Das Gespür der Anwälte

Luca Forster hasste Anwälte. Die redlichen und noch mehr die unredlichen. Dennoch war die zweite Kategorie immer bereit, ihm eine helfende Hand zu reichen und über seine Tätigkeit als Dieb, Hehler, Wucherer, Zuhälter und Erpresser hinwegzusehen. Aber wenn es schlecht läuft, ist der unredliche Anwalt der Erste, der es bemerkt. Und wenn er dir dann die Hand reicht, spürst du, dass du eine Klinge zu fassen bekommst.

Dank Klimaanlage war es im Büro recht angenehm. Von hier sah man hinter der Glasfront, durch die Spalten der Jalousie, den blauen Mantel des Sees und des Himmels. Drinnen hatte man es schön frisch, konnte kalten Tee trinken und über Geschäfte reden.

»Wissen Sie, Herr Advokat, man kann nicht verlangen, dass einer, der eine derartige Vielzahl von Geschäften betreibt wie ich, bestimmte Zahlungen in bar leistet.«

»Entscheidend ist, dass sie geleistet werden, Signor Forster«, sagte Rechtsanwalt Berti. »Ich darf Sie jedoch daran erinnern, dass Ihre Gläubiger eine gewisse Dringlichkeit geboten sehen.«

»Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich in Kürze achthunderttausend Franken zur Verfügung haben werde. Auf die Hand, absolut problemlos.«

»Schon, aber diese Zahlung … mit welchen Garantien kommt sie?«

Forster strich sich mit der Hand über den Schnauzbart. Er musste den Satz wiederholen, um die Worte zu verstehen.

Und das stimmte. Das Geld von der Junker-Bank durfte nicht sofort ausgegeben werden. Erst einmal musste man es ins System einspeisen, es waschen. Nichts, was für Forster nicht machbar wäre. Er hatte eine kleine Restaurantkette, eigens zu diesem Zweck. Man musste nur den Gewinn aufblähen, ein wenig tricksen und nach und nach das Geld abzwacken. Aber das brauchte seine Zeit.

»Ich werde über sämtliche Garantien verfügen, seien Sie unbesorgt. Entscheidend ist, nicht immer alles zu überstürzen. Ich muss verschiedene Tätigkeitsbereiche koordinieren und …«

»Signor Forster.«

Die schwarzen Äuglein des Anwalts glänzten hinter der Goldrandbrille. Forster zog die Augenbrauen zusammen.

»Was ist?«

»Signor Forster, reden wir Klartext. Ich vermittle zwischen Ihren Interessen und denen der K-Investment AG. Aber die K-Investment hat nicht vor, auf Ihren Beitrag zu verzichten. Ich kann nicht viel machen, verstehen Sie?«

Anwälte haben ein Gespür. Und je unredlicher sie sind, desto stärker ist es ausgeprägt. Sie sind wie die Ratten, die wissen, wann das Schiff zu sinken beginnt. Ein paar Jahre zuvor hätte sich Berti nie herausgenommen, ihn so zu behandeln.

»Können Sie nicht ein Treffen mit den Verantwortlichen vereinbaren?«, schlug Forster vor, der gelernt hatte, Ruhe zu bewahren. »Wir könnten unsere Meinungsverschiedenheiten aus dem Weg räumen, ich könnte einige meiner Investitionsideen vorstellen, die …«

»Signor Forster.«

Wieder dieser kriecherische Ton. Forster hasste ihn.

»Bitte.«

»Ich habe gesehen, dass Sie der Kasse für gemeinsame

»Ich bin mit einem vertraulichen Projekt beschäftigt.«

»Aha.«

»Ich stehe in Verhandlungen mit einem polnischen Unternehmer, der rund ein Dutzend Verkaufsstellen im Osten zusichern könnte. Aber um das Ganze ins Laufen zu bringen und einen Anreiz zu bieten, musste ich ihm einige Boni zahlen.«

»Ich würde die Finger davon lassen.«

Das glaub ich, du Bastard. Du hättest nicht den Mut dazu. Forster war ein waschechter Gangster. Und er hatte, verdammt noch mal, keine Angst davor, sich die Hände schmutzig zu machen! Aber diese Rechtsanwälte mit Kindern und Großraumlimousine, diese Familienväter, die vom Dreck leben, den andere am Stecken haben, ihn aber nur mit Handschuhen berühren, diese Schlangen, diese … widerwärtig waren sie, ein ekelerregendes Pack!

»Ich habe Sie immer sehr geschätzt, Advokat Berti, deshalb spreche ich ganz offen mit Ihnen.«

»Ich habe nichts anderes erwartet.«

»Wenn Sie mir behilflich sind und die von der K-Investment ein wenig hinhalten, kann ich Sie an einem Geschäft beteiligen. Ohne namentliche Erwähnung, versteht sich, aber mit einer beachtlichen Aufwandsentschädigung.«

»Signor Forster …«

»Ich versichere Ihnen, Advokat Berti, ich werde diese achthunderttausend zurückzahlen. Und auch die Auslagen für den Kontakt nach Polen. Wenn wir es schaffen, gemeinsam ins Geschäft zu kommen, haben wir ein größeres vertragliches Gewicht. Aber ich brauche ein wenig Zeit.«

Rechtsanwalt Berti senkte die Augenlider und hob sie wieder. Dann warf er einen flüchtigen Blick auf seine Rolex.

Forster erhob sich. Schweißperlen benetzten seinen Bart, trotz der Klimaanlage.

»Aber das mit unserem Geschäft, was halten Sie davon? Ist es machbar?«

»Es ist auf jeden Fall eine Überlegung wert. Ich muss mit der K-Investment sprechen. Was die achthunderttausend betrifft …«

»Ja?«

»Man könnte Ihnen einen Aufschub gewähren.« Rechtsanwalt Berti rückte seine Brille zurecht. »Aber übertreiben Sie es nicht. An diesem Punkt würde ich übrigens nicht mehr von achthunderttausend sprechen. Ein wenig mehr wäre als Anreiz ganz gut, Sie verstehen?«

»Natürlich.« Forster begleitete ihn zur Tür. »Natürlich verstehe ich.«

Bastard. Ich als Wucherer und du als Anwalt! Zum Teufel mit dir!

»Ich danke Ihnen für Ihre Zusammenarbeit, Herr Advokat Berti.«

»Keine Ursache. Auf Wiedersehen.«

Forster schloss langsam die Tür hinter Berti.

Er kehrte zum Schreibtisch zurück, atmete tief durch und wischte sich die Handflächen an der Hose ab. Während er die Lichtstreifen betrachtete, die durchs Fenster fielen, wiederholte er mit leiser Stimme:

»Keine Ursache. Auf Wiedersehen.«

Ein paar Sekunden lang rührte er sich nicht. Dann schnellte sein Arm nach hinten und die Faust schlug gegen das Glas. Einmal, zweimal. Beim dritten Schlag zersplitterte die Scheibe, aber Forster hieb weiter auf den Fensterrahmen ein.

»Ich bring dich um«, schrie er, ohne auf die Verletzung zu achten, »ich bring dich um, dich und all diese verdammten Blutsauger … ich bring dich um, hörst du? Ich bring dich um!«