An Nouruz hatten wir natürlich keine Star-Trek-Folge angeschaut – das wäre unmöglich gewesen –, aber an dem Tag, als Sohrab mir das Dach zeigte, holte Dad nach dem Abendessen sein iPad hervor.
»Ich mache Tee … Wartet ihr auf mich?«
»Du hast es schon mal gesehen«, sagte Dad. »Du weißt doch, dass deine Schwester ungeduldig wird.«
Als ich fertig war, saß Laleh an Dad gedrückt, er hatte seinen Arm um sie gelegt, und sie waren schon mitten in der ersten Szene von »Versuchskaninchen«.
Sie sahen glücklich und zufrieden ohne mich aus.
Wie ich bereits sagte, wusste ich, dass Laleh ein Ersatz für mich war. Ich hatte es gewusst, seit sie geboren war. Aber es hat mich nie gestört. Nicht allzu sehr.
Star Trek war alles, was Dad und ich hatten. Und nun hatte Laleh mich auch dabei ersetzt.
Die Quantensingularität in meiner Brust wurde aufgewühlt, zog vermehrt interstellaren Staub in ihren Ereignishorizont und saugte alles Licht auf, das ihm zu nahekam.
Ich nahm einen Schluck Tee und ging dann zurück in die Küche und hinaus in den Garten.
Der Jasmin blühte wieder. Alles war ruhig, abgesehen von dem gelegentlichen Klappern eines Autos, das die Straße herunterfuhr.
Ich liebte die Stille. Auch wenn sie mich manchmal dazu brachte, an traurige Dinge zu denken. Wie zum Beispiel, ob mich irgendjemand vermissen würde, wenn ich tot wäre.
Ich nippte an meinem Tee und atmete den Jasmin ein und fragte mich, ob irgendjemand traurig wäre, wenn ich bei einem Autounfall oder so etwas sterben würde.
Das ist doch normal.
Stimmt’s?
»Darius?«
»Ja?«
»Warum hast du nicht mitgeguckt?«
»Es ist, wie du sagtest. Ich habe es schon gesehen.«
Dad seufzte.
Ich hasste es, wenn er meinetwegen seufzte.
»Sei doch nicht so.«
»Wie denn?«
»Du bist gerade egoistisch.«
»Egoistisch?«
»Deine Schwester wollte Zeit mit dir verbringen. Du bist den ganzen Tag mit Sohrab unterwegs, treibst dich herum und machst wer weiß was, und Laleh ist hier ganz allein.«
Ich war ziemlich sicher, dass Babu auch den ganzen Tag zu Hause war, also war Laleh schwerlich »ganz allein« gewesen.
»Dass du so davongestürmt bist, hat Laleh wirklich verletzt.«
Ich war nicht davongestürmt.
Ich hatte einen taktischen Rückzug vorgenommen.
»Ihr habt ohne mich angefangen. Schon wieder.«
»Ich wollte nicht, dass deine Schwester wegläuft.«
»Wäre das so schlimm gewesen? Wenn wir Star Trek weiter ohne sie angesehen hätten?«
»Sie ist deine Schwester, Darius.«
»Das sollte unsere Sache sein. Du und ich. Das war unsere gemeinsame Zeit. Und jetzt macht sie alles kaputt.«
»Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass ich es vielleicht genieße, die Serie mit ihr zu schauen?«
Stephen Kellner hatte mich nie geschlagen. Niemals.
Aber jetzt fühlte es sich so an.
Was hatte ich an mir, das es ihm so leicht machte, mich wegzustoßen?
Warum war ich eine solche Zielscheibe?
Ich schluckte und holte tief Luft. Ich wollte nicht, dass meine Stimme quietschte.
»Fein. Dann schau es eben mit ihr.«
»Sei nicht sauer, Darius.«
»Ich bin nicht sauer, okay?«
Stephen Kellner mochte es nicht, wenn ich sauer war.
Er mochte es nicht, dass ich überhaupt Gefühle hatte.
»Darius …«
Ich stieß mich vom Boden ab.
»Ich gehe ins Bett.«
Sogar nachdem Dad aufgehört hatte, mir Geschichten zu erzählen, hatte er Wert darauf gelegt, mir jeden Abend, bevor ich ins Bett ging, »Ich hab dich lieb« zu sagen.
Das gehörte dazu.
Und ich hatte immer »Ich hab dich lieb« zurückgesagt.
Das war unsere Tradition.
An diesem Abend sagte mir Dad nicht, dass er mich lieb hatte.
Ich sagte es ihm auch nicht.