehn Jahre lang sämtliche Umarmungen für mich aufgespart hatte. Die ganze Fahrt über war ihr Arm über meinen Rücken gelegt, und sie hielt mich an sich gedrückt.
Ich betrachtete ihre Hände. Ich hatte die Hände meiner Großmutter niemals zuvor wirklich gesehen.
Mamu hatte kurze, schön manikürte Fingernägel, die granatapfelrot lackiert waren. Ihr Parfüm roch nach Pfirsichen. Und sie war so warm. Sie drückte und drückte mich, als hätte sie Angst, dass ich einfach aus dem Fenster geweht werden könnte, wenn sie mich nicht fest genug hielt.
Vielleicht versuchte sie, die versäumten Umarmungen eines ganzen Lebens in diese eine Autofahrt zu stecken.
Vielleicht tat sie das.
»Erzähl mir etwas von deiner Schule, Maman.«
»Die Schule ist in Ordnung, denke ich.«
Das sozialpolitische Klima an der Chapel Hill Highschool erschien mir ein wenig zu kompliziert, um es Mamu während einer Autofahrt näherzubringen, insbesondere, weil ich nicht wollte, dass sie wusste, dass man mich DBeutel nannte und künstliche hellblaue Hoden auf meinem Fahrrad hinterließ.
Ich wollte niemals mit meiner Großmutter über Hoden reden.
»Hast du viele Freunde? Eine Freundin?«
Meine Ohren erreichten sofort das Roter-Alarm-Level.
Echte Perser waren außerordentlich interessiert an den reproduktiven Möglichkeiten ihrer Nachkommen.
»Ähm. Nicht wirklich«, sagte ich. Der Rote Alarm breitete sich über meine Wangen aus.
Ich konnte es nicht ertragen, meine Großmutter zu enttäuschen.
»Eh? Warum?« Mamu hatte eine lustige Art, die Enden ihrer Wörter so aufzuzwirbeln, dass sie zu Fragen wurden. »Du bist so gut aussehend, Maman.«
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Ich war ölig und aufgedunsen von zweiunddreißig Stunden Flugzeit, und zwischen meinen Augenbrauen glimmte immer noch der Krater des größten Vulkans des Sonnensystems.
Und außerdem: Niemand bemerkte mich jemals. Nicht auf die Art, wie ein Seelenloser Lakai der Orthodoxie wie Chip Cusumano bemerkt wurde, der tatsächlich gut aussah.
Ich zuckte mit den Schultern, was dann in ein Gähnen überging. All die temporalen Dilatationen, die wir durchgemacht hatten, holten mich nun ein.
»Du bist müde, Maman.«
»Mir geht’s gut.«
»Warum schläfst du nicht ein bisschen? Bis wir in Yazd sind, dauert es noch ein paar Stunden.« Sie zog mich noch näher an sich, sodass ich meinen Kopf auf ihre Schulter legen konnte, und fuhr mit den Fingern durch meine lockigen Haare. »Ich bin so glücklich, dass du hier bist.«
»Ich auch.« Ihre Hand war warm, aber ihre Finger lösten Schauer der Euphorie aus, die durch meine Kopfhaut liefen.
Sie küsste mich auf den Scheitel, wieder und wieder, bis er nass war, wo ihre Tränen herabgeronnen und in mein Haar gefallen waren.
Das störte mich allerdings nicht.
»Ich habe dich lieb, Maman.«
Großmutter und Oma, Dads Mütter, sagten das nicht allzu oft. Es war nicht so, dass sie Laleh und mich nicht lieb hätten, aber sie waren voller teutonischer Zurückhaltung und brachten ihre Zuneigung nicht oft zum Ausdruck.
Mamu war anders.
Für Fariba Bahrami war Liebe eine Chance und keine Last.
Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter. »Ich habe dich auch lieb, Mamu.«
Auf der Fahrt nach Yazd schlief ich nur halb. Ich war zu müde zum Einschlafen, und obwohl Mamu warm und weich war, fand ich keine sonderlich bequeme Position zum Schlafen. Also döste ich vor mich hin und schwebte dabei auf den Wolken von Farsi, die von den Vordersitzen des Geländewagens zu mir nach hinten wehten.
Es erinnerte mich an die Zeit, als ich klein war und Mom jeden Abend für mich auf Farsi chantete, bevor ich ins Bett ging. Es ist nicht leicht, das Chanten auf Farsi zu beschreiben: die Art, wie Mom ihre Stimme in die Länge zog wie die Töne eines Cellos, wenn sie Gedichte von Rumi oder Hafez zitierte. Ich wusste nicht, was sie bedeuteten, aber das war nicht wichtig. Es war leise und beruhigend.
Es war Moms Aufgabe, mich ins Bett zu bringen, weil ich bei Dad vor dem Schlafengehen zu aufgedreht wurde. Er saß auf meinem Bett und schlug mich in die Decke ein, und dann begann er, eine Geschichte zu erzählen, mit Lücken, die ich mit Helden und Monstern füllte.
Wir erzählten die Geschichte zusammen.
An vieles aus diesen Jahren vor meiner Großen Depression erinnere ich mich nicht mehr. Dr. Howell sagt, dass Antidepressiva manchmal das Erinnerungsvermögen trüben können, außerdem war ich damals noch ziemlich klein. Aber ich erinnere mich an das Erzählen mit Dad, weil ich mich an den Abend erinnere, an dem es aufhörte.
Es war sechs Monate, bevor Laleh geboren wurde.
Dad kam, um mich ins Bett zu bringen. Er küsste mich und sagte: »Hab dich lieb«, und wandte sich zum Gehen.
»Dad? Bekomme ich keine Geschichte?«, quiekte ich.
Meine Stimme war damals sehr viel quietschiger, so quietschig wie ein Stück Halloumi-Käse.
Dad blinzelte mich an. Er seufzte. »Nicht heute Abend, Darius.«
Und dann ging er. Er ging einfach aus meinem Zimmer.
Ich lag da und wartete, dass Mom kommen und für mich chanten würde.
Und danach erzählten wir nie wieder Geschichten.
Ich verstand nicht, warum Dad damit aufgehört hatte. Ich wusste nicht, was ich falsch gemacht hatte.
»Du hast gar nichts falsch gemacht«, erklärte Mom. »Ich kann dir eine Geschichte erzählen.«
Aber es war nicht dasselbe.
Shirin Kellner war eine exzellente Chanterin, aber eine glanzlose Geschichtenerzählerin.
Und egal was für eine Geschichte sie mir erzählte, die, die ich mir selbst erzählte, die ich tief in mir drin zu verstehen glaubte, war folgende:
Stephen Kellner wollte mir keine Geschichten mehr erzählen.
»Wach auf, Dariush-jan.« Mamu fuhr mir über den Kopf, was Gänsehaut bei mir auslöste. »Wir sind da.«
Ich blinzelte in den grauen Morgen, setzte mich auf und warf meinen ersten Blick auf Yazd.
Obwohl ich schon viele Bilder gesehen hatte, hatte ich, um ehrlich zu sein, dennoch irgendwie erwartet, dass Yazd wie ein Schauplatz in Aladdin aussehen würde: schmutzige Straßen, die von Palmen gesäumt waren, überkuppelte Paläste aus glitzerndem Alabaster, beladene Kamele, die Waren zu einem Bazar aus Holzständen brachten, die mit juwelenfarbenen Markisen überdacht waren.
Nirgendwo waren Kamele in Sicht, ungeachtet dessen, was Fatty Bolger vielleicht behaupten würde. Ich hatte nicht einmal gewusst, dass Kameljockey eine legitime Beleidigung war, bis er mich das erste Mal so nannte. Trent Bolger war nicht sonderlich kreativ, aber er war sorgfältig und subtil genug, um sich nicht von den Vollstreckern der Chapel Hill Highschool Null-Toleranz-Grenze bei einer rassistischen und ethnischen Beleidigung erwischen zu lassen.
Die Straßen von Mamus Nachbarschaft sahen nicht sehr viel anders aus als die Straßen zu Hause: stumpfer grauer Asphalt.
Auch die Häuser sahen nicht so anders aus, abgesehen davon, dass sie aus weißlichen Ziegelsteinen statt aus nahtlosen Hausverkleidungen bestanden. Einige hatten verzierte Doppelflügeltüren aus Holz, mit aufwendig gearbeiteten Metallklopfern. Sie erinnerten mich fast an die Türen von Hobbithöhlen, abgesehen davon, dass sie nicht rund waren.
Dâyi Jamshid hielt vor einem weißen Haus, das mehr oder weniger aussah wie die anderen. Es hatte nur ein Stockwerk und einen dünnen Streifen Vorgarten mit spärlichem, buschigem Gras.
Nirgendwo waren Kakteen – ein weiterer Flüchtigkeitsfehler von Fatty Bolger, weil ich es nachgeschaut hatte: Kakteen sind in Wirklichkeit auf dem amerikanischen Doppelkontinent heimisch.
Dâyi Jamshid parkte seinen Geländewagen im Schatten eines gigantischen Walnussbaums, der über die Straße hing und seine Wurzeln unter den rissigen Bürgersteig schob.
»Agha Stephen«, sagte Dâyi Jamshid. Er sprach es »esStephen« aus, wie viele Echte Perser meinen Dad nannten. Auf Farsi könnte man kein Wort mit zwei Konsonanten beginnen. Man musste ihnen einen Vokal voranstellen (oder dazwischen, weshalb ein paar wenige Leute Dad »Setephen« nannten).
»Wach auf, Agha Stephen.«
Seine Stimme klang wie das Knallen einer Peitsche, und er lächelte immer, mit gewölbten, schelmischen Augenbrauen. Mein Onkel hatte zwei einzelne Augenbrauen – ohne ein einziges verbindendes Haar zwischen ihnen –, was sehr beruhigend war, weil ich schon immer Angst gehabt hatte, dass meine zu einer persischen Monobraue werden würden.
Dâyi Jamshid begann, unsere Sachen aus dem Kofferraum zu holen. Ich schüttelte den Schlaf ab und rutschte hinter Mamu aus dem Geländewagen, während Dad versuchte, Laleh aufzuwecken. »Lass mich dir helfen, Dâyi.«
»Nein! Geh ruhig schon rein, ich mache das, Dariush-jan.«
Wir hatten eine Menge Koffer, und Dâyi Jamshid hatte nur zwei Hände. Es war offensichtlich, dass er Hilfe gebrauchen konnte, aber er war genetisch prädisponiert dafür, sie abzulehnen.
Es war mein erstes, offizielles Taarof im Iran.
Taarof ist ein Wort auf Farsi, das schwer zu übersetzen ist. Es ist das primäre Gesellschaftliche Signal für Iraner, das Gastfreundlichkeit, Respekt und Höflichkeit umfasst.
Theoretisch bedeutet Taarof, dass man andere vor sich selbst stellt. In der Praxis bedeutet es, dass man jemandem, der einen zu Hause besucht, etwas zu essen anbieten muss; aber da der Gast taarofen muss, muss er ablehnen; und dann muss der Gastgeber zurück taarofen und darauf bestehen, dass es wirklich gar keine Mühe macht und der Gast unbedingt etwas essen muss und so weiter, bis eine Seite zu verwirrt ist und schließlich nachgibt.
Ich habe den Dreh beim Taarofen nie rausbekommen. Es ist kein amerikanisches Gesellschaftliches Signal. Als Mom das erste Mal die Eltern von Dad traf, boten sie ihr ein Getränk an, das sie höflich ablehnte – und damit hatte sich die Sache.
Sie wollte wirklich gern etwas trinken, aber sie wusste nicht, wie sie danach fragen sollte.
Sie musste die amerikanischen Gesellschaftlichen Signale noch lernen.
Dad erzählte die Geschichte jedes Thanksgiving, und jedes Jahr lacht Mom und sagt, dass sie ihn umbringen wird, wenn er sie noch einmal erzählt.
Vielleicht ist das amerikanische Gesellschaftliche Signal, Witze zu machen.
»Bitte«, sagte ich. »Ich möchte gern helfen.«
»Es ist in Ordnung.« Wie Mamu hatte Dâyi Jamshid eine lustige Art, die Enden seiner Wörter aufzuzwirbeln. »Du bist müde. Du bist Gast.«
Beide Aussagen stimmten technisch betrachtet, aber Wahrheit war irrelevant beim Taarofen.
»Ähm.«
Mom kam mir zur Hilfe. »Jamshid.« Sie griff in den Geländewagen, um Dad Lalehs bewusstlosen Körper abzunehmen. Meine Schwester war wie eine Stoffpuppe, wenn sie schlief. »Lass Dariush helfen.«
Dad faltete sich aus dem hinteren Bereich des Geländewagens, während Dâyi Jamshid mit Mom auf Farsi diskutierte. Obwohl es eine schöne, poetische Sprache war, klang es so harsch wie Klingonisch, wenn sie sich stritten, besonders, als Mamu sich auch noch einschaltete und das Ganze in eine Dreiwegediskussion verwandelte.
Laleh hing immer noch in Moms Armen. Ich hatte keine Ahnung, wie sie bei alldem schlafen konnte.
Dad gähnte und machte ein paar Rumpfdrehungen. Er blinzelte mich an und deutete mit dem Kopf in Moms Richtung.
Ich zuckte mit den Schultern. »Taarof«, flüsterte ich, und Dad nickte.
Es war nicht das erste Mal, dass Dad und ich als Zuschauer eines Taarof-Wettkampfs, den wir nicht verstanden, festsaßen.
In der Zeit, die sie benötigten, um uns zu erlauben zu helfen, hätten wir schon das gesamte Gepäck ins Haus schaffen können.
Schließlich erlangte Mom die Oberhand, und Dâyi Jamshid reichte mir Lalehs Rollkoffer. »Danke, Dariush-jan.«
»Klar.«
Lalehs Koffer war doppelt so schwer wie meiner, weil er vollgestopft war mit den Dingen, die Mom aus Amerika mitgebracht hatte.
Es waren nicht nur Sachen für unsere Familie. Als Mom ankündigte, dass wir in den Iran reisen würden, rief jede persische Familie aus dem Willamette Valley bei ihr an und fragte, ob sie etwas für einen Verwandten in den Iran mitnehmen oder etwas zurückbringen könnte.
Es würde Mamus Job sein, alles zu verteilen, was Mom mitgebracht hatte, nachdem wir wieder weg waren. Noch dazu war es ziemlich wahlloses Zeug: ein besonderes Shampoo oder eine Gesichtscreme und sogar Schmerztabletten, die man allem Anschein nach nicht im Iran kaufen konnte.
Ich schnappte mir meinen eigenen Koffer, hängte die Kellner & Newton-Umhängetasche an den ausziehbaren Griff und folgte Mamu die Einfahrt hinauf.
»Wo ist Babu?«
»Im Bett.« Mamu senkte ihre Stimme, als sie uns ins Haus ließ. »Er wollte mit zum Flughafen kommen, aber er war zu müde. Er schläft in letzter Zeit mehr.«
Ich bekam dieses flatterige Gefühl im Magen.
Mamu zu treffen – sie wirklich zu treffen, meine ich –, aber nicht Babu, fühlte sich falsch an, wie eine Folge einer Serie mit einem Cliffhanger zu beenden.
Ich wollte meinen Großvater unbedingt kennenlernen, aber ich hatte auch ein bisschen Angst.
Das ist doch normal.
Stimmt’s?
Die Lichter waren noch ausgeschaltet, und die schmalen Fenster ließen nicht viel von der Morgensonne hinein. Dort, wo sie es taten, trafen dünne Lichtschächte auf Staubpartikel in der Luft und erhellten die Fotos an den Wänden.
Es hingen viele Fotos an den Wänden. Einige waren gerahmt, einzeln oder mit anderen zusammen, aber viele waren auch einfach mit Klebeband an Ort und Stelle befestigt oder mit Wäscheklammern festgesteckt oder in irgendeine Ecke gesteckt. Ich wollte stehen bleiben und sie mir anschauen – die Bahrami-Familienporträt-Galerie –, aber stattdessen streifte ich mir meine Vans auf der Fußmatte ab und folgte Mamu den Flur hinunter, der sich durch die Länge des Hauses zog. Sie blieb am letzten Zimmer auf der rechten Seite stehen.
»Ist dieses Zimmer okay?«
»Klar.«
»Es hat einen Waschraum.« Sie zeigte auf eine Tür in der Ecke.
»Äh.« Mom hatte mich vor persischen Badezimmern gewarnt.
»Hast du Hunger, Maman?«
»Nein. Ich glaube nicht.« Die Wahrheit war, dass ich es gar nicht mehr genau sagen konnte. Unsere Reise durch das Raum-Zeit-Kontinuum, gefolgt von meiner Beinahe-Berührung mit staatlich sanktionierter Folter durch einen Zollbeamten hatte dazu geführt, dass ich mich desorientiert und ekelhaft fühlte.
»Bist du sicher? Das wäre kein Problem.«
Dies war mein zweites Taarof im Iran, und dieses Mal war Mom nicht in der Nähe, um mir zu helfen.
»Ähm. Ich bin sicher. Ich denke, ich werde duschen, wenn das in Ordnung ist. Und vielleicht kurz schlafen.«
»Okay. Es liegen Handtücher für dich im Schrank.«
»Danke.«
Mamu zog mich für eine Umarmung zu sich herunter, küsste mich auf beide Wangen und ging dann, um dabei zu helfen, Laleh ins Bett zu bringen.
Ich ließ Lalehs Koffer im Flur stehen, zog meinen in mein Zimmer und schloss die Tür.
Das Zimmer war ungefähr halb so groß wie mein Zimmer zu Hause: ein Einzelbett mit olivgrünem Bezug und passenden grünen Vorhängen, die das kleine runde Fenster über dem Bett bedeckten. Ein winziger Holzschreibtisch stand in der Ecke, und darüber hingen noch mehr Fotos an den Wänden. Ich erkannte Dâyi Jamshid und Dâyi Soheil und ihre Kinder, aber in einigen waren auch Fremde. Ein paar der Fotos waren sehr alte Schwarz-Weiß-Bilder aus der Zeit, als Mamu jung war.
Eines war mir bekannt: ein Bild von Mamu mit ihren Eltern. Mamu war etwa in meinem Alter und hatte langes, glattes Haar, das ihr bis zur Brust herunterfiel. Sie lächelte nicht, aber sie sah aus, als wollte sie.
Mom hatte einen gerahmten Abzug von diesem Bild zu Hause in unserem Wohnzimmer, an der Wand, die am nächsten an der Küche und der Turbolift-Tür war. Es war das einzige Bild, das wir von meinen Urgroßeltern (auf Moms Seite) hatten.
Ich schälte mir das T-Shirt herunter. Es war klebrig und miefig von der Tagesreise. Mein Gesicht war so fettig, dass ich dachte, es würde direkt auf den Boden abrutschen. Ich brauchte eine Dusche.
Und noch mehr als das musste ich pinkeln.
Ich starrte die Toilette an: eine perfekte Porzellanschüssel, in den Boden eingelassen mit rosenfarbenen Fliesen drumherum, die in einem abstrakten Mosaik angeordnet waren.
Mom hatte mich vor Mamus Toiletten gewarnt. Im Iran – speziell in älteren Häusern – war es vorgesehen, dass man sich über die Toilette hockte, anstatt sich draufzusetzen. Das wurde als sehr viel gesünder angesehen.
Ich hoffte, dass meine Beinmuskeln stark genug waren, wenn es so weit war. Im Moment umkreiste ich die Toilette noch und nahm sie unter die Lupe wie ein Klingonen-Krieger, der seinen Gegner taxiert. Ich war mir nicht sicher, wie ich es anstellen sollte, ohne eine große Sauerei zu hinterlassen.
Aber ich musste wirklich pinkeln.
Ich duschte, zog Shorts an und holte meine Medizin hervor, entschied dann aber, sie zu nehmen, wenn ich wieder aufstand, sodass ich sie mit dem Frühstück einnehmen konnte.
Die Luft im Schlafzimmer war zu stickig. Es war nicht schwül, aber ich konnte jedes einzelne Luftmolekül spüren, wie es mein frisch gewaschenes Gesicht berührte. In der Ecke stand ein Kastenventilator, den ich von der Wand wegzog und anschaltete. Er brummte ein wenig, und ich hatte eine kurze Vision davon, wie er eine plötzliche Oxidations- oder Zerfallsreaktion in Form einer wabernden Wolke aus Rauch und Motorpartikeln erlebte, aber dann kam er in Fahrt.
Der Ventilator wollte nicht stehen bleiben. Er wackelte und zitterte über den Boden und tanzte auf mich zu.
Ich richtete ihn so aus, dass er von mir weg tanzen würde. Aber als ich meine Hose ausgezogen und die Bettdecke zurückgeschlagen hatte, war der Ventilator um sich selbst herumgetanzt, um mir wieder gegenüberzustehen und sich unaufhaltsam seinen Weg zu meinem Bett zu wackeln und zu flattern.
Der Ventilator war böse.
Ich zog den Tanzenden Ventilator in die Mitte des Zimmers und lehnte meinen Koffer dagegen, damit er an seinem Platz blieb. Er rasselte bedrohlich und sprang auf seinen Gummifüßen vor und zurück. Der Koffer blockierte einen Teil des Luftstroms, aber wenigstens wusste ich, dass sich der Ventilator nicht anschleichen würde, wenn ich schlief.
Ich schlüpfte ins Bett und lag mit dem Gesicht zur Wand, aber ich konnte den Ventilator spüren.
Er beobachtete mich. Wartete darauf, dass meine Wachsamkeit nachließ.
Es war zutiefst beunruhigend.